Parlamentskorrespondenz Nr. 457 vom 16.06.2004

NATIONALRAT BESCHLIESST NEUE REGELUNGEN FÜR ARBEITSLOSE

Neue Zumutbarkeitsbestimmungen finden V-S-F-Mehrheit

Wien (PK) - Nach der Wahl von Abgeordneter Mag. PRAMMER zur Zweiten Präsidentin des Nationalrats debattierten die Abgeordneten die Neuregelung der Zumutbarkeitsbestimmungen in der Arbeitslosenversicherung. Kern der Vorlage ist eine Flexibilisierung mit Einbeziehung der Zumutbarkeit des Arbeitswegs. Die Vorlage wurde mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der SPÖ angenommen.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) bedauerte, dass bei dieser Vorlage die Zumutbarkeitsbestimmungen verschärft worden seien, was umso mehr zu kritisieren sei, als schon die bisherigen Bestimmungen zu den schärfsten in Europa gezählt hätten. Dies sei zudem auch dem Arbeitsmarkt nicht zuträglich, da ob der hohen Arbeitslosigkeit dadurch eine Verbesserung der Situation nicht zu erwarten sei. Vielmehr sollte man in Qualifikationsmaßnahmen investieren, konjunktur- und beschäftigungspolitische Maßnahmen setzen, so der Redner, der sodann besonderes Augenmerk auf die Jugendarbeitslosigkeit legte, wo es ebenfalls entsprechende Schritte brauche, um die Auszubildenden nicht nach der Ausbildung der Arbeitslosigkeit zu überlassen. Da hier ein falscher Ansatz gewählt wurde, könne seine Fraktion dieser Vorlage nicht zustimmen, sagte der Redner resümierend.

Abgeordneter Dr. MITTERLEHNER (V) warf seinem Vorredner vor, mit seiner Wortwahl weder dem Problem noch dem Inhalt dieser Vorlage gerecht zu werden. Es sei nicht der Sinn, hier irgendetwas im Gesetz zu verschärfen, sondern die Situation der Arbeitslosen zu verbessern, mithin also ein effizienteres Herangehen an dieses Problem ins Werk zu setzen. Durch die hier geplanten Maßnahmen würden die Chancen für die Arbeitslosen real verbessert, die Vorlage sei daher zu begrüßen, zumal sie sozial ausgerichtet sei. Künftig werde Arbeitslosigkeit nicht mehr verwaltet, sondern zielgerichtet daran gearbeitet, diesen Zustand schnellstmöglich durch entsprechende Arbeitsvermittlung wieder zu beenden. Für diese Lösung, die eine Win-Win-Situation sei, danke er den Sozialpartnern, die sie erarbeitet hätten.

Abgeordnete Mag. WEINZINGER (G) konnte den Optimismus ihres Vorredners nicht teilen. Man habe es zwar mit einer Neuorientierung der Bundesregierung zu tun, doch sei zu erwarten, dass mit dieser Vorlage kein einziger neuer Arbeitsplatz geschaffen werden könne, während sich die Rechtslage für die Arbeitslosen real verschlechterte, wie sich an den Details deutlich zeige. So würden die Arbeitslosen ins "Nirwana der ungelösten Fragen" geschickt, ohne dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage zu erwarten sei. Stattdessen solle man zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik zurückkehren.

Abgeordnete SILHAVY (S) signalisierte hingegen Zustimmung zu der Vorlage, die qualitative Fortschritte enthalte. Für ihre Fraktion sei zudem erfreulich, dass ihre Vorschläge hinsichtlich der Jugendbeschäftigung Eingang in die Vorlage gefunden hätten. Bei den Zumutbarkeitsbestimmungen hingegen gebe es einige Punkte, die im Detail verbesserungswürdig seien, doch habe man hier in Summe einen Entwurf vorliegen, auf dem aufgebaut werden könne. Dennoch müsse angemerkt werden, dass nicht alles, was im Titel der Vorlage versprochen werde, auch im Gesetzesentwurf enthalten sei.

