Parlamentskorrespondenz Nr. 467 vom 17.06.2004

BEDROHUNG DER BILDUNGSLANDSCHAFT DURCH S-SCHULREFORM-VORSCHLÄGE?

Dringliche Anfrage der Regierungsparteien

Wien (PK) - Abgeordneter AMON (V) erinnerte an einen Satz von Bill Gates, wonach die Schule neben der Familie das wichtigste Element der Erziehung sei. Vor diesem Hintergrund komme dieser Anfrage besondere Dringlichkeit zu, zumal die Sozialdemokratie sich in dieser Frage nicht unbedingt konstruktiv positioniert habe, was er, Amon, sehr bedaure. Die Konzepte der SPÖ böten keine Antworten auf die Anforderungen der Zeit und seien rein ideologischer Natur, womit man dem Status der heimischen Bildungslandschaft in keiner Weise gerecht werde, übte der Redner Kritik an den Vorschlägen der Sozialdemokraten. Von der Bundesministerin wollte Amon wissen, wie sie zu den Positionen der SPÖ stehe, wobei er sich gleichzeitig nach ihren weiteren Plänen im Bereich ihres Ressorts erkundigte.

Der Redner setzte sich mit dem Ist-Zustand des österreichischen Bildungswesens auseinander und plädierte für eine Fortsetzung des von der Bundesregierung eingeschlagenen Weges. Man solle dieses System nicht krank jammern, vielmehr anerkennen, dass dieses System dank der Ressortministerin und der Lehrerschaft in einem hervorragenden Zustand sei, was auch von internationaler Seite entsprechend bestätigt werde. Es gelte, dieses System konsequent positiv weiterzuentwickeln und entsprechend abzusichern, und die SPÖ sei herzlich eingeladen, daran mitzuwirken, denn man könne sich nicht auf den guten Ergebnissen ausruhen, sondern müsse daran arbeiten, auch künftig hervorragende Resultate präsentieren zu können.

Bundesministerin GEHRER nannte Bildung eingangs den Rohstoff der Zukunft und sagte, es zeige sich, dass der Trend zu höherer Bildung anhalte. Sie vertrat die Ansicht, dass es zwischen ihrem Haus und der SPÖ unterschiedliche Auffassungen zu Bildungsfragen gebe, zumal in Organisationsfragen. Gute Bildungspolitik dürfe sich allerdings nicht im Organisieren erschöpfen, sondern müsse auf die Qualität abzielen. Die gute Qualität von Bildung wiederum liege in den Angeboten und in den Lehrerinnen und Lehrern begründet, die sehr gute Bildung böten.

Gehrer zog Bilanz über ihre bisherige Tätigkeit im Bereich des Schulwesens und ging dabei auf die diversen Reformmaßnahmen ein. Schulautonomie, Dienstrechtsangelegenheiten, Lehrpläne und vieles mehr seien Beispiele für zielorientiertes Handeln im Sinne einer weiteren Verbesserung der Qualität des heimischen Bildungsangebots. Dies sei ein kontinuierlicher Prozess, der 1995 begonnen worden sei und konsequent weitergeführt werde.

Weiters äußerte sich das Regierungsmitglied zu Aspekten der Nachmittagsbetreuung und sprach sich für einen Erhalt der Schulen im ländlichen Raum aus, um schließlich ihre Pläne für das berufsbildende Schulwesen darzulegen. Gute Rahmenbedingungen, bestqualifiziertes Personal und Steigerung der Qualität des Bildungsangebots begründeten eine gute Bildungspolitik, wie sie von ihrem Ressort verfolgt werde, schloss Gehrer.

Abgeordnete ROSSMANN (F) setzte sich mit der Bildungspolitik der SPÖ-Alleinregierungen auseinander, die sich in historischer Sicht nicht bewährt habe. Auch die Integrationspolitik der SPÖ in Wien sei verfehlt gewesen, was zu nachteiligen Effekten geführt habe. Damals sei eine "völlig falsche Entwicklung eingeleitet" worden, welche von der nunmehrigen Bundesministerin jetzt umgekehrt werde. Es gelte, neue Wege einzuschlagen, wie dies auch von ihrer Fraktion vorangetrieben werde, während sich die von der SPÖ vorgelegten Vorschläge als nicht zweckmäßig erweisen würden, so Rossmann. Während die SPÖ "sozialistischen Einheitsbrei aus der 68er-Bewegung" vorlege, arbeite die Bundesregierung an zeitgemäßen Lösungen im Interesse der heimischen Bildungspolitik.

