Parlamentskorrespondenz Nr. 396 vom 27.05.2004

DEBATTE ÜBER ÖSTERREICHS HALTUNG ZUR AUSSEN- UND SICHERHEITSPOLITIK

V-F-Entschließungsantrag zur Lage im Nahen Osten

Wien (PK) - Abgeordneter SCHEIBNER (F), Erstunterzeichner der Dringlichen Anfrage, zeigte sich enttäuscht darüber, dass es bisher noch nicht gelungen ist, sich über eine europäische Verfassung zu einigen. Wichtig sei es, dass Österreich seine eigenen Positionen stark vertritt, damit "Österreich nicht unter die Räder" komme. Das gelte sowohl für die Reform der Institutionen als auch für die Abgrenzung der Kompetenzen und die Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips in wichtigen Fragen, wie etwa bei der Verfügung über die Wasserressourcen. Es gehe auch um die Finanzierung der EU, wobei Scheibner klar machte, dass die FPÖ gegen eine Erhöhung der nationalen Beiträge eintrete. Österreich müsse sich auch für die Einhaltung der Stabilitätskriterien stark machen, betonte der F-Klubobmann. Dem geplanten Sanktionsmechanismus für den Fall, dass ein Land die Werte der Europäischen Union verletzt, maß Scheibner besondere Bedeutung bei.

Er erinnerte dabei an die Sanktionen gegen Österreich und griff besonders die SPÖ an, die, wie er sagte, Österreich damals schlecht gemacht habe. In diesem Zusammenhang ging er abermals näher auf den damaligen Brief des EU-Abgeordneten Swoboda kritisch ein und vermisste den Patriotismus, den Swoboda in Pressemeldungen nun für sich reklamiert. Im Gegensatz dazu warf Scheibner Swoboda unsolidarisches Verhalten und "Vernaderung" vor. Der FP-Klubobmann hielt fest, dass dieser Angriff auf Abgeordneten Swoboda keine Kriminalisierung darstelle, der FPÖ vertrete aber die Auffassung, dass sich EU-Abgeordnete in schwierigen Situationen für das eigene Land auch solidarisch verhielten.

Scheibner widmete sich in weiterer Folge der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die noch nicht funktioniere. Dennoch habe die Vergangenheit gezeigt, wie etwa auf dem Balkan und in Afghanistan, dass ein gemeinsames Vorgehen durchaus erfolgreich sein kann. Trotzdem gebe die derzeitige Situation in Afghanistan wenig Anlass zur Hoffnung. Der Grund liege darin, dass zu wenig Förderungsmittel investiert worden seien, und man zu wenig getan habe, mit zivilen Mitteln demokratische Strukturen und Infrastrukturen aufzubauen. Dasselbe gelte für den Nahen Osten, wo ebenso die Spirale der Gewalt vorherrsche. Am gravierendsten stufte Scheibner die Situation im Irak ein, wo aus seiner Sicht die USA eine völkerrechtswidrige Aktion gesetzt habe, ohne ein Konzept für den Wiederaufbau zu haben. Dagegen müsse man seine Stimme erheben, sagte Scheibner, und er verstehe auch die EU nicht, warum sie sich hinter diplomatischen Floskeln verstecke. Hier müsse man Klartext reden, und die Aufgabe Österreichs und Europas sei es, aktiv als Verhandlungs- und Vermittlungspartner aufzutreten und zivile Hilfe zu leisten. Für all das brauche man einen Konsens in der EU-Außenpolitik, und in diesem Sinne müsse man auch die Bemühungen der Außenministerin auf allen Ebenen unterstützen. Dazu bedürfe es PolitikerInnen, die die gesamten Interessen vertreten, und nicht lediglich parteipolitische.

In Vertretung der Außenministerin, die sich auf dem Weg zur EU-Lateinamerika-Konferenz befindet, nahm Bundesminister Dr. BARTENSTEIN Stellung. Er sprach die Hoffnung aus, dass es doch noch zu einer europäischen Verfassung kommen werde und wiederholte die österreichischen Standpunkte. Österreich habe u.a. Vieles auf dem sozialen Gebiet erreicht und dafür gesorgt, dass das Einstimmigkeitsprinzip bei der Daseinsvorsorge bleibe. Bei der Beistandsklausel werde ausdrücklich auf die spezifische Situation der einzelnen Staaten Rücksicht genommen. Noch nicht abgeschlossen sei die Frage der qualifizierten Mehrheit in der Außenpolitik, in der Steuerpolitik, im Bereich der sozialen Sicherheit und in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Ebenso offen seien die großen institutionellen Fragen. Die Bundesregierung sei auf die letzte Runde gut vorbereitet, bekräftigte Bartenstein, und könne dabei auf Unterstützung anderer kleinerer und mittlerer Staaten zählen. Diese Allianz werde sich sicherlich bewähren, zeigte sich der Ressortleiter überzeugt. Hinsichtlich des Konflikts im Nahen Osten bringe Österreich seine guten Beziehungen zum arabischen Raum ein, sagte der Minister, und Österreich unterstütze auch eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates, die Verwaltung im Irak an die dortigen Behörden zu übergeben.

