Parlamentskorrespondenz Nr. 239 vom 30.03.2004

ARCHITEKTURPOLITIK KEIN MINDERHEITENPROGRAMM, SONDERN LEBENSTHEMA

Enquete-Kommission setzt Debatte fort

Wien (PK) – In der Debatte über die Bauherrnverantwortung warnte DI Utz Purr (Plattform für Architektur und Baukultur) eindringlich davor, auch in der Architekturpolitik mit der in Österreich beliebten Ausrede zu operieren: "Da kann man nichts machen, das hat die EU so beschlossen". Man könne sehr wohl etwas tun, hielt der Architekt fest und machte darauf aufmerksam, dass es an Österreich liege, dafür zu sorgen, dass Wettbewerbe in Österreich nicht auf niedrigstem Niveau stattfinden.

DI Gerhard Mitterberger (Kammer für Architekten und Ingenieurskonsulenten für Steiermark und Kärnten) warnte vor der Vorstellung, man könne Häuser wie ein industriell gefertigtes Produkt aus dem Katalog kaufen. "Häuser sind keine Autos". Jedes Haus stelle einen Prototyp dar - erst wenn sich diese Erkenntnis durchgesetzt habe, werde es eine qualitätsvolle Architektur geben.

DI Franz Kalwoda (Kammer der Architekten) warf ein, dass Architektur- und Baukultur nicht nur von der Qualität der künstlerischen Entwürfe abhänge, sondern auch von den zugehörigen Ingenieurleistungen. Hier führe der oft ruinöse Wettbewerb zu Qualitätsverschlechterungen, der dem Ruf der Architektur schade. Es sei daher wichtig, den Stellenwert begleitender Ingenieurleistungen zu berücksichtigen. Schließlich wandte sich Kalwoda der thermischen Sanierung zu, die großen Einfluss auf die Architektur habe, und drängte darauf, die Energiebeauftragten gut auszubilden.

Univ.-Prof. DI Volker Giencke (Universität Innsbruck) hielt Qualitätskriterien wie Raumaufteilung als Prämissen für die Architektur nicht für ausreichend. Es werde nicht genügen, einen Grundkurs in Informatik oder in Management-Business-Administration zu absolvieren. "Erbsenzähler sind keine Förderer der Architektur, das sind Verhinderer der Architektur. Was wir brauchen sind faszinierte Architekten". Die Abwertung der Stararchitektur sei für ihn unverständlich, sagte Giencke, der die Vorbildlichkeit der Vorarlberger Bauarchitektur nicht erkennen konnte, sie sei nur eine besondere Form des Häuselbauens. "Wir brauchen die besten Entscheidungsträger in Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Die notwendige Reform der Architektur stellt auch eine Reform der Politik dar", schloss Giencke.

Zum Themenblock III - Architekturwettbewerbe und Vergabe - hielten DI Georg Pendl, Vorsitzender der Bundessektion Architekten der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, und DI Walter Raiger, Direktor der Steiermärkischen Krankenanstalten Gesellschaft (KAG), die Einleitungsreferate.

Georg Pendl setzte sich aus aktuellem Anlass mit einer Entscheidung des Bundesvergabeamtes auseinander, welches die Beschwerde zweier Architekten gegen das Vergabeverfahren im Zusammenhang mit dem Bau des Klagenfurter Stadions, ein so genanntes "Totalübernehmerverfahren", abgewiesen habe. Durch die Gesamtausschreibung hätte sich nur die Bauindustrie am Verfahren beteiligen können, jedoch kein einziger österreichischer Architekt oder Ziviltechniker, skizzierte er. Solche Verfahren seien, meinte Pendl, nichts Gutes für die Architekturqualität, dies sei so, als ob sich jemand ein Auto kaufe, ohne es davor in einem Katalog gesehen zu haben.

Pendl sieht das österreichische Parlament in zweifacher Hinsicht gefordert. Zum einen, weil das geltende Bundesvergabegesetz offenbar solche Gesamtausschreibungen erlaube, zum anderen, weil die neue Vergaberichtlinie der EU den Mitgliedsstaaten die Regelung der Frage einer getrennten oder einen gemeinsamen Vergabe von Planung und Ausführung überlasse.