Abgeordnete HAIDLMAYR (G) fragte sich, weshalb die SPÖ dieser Vorlage zustimme, wenn sie daran so viel Kritik übe. Sodann unterstrich die Rednerin die Kritik ihrer Fraktion an der Vorlage. Es seien die Unternehmen, die von dieser Vorlage profitierten, nicht aber die Arbeitslosen, und just jenen sollte aber geholfen werden. Vor allem die in dem Entwurf enthaltenen Verschärfungen seien untragbar und daher abzulehnen.

Abgeordneter DOLINSCHEK (F) hielt den Rednern der Grünen entgegen, dass Österreich hinsichtlich der Situation am Arbeitsmarkt im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern hervorragend liege. Die Bundesregierung nehme die Probleme aber sehr ernst und habe deshalb auch das Arbeitsmarktreformgesetz vorgelegt, das viele Verbesserungen bringe. Er erwarte sich, dass die Jobvermittlung dadurch schneller, besser und effizienter vonstatten gehe, was im Sinne der beschäftigungslosen Menschen sei. So werden unter anderem die bisher unterschiedlichen Zumutsbarkeitsbestimmungen entfallen, führte Dolinschek weiter aus, und in Hinkunft werde auf die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes in einer angemessenen Zeit abgestellt. Außerdem werde auch der Berufsschutz durch einen Entgeltschutz ersetzt, erläuterte der F-Mandatar.

Das Arbeitsmarktgesetz sei ein "bahnbrechendes Reformpaket", meinte einleitend Bundesminister Dr. BARTENSTEIN. Sodann analysierte er die Charakteristika des österreichischen Arbeitsmarktes, der durch eine hohe Flexibilität gekennzeichnet sei. So werde  - inklusive der Saisonbeschäftigten gerechnet - jährlich jeder zweite Arbeitsplatz neu besetzt, zeigte der Ressortchef auf. Wenn man die aktuellen Zahlen (per Mitte Juni) mit den Vorjahresdaten vergleicht, dann ergebe sich ein Plus von 400 Arbeitslosen; d.h. im Moment scheint der Anstieg fast zum Stillstand gekommen zu sein.

Derzeit betrage die Vermittlungsdauer für arbeitslose Menschen durchschnittlich 100 Tage, und dies soll mit dem vorliegenden Reformpaket noch weiter verbessert werden, unterstrich Bartenstein. Positiv sei auch, dass ein Rückgang bei der Jugendarbeitslosigkeit sowie bei den Menschen über 50 Jahre erreicht werden konnte. Ebenso habe man die Langzeitarbeitslosigkeit rechtzeitig als Problem erkannt und das AMS beschreite gemeinsam mit vielen NGO und Kooperationspartnern in diesen Bereich einen sehr erfolgreichen Weg. Dass die Erfolge in Österreich auch im Ausland gewürdigt werden, beweise die Tatsache, dass viele Maßnahmen z.B. von Deutschland übernommen wurden.

Was die konkrete Regierungsvorlage anbelangt, so bedankte sich Bartenstein zunächst bei den Sozialpartnern, die ein gemeinsames Papier vorgelegt haben. Es komme in Hinkunft zu keiner Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen, hielt der Minister dem Abgeordneten Öllinger entgegen, sondern es werde eine Modernisierung im Interesse der Arbeitsuchenden vorgenommen. Außerdem gebe es ein zusätzliches Angebot für all jene Jugendlichen, die keinen Lehrplatz finden, hob er hervor. Gemeinsam mit dem Regierungsbeauftragten für Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung, Kommerzialrat Blum, werden weitere Konzepte entwickelt, die unter anderem auf eine Etablierung von einer Reihe von praxisorientierten Lehrberufen, auf überbetriebliche Ausbildungseinrichtungen sowie auf Ausbildungsverbünde abzielen.

