Parlamentskorrespondenz Nr. 819 vom 05.11.2003

FAMILIENAUSSCHUSS: PRÄVENTION IN DER AUSSERSCHULISCHEN JUGENDARBEIT

Fortsetzung und Schluss der Debatte über den Jugendbericht

Wien (PK) - Prävention in der außerschulischen Jugendarbeit stand im Zentrum der weiteren Debatte des Familienausschusses über den Jugendbericht. Der Autor des Berichts, Mag. Manfred Zentner (Institut für Jugendkulturforschung) leitete diesen Teil des Hearings ein. Die Ergebnisse der Untersuchung hätten ergeben, dass die verschiedenen Einrichtungen vor allem in den Bereichen Wissensvermittlung, affektive Auseinandersetzung mit Problemen, Entwickeln von Alternativen zum Problemverhalten, Kompetenzerwerb und Gesundheitsförderung tätig sind. Der Großteil der Einrichtungen beschäftigt sich dabei mit den Themen Sucht und Abhängigkeit; weitere Schwerpunkte sind Drogenmissbrauch, sexueller Missbrauch, Aids und HIV, erläuterte Zentner. Von Seiten der Jugendarbeiter gebe es einen großen Bedarf an Weiterbildungsmaßnahmen. Außerdem wurde die Forderung nach ausreichenden Ressourcen (Geld, Personal und Anerkennung der Arbeit) artikuliert. Die Jugendlichen selbst sehen vor allem Drogen und Gewalt als vorrangige Gefährdungspotentiale. Die jüngeren unter ihnen leiden oft unter Gruppenzwang, während die älteren Jugendlichen Probleme im Beruf, in der Partnerschaft sowie im finanziellen Bereich angeben.

Von der praktischen Seite betrachtete sodann Alfred Kager (NÖ-Landesjugendreferent) die zur Diskussion stehende Thematik. Er wies zunächst darauf hin, dass Niederösterreich das einzige Bundesland sei, dass seit 1980 regelmäßig Jugendstudien durchführe. Was er in der vorliegenden Studie vermisse, sei die Unterscheidung zwischen Lehrlingen und Schülern, da es zwischen diesen beiden Gruppen doch recht deutliche Unterschiede gebe. Es müsse das oberste Ziel sein, dass die Jugendlichen eine möglichst große Eigenständigkeit und Eigenverantwortung entwickeln, weil sie dann viel weniger gefährdet sind. Die außerschulische Jugendarbeit müsse ihren Teil dazu beitragen, damit die Probleme so früh wie möglich erkannt werden, meinte er. Wichtig sei seiner Meinung nach auch eine Vernetzung aller betroffenen Stellen (z.B. Suchtkoordinationsstelle in NÖ) sowie eine starke kommunale Jugendarbeit.

Mag. Regina Polak (Institut für Pastoraltheologie) befasste sich sodann mit dem Wertebereich, wobei sie von einem breiteren Begriff der Prävention ausging. Zunächst sprach Polak die "peer-group-education" an, die eine große Stärke der Studie sei. Ihrer Ansicht nach wäre dieses Konzept um einen transgenerationalen Ansatz zu ergänzen, d.h. um einen Wertetransfer zwischen den Generationen. Das Generationenghetto sollte ihrer Meinung nach durchbrochen werden, da die Selbstsozialisation, die bei den heutigen Jugendlichen sehr stark ausgebildet ist, ihre Grenzen habe. Weiters forderte Polak, dass der Jugendliche als homo politicus wahrgenommen werden müsse. Da die jungen Menschen ein mangelndes Institutionenbewusstsein und eine geringe Bindung an Verbände aufweisen, müsse der Kontakt mit jenen zivilgesellschaftlichen Bereichen gesucht werden, wo Jugendliche tätig sind. Weiters ging Polak noch auf die Bedeutung der Verwurzelung im ethisch-spirituellen-religiösen Bereich sowie auf das Sichtbarmachen der "unsichtbaren Opfer" (Stichwort Modernisierungsverlierer) ein.

