Parlamentskorrespondenz Nr. 638 vom 21.09.2004

DIE BUNDESWETTBEWERBSBEHÖRDE VERLANGT MEHR PERSONAL

Tätigkeitsbericht der Wettbewerbshüter liegt dem Parlament vor

Wien (PK) - Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat ihre Tätigkeit im Juli 2002 aufgenommen und wendet seither das Kartellgesetz "in Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht und im Zusammenhang mit Entscheidungen von Regulatoren" an. "Nach einem schicklichen Start" habe seine Behörde "längst Reiseflughöhe erreicht", schreibt der Generaldirektor für Wettbewerb, Walter Barfuß, in seinem Tätigkeitsbericht für den Zeitraum 1.7.2003 - 30.4.2004 (III-101 d.B.). In dem von Bundesminister Martin Bartenstein dem Parlament vorgelegten Dokument ziehen die Wettbewerbshüter eine positive Bilanz ihrer bisherigen Arbeit: Das Prinzip "Wettbewerb" werde von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik mehr und mehr ernst genommen. Dem Ziel, der Entwicklung des Wettbewerbsbewusstseins in Österreich diene auch ihre Homepage (http://www.bwb.gv.at/) mit laufenden Informationen über wettbewerbspolitische sowie wettbewerbsrechtliche Themen und Entscheidungen.

 

Die Aufgaben der weisungsfreien und unabhängigen Wettbewerbsbehörde mit Univ.-Prof. DDr.Walter Barfuß an der Spitze haben seit 2002 an Umfang, Qualität und Gewicht stark zugenommen. Dies vor allem auch deshalb, weil die beim Wirtschaftsministerium eingerichtete Behörde nicht nur für österreichisches Wettbewerbsrecht, sondern auch für die Wahrung der europäischen Wettbewerbsregeln zuständig ist.

Ihre Funktion als Amtspartei in kartellgerichtlichen Verfahren stehe zwar "nicht im alles beherrschenden Mittelpunkt", wie es im Bericht heißt, aber auch die kartellgerichtlichlichen Verfahren beim Oberlandesgericht Wien haben an Zahl und Intensität zugenommen. Auf Antrag der BWB wurden im Berichtszeitraum Bußen bis zu 500.000 € verhängt und erstmals auch eine umfangreiche Hausdurchsuchung vorgenommen.

Auf europäischer Ebene wirkt die Bundeswettbewerbsbehörde im European Competition Network (ECN) und bei European Competition Authorities (ECA) mit und bringt sich vor allem in den Arbeitsgruppen über Luft- und Schienenverkehr mehr und mehr ein. Sie ist auch in allen Ausschüssen der EU-Kommission vertreten, wo Entscheidungen der  Kommission in Wettbewerbsfällen vorbereitet werden. Die BWB sei zwar formal, aus Ressourcenmangel aber nicht tatsächlich im International Competition Network (ICN) vertreten, was Generaldirektor Barfuss bedauert.

Dem Thema Ressourcen widmet der Bericht breiten Raum. Während der finanzielle Spielraum der Behörde ausreichend sei, beschreibt Generaldirektor Barfuß die Personalsituation der behördlichen Wettbewerbshüter als prekär. Die bisher erfolgten Aufstockungen reichten bei weitem nicht aus, um den quantitativ und qualitativ in nicht vorhersehbarem Ausmaß gestiegenen Arbeitsanfall zu bewältigen. Der Generaldirektor dokumentiert stark zunehmende Überstundenleistungen und untermauert seine Forderung nach mehr Personal auch mit pointierten internationalen Vergleichen: Die derzeitige Personalausstattung der BWB entspreche den Wettbewerbsbehörden Zyperns und Islands. Barfuß stellt in diesem Zusammenhang auch die "Qualitätsfrage", da seine "casehandler" (Fallbearbeiter) notwendige und vorhandene Schulungsangebote nicht nützen können, weil Personalausfälle nicht zu verantworten wären.

DIE ENTWICKLUNG DES EUROPÄISCHEN WETTBEWERBSRECHTS

In den Jahren 2003 und 2004 wurde mit der Überantwortung wesentlicher Aufgaben an die nationalen Wettbewerbsbehörden durch die EU eine neue Ära im Zeichen der Dezentralisierung eingeleitet. Ein institutionalisiertes Netzwerk der europäischen Wettbewerbsbehörden (European Competition Network; ECN) und ein effizienter Konsultations- und Kommunikationsmechanismus zwischen EU-Kommission und Wettbewerbsbehörden wie auch zwischen den nationalen Behörden bilden dafür die Basis.