Abgeordneter Dr. FASSLABEND (V) erinnerte daran, dass dieses Arbeitsmarktreformpaket auf eine sozialpartnerschaftliche Einigung zurückgeht. Er war überzeugt davon, dass die neuen Zumutbarkeitsbestimmungen einen Fortschritt darstellen und auch sozial gerechter sind. Besonders erfreut zeigte er sich darüber, dass in Hinkunft auf die individuellen Probleme, z.B. die Betreuungspflichten, verstärkt eingegangen wird.

Es gebe sehr wohl eine Reihe von positiven Punkten im Gesetz, räumte Abgeordnete KÖNIGSBERGER-LUDWIG (S)ein, aber sie wolle davor warnen, es als Allheilmittel anzusehen, das nun alle Probleme am Arbeitsmarkt löst. Es sei eine Tatsache, dass mittlerweile jede Altersgruppe und jede Berufsgruppe von der Arbeitslosigkeit betroffen ist und auch die Langzeitarbeitslosigkeit nehme zu. Wenn man für die arbeitslosen Menschen wirklich etwas tun möchte, dann müssten zuallererst die Sorgen der arbeitslosen Menschen ernst genommen und für eine menschenwürdige Existenzsicherung gesorgt werden. Außerdem wünscht sie sich eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung des AMS.

Abgeordneter WALCH (F) forderte die Oppositionsredner auf, sich an den offiziellen Zahlen des Arbeitsmarktservices zu orientieren und nicht immer falsche Informationen zu verbreiten. Die Statistik belege, dass es per Mai dieses Jahres 215.495 Arbeitslose gibt, dass die Jugendarbeitslosigkeit um 5,2 % und jene bei den über 50-Jährigen um 9,1 % zurückgegangen ist und dass bei den offenen Stellen ein Plus von 13 % zu verzeichnen war. Die heute zu beschließenden Maßnahmen im Rahmen des Arbeitsmarktförderungsgesetzes würden weiter dazu beitragen, dass die Jobvermittlung schneller und effizienter funktioniert, war er überzeugt.

Abgeordnete Mag. SCHEUCHER-PICHLER (V) wies darauf hin, dass es der Bundesregierung bei der Vorlage vor allem darum gegangen sei, die individuelle Betreuung der Arbeitslosen auszubauen, die effiziente Vermittlung von Arbeitsplätzen sowie die berufliche Neuorientierung zu forcieren. Außerdem wurde darauf abgezielt, eine gerechte und zumutbare Regelung der Anfahrtszeiten zum Arbeitsplatz zu finden. Wichtige Errungenschaften seien auch die Einführung des Entgeltschutzes sowie die Absicherung pflegender Angehöriger, unterstrich Scheucher-Pichler.

Abgeordnete SCHARER (S) begrüßte grundsätzlich alle Verbesserungen, die dazu dienen, Arbeitslosigkeit zu verhindern oder zu beenden. Sie zweifle jedoch daran, dass die vorgeschlagenen Zumutbarkeitsbestimmungen das richtige Regelwerk darstellen, um die Beschäftigungsprobleme in Österreich an der Wurzel zu packen. Speziell im ländlichen Bereich, wo es keine ausreichende Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Kinderbetreuungsplätzen gibt, bestehe ein großer Handlungsbedarf. Außerdem würde das AMS noch etwa 100 MitarbeiterInnen brauchen, um all die zusätzlichen Aufgaben bewältigen zu können.

Abgeordnete ROSSMANN (F) lobte das Arbeitsmarktreformpaket, weil dadurch eine gezieltere Vermittlung von Jobs, auch über Bezirksgrenzen hinweg, nun endlich möglich sei. Die Opposition müsse zudem zur Kenntnis nehmen, dass die großen Arbeitsmarktprobleme vor allem in Wien bestehen. Wichtig sei auch der Entfall des Berufsschutzes, der durch einen Entgeltschutz ersetzt werde, weil damit die Langzeitarbeitslosigkeit besser bekämpft werden könne. Schließlich trat sie dafür ein, eine Berufsmatura einzuführen, um auch die Lehrlinge gleichzustellen.

