Parlamentskorrespondenz Nr. 336 vom 03.05.2005

WEGE DER VERSÖHNUNG - 10 JAHRE NATIONALFONDS

Wortlaut der Rede von Nationalratspräsident Andreas Khol

Wien, (PK) - Die Parlamentskorrespondenz bringt im Folgenden den Wortlaut der Rede, die Nationalratspräsident Andreas Khol bei der Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Historischen Sitzungssaal des Parlaments halten wird.

Herr Bundespräsident, Herr Bundeskanzler, Herr Kardinal, festlich Versammelte!

Vor neun Jahren haben beide Häuser des österreichischen Parlaments einstimmig, im Konsens aller politischen Parteien und mit ungeteilter Zustimmung der gesamten Bevölkerung beschlossen, den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen jedes Jahr als Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus zu begehen. Wir haben damit einen demokratischen Grundkonsens unseres Landes zum Ausdruck gebracht, dass die Vernichtungslager und Gaskammern des Nationalsozialismus mit ihren Millionen Opfern uns allen Verantwortung auferlegen: die Verantwortung des „Niemals wieder“, des Erinnerns, der Sorge für die Opfer.

Wer sich außerhalb  dieses Grundverständnisses stellt, sollte in diesem Haus keinen Platz haben.

Zum  achten Male begehen wir also hier im historischen Sitzungssaal des Parlamentes diesen Gedenktag. Ich begrüße Sie alle, meine Damen und Herren sehr herzlich und danke Ihnen für Ihr Kommen. Einige wenige kann ich namentlich  begrüßen. Ich heiße unser Staatsoberhaupt, Bundespräsident  Heinz Fischer herzlich willkommen. An der Spitze der Bundesregierung begrüße ich unseren Herrn Bundeskanzler,  Wolfgang Schüssel mit Herzlichkeit. Mit großer Freude begrüße ich Kardinal Erzbischof  Christoph Schönborn und die anderen Spitzen der  Kirchen und Religionsgemeinschaften.

In den bisherigen Gedenktagen haben wir stets der Opfer des Nationalsozialismus in Österreich gedacht: vor allem der grausam verfolgten, hingemordeten und vertriebenen Juden sowie der Sinti und Roma.

Im heurigen Gedenkjahr wollen wir unter dem Titel „Wege der Versöhnung“ auch daran erinnern, dass vor zehn Jahren der österreichische Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus gegründet wurde. Diese Gründung leitete eine neue Phase des Umganges unserer Republik  mit der Verantwortung für die Untaten des Nationalsozialismus in Österreich ein. Nur wenige Jahre danach  wurden der Versöhnungsfonds für ehemalige Zwangs- und Sklavenarbeiter des NS-Regimes und der Allgemeine Entschädigungsfonds zur Lösung noch offener Fragen der Entschädigung von Opfern der Nationalsozialisten gegründet.  Mit diesen Institutionen wollen wir uns heute befassen. Ich bitte Sie daher, mit mir die Referentinnen und Referenten der heutigen Gedenkveranstaltung zu begrüßen:

Unterstaatssekretär a.D. Stuart Eizenstat, der mit der österreichischen Bundesregierung die entscheidenden Vertragsverhandlungen für den Versöhnungsfonds und den Allgemeinen Entschädigungsfonds führte. Präsidentin Maria Schaumayer, die im Auftrag der Bundesregierung Österreich dabei vertrat und die Verhandlungen zum Erfolg führte.

Ich freue mich ganz besonders darüber, dass Gideon Eckhaus, der Vorsitzende der Vereinigung der Österreichischen Pensionisten in Israel und Moshe Jahoda, der Vorsitzende des Jewish Claims Committee zu uns sprechen werden.  Hannah Lessing führt seit der Gründung des Nationalfonds dessen Geschäfte und ist auch Generalsekretärin des Allgemeinen Entschädigungsfonds, und Staatssekretär a. D. Ludwig Steiner ist schließlich der Vorsitzende des Versöhnungsfonds. Sie alle  begrüße ich herzlich und danke ihnen für ihre Arbeit.