Abgeordneter DDr. NIEDERWIESER (S) meinte, die Sozialdemokratie habe nicht gewusst, dass sich die Regierungsfraktion so vor den Vorschlägen der SPÖ fürchte. Die Politik der Regierung sei verfehlt, während die Bildungspolitik der Sozialdemokratie das heimische Bildungssystem ins europäische Spitzenfeld gebracht habe. Er, Niederwieser, habe den Eindruck, dass sich die Regierungsparteien mangels eigener Vorschläge mit jenen der SPÖ befasse. Real sei die "radikale Kürzungspolitik" für die Misere des heimischen Bildungswesens verantwortlich, meinte der Redner, der sodann die Vorschläge seiner Fraktion entsprechend erläuterte.

Abgeordnete FUHRMANN (V) sagte, der Vergleich zwischen den Vorschlägen der ÖVP und der Regierung einerseits und jenen der SPÖ andererseits mache sie sicher. Die Regierung befasse sich im Rahmen eines breiten Dialogs mit zukunftsorientierten Maßnahmen im Interesse aller, während bei der SPÖ nur Ideologie regiere. Die Regierung bekenne sich zu einem guten und effizienten Schulsystem mit entsprechender Durchlässigkeit, das auf die unterschiedlichen Stärken und Schwächen der Betroffenen Rücksicht nehme, während die SPÖ einen "Einheitsbrei" wolle. Es müsse aber das Kind, das Individuum im Mittelpunkt stehen und nicht die Ideologie, betonte Fuhrmann. Österreich könne stolz sein auf sein differenziertes Schulsystem, es sollte daher auf diesem Weg weiter fortgeschritten werden, anstatt eine "Politik der alten Hüte" zu betreiben. Schließlich sei Bildung die wichtigste Ressource für die Zukunft, adäquate Investitionen daher entsprechend sinnvoll.

Abgeordneter Brosz (G) zitierte Ergebnisse einer Studie des Instituts für Familienforschung, um seine Ansicht zu untermauern, dass Fragen der Schulorganisation wichtig für den Erfolg der Schule sind: Während 80 % der Kinder von Akademikern die Matura erreichen, sind es nur 10 % der Kinder aus den untersten Bildungsschichten. Brosz zog in Zweifel, dass man bei 10-jährigen Kindern sagen könne, welche für höhere Bildung geeignet seien und welche nicht. Und einmal mehr verwies der Grüne Schulsprecher auf das Beispiel Finnland, wo die Unterschiede zwischen den besten und den schlechtesten Schülern wesentlich geringer seien als in Österreich. Dort habe man sich das Ziel gesetzt, in ganztägigen Gesamtschulen Begabungsförderung integrativ zu betreiben. Es sei zwar richtig, dass das duale Berufsausbildungssystem zur niedrigen Jugendarbeitslosigkeit in Österreich beitrage - man dürfe aber nicht übersehen, dass die Absolventen von Lehrberufen stärker von Arbeitslosigkeit bedroht sind als die Absolventen anderer Ausbildungen.

Abgeordneter LICHTENEGGER (F) stellte demgegenüber die Leistungen des berufsbildenden Schulwesens heraus und unterstrich den hohen Bedarf der Wirtschaft an qualifizierten Facharbeitern. Lichtenegger setzte sich kritisch mit den Vorschlägen der SPÖ für verpflichtende ganztägige Schulen auseinander und machte auf hohe Kosten für die Eltern aufmerksam. Der Abgeordnete lehnte auch den Vorschlag der SPÖ ab, die Schulen kleiner Gemeinden zusammenzufassen - ihm gehe es um die Erhaltung kleiner Schulen im ländlichen Raum, denn sie sind wichtige Integrationsinstrumente. Lichtenegger ortete zudem Widersprüche bei den schulpolitischen Vorstellungen der SPÖ und forderte die Sozialdemokraten auf, ein in sich schlüssiges Konzept zu entwickeln, über das man diskutieren könne.