Pendl erachtet es aber auch generell für notwendig, dass sich die Politik zu Qualität beim Bauen bekennt. Die derzeitige österreichische Gesetzeslage erlaube zwar Architekturwettbewerbe, man müsse solche aber nicht durchführen, umriss er. Daher gebe es in Österreich Gemeinden, wo Architektur entstehe, weil der Bürgermeister Sinn in der Angelegenheit sehe, und andere Gemeinden, wo dies nicht der Fall sei. Die Architektenkammer sei jedenfalls stets gerne bereit, bei der Vorbereitung von Wettbewerbsausschreibungen oder bezüglich der Auswahl der Jury beratend zur Seite zu stehen, betonte Pendl. Zur Honorarfrage merkte er an, die Abgeltung geistiger Leistung dürfe sich nicht allein am Preis orientieren, es müsse immer auch ein Qualitätswettbewerb sein.

Walter Raiger wies darauf hin, dass die KAG 20 Krankenhäuser in der Steiermark verwalte und jährlich rund 100 Mill. € in Neu-, Um- und Zubauten investiere. Selbstverständlich sei man der Sparsamkeit und der Wirtschaftlichkeit verpflichtet, sagte er, dennoch räume die KAG der Erhaltung der Baukultur breiten Raum ein und führe bei allen Neubauten Architektenwettbewerbe durch. In einem gut vorbereiteten Wettbewerb entstünden immer qualitativ hochwertige Bauten, bekräftigte Raiger.

Raiger hält es bei öffentlichen Auftraggebern für ein Muss, Architekten- und Gestaltungswettbewerbe durchzuführen. Nur so könne hochwertige Qualität und Baukultur entstehen. Gleichzeitig ist es seiner Ansicht nach aber auch erforderlich, dass der Bauherr seine Verantwortung voll wahrnimmt und sich Zeit für eine gründliche Planung und Vorbereitung nimmt. Diese Verantwortung sei, so Raiger, nicht delegierbar.

Den Themenblock IV - Bildung und Vermittlung - leitete Univ.-Prof. DI Dr. Christian Kühn, Vorstand der Architekturstiftung Österreich, ein. Er machte darauf aufmerksam, wie unterschiedlich und oft konträr die Interessen und Ziele bei einem Bauwerk sind, die alle in irgendeiner Weise befriedigt werden müssten, wobei die Herausforderung bei größeren Projekten wachse. Die Fülle von Konflikten kann seiner Ansicht nach nicht zuletzt über das Medium der Architektur verhandelt und gelöst werden.

Als Aufgabe der Architekturvermittlung sieht es Kühn unter anderem, Bauherren und Nutzer mit den vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten und Methoden der heutigen Architektur vertraut zu machen, damit diese in einen produktiven Dialog mit den Architekturschaffenden in weitestem Sinn eintreten könnten. Mittlerweile gebe es in allen Bundesländern Institutionen, die Ausstellungen, Vorträge und Führungen zu zeitgenössischer Architektur veranstalten, unterstrich er. Besonders erfolgreich seien diese Institute dort, wo es ihnen gelungen sei, Netzwerke zwischen engagierten Bauherren, Architekten, Beamten und Unternehmern im Interesse der Baukultur aufzubauen.

Kühn zufolge ist die Architekturvermittlung in Österreich, sowohl im Verhältnis zu ihren Leistungen als auch im internationalen Vergleich, unterdotiert. Um in die Breite gehen und Initiativen auf lokaler Ebene setzen zu können, fehlten die Mittel, ebenso für die "unbedingt nötige" internationale Positionierung der österreichischen Architektur, trotz vieler guter Einzelprojekte.

Eine Strategie zur Architekturvermittlung sollte seiner Auffassung nach bei bestehenden Stärken ansetzen, etwa dem hohen Niveau der österreichischen Architektur und dem wachsenden Interesse der Öffentlichkeit am Thema. Ein regelmäßiger Bericht an das Parlament über den Stand der Baukultur könnte, so Kühn, an dieses Interesse anknüpfen und zum Ausdruck bringen, dass anspruchsvolle Architektur ein öffentliches Anliegen ist. Gute Architektur sei meistens riskant und man könne aufgrund langer Planungszeiten damit auch nicht die nächsten Wahlen gewinnen, meinte Kühn abschließend, die übernächsten hingegen vielleicht schon.

Mag. Dr. Barbara Feller (Architekturstiftung Österreich) setzte sich mit der Bewusstmachung von Gestaltungsqualitäten auseinander und betonte, das Erkennen von Architektur wolle gelernt sein. Es gebe nur wenige Menschen, die ihre Umwelt bewusst wahrnehmen würden, obwohl die Gestaltung des Lebensraums Einfluss auf das Wohlbefinden des Einzelnen und Raum Wirkung habe. Die Menschen müssten seh- und sprachfähig gemacht werden, forderte Feller, man müsse Barrieren abbauen, den Dialog fördern und Menschen die Augen für ihre Umwelt öffnen. Schließlich wohne und bewege sich jeder in gestalteten Räumen.