Mit Nationalfonds, Versöhnungsfonds und Allgemeinem Entschädigungsfonds will Österreich seiner Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus in unserem Lande nachkommen. Bei meinem Besuch in Israel im Dezember 2004 begrüßte mich der Präsident des israelischen Parlaments, Reuven Rivlin,  in einer offiziellen Sitzung der Knesset, mit warmen Worten der Freundschaft und anerkannte besonders die Bemühungen Österreichs um Wiedergutmachung und Entschädigung wenngleich dies alles „a little late“, also ein wenig spät erfolgt sei.

In der Tat war es ein langer und mühseliger Weg unseres Landes zur Erkenntnis, dass unsere Heimat, die Republik Österreich, zwar Opfer der Aggression des Nationalsozialismus geworden war, dass aber  eine große Zahl von Österreicherinnen und Österreichern Täter waren, mitschuldig wurden, und wir für sie  Mitverantwortung tragen.

In der berühmten Moskauer Deklaration wurde Österreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus bezeichnet und im Staatsvertrag 1955 auch ausdrücklich entsprechend  behandelt. Darauf baute in den ersten vier Jahrzehnten unsere 2. Republik auf. Diese Opferrolle bestimmte Österreichs völkerrechtliche und staatsrechtliche Stellung.

Die gemeinsame Opfererfahrung nahezu aller Mitglieder der Bundesregierung unter Bundeskanzler Leopold Figl im Jahr 1945 trug dazu bei, die Gräben zwischen den beiden großen Parteien zuzuschütten, die nach den ersten freien Wahlen 1945 die Geschichte der jungen 2. Republik lenken sollten. Zwei Parteien, die sich in der 1. Republik unversöhnlich auch mit der Waffe in der Hand gegenüberstanden. Ihr Aufbauwerk begann zu einem Zeitpunkt, da nur ein kleiner Anteil der Österreicherinnen und Österreicher wirklich an die österreichische Nation glaubte. In dem Ausmaß, in dem Österreich im Bewusstsein seiner Bürgerinnen und Bürger zur Nation wurde, in eben diesem Ausmaß bekannte sich diese österreichische Nation dazu, dass viele ihrer Bürgerinnen und Bürger Täter im nationalsozialistischen Unrechtsstaat  geworden waren und  die Republik dafür Mitverantwortung trägt.

Am 8. Juli 1991 hatte Bundeskanzler  Franz Vranitzky von der Regierungsbank vor dem versammelten österreichischen Nationalrat erklärt, dass die österreichische Bundesregierung „eine moralische Mitverantwortung für Taten unserer Bürger“ in Zusammenhang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus anerkenne. Vertieft wurde diese neue Haltung, weg von der reinen Opferrolle, in der Grundsatzrede dieses Bundeskanzlers vom 9. Juni 1993, in der Hebrew University in Jerusalem: Österreich dürfe keine Kollektivschuld auferlegt werden, aber „wir anerkennen kollektive Verantwortung“. Kollektive Verantwortung für jeden von uns, sich zu erinnern und nach Gerechtigkeit zu suchen. Dieser Grundsatzerklärung folgten alle im Nationalrat vertretenen Parteien, sie stellte den neuen Konsens dar, der Voraussetzung für die Gründung des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus war.

Als ich im November 1994 in das Amt des Klubobmannes der Österreichischen Volkspartei, des kleineren Regierungspartners in der Regierung Vranitzky-Busek gewählt wurde, war die Frage einer Geste der Wiedergutmachung an die Opfer des Nationalsozialismus eine der großen hängen gebliebenen politischen Baustellen der Republik. Ziel war es, entsprechend einer Absichtserklärung der Bundesregierung, eine solche Geste bis zum 50. Jahrestag der Befreiung Österreichs  zustande zu bringen. Der Klubobmann der SPÖ,  Peter Kostelka, und ich konnten auf der Basis  dieses neu errungenen Konsenses über die Frage der Opferrolle Österreichs und der Täterschaft von vielen Österreicherinnen und Österreichern das Werk vollenden und mit einem Initiativantrag im Nationalrat den Nationalfonds gründen. In unserem Antrag hielten wir fest, dass Österreich verpflichtet sei, „sich an das unermessliche Leid zu erinnern, das der Nationalsozialismus über Millionen von Menschen gebracht hat, und der Tatsache zu gedenken, dass auch Österreicher an diesen Verbrechen beteiligt waren. Das führt zu einer moralischen Mitverantwortung, das Leid, das Menschen in Österreich durch den Nationalsozialismus zugefügt wurde, anzuerkennen und ihnen in besonderer Weise zu helfen.“ Mit dieser Gründung wurde eine neue,  initiative  Phase in der österreichischen Gesetzgebung zur Rückstellung geraubten Gutes, zur Linderung der Schäden des nationalsozialistischen Regimes und zur Versorgung bzw. zumindest teilweisen Entschädigung  der Opfer eingeleitet.