Auch Abgeordnete RIENER (V) sprach von einem guten Gesetz, weil damit den neuen Erfordernissen am Arbeitsmarkt entsprochen und unter anderem der Langzeitarbeitslosigkeit entgegengewirkt werde. Was die Zumutbarkeitsbestimmungen betrifft, so sei sehr darauf geachtet worden, dass die gesetzlichen Betreuungspflichten erfüllt werden können. Riener begrüßte zudem, dass all jene Personen, die ihre Angehörigen pflegen, nun besser abgesichert sind und dass - durch die Erstellung von Betreuungsplänen - individuell auf die Probleme der einzelnen Menschen eingegangen wird.

Abgeordnete Mag. GROSSMANN (S) erinnerte daran, dass derzeit schon 11.000 Lehrstellen fehlen und dass nach dem Schulschluss noch weitere tausende Jugendliche auf den Arbeitsmarkt strömen werden. Die jungen Menschen erwarten sich "eine vollwertige Berufsausbildung und einen zukunftsversprechenden Arbeitsplatz", meinte Grossmann, und deshalb stelle jedes Auffangnetz immer nur die zweitbeste Lösung dar, das aber unbedingt notwendig sei. Ihre Fraktion fordere eine dauerhafte Absicherung dieser Maßnahmen, zumal sämtliche Wirtschaftsinstitute in den nächsten sechs bis sieben Jahren mit keiner Entspannung am Arbeitsmarkt rechnen.

Abgeordnete Mag. GROSSMANN (S) wies auf die gespannte Lage auf dem Lehrstellenmarkt hin und warnte die Regierung davor, die Jugendarbeitslosigkeit durch die Maßnahmen des Jugendausbildungssicherungsgesetzes zu beschönigen oder zu vertuschen. Die Möglichkeit der Verlängerung von Lehrgängen auf zwölf Monate bewertete sie als positiv, sie forderte allerdings eine dauerhafte Absicherung und die Streichung der Befristungen und Beschränkungen.

Abgeordneter WÖGINGER (V) erwartet sich von den Maßnahmen des Gesetzes ein noch besseres Auffangnetz für jene, die nicht gleich eine Lehrstelle finden, und sprach von einem weiteren Schritt zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit. Im Übrigen meinte Wöginger, die Beschäftigungsmaßnahmen der Bundesregierung würden bereits Wirkung zeigen, nur "das Rote Wien verzerre den guten Datenstand".

Abgeordneter DOBNIGG (S) vermisste weitere Initiativen der Bundesregierung zur Erweiterung des Lehrstellenangebotes. Der Redner forderte ein Miteinander zwischen Wirtschaft und Politik. Auch sollten jene Betriebe, die keine Lehrlinge ausbilden, einen finanziellen Beitrag in einen Fonds zugunsten von Ausbildungsbetrieben einzahlen.

Abgeordnete MAREK (V) hob insbesondere als positiv hervor, dass bei den Zumutbarkeitsbestimmungen nunmehr im besonderen Maß auf Kinderbetreuungspflichten Rücksicht genommen wird. Das Gesetz wertete Marek als Bestätigung dafür, dass die bewährte Sozialpartnerschaft nach wie vor funktioniert.

Abgeordneter KEUSCHNIGG (V) zeigte sich ebenfalls erfreut darüber, dass diesem Gesetz eine Sozialpartnereinigung zugrunde liegt. Die Kritik der Grünen wies Keuschnigg als Polemik zurück. 

Abgeordneter Mag. TANCSITS (V) erkannte in dem Gesetz Verbesserungen im Sinne einer modernen Arbeitswelt und meinte vor allem, die Zumutbarkeitsbestimmungen würden nun an die Realität des Arbeitsmarktes angepasst.

Das Gesetz wurde mit den Stimmen der Regierungsparteien und der SPÖ angenommen. (Schluss Arbeitsmarkt/Forts. NR)