Dr. Winfrid Janisch (Psychotherapeut/Suchtprävention) unterstrich das Ziel der Prävention, Jugendlichen beizubringen, mit Genussmitteln selbstbewusst umzugehen. "Zu jeder Genusskultur gehört auch eine Verzichtkultur", führte der Experte aus und hielt es für sehr wichtig, die Risikokompetenz der jungen Menschen zu stärken. Da jede Prävention eines hohen Maßes an Glaubwürdigkeit bedürfe, gehe es um das Erlernen der Genussfähigkeit und das Wissen, dass es an sich nichts Schlechtes sei, euphorisierende Erlebnisse zu suchen. Hinsichtlich von Peer Education-Projekten, zu denen sich Janisch bekannte, hielt der Experte die Qualität der Ausbildung für wichtig und warnte vor der Vorstellung, man könnte professionelle Berater durch "dünn ausgebildete" Jugendliche ersetzen und sich dabei Geld ersparen.

Dr. Rotraut Erhard (Psychologin und Psychotherapeutin) lenkte die Aufmerksamkeit auf die Gruppe der Lehrlinge und der arbeitenden Jugendlichen, die insofern minder privilegiert seien, als für sie nach dem Schulabschluss keine Persönlichkeitsbildung mehr vorgesehen sei. Sehr wichtig sei es, diesen jungen Menschen Raum für ihre Freizeitgestaltung zu geben. Bedarf sah die Psychologin auch an der Vermittlung einer Konfliktkultur, da viele Partnerschaften an der mangelnden Fähigkeit junger Menschen scheitern, ihre Konflikte auszutragen. Der Alkoholkonsum beginne bei vielen Jugendlichen bereits im Alter von vierzehn Jahren, berichtete Dr. Erhard, die darauf aufmerksam machte, dass auch Mädchen immer früher zu trinken beginnen. Besondere Aufmerksamkeit brauchen behinderte und lernschwache Jugendliche sowie psychosozial gefährdete junge Menschen, die Probleme bei der Integration haben. Sie verlieren oft den Anschluss und wachsen ohne Freunde auf. Dazu kommen die Gruppen der delinquenten und der obdachlosen Jugendlichen. Generell wünsche sie sich mehr Anerkennung für die außerschulische Jugendarbeit, schloss die Expertin.

Elke Büchel (Verein Echo) berichtete von ihrer Jugendarbeit mit der zweiten und dritten Zuwanderergeneration. Der Verein Echo konzentriere sich auf das Lobbying für Jugendliche und auf die Beratung der Jugendlichen. Prävention bedeute für sie Stärkung der persönlichen Fähigkeiten der Jugendlichen, wobei sie als Hauptproblemfelder den Bildungsgang der zweiten und dritten Generation, die Arbeitslosigkeit, die Verschuldung und die Gewalt nannte. Bildung wollte die Jugendarbeiterin nicht nur auf das Ziel "mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt" eingeschränkt sehen, sondern betonte, wie wichtig es für die Jugendlichen sei, ihre sprachlichen Fähigkeiten, ihr Auftreten und ihre Alltagskompetenz zu verbessern. In speziellen Seminaren werde das Konfliktverhalten geschult und Wissen um die Anforderungen der Gesellschaft vermittelt.

STELLUNGNAHMEN UND FRAGEN DER ABGEORDNETEN

Abgeordnete Silvia Fuhrmann (V) konzentrierte sich auf Fragen danach, welche Qualifikationen Jugendarbeiter tatsächlich brauchen, welche Maßnahmen für die Jugendlichen besonders dringlich seien und welche personellen und finanziellen Ressourcen für die Jugendarbeit gebraucht werden.

Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (S) trat für eine bundeseinheitliche Koordination der Drogenarbeit ein. Ihre Bitte an Staatssekretärin Haubner lautete, dafür zu sorgen, dass gute Projekte auch dann das nötige Geld bekommen, wenn der Topf dafür bereits leer ist. Konkret schlug die Abgeordnete vor, mit der Prävention bereits im Kindergarten zu beginnen und Präventionspotenziale bei jenen Jugendlichen zu nutzen, die weder von der verbandlichen Jugendarbeit erfasst seien noch Jugendzentren besuchten. Zudem sollten gute Projekte gesammelt und ins Internet gestellt werden, damit man in der Jugendarbeit und in der Prävention nicht überall das Rad neu erfinden müsse. Mehr Geld forderte die Abgeordnete schließlich für die Jugendforschung.

Abgeordnete Sabine Mandak (G) sprach sich dafür aus, obdachlose Jugendliche auf Gemeindeebene zu betreuen, und zwar nicht nur mit Peers, sondern auch mit Streetworkern. Es fehle aber an Mitteln, weil die Gemeinden immer weniger Geld zur Verfügung haben und meist andere Prioritäten setzen. Die Abgeordnete wollte auch das Thema sexuellen Missbrauchs thematisieren und mehr Geld für die offene Jugendarbeit investieren.

Abgeordneter Nikolaus Prinz (V) erkundigte sich nach Maßnahmen zur Elterninformation, wollte wissen, ob die Bedürfnisse zwischen Schülern und Lehrlingen differieren und wie stark sich Gefährdungspotenziale für Jugendliche im ländlichen Raum von jenen in den Städten unterscheiden.

Abgeordnete Gabriele Binder (S) befasste sich mit dem Problem der Finanzierung von Präventionsmaßnahmen, unterstrich die Bedeutung des Problems obdachloser Jugendlicher und trat für ein bundeseinheitliches Jugendschutzgesetz ein.

Abgeordnete Ingrid Turkovic-Wendl (V) wollte nach Wegen suchen, jungen Menschen den Zugang zu der stark wachsenden Gruppe älterer Menschen zu öffnen. Was die ehemalige Leistungssportlerin in der Diskussion vermisste, war das Wort "Idealismus". Sich Ziele zu setzen, könne, so ihre ganz persönliche Erfahrung in der Jugend, "Flügel verleihen".

Abgeordneter Elmar Lichtenegger (F) würdigte die vielfach unbewusste Jugendarbeit in den Sportvereinen und zeigte sich überzeugt, dass es ohne diese Arbeit im Jugendbereich viel größere Probleme gebe. Wer die Ziele anderer kennenlerne und zugleich lerne, seine eigenen Ziele zu verfolgen, stärke seine Persönlichkeit und darin sah Lichtenegger einen wesentlichen Beitrag des Sports zur Prävention.

Abgeordnete Ridi Steibl (V) wollte wissen, warum die jungen Menschen trotz einer positiven Sicht der Familie letztlich so wenig Mut zum Kind entwickeln.

DIE RESÜMEES DER EXPERTEN UND DER STAATSSEKRETÄRIN

Mag. Manfred Zentner (Institut für Jugendkulturforschung) ging auf die konkreten Fragen der Abgeordneten ein und teilte mit, dass in der vorliegende Studie kein wesentlicher Unterschied in der Drogenproblematik zwischen Stadt und Land festgestellt werden konnte. Sportvereine wollte der Experte nicht generell als Orte der Drogenprävention sehen, da eine deutsche Studie auf Alkoholmissbrauch in Sportvereinen hingewiesen habe. Auch Manfred Zentner warnte davor, die Peer Education zum Geldsparen in der Jugendarbeit zu missbrauchen. "Jugendliche dürfen nicht allein gelassen werden", lautete sein Credo. Das Thema sexueller Missbrauch sei in den Bericht nicht aufgenommen worden, weil die für die Erstellung des Berichts verwendeten Befragungsmethoden diesem Thema nicht adäquat gewesen wären.