In der konkreten Beantwortung der einzelnen Fragen sagte Bartenstein u.a., dass er den geplanten Sanktionsmechanismus für positiv erachte, da damit ein Vorgehen wie dazumal gegen Österreich nicht mehr möglich sein werde. Österreich unterstütze auch die Realisierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Bartenstein würdigte die Rolle der Europäischen Union im Nahostkonflikt hinsichtlich der Road-Map und unterstrich, dass die EU der größte Geldgeber für Hilfeleistungen sei. Die Bundesregierung befürworte auch die Einsetzung eines Terrorismuskoordinators auf EU-Ebene.

Was den Beitritt der Türkei betreffe, so würden erst dann Beitrittsverhandlungen aufgenommen, wenn die Türkei die Kopenhagener Kriterien erfülle. Der Bericht der Kommission zeige jedoch, dass die politischen Kriterien noch nicht erreicht seien. Bartenstein berichtete, dass Österreich sich dafür eingesetzt habe, vor Aufnahme von Verhandlungen eine Evaluierung der Kosten vorzunehmen.

Er bekräftigte abermals, dass Österreich nicht vom Stabilitäts- und Wachstumspakt abgehen wolle und erreicht habe, dass die Preisstabilität in den Zielen der Union verankert wird. Der Wirtschaftsminister meinte auch, dass alle derzeitigen und zukünftigen Aufgaben der EU im Rahmen des derzeitigen Ausgabenniveaus von 1 % des BNE zu bewältigen seien. Österreich lehne daher die von der Kommission geforderte Erhöhung der Beiträge ab.

Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) hält es angesichts der Krisenherde und der Diskussionen in der EU für notwendig, über die außenpolitischen Fragen zu sprechen. Gleichzeitig machte er deutlich, dass Menschenrechtsverletzungen in keiner Weise zu akzeptieren seien. Es sei der Außenministerin zu danken, dass sie als erste reagiert und unser Wertegefüge verteidigt habe. Man werde sich in der EU auch dafür stark machen, dass die zivile Verwaltung so bald wie möglich an die irakischen Behörden übergeben wird.

Spindelegger kritisierte auch das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen und meinte, dass Österreich seine guten Beziehungen zum arabischen Raum in die EU einbringen sollte und damit eine Vermittlerrolle einnehmen könnte.

Im Hinblick auf die Verfassung machte Spindelegger klar, dass Österreich seine Interessen vertreten müsse. Das gelte insbesondere für die Daseinsvorsorge, denn hier sei weiterhin die nationale Entscheidungskompetenz notwendig. Abschließend kritisierte Spindelegger Hans-Peter Martin, der aus seiner Sicht österreichischen Interessen nicht vertreten habe. In gleicher Weise fand er auch kritische Worte zum SPÖ-Spitzenkandidaten für die EU-Wahlen.

Wie schlecht müsse es einer Partei gehen, die solche Argumente wie Klubobmann Scheibner gegen den EU-Abgeordneten Swoboda vorbringe, fragte Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) am Beginn seines Debattenbeitrages. Er verteidigte Swoboda und wies darauf hin, dass sich in den letzten vier Jahren niemand um den Brief gekümmert habe. Der Brief Swobodas sei ein Brief eines Patrioten, sagte Gusenbauer, denn dieser habe darin die Solidarität mit der österreichischen Bevölkerung eingefordert. Scharf kritisierte er das Vorgehen des Kärntner Landeshauptmannes und nannte dieses als den "wahren demokratiepolitischen Skandal". Abgeordnetem Spindelegger gegenüber rief er zu, "Schämen Sie sich!", weil er sich in dieser Frage auf die Seite der FPÖ stelle. Österreich habe viel mehr geschadet, dass Haider die rechten Parteien zu sich eingeladen habe, meinte Gusenbauer. Auch Heinz Fischer habe man erfolglos versucht, in Zeiten der Sanktionen unsolidarisches Verhalten vorzuwerfen. Genauso wenig wie damals die ungeheuerliche Agitation keinen Erfolg gehabt habe, werde auch das Vorgehen gegen Swoboda erfolglos sein, so der SP-Parteichef.

Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) thematisierte die Erweiterung der EU und bemerkte, dass alle Befürchtungen, die die FPÖ ausgesprochen hatte, nun wahr geworden seien. Dies zeige sich insbesondere in der Frage der Atompolitik. Sowohl die Slowakei als auch Tschechien planten, die Atomkraft auszubauen. Von einem Ausstiegsszenario könne keine Rede mehr sein. Die Forderungen der FPÖ nach einem Veto seien in diesem Parlament immer wieder abgelehnt worden und die Stellungnahme der Bundesregierung im Jahr 1999 sei eher naiv gewesen, bemerkte Partik-Pable. Die SPÖ habe damals immer wieder signalisiert, alles sei in Ordnung, weshalb die nunmehrigen Vorwürfe gegen die Bundesregierung unglaubwürdig seien. Für die FPÖ komme es nicht unerwartet, dass die Beitrittsländer das Primärrecht missachten wollen.

Abschließend widmete sie sich dem Brief Swobodas, den sie als eine "öffentliche Gemeinheit" bezeichnete. Das sei ganz bestimmt keine Verteidigung Österreichs gewesen, meinte sie. Man könne zwar nicht von Landesverrat sprechen, aber es liege die "klassische Kreditschädigung eines Landes" vor. Die SPÖ sollte daher ihren Spitzenkandidaten austauschen.

Abgeordnete Dr. LICHTENBERGER (G) bezeichnete die ursprüngliche Forderung der FPÖ nach einem Veto gegen die EU-Erweiterung, um den Ausbau der Atomkraft zu verhindern, als "völlig absurd". Der Beitrittsvertrag bietet doch wesentlich bessere Möglichkeiten, auf die Schließung der AKW zu drängen, argumentierte sie. Im Übrigen vermisste die Rednerin Aussagen der Regierungsmitglieder über die Position Österreichs in der EU-Verteidigungspolitik, etwa hinsichtlich der Haltung zur NATO.

Kritisch setzte sich Lichtenberger auch mit der Forderung von Finanzminister Grasser nach Entzug des Stimmrechtes bei Verletzung des Stabilitätspaktes auseinander, wobei sie bemerkte, der Ressortchef befinde sich damit jenseits jeglichen österreichischen Konsenses.

Abgeordneter Dr. FASSLABEND (V) schloss sich den Vorwürfen der FPÖ gegen Hannes Swoboda wegen des Briefes vom März 2000 an und meinte, hinter diesem Schreiben stehe das Versagen einer außenpolitischen Linie seitens der SPÖ. Die Sozialdemokraten würden in der EU immer nur nach Opportunität handeln und es bloß den anderen Staaten recht machen wollen, dabei aber auf die Interessen Österreichs vergessen, lautete der Befund Fasslabends.

Abgeordneter Dr. CAP (S) erinnerte daran, dass die ÖVP-Abgeordneten im EU-Parlament nicht gegen Bestrebungen zur Privatisierung des Wassers gestimmt hatten. Er forderte deshalb in einem Entschließungsantrag eine klare Stellungnahme der Bundesregierung gegen die Liberalisierung der Trinkwasservorkommen.

Scharf ging Cap ferner mit der FPÖ ins Gericht, der er vorwarf, SPÖ-Spitzenkandidaten Swoboda mit Begriffen wie Vaterlandsverräter kriminalisiert zu haben. Er forderte die ÖVP auf, sich von dieser, wie er es nannte, NS-Diktion ihres Koalitionspartners zu distanzieren.

Abgeordnete Dr. BLECKMANN (F) kam nochmals auf die Sanktionen zurück und bezichtigte SPÖ und Grüne einer antidemokratischen Haltung. Die Oppositionsparteien hätten das Wahlergebnis von 2000 nicht akzeptiert und 27 % der Wähler als Rassisten, Nationalisten und Fremdenfeinde denunziert, sagte die FPÖ-Sprecherin.

In einem gemeinsamen Entschließungsantrag der Koalitionsparteien zur Lage im Nahen Osten forderte die Rednerin die Regierung u.a. dazu auf, sich für eine einheitliche EU-Linie bezüglich des Aufbaus des Irak unter Führung der UNO einzusetzen.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) warf der Außenministerin vor, sich in der Frage der Menschenrechtsverletzungen im Irak und im Sudan zu wenig auf bilateraler Ebene engagiert zu haben. Eine gemeinsame europäische Außenpolitik sei nur dann stark, wenn auch die einzelnen EU-Staaten starke Positionen vertreten, unterstrich Lunacek.

