Parlamentskorrespondenz Nr. 455 vom 16.06.2004

BARBARA PRAMMER ZUR ZWEITEN PRÄSIDENTIN DES NATIONALRATS GEWÄHLT

96 von 157 Stimmen für die Kandidatin der Sozialdemokraten

Wien (PK) - Erster Punkt der Tagesordnung der zweiten Plenarsitzung des heutigen Tages war die Wahl des Zweiten Präsidenten bzw. der Zweiten Präsidentin des Nationalrats in der Nachfolge von Heinz Fischer. Zu Beginn der Sitzung wurde Dr. Norbert Darabos (S) als neuer Abgeordneter angelobt. Er folgt dem designierten Bundespräsidenten Heinz Fischer nach, der sein Mandat zurückgelegt hat.

Vor Eingang in die Tagesordnung gab Nationalratspräsident Dr. KHOL bekannt, dass die Grünen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Untersuchung der Verantwortung von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer als Aufsichtsorgan der Bundesmuseen im Hinblick auf Missstände im Kunsthistorischen Museum beantragt haben. Über diesen Antrag wird am Schluss der Sitzung eine Kurze Debatte abgehalten.

Vor Beginn der Debatte teilte Nationalratspräsident Khol mit, dass ein Wahlvorschlag der Sozialdemokraten lautend auf Abgeordnete Mag. Barbara PRAMMER vorliegt.

ÖVP-Klubobmann Mag. MOLTERER erinnerte als erster Redner daran, dass seit 1945 die mandatsstärkste Partei den Präsidenten des Nationalrats und die zweitstärkste Partei den Zweiten Präsidenten stelle, ohne dass dies in der Geschäftsordnung verankert sei. Molterer hält das, wie er sagte, für "eine gute Usance", daher respektiere die ÖVP auch das Vorschlagsrecht der SPÖ für die zur Wahl stehende Funktion. Allerdings müsse der Kandidat bzw. die Kandidatin den Anforderungen an die Position entsprechen.

Als wichtige Kriterien für die Ausübung des Amtes nannte Molterer: Objektivität und Überparteilichkeit, eingehende Kenntnis der Geschäftsordnung und der parlamentarischen Spielregeln, Vorbildwirkung bezüglich der Einhaltung der Bestimmungen der Geschäftsordnung, Beachtung der parlamentarischen und demokratischen Grundsätze, nicht nur im Parlament, sondern auch nach außen, Konsens- und Kompromissfähigkeit insbesondere bei der Koordinierung der Parlamentsarbeit in der Präsidiale, Vorrang des Ganzen vor egoistischen Eigeninteressen sowie Gesprächsfähigkeit zu allen Fraktionen im Haus und auch zur Bundesregierung. Die ÖVP-Abgeordneten werden ihre Entscheidung nach diesen Kriterien treffen, sagte Molterer.

Abgeordnete Mag. PRAMMER (S) wies auf die Bedeutung des Präsidiums des Nationalrats hin und bekräftigte, sie sei eine "begeisterte und überzeugte Parlamentarierin". Sollte sie zur Zweiten Präsidentin des Nationalrats gewählt werden, werde sie sich um eine gute Zusammenarbeit zwischen allen Fraktionen und um Objektivität und Überparteilichkeit in der Vorsitzführung bemühen. Sie fühle sich auf ihre Aufgabe gut vorbereitet, sagte Prammer, auch wenn sie wisse, wie schwierig diese Aufgabe sei.

Generell erklärte Prammer, das parlamentarische System sei gerade dann erfolgreich und attraktiv, wenn alle RepräsentantInnen gewisse Grundfragen außer Streit stellten. Was die Abgeordneten in diesem Haus ihrer Ansicht nach verbindet, ist, dass sich alle zu dieser Republik und zum demokratischen System bekennen, das sollte man sich auch nicht, so die Abgeordnete, gegenseitig absprechen. Außer Streit stehe überdies, dass es nur demokratisch gewählte Parteien im Haus gebe.

Erfreut zeigte sich Prammer, dass der Nationalrat heute "weiblicher" sei als früher. Man sei in diesem Bereich aber noch lange nicht am Optimum angelangt, meinte sie. In diesem Sinn werde sie sich als einzige Frau im Präsidium darum bemühen, dass Frauenanliegen im Hohen Haus verstärkt Berücksichtigung finden.

Abgeordnete Dr. BLECKMANN (F) begrüßte die Nominierung einer Frau für das Amt des Zweiten Nationalratspräsidenten und unterstrich, die FPÖ respektiere das Vorschlagsrecht der SPÖ für diese Funktion. Allerdings erwarte man sich von einem Präsidenten Objektivität und Überparteilichkeit, Sachlichkeit und Fairness sowie eine neutrale Vorsitzführung mit Konsens- und Kompromissbereitschaft, skizzierte sie. Aber auch Frauensolidarität mahnte Bleckmann mit Verweis auf die nominierte Kandidatin ein.

In diesem Zusammenhang zeigte sich Bleckmann enttäuscht über die oftmalige Ausgrenzung der FPÖ-Frauen durch SPÖ-Politikerinnen. Außerdem kritisierte sie, dass sich Prammer nach der  EU-Wahl so erfreut über den Niedergang einer anderen Partei geäußert habe und forderte, "herunter mit der Parteibrille".