Mag. Regina Polak problematisierte die verbreitete Auffassung, in einer ideologiefreien Gesellschaft zu leben und zeigte sich überzeugt, dass auch in unserer Gesellschaft Teilinteressen verabsolutiert werden. In der Präventionsarbeit wollte die Expertin auch auf eine lebensweltliche Perspektive setzen und über Themen wie "Zugehörigkeit zum Gemeinwesen" diskutieren. Wenn man sich frage, warum der Mut zum Kind abnehme, sollte man daran denken, wie sehr die Zugehörigkeit zur Gesellschaft mit Erwerbstätigkeit assoziiert werde, nicht aber mit der Betreuung von Kindern. In diesem Zusammenhang sprach sich die Expertin für ein Eltern-Empowerment aus. Angesichts einer an sich positiven Professionalisierung der Pädagogik sei auch ein Pardigmenwechsel dahingehend notwendig, Eltern in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht immer nur als "Problemauslöser" zu betrachten.

In ihren weiteren Ausführungen machte die Expertin darauf aufmerksam, dass die Idee der heilen Familie Erwartungen wecke, die in der Realität nicht erfüllbar sind. Die vieldiskutierte Zersplitterung der Familie sollte man andererseits aber auch nicht überdramatisieren, sondern bedenken, dass zwei Drittel der Kinder in Familien mit ihren leiblichen Eltern aufwachsen.

Dr. Winfrid Janisch unterstützte seine Vorrednerin und berichtete von einer großen Bereitschaft der Eltern, zu lernen und Wissen über ihre Kinder und die Jugendlichen zu erwerben. Die Zusammenarbeit von Eltern, Kindern und Lehrern sei die Voraussetzung für viele erfolgreiche Projekte. "Eltern brauchen Unterstützung", sagte der Experte. Abschließend machte Janisch nachdrücklich darauf aufmerksam, dass erfolgreiches Lernen Glücksempfindungen voraussetze und unter Angst und Druck nicht möglich sei. Daher sei auch eine Suchtprävention ohne Lustbetonung zum Scheitern verurteilt.

Dr. Barbara Wagner-Tichy (Psychologin, Ehe- und Familienberaterin, Mediatorin) beleuchtete die Motive, die Jugendliche trotz ihrer allgemeinen Sehnsucht nach einer harmonischen Familie daran hindere, Kinder zu bekommen. Die Psychologin sprach von der Angst, Unabhängigkeit, Freiheit und Freizeit zu verlieren. Man sollte bei den jungen Menschen als künftigen Eltern ansetzen, sie sind politische Menschen und Experten für Familie.

Staatssekretärin Ursula Haubner gab ihrer Vorrednerin Recht und unterstrich das Ziel, junge Menschen als künftige Eltern anzusprechen, die sich zu ihren Kindern bekennen. Sie wolle in der Jugendarbeit nicht zwischen außerschulischer und schulischer Arbeit trennen und trat für ein Netzwerk von Experten und Eltern im Interesse der jungen Menschen ein. Für die außerschulische Jugendarbeit des Bundes sind 6,073 Mill. € vorgesehen, teilte die Staatssekretärin mit, in den nächsten Budgetberatungen werde sie sich für mehr Geld für alle Generationen einsetzen. In der Präventionsarbeit sei es nicht wichtig, neue Stellen zu schaffen, sondern vielmehr die vorhandenen Stellen besser zu vernetzen, zu koordinieren und effektiver zu nutzen. In der Peers Education lege sie Wert auf Qualitätsstandards als Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz dieses Instruments der Jugendarbeit.

Darüber hinaus sprach sich die Staatssekretärin für freiwillige Jugendarbeit aus und berichtete von der Gründung eines Freiwilligenrates im Generationenministerium. Den Vorschlag, besonders gute Projekte gesondert vor den Vorhang zu bitten, griff Ursula Haubner gerne auf. Die Vereinheitlichung des Jugendschutzes sei auch ihr Anliegen, sagte die Staatssekretärin abschließend.

Bei der Abstimmung wurde der 4. Jugendbericht einstimmig zur Kenntnis genommen.

Eingangs der Sitzung war der Antrag der SPÖ, den Bericht nicht im Ausschuss endzuerledigen, sondern auch im Plenum zu behandeln, in der Minderheit geblieben. (Fortsetzung)