In einem Entschließungsantrag forderte Lunacek die Regierung auf, sich innerhalb der EU für den Aufbau einer multinationalen UN-Friedenstruppe im Irak einzusetzen, die einen möglichst raschen Abzug der derzeitigen Truppen ermöglicht.

Abgeordneter Dr. LOPATKA (V) diagnostizierte bei der SPÖ fehlende Europakompetenz, sprach bezüglich der Sanktionen aber auch von kollektiver Verdrängung durch die Sozialdemokraten. Lopatka zitierte aus Stellungnahmen Swobodas, in denen dieser im Jahr 2000 die EU-Staaten zur Unterstützung der österreichischen Bevölkerung gegen die schwarz-blaue Regierung aufgerufen hatte, und ortete Defizite im Demokratieverständnis des SP-Spitzenkandidaten.

Abgeordnete BURES (S) meinte, es wäre um vieles ehrlicher gewesen, mit offenen Karten zu spielen, als hier Fragen an ein Regierungsmitglied zu stellen, das ohnehin nicht anwesend sei. Die Kritik am Spitzenkandidaten ihrer Fraktion für die Europawahl entbehrte jeglicher Grundlage und sei schärfsten zurückzuweisen. Die Regierungsparteien hätten keine Konzepte und keine Antworten auf die Lebensfragen der Bürger, und dies gelte für Österreich wie für Europa, so die Rednerin. Am 13. Juni sollte ihnen dafür die rote Karte gezeigt werden.

Abgeordneter DI SCHEUCH (F) unterstrich hingegen die Vorwürfe seiner Fraktion gegen die Sozialdemokraten und ihren EU-Spitzenkandidaten und meinte, sie hätten Österreich durch ihre Haltung in der Sanktionsfrage einen Schaden zugefügt, der nur sehr schwer wieder gutzumachen sei. Sodann brachte der Redner einen Entschließungsantrag zur Sicherung der heimischen Wasserressourcen ein.

Abgeordneter Dr. EINEM (S) verurteilte die von den Regierungsparteien angewandten Methoden, dabei an frühere Vorfälle ähnlichen Zuschnitts erinnernd. Man agiere hier nach dem Motto, wenn in der Öffentlichkeit etwas hängen bleibe, dann werde man den betreffenden Kandidaten vielleicht los. Die Vorwürfe entbehrten jedenfalls jeder Grundlage, die Methode sei strikt abzulehnen. Die ÖVP sollte sich "schämen", auf dieses Niveau hinab gefallen zu sein, meinte Einem.

Abgeordneter Mag. MOLTERER (V) übte seinerseits Kritik am Agieren seines Vorredners, bekräftigte aber die Vorwürfe seiner Fraktion hinsichtlich der Mitverantwortung der SPÖ an den Sanktionen gegen "unser Heimatland Österreich". Die Haltung der Sozialdemokraten möge nicht vergessen werden, zumal die SPÖ immer noch nicht einbekannt habe, hier einen Fehler gemacht zu haben. Zum Wasser meinte Molterer, dieses werde "rotweißrot" bleiben.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) kritisierte ebenfalls die Rede Einems und erinnerte an ähnliches Verhalten der SPÖ bei anderen Gelegenheiten. Er, Scheibner, sei jedenfalls außerhalb der Landesgrenzen der Vertreter Österreichs ohne Wenn und Aber, und diese Haltung lege eben die SPÖ nicht an den Tag. Diese stehe nur für Ideologie und Fraktionsinteressen, aber nicht für die Interessen Österreichs.

In einer tatsächlichen Berichtigung hielt Abgeordneter Dr. PUSWALD (S) fest, die SPÖ hätte keinerlei Mitverantwortung an den Sanktionen der EU gehabt. Im Übrigen seien diese nicht gegen Österreich, sondern ausschließlich gegen die beiden Regierungsparteien gerichtet gewesen. In einer weiteren tatsächlichen Berichtigung hielt Abgeordneter Dr. EINEM (S) fest, er habe die Arbeit der Polizei in der Briefbomben-Causa in keiner Weise eingeengt.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) sprach zum Stabilitätspakt und entwickelte Konzepte für Stabilität und Wachstum, die umso nötiger seien, als der Stabilitätspakt eben just dieser Aufgabe nicht diene. Dieser Pakt sei untauglich, ja nachgerade abenteuerlich in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen und sollte daher aufgegeben werden.

Der S-Entschließungsantrag die Wasserversorgung betreffend verfiel der Ablehnung; der V-F-Entschließungsantrag zur Lage im Nahen Osten wurde ebenso angenommen wie jener der beiden Parteien zur Wasserfrage. Der Oppositionsantrag zum Nahen Osten wurde wiederum abgelehnt. (Schluss)