Einer der immer häufigeren Fälle, die die Europäische Kommission der BWB überantwortet hat, ist die Beschwerde der BA/CA gegen den Haftungsverbund der Erste Bank. Die BWB hat unter persönlicher Beteiligung von Kommissionsbeamten Gespräche und Verhandlungen in Wien geführt, ein Verfahren beim Oberlandesgericht Wien eingeleitet, daran als Antragsteller mitgewirkt und mit der Finanzmarktaufsicht zusammengearbeitet.

Zudem berät die BWB Wettbewerbsbehörden oder Ministerien der Beitrittsländer. Im April 2004 hat die BWB in Krakau an einem wettbewerbspolitischen Workshop zum Thema "Untersuchungstechniken in Kartellverfahren" teilgenommen, den die "Central European Competition Initiative (CECI)", ein Kooperationsforum der Wettbewerbsbehörden aus Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien und der Slowakei in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission veranstaltete.

Im Oktober 2003 hat das "Rail Transport Network" ein erstes Treffen zum Thema Wettbewerb im Eisenbahnsektor veranstaltet. Beim nächsten Treffen soll auf Basis von Länderberichten über den laut EU-Kommission erst langsam einsetzenden Wettbewerb und die unterschiedliche Situation in den einzelnen Staaten beraten werden. Die Untersuchung der Wettbewerbssituation auf dem österreichischen Markt im Schienengüterverkehr obliegt der BWB.

SCHWERPUNKTE IN DER EUROPÄISCHEN WETTBEWERBSAUFSICHT

Zu den 291 europäischen Fällen von Kartellen, Marktmachtmissbrauch und Fusionen, mit denen das BWB im Berichtszeitraum befasst wurde, zählen die Entscheidung im Fall Microsoft, die Genehmigung des niederländisch-österreichischen Brau-Zusammenschlusses Heineken/BBAG und eine Untersuchung der EU-Kommission gegen eine Honorarordnung der belgischen Architektenkammer. "Freie Berufe" bilden ein Schwerpunktthema der EU-Kommission; im Herbst 2004 wird die BWB der Kommission einen Lage- und Maßnahmebericht über die österreichische Situation der Freien Berufe übergeben.

WETTBEWERBSRECHTLICHE FÄLLE IN ÖSTERREICH

Die 15 in Österreich genehmigten und eingetragenen Kartelle spielen in der Tätigkeit der BWB kaum noch eine Rolle. Im Vordergrund der Arbeit der Bundeswettbewerbsbehörde stehen aktuelle Kartellfälle, etwa der folgende:

Mit 270 Schiliften und Seilbahnen sowie einer Pistenlänge von 865 Kilometern in fünf Salzburger und steirischen Schiregionen ist "Ski amade" der größte Schiverbund Österreichs. Eine "Kooperations- und Umsatzverteilungs-Vereinbarung" regelt unter anderem den gemeinsamen Schipass sowie die Aufteilung des Erlöses und verbietet den einzelnen Schigebieten mit nur wenigen Ausnahmen, eigene Schipässe oder Liftkarten anzubieten. Dieses Verbot wie auch die Preis- und Gebietsabsprachen unterliegen dem Kartellgesetz, stellte das Kartellgericht im November 2003 auf Antrag von BWB und Bundesarbeitskammer fest.

Es sei ihr nicht darum gegangen, den "Ski amade"-Schipass zu gefährden, sondern um die Wahrung der Wahlfreiheit von Konsumenten und der Gestaltungsspielräume von im Schiverbund vereinten Unternehmen, stellt die BWB in ihrem Bericht fest. Parallel zum gerichtlichen Verfahren ging sie daher gemeinsam mit der Bundesarbeitskammer den Weg einer einvernehmlichen Regelung. In der wettbewerbsrechtlichen Kernfrage, der Preisfreigabe für Eintageskarten in allen Schigebieten, kam es zu einer Einigung.

BANKOMATKASSEN-SYSTEME 

Im Dezember 2003 hat das Kartellgericht bei der Vereinbarung des Bankomatvertrages der Europay Austria Zahlungsverkehrssysteme GmbH mit praktisch allen österreichischen Banken ein Absichtskartell und den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung festgestellt. Die Europay hatte nämlich mit ihren Gesellschaftern, praktisch allen österreichischen Kreditinstituten, vereinbart, dass diese sich lediglich mit ihrer Zustimmung an anderen Unternehmen, die Systeme für die unbare Zahlungsabwicklung betreiben, beteiligen dürfen und für diesen Fall sachlich unangemessene Gebühren vereinbart, wie das Kartellgericht in einer - noch nicht rechtskräftigen -  Entscheidung feststellte.

