Parlamentskorrespondenz Nr. 11 vom 14.01.2005

DIE VIER KLUBOBMÄNNER ZUM JUBILÄUMSJAHR 2005

Van der Bellen, Scheibner, Gusenbauer und Molterer beim Auftakt

Wien (PK) - Im Anschluss an die Rede von Nationalratspräsident Andreas Khol kamen bei der Auftaktveranstaltung zum Jubiläumsjahr 2005 die Klubobmänner der vier Fraktionen - in der Reihenfolge Alexander Van der Bellen (G), Herbert Scheibner (F), Alfred Gusenbauer (S) und Wilhelm Molterer (V) zu Wort.

VAN DER BELLEN: MIT EINEM SCHARFEN BLICK AUF DIE VERGANGENHEIT

G-Klubobmann Alexander Van der Bellen erinnerte daran, dass man ursprünglich lediglich ein Feierjahr zur Erinnerung an fast 60 Jahre Frieden in Österreich habe beginnen lassen wollen. Nun aber stünde man noch unter dem Schock der Flutwelle und trauere mit den Kindern, die ihre Eltern, und mit den Eltern, die ihre Kinder verloren haben. Man werde helfen, soweit dies gehe, als Individuen, als karitative Organisationen und als Menschen mit politischer Verantwortung, und zwar mit einem Gefühl der Dankbarkeit für diese fast 60 Jahre Frieden, mit dem wachsenden Wohlstand, der damit einhergegangen sei.

Vor fast 60 Jahren haben die Alliierten endlich den Sieg über das aggressive Hitlerdeutschland errungen, erinnerte Van der Bellen, vor fast 60 Jahren sei die Naziherrschaft zu Ende gegangen, eine Herrschaft, an der leider auch Österreicher beteiligt waren - von Hitler abwärts bis zum letzten kleinen Blockwart, der seine Nachbarn verraten und denunziert hat. So ambivalent sei die Geschichte jedes Volkes, auch die des österreichischen.

Heute sei es eigentlich ein wenig früh, um mit dem Feiern zu beginnen, denn heute vor 60 Jahren wurde die Zweite Republik noch nicht geboren, vielmehr war heute vor 60 Jahren das KZ Mauthausen noch in vollem Betrieb, wurden dort Menschen von anderen Menschen geschunden und gequält, und heute vor 60 Jahren wurden in vielen Dörfern Österreichs Bauern erhängt oder erschossen, bloß, weil sie verschreckten, jungen Deserteuren geholfen hatten, sagte Van der Bellen. An diese Schrecken sollte man auch denken, genauso wie an das Gute, an das Revolutionäre der Erklärung der Wiedererstehung Österreichs und an das Anknüpfen an die Verfassung der Ersten Republik. Daran ersehe man, dass das Jahr 1945 sich nicht auf einen Tag, sozusagen die Stunde Null, reduzieren lasse. Vielmehr müsse man die Vorgeschichte mitdenken, sonst könne man die österreichische Nachkriegsgeschichte nicht verstehen.

Man solle sich also erinnern, aber mit einem scharfen Blick auf die Vergangenheit, schloss Van der Bellen, der auf die besonderen Verdienste von Julius Raab, Leopold Figl, Adolf Schärf und Bruno Kreisky hinwies, welche zum Abschluss des Staatsvertrags geführt hätten. Daher solle man auch darüber nachdenken, worin die Leistungen der aktuellen Generation bestehen können: "Denn die Verantwortung für die gute Nachrede über uns, die tragen wir allein."

SCHEIBNER: VERANTWORTUNG ÖSTERREICHS IN EINER GLOBALISIERTEN WELT

F-Klubchef Herbert Scheibner erklärte, das Jubiläumsjahr 2005 sei auch zu einem Gedankenjahr geworden, man solle nicht nur jubilieren und feiern, nicht nur der Verdienste und Schattenseiten der Vergangenheit gedenken, man solle sich auch den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft stellen. Die furchtbare Flutkatastrophe in Asien habe diesen Bedarf auf sehr drastische Weise unter Beweis gestellt, verwies Scheibner auf die zahllosen Toten, unter denen auch Österreicher gewesen sind. Dies alles zeige uns die Grenzen der menschlichen Macht, zeige, dass man die Natur verändern, ja sogar vielleicht zerstören, aber nicht beherrschen könne.

Man könne den Angehörigen der Opfer das Leid nicht nehmen, aber man habe die Verantwortung, ihnen die nötige und mögliche Hilfestellung zu geben, betonte der Klubobmann. Man habe sich aber auch jenen Katastrophen zu stellen, die menschlich verursacht sind, kam Scheibner auf den Zweiten Weltkrieg zu sprechen. Dies sei eine menschliche Katastrophe mit 60 Millionen Toten. Man werde der Opfer, der Vertriebenen, der Verfolgten - auch in der Nachkriegszeit - gedenken, man werde sich freuen, dass es gelungen sei, dieses Land wiederaufzubauen, die Demokratie unumkehrbar zu machen und eine nie vorher gekannte Zeit des Friedens und Wohlstands möglich zu machen.