Wenn wir heute auf 10 Jahre Arbeit im Nationalfonds und auf die anderen später entstandenen Fonds blicken, so besteht noch kein Grund zum zufriedenen Rasten, zu beschaulichem Rückblick. Der Nationalfonds ist auf Dauer eingerichtet. Wenn sich auch immer weniger direkt Anspruchsberechtigte an ihn wenden, also immer weniger direkte Opfer der Verfolgung durch  die Nationalsozialisten, so bleibt doch die zweite wesentliche Aufgabe des Nationalfonds bestehen: die Unterstützung von Projekten,  die der geschichtlichen Erforschung des Nationalsozialismus und der Schicksale seiner Opfer dienen, die an das nationalsozialistische Unrecht erinnern oder das Andenken an die Opfer wahren. Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus wach zu halten und das Leid der Opfer anzuerkennen ist dauernde Aufgabe des Fonds.

Der Versöhnungsfonds für ehemalige Zwangs- und Sklavenarbeiter des NS-Regimes  wurde ausdrücklich auf Zeit eingerichtet und hört  nach Durchführung seiner Arbeit Ende dieses Jahres auf zu bestehen. Auch dieser Fonds wird seine Tätigkeit indirekt in die Zukunft erstrecken: nicht alle der bereitgestellten Mittel wurden verbraucht, es blieben rund 100 Millionen Euro übrig. Das Kuratorium des Versöhnungsfonds hat daher einen Grundsatzbeschluss über die zukünftige Verwendung dieser Mittel gefasst. Die entsprechende Gesetzgebung ist Aufgabe des österreichischen Parlaments in naher Zukunft.

Ein weites Feld der Arbeit hat der Allgemeine Entschädigungsfonds zur Lösung noch offener Fragen der Entschädigung von Opfern der Nationalsozialisten zu bearbeiten. Der völkerrechtliche Vertrag, der ihm zugrunde liegt, bestimmt, dass die bereitgestellten Mittel verhältnismäßig auf alle angemeldeten und berechtigten Forderungen aufgeteilt werden müssen. Die Forderungen konnten bis 28.5.2003 angemeldet werden. Seither prüft unter der Aufsicht eines unabhängigen, internationalen Antragskomitees der große und ständig aufgestockte Stab des Fonds die angemeldeten Forderungen. Damit diese Arbeit so schnell wie möglich fertig gestellt werden kann, haben wir die prüfenden Mitarbeiter von ursprünglich 20 im Jahr 2002 auf heute 120 versechsfacht. Dieser völkerrechtliche Vertrag bestimmt zwingend, dass dieser Fonds erst dann mit den Auszahlungen beginnen darf, wenn die gesamte Forderungssumme festgestellt ist und auch internationale Rechtssicherheit eingetreten ist, (in den Vereinigten Staaten von Amerika sind derzeit noch mehrere Klagen von Opfern des Nationalsozialismus gegen Österreich bei Gerichten anhängig). Wir müssen alles tun, um diese Arbeit genauso wirkungsvoll und sachkundig und so schnell wie möglich zu Ende zu bringen, wie dies in den anderen Fonds geschieht. Dies möchte ich abschließend als Vorsitzender dieses Fonds allen versichern, die auf die Erledigung ihrer Anträge warten. Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Die Bilanz von 10 Jahren Arbeit des österreichischen Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus kann daher nur eine – erfolgreiche - Zwischenbilanz sein. (Schluss)