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) wertete die Wahl einer Frau in ein repräsentatives Amt im "Herz der Demokratie", im Parlament, als sehr wichtig und wies auf die Bedeutung von Geschlechterdemokratie hin. "Wir freuen uns, dass die SPÖ eine Frau vorgeschlagen hat", die Eroberung von wichtigen politischen Funktionen durch Frauen sei notwendig. Zwar handle es sich um eine geheime und freie Wahl, sagte Glawischnig, Barbara Prammer genieße aber das Vertrauen der Grünen Fraktion.

Was die von ÖVP-Klubobmann Molterer angesprochene Usance betrifft, erinnerte Glawischnig daran, dass bis zum Jahr 1983 zwei SPÖ-Mandatare und ein ÖVP-Mandatar im Präsidium des Nationalrats gesessen seien, erst mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ habe sich das geändert. Allgemein sieht sie die Notwendigkeit, die Konfliktkultur im Parlament weiterzuentwickeln, den Ort der Gesetzgebung zu stärken, einen Legislativ- und Verfassungsdienst einzurichten  und parlamentarische Kontroll- und Minderheitenrechte hochzuhalten.

Abgeordnete Dr. BAUMGARTNER-GABITZER (V) wies darauf hin, dass es sich bei der zur Wahl stehenden Funktion um ein staatspolitisch wichtiges Amt handle, für dessen Ausübung man politische Erfahrung, Standfestigkeit und die Einsicht brauche, dass Staatspolitik vor Parteipolitik gehe. Die ÖVP respektiere das Nominierungsrecht der SPÖ, unterstrich die Abgeordnete, diese habe es ihr mit der Nominierung von Barbara Prammer aber schwer gemacht. Baumgartner-Gabitzer verwies in diesem Zusammenhang auf die Aussage Prammers im Präsidentschaftswahlkampf "Frau sein allein genügt nicht" und auf eine frühere Aussage Prammers "Hausfrauen arbeiten nicht". Sie forderte Prammer überdies auf, sich von Gusenbauers Aussage, im Parlament herrsche Pogromstimmung, zu distanzieren.

SPÖ-Klubobmann Dr. GUSENBAUER erklärte, die SPÖ schlage Barbara Prammer vor, weil sie davon überzeugt sei, dass sie für das zur Wahl stehende Amt absolut qualifiziert sei und eine "erstklassige Besetzung" darstelle. Er erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass Prammer bereits das Amt der Zweiten Landtagspräsidentin in Oberösterreich "untadelig und überparteilich" ausgeübt habe. Gusenbauer zeigte sich überzeugt, dass Prammer eine gute Zweite Präsidentin des Nationalrats sein wird.

Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) hielt fest, die FPÖ finde es positiv, dass eine Frau für das zur Wahl stehende Amt vorgeschlagen werde. Damit könnte nach langer Zeit wieder eine Frau im Präsidium des Nationalrats sitzen. Prammer wird sich Partik-Pable zufolge an der Vorsitzführung von Heinz Fischer messen lassen müssen, dessen Objektivität sie, wie sie sagte, geschätzt habe und der auch wesentlich zur Verbesserung der Gesprächskultur im Hohen Haus beigetragen habe.

Kritisch äußerte sich Partik-Pable allerdings dazu, dass die nominierte Kandidatin unverhohlen ihre Freude über die hohen Wählerverluste der FPÖ bei der EU-Wahl zum Ausdruck gebracht habe. Sie hält das für eine "absolut unkluge Verhaltensweise" und richtete überdies an Prammer den Appell, Gusenbauers Ausdruck "Pogromstimmung" zurückzuweisen.

Abgeordnete Dr. BRINEK (V) unterstrich, die ÖVP wolle nicht über Frisuren und Kostümfragen reden, wie dies viele im Bundespräsidentschaftswahlkampf getan hätten, sondern über Inhalte und Qualifikationen. Die Leistungen Prammers in deren "originärem Arbeitsfeld", der Frauenpolitik, wertete sie als "bescheiden", räumte aber ein, dass Prammer innerhalb ihrer eigenen Partei mit einem schwierigen Umfeld konfrontiert gewesen sei. Wie Baumgartner-Gabitzer und Partik-Pable verlangte Brinek eine Distanzierung Prammers vom Ausdruck "Pogromstimmung".

Abgeordneter ÖLLINGER (G) appellierte an die Abgeordneten, nicht die augenblickliche politische Kultur im Parlament als Maßstab für die Wahl zu nehmen, sondern bei den von ÖVP-Klubobmann Molterer definierten Kriterien zu bleiben. Lege man diese an, komme fast jeder oder jede im Hohen Haus in Frage oder niemand, meinte er. "Wir alle haben politische Neigungen und Wertungen, wir alle haben Emotionen." Man dürfe bei einer Frau nicht andere Maßstäbe anlegen als man sie bei einem Mann anlegen würde, forderte Öllinger.

Die Wahl für das Amt des Zweiten Nationalratspräsidenten wurde geheim durchgeführt. Nationalratspräsident Dr. KHOL gab das Wahlergebnis wie folgt bekannt: Auf die Kandidatin Barbara Prammer entfielen bei insgesamt 157 gültig abgegebenen Stimmen 96 Stimmen, weiters erhielten weitere Abgeordnete 61 Stimmen. Damit wurde Barbara Prammer zur Zweiten Präsidentin des Nationalrates gewählt. Sie nahm die Wahl an.

(Schluss Prammer/Forts. NR)