Man dürfe darob aber nicht vergessen, dass es seit 1945 weltweit 180 Kriege mit 40 Millionen Toten gegeben habe. Hier liege Verantwortung für Österreich in einer globalisierten Welt, so Scheibner. Dieses Jahr 2005 werde Österreich Gelegenheit geben, neben der Aufarbeitung der Vergangenheit auch den Blick in die Zukunft zu schärfen, um künftige Aufgaben zu meistern. Und wenn es gelinge, dies alles gemeinsam zu tun, "dann hat dieses Jahr auch seine Nachhaltigkeit".

GUSENBAUER: DIE SPALTUNG DER GESELLSCHAFT VERHINDERN!

Auch SPÖ‑Klubobmann Alfred Gusenbauer befasste sich zunächst mit der Flutkatastrophe in Südostasien und betonte, es sei hervorragend, wie sich die österreichische Bevölkerung in dieser Situation verhalten habe. Die enorme Bereitschaft zur Hilfe und zum Spenden sei die Fortsetzung eines der besten Teile der österreichischen Geschichte seit 1945, unterstrich er. Zu jeder Zeit, wenn Menschen in Not gewesen seien, hätten die Österreicherinnen und Österreicher geholfen und seien solidarisch gewesen. Das zeichne das Aufbauwerk seit 1945 aus.

Gusenbauer erinnerte daran, dass man nach 1945 Krieg, Faschismus und Barbarei verhindern habe wollen, ebenso wie eine Spaltung der Gesellschaft. Genau aus diesem Grund sei Österreich das geworden, was es heute sei. Zum Aufstieg des Landes haben seiner Meinung nach nicht zuletzt die einfachen Leute, die, so Gusenbauer, "mit unglaublichem Fleiß und unglaublicher Einsatzbereitschaft Österreich aufgebaut haben", beigetragen.

Es sei ein großes Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort leben zu können, betonte Gusenbauer weiter. Österreich sei seit 1945 ein richtiger Ort, "ein guter Ort zum Leben". Als politische Leistungen der Zweiten Republik hob er unter anderem das Erringen von Freiheit und Unabhängigkeit, die großen Reformen der Kreisky-Ära und die europäische Integration hervor.

Man dürfe aber nicht übersehen, dass "unser Haus Österreich" auch Risse bekommen habe, mahnte Gusenbauer und wies darauf hin, dass heute 300.000 Menschen in akuter Armut lebten, über 300.000 Menschen eine Arbeit suchten und viele Österreicherinnen und Österreicher Zukunftsängste hätten. Er hält es für die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, jenen Menschen, die heute leben, ähnliche Zukunftsperspektiven zu bieten wie den vorherigen Generationen.

MOLTERER: "MUTIG IN DIE NEUEN ZEITEN!"

ÖVP‑Klubobmann Wilhelm Molterer meinte, es sei "eine Fügung des Schicksals", dass der Begriff des Gedankenjahres das Jahr 2005 präge. "Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen, das Gedenken gilt den Opfern", sagte er, aber der Auftrag heiße eigentlich "hoffen und helfen". Für Molterer hat der Begriff "Nachbar in Not" durch die Flutkatastrophe in Südostasien eine ganz neue Bedeutung bekommen.

Molterer gab zu bedenken, dass für seine Generation und die Generation der Kinder Friede, Freiheit, Demokratie und Wohlstand selbstverständlich seien, für die Generation seiner Eltern und Großeltern sei dies aber bei weitem nicht so gewesen. Er sieht es als eine der Hauptaufgaben des "Gedankenjahrs 05", Selbstverständlichkeiten nicht als Selbstverständlichkeiten zu betrachten, sondern darum zu ringen, dass "das uns Selbstverständliche" auch tatsächlich selbstverständlich bleibe.

Österreich habe nach dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges und des nationalsozialistischen Regimes eine zweite Chance bekommen, unterstrich Molterer. "Unsere Vorväter haben diese zweite Chance genutzt". Die Zweite Republik sei geprägt vom Grundkonsens der Demokratie und der Marktwirtschaft. Das "Österreich ist frei" habe dem Land einen eigenbestimmten Weg ermöglicht, einen eigenbestimmten Weg zu Wohlstand und sozialem Frieden, zu einem selbstbewussten Leben und in ein integriertes Europa.

Dass Österreich eine Insel der Seligen sei, "wie wir uns über viele Jahrzehnte eingeredet haben", wies Molterer als falsch zurück. Vielmehr stehe Österreich im Wettbewerb. Daraus resultiert für ihn die Verpflichtung, Österreich als Teil Europas zu begreifen und Globalisierung nicht zu erdulden, sondern auf Grund der eigenen Wertebasis zu gestalten. Das Motto für die Zukunft leitete der ÖVP-Klubobmann aus der dritten Strophe der Bundeshymne ab: "Mutig in die neuen Zeiten!". (Fortsetzung)