Abgeordnete Mag. KUNZL (S) sah hinter den "Platitüden, mit denen die Regierungsparteien gegen die Bildungsideen der SPÖ polemisieren", nur deren Angst vor einer Debatte über die Abfangjäger. Dies sei das Motiv für die heutige Dringliche Anfrage. Den Sozialdemokraten gehe es nicht darum, Kinder dazu zu zwingen, den ganzen Tag in der Schule zu verbringen. Die SPÖ verlange lediglich, endlich dem riesigen Bedarf nach ganztägigen Schulen zu entsprechen. Pädagogen halten die Ganztagsschule für das sinnvollste Konzept, die SPÖ will nicht mehr als eine sinnvolle Durchmischung. Dem Vorwurf, die SPÖ wolle Schulen schließen, wies Kuntzl zurück. Es gehe darum, Verwaltungen zusammenzulegen und kleine Standorte zu erhalten, die von Einsparungsmaßnahmen der Bundesregierung bedroht seien.

Bundesministerin GEHRER zeigt sich erstaunt über den Verlauf der Debatte und über die Kritik der Opposition an der heutigen Bildungsdiskussion. Die Ressortleiterin wandte sich dagegen, Lehrer und Schüler zu verängstigen. Sie hielt es für widersprüchlich, ihr, der Ministerin, Einsparungen vorzuwerfen und zugleich zu kritisieren, sie spare nicht. "Ich spare nicht" sagte die Ministerin, stellte unmissverständlich fest, es sei aber unvermeidlich, einige Schulen zu schließen, wenn es nicht mehr genügend Kinder gibt. Dem Vorschlag der SPÖ, die Direktionen von Schulen zusammenzulegen, konnte die Bildungsministerin nichts abgewinnen - sie wolle kleine Schulstandorte erhalten.

Abschließend zitierte die Ministerin aus einer Studie der WHO, aus der hervorgeht, dass 27 % der Burschen und 23 % der Mädchen in Österreich ihre Schule "sehr mögen". In Finnland seien es nur 4 % der Burschen und 4,5 % der Mädchen.

Abgeordneter Dr. SONNBERGER (V) hielt er für wichtig, über das "Zukunftsthema Bildung" zu sprechen. Das ideologisch motivierte Eintreten der SPÖ für "Zwangstagsschulen" lehne er ab, sagte der Abgeordnete und unterstrich das Ziel einer flächendeckenden bedarfsorientierten Nachmittagsbetreuung auf freiwilliger Basis. Die ÖVP stehe auf der Seite eines differenzierten Schulsystems, in dem Leistung etwas gelte und Noten beibehalten werden. "Wir wollen schwächere Schüler unterstützen, aber wir wollen keine Schule ohne Leistung". Sonnberger will auch "die Schule im Dorf lassen", statt den ländlichen Raum "auszudünnen" und verwies abschließend auf die "Erfolgsstory Fachhochschule", die schon im Jahr 2010 33.000 Studienplätze bieten werde.

Abgeordnete SBURNY (G) wollte nicht alles verteidigen, was die SPÖ in der Bildungspolitik tue, die heutige Dringliche von ÖVP und FPÖ qualifizierte die Rednerin aber als einen Affront für alle, die in der Schule tätig seien. Die Rednerin setzte sich kritisch mit dem Begabungsbegriff der ÖVP auseinander und wandte sich dagegen, im Alter von 10 Jahren entscheiden zu müssen, ob man für höhere Bildung geeignet sei oder nicht. Die Kinder haben sehr unterschiedliche Begabungen, die, so die Auffassung der Grünen, in einer gemeinsamen Schule differenziert gefördert werden müssen. Dass diese Förderung in Österreich nicht funktioniere, zeige der hohe Bedarf an privater Nachhilfe und die immer stärkere soziale Segregation der Schüler.

Auch Abgeordnete Mag MUTTONEN (S) bekannte sich zu einer Gesamtschule, die nicht trennt, sondern zusammenführt und fördert. Die ÖVP wolle hingegen die Schüler in eine vermeintliche Elite und die anderen trennen. Kritik übte Muttonen an Kürzungen im Schulsystem, die dazu führten, dass die Kreativitätsförderung und Bewegung in der Schule zu kurz kommen. Auch Muttonen zitierte das finnische Beispiel, wo die Kreativitätsförderung in der Schule Priorität habe.

Abgeordneter Dr. RADA (S) bekannte sich zu einem differenzierten Schulsystem, Differenzierung bedeute für die SPÖ aber nicht Differenzierung in AHS und Hauptschule. Mit den im Finanzausgleich vorgesehenen Werten kann die Schulorganisation nicht aufrecht erhalten werden, kritisierte Radar und wandte sich gegen Kürzungen von Schulstunden, Förderungen sowie von individuellen Bildungsangeboten. Begabungen fördern statt Hochbegabtenförderung lautete Radas Motto. Wenn Schüler in Werkerziehung oder Musik ein Nichtgenügend haben, sei das nichts anderes als ein Nichtgenügend für den Lehrer, sagt Radar und fragte die ÖVP zum Schluss, ob sie jemanden kenne, "der durch Sitzen bleiben gescheiter geworden ist".