Als wichtigen Ort, um den Menschen Architektur näher zu bringen, sieht Feller die Schule. Sie wies auf positive Erfahrungen in der Projektbetreuung in Schulen hin und erklärte, Kinder und Jugendliche lernten, dass Architektur mehr sei, als Häuser zu bauen, dass Architektur alle angehe und dass Architektur Spaß mache. In diesem Sinn sollten alle SchülerInnen im Rahmen ihrer Schullaufbahn zumindest einmal mit dem Thema Architektur und Umweltplanung in Kontakt kommen. Feller zufolge gilt es, bestehende, ermutigende Projekte zu evaluieren, Unterrichtsmaterialien zu entwickeln und auch die Lehreraus- und -weiterbildung auf ein neues Niveau zu stellen.

Univ.-Prof. Mag. Roland Gnaiger (Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz) schilderte, er habe für das Fernsehen, zunächst österreichweit, später für Vorarlberg, zahlreiche Beiträge über Architektur gestaltet und dabei positive und negative Beispiele von Architektur gegenüber gestellt. Die Reaktionen sei enorm gewesen. Es habe auch Beschwerden über seine Beurteilungen gegeben, zumeist hätten die Zuschauer aber um Vertiefung, Konkretisierung, Unterstützung und Rat ersucht. Er sei von Bürgerinitiativen kontaktiert, von Schulen zu Diskussionen eingeladen und von Familien oder von Stammtischrunden zum Schiedsrichter in Bezug auf konkrete Bauprojekte gemacht worden.

Gnaiger schließt daraus, dass das Interesse an Architektur ein sehr breites und Architekturpolitik kein "Minderheitenprogramm", sondern ein Lebensthema ist. Spitzenarchitektur ist seiner Ansicht nach zudem ohne Breite nicht möglich, genauso wie Spitzensport des Breitensports bedürfe.

Allerdings sei der "Alltag des Bauens", so Gnaiger, abseits medialen Interesses enorm mühsam. Gut gemachte Architekturvermittlung könnte seiner Meinung nach Unerwartetes und Vieles bewegen, genauso wie Jamie Olivers Fernsehsendungen einen wesentlichen Beitrag zur Esskultur geleistet hätten.

Univ.-Prof. DI Rüdiger Lainer (Institut für Kunst und Architektur der Akademie der bildenden Künste Wien) führte aus, das Entwickeln der Umwelt, sowohl der gebauten künstlichen wie auch der gestalteten natürlichen, sei ein Prozess, der kontinuierlich entwicklungsfähig sei. Die Architektur, die diese Entwicklung konkretisiere, sei notwendiger Teil des täglichen Lebens. Das, was die Universität daher den Studierenden vermittle, sei, dass die Architektur in der Realität einen kontinuierlichen Optimierungsprozess herausfordere.

Das, was oft als gegeben angenommen werde, wie z.B. die derzeit üblichen Wohnungs- und Hausgrundrisse, kollidiere oft mit gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen, skizzierte Lainer. In diesem Sinn gebe es enormen Handlungsbedarf. Ebenso erachtet er städtebauliche Projekte für die zukunftsfähige Entwicklung einer Stadt oder einer Region und für das Wohlbefinden der Bewohner für relevant. Es gehe, so Lainer, um die Entwicklung von Strategien im Umgang mit Architektur, Städtebau, Landschaft und Verkehr und um die Einbeziehung von sozialen Prozessen.

Das kreative Potential der Universitäten könnte hier Lainer zufolge viel leisten. Die AbsolventInnen der Architektur-Universitäten seien großteils in der Lage, auf Strukturentwicklungen zu reagieren und könnten Wesentliches zur gesellschaftlichen Dynamik und zur Qualität unserer Umwelt beitragen, bekräftigte er. Wie die Praxis zeige, seien sie auch international gesucht und international erfolgreich.

Lainer sieht allerdings die Notwendigkeit, den Aufwand und die Mittel für die Universitäten effizient einzusetzen, und gab in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass derzeit an der Akademie der bildenden Künste das Verwaltungspersonal steige, während die Zahl der Lehrenden stagniere. Als wichtig erachtet er darüber hinaus, den architektonischen Diskurs an Schulen zu beleben und auch auf entsprechende Erwachsenenbildung ein Augenmerk zu legen, da es im Bereich des Einsatzes von Architektur viele Entscheidungsträger gebe, die nicht über das notwendige Hintergrundwissen verfügten. (Forts.)