ALLFINANZ-KOOPERATION

Eine Allfinanz-Kooperation, angemeldet von Raiffeisenlandesbank OÖ, Oberösterreichischer Versicherungs-AG (OÖV) und Generali Holding Vienna AG für einen exklusiven Vertrieb von Lebensversicherungen über Bankstellen der RLB OÖ, der regionalen Raiffeisenbanken in OÖ, der Hypo OÖ und der Hypo Salzburg beurteilte die BWB bis auf weiteres als nicht bedenklich.

ZAHLUNGSVERKEHRSALLIANZ DER 3 GROSSBANKEN 

Die Auslagerung, Zentralisierung und gemeinsam Abwicklung des Zahlungsverkehrs der drei Großbanken Bank-Austria/Creditanstalt, Erste und PSK/Bawag in einem Gemeinschaftsunternehmen ("Zahlungsverkehrsgesellschaft"/ZVG) wurde nach umfangreichen Ermittlungen und Verhandlungen der BWB in enger Zusammenarbeit mit dem Bundeskartellanwalt mit den beteiligten Banken unter Auflagen für dreieinhalb Jahre genehmigt. Dazu gehört beispielsweise die Verkürzung der Überweisungsdauer für Girokonteninhaber in 90 % aller Fälle auf einen Tag bei Überweisungen zwischen Konten, die bei demselben Kreditinstitut geführt werden und auf zwei Tage in allen anderen Fällen. Die Verbraucher können Einsparungen von bis zu € 13 Mill. pro Jahr erwarten.

UNVERBINDLICHE VERBANDSEMPFEHLUNGEN

Derzeit sind 51 unverbindliche Verbandsempfehlungen in das Kartellregister eingetragen. Im Berichtszeitraum hat die Bundeswettbewerbsbehörde gemeinsam mit dem Bundeskartellanwalt beim Kartellgericht Widerrufsanträge gegen Empfehlungen der Fachverbände von Finanzdienstleistern gestellt, die in einem Fall zur Zurückziehung der Empfehlung geführt hat. Andere Verfahren sind anhängig, in Vorbereitung oder im Prüfungsstadium.

Große Schwierigkeiten machte die Anpassung unverbindlicher Verbandsempfehlungen an die Praxis der Europäischen Kommission und die einschlägige Judikatur des EuGH. 2003 überprüfte die BWB neben den neu angezeigten auch alle bereits im Kartellregister eingetragenen unverbindlichen Verbandsempfehlungen im Hinblick auf deren Vereinbarkeit mit Vorgaben des österreichischen und europäischen Wettbewerbsrechtes. Der Bundesinnung der Photographen hat die BWB etwa geraten, die in ihrer Empfehlung für "Bildhonorare" enthaltenen Fixpreise durch Kalkulationsrichtlinien zu ersetzen.

MISSBRAUCHSAUFSICHT

Besonders schwierig und arbeitsaufwändig sei die Missbrauchskontrolle, heißt es im Bericht der Bundeswettbewerbsbehörde. Ihre Analyse des im Juli 2003 implementierten neuen Tarifsystem der Telekom Austria habe ergeben, dass das Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung bei Verbindungsleistungen über das öffentliche Telephonnetz an festen Standorten missbrauche und die Entwicklung des Wettbewerbs beeinträchtige. Da Gespräche mit dem Ziel einer Einigung (Bereinigung) ohne Ergebnis geblieben waren, habe die BWB beim Kartellgericht mit Erfolg beantragt, die TA zu beauftragen, den Missbrauch abzustellen und ein angemessenes Bußgeld zu verhängen.

Die Entscheidung des Kartellgerichts sei noch nicht rechtskräftig,  in dem mittlerweile anhängigen Tarifgenehmigungsverfahren zeichne sich eine Bereinigung ab, erfährt der Leser im Tätigkeitsbericht der Bundeswettbewerbsbehörde.

ZUSAMMENSCHLUSSKONTROLLE

Seit ihrer Einrichtung verzeichnete die BWB 587 nationale Zusammenschlussanmeldungen, 248 davon im Berichtzeitraum. Grundsätzlich sei in der durch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gekennzeichneten Wirtschaftsstruktur Österreichs kein Platz für rein juristische oder ökonomische Dogmatik. Werden Vorhaben für  Zusammenschlüsse angemeldet, recherchiere die BWB eingehend und bemühe sich, wettbewerbspolitische Nachteile und Bedenken im Verhandlungsweg zu überwinden. Meistens setze die BWB gemeinsam mit Bundeskartellanwalt, berufsständischen Interessenvertretungen, Sozialpartnern, Regulatoren, Wettbewerbern und Konsumenten ihre Auffassungen konsensual durch, indem sie Änderungen des Zusammenschlussvorhabens verlangt. Diese Vorgangsweise habe sich als effizient und effektiv erwiesen, heißt es im Bericht. (Schluss)