Abgeordnete MANDAK (G) sah die Vertrauensbasis zwischen den Lehrern und der Bildungsministerin gestört. Immer weniger Lehrer kämpfen in immer größeren Klassen mit zunehmenden Schwierigkeiten und bekommen dabei immer weniger Unterstützung. Es gehe nicht an, Förderungsmaßnahmen auf ehrenamtliches Engagement aufzubauen und den Lehrern eine leistungsorientierte Bezahlung vorzuenthalten, kritisierte Mandak. Grundsätzlich forderte die Abgeordnete neue Visionen für das Schulsystem. Es sei nicht optimal, Kinder sechs bis sieben Stunden Fach für Fach ohne Abstimmung zu unterrichten. Alle Pädagogen wissen, dass eine sinnvolle Abfolge von Lern- und Spielphasen bessere Ergebnisse bringe. Mandak fordert Phantasie im Bildungssystem und gab der ÖVP zu bedenken, dass die von ihr hochgelobten Hauptschulen im ländlichen Raum in Wahrheit Gesamtschulen seien, in denen Kinder aller Schichten gemeinsam unterrichtet werden.

Abgeordneter GROSSRUCK (V) betonte, Aufgabe des Bildungssystems sei es, den vielfältigen Interessen und Begabungen gerecht zu werden. Die ÖVP stehe für eine "pädagogische Blumenwiese", die SPÖ hingegen wolle der Schule einen "sozialistischen Bürstenhaarschnitt" verordnen, meinte der Redner, der überdies die SP-Vorschläge als "alte Hüte" qualifizierte.

Abgeordneter BROSZ (G) verteidigte in einem kurzen Statement mit Nachdruck das finnische Schulsystem.

Abgeordneter AMON (V) untermauerte den Vorwurf, wonach die SPÖ kleine Schulen schließen wolle, was die Abgeordneten Dr. WITTMANN und Mag. KUNTZL (beide S) in einer tatsächlichen Berichtigung postwendend als unrichtig zurückwiesen.

Sodann erfolgte die FRISTSETZUNGSDEBATTE über den S-Antrag 64/A (E) betreffend Rückerstattung der Mehrwertsteuer für Feuerwehren und Wohlfahrtsorganisationen.

Abgeordneter HEINZL (S) erinnerte an die ständig steigenden Anforderungen an die Feuerwehren. Ohne zeitgemäße Ausrüstung sei eine rasche Hilfe nicht möglich. Die der Feuerwehr zur Verfügung stehenden Mittel aus dem Katastrophenfonds reichen, wie Heinzl zu bedenken gab, schon seit Jahren nicht mehr aus, um neue Geräte zu finanzieren. Der Redner forderte eine Mehrwertsteuerbefreiung bei Anschaffungen durch die Feuerwehr und argumentierte, dies sei der einzig vertretbare Weg, um die finanzielle Situation der Feuerwehren zu entspannen, ohne die Steuerzahler dabei zu belasten. Heinzl verlangte in seinem Antrag die Behandlung des diesbezüglichen SP-Vorstoßes bis 7. Juli.

Abgeordneter AUER (V) stimmte einer Fristsetzung zwar nicht zu, versicherte aber, dass der Antrag am 30. Juni im Finanzausschuss behandelt werde. Auer war sich der schwierigen Situation der Feuerwehren bewusst und verwies auf den Rückgang der Einnahmen aus der Feuerschutzsteuer. Er plädierte dafür, über Möglichkeiten der Hilfe nachzudenken und dabei im Auge zu behalten, dass die Finanzierung mit Kosten für alle verbunden ist. 

Abgeordneter MARIZZI (S) drängte auf einen parteiübergreifenden Beschluss im Parlament und rief die Koalition auf, über ihren eigenen Schatten zu springen.

Abgeordneter BUCHER (F) trat für eine "wohlwollende und die Feuerwehren unterstützende" Entscheidung in der Finanzausschusssitzung vom 30. Juni ein.

Abgeordneter Mag. KOGLER (G) zweifelte, ob die von der SPÖ geforderte Mehrwertsteuerregelung die beste Lösung sei, sprach sich aber für die Fristsetzung aus.

Bei der Abstimmung fand der Fristsetzungsantrag keine Mehrheit. (Schluss)