Parlamentskorrespondenz Nr. 376 vom 12.05.2005

SCHULE: REFORMBLOCKADE ZWEI-DRITTEL-MEHRHEIT GEFALLEN

Nationalrat schränkt Verfassungsmehrheit in Schulgesetzen ein

Wien (PK) - Unmittelbar nach der Einigung über die Neuregelung der Zweidrittelmehrheit in Schulfragen im Unterrichtsausschuss hatten in der Vorwoche die verschiedenen Interpretationen der Neuregelung eingesetzt, und diese Debatte fand heute im Plenum des Nationalrats ihre Fortsetzung. Grundlage der Verhandlungen waren die entsprechende Regierungsvorlage und ein Antrag der Koalitionsfraktionen. Nach 40 Rednerinnen und Rednern wurde die Vorlage schließlich mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.

Vor Eingang in die Tagesordnung teilte der Vorsitz führende Präsident Dr. KHOL mit, dass die Grünen eine Dringliche Anfrage an den Bundeskanzler betreffend Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz und Nichterfüllung von Art 7 des Staatsvertrags eingebracht haben. Die Anfrage wird um 15 Uhr aufgerufen. Im Anschluss daran gibt es eine Kurzdebatte über eine Anfragebeantwortung der Justizministerin in der Causa Tibor Foco.

Der Obmann des Unterrichtsauschusses, AMON (V), eröffnete die Debatte mit einem Rückblick: Seit 1962 könnten Bildungsgesetze nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden; damit sei eine "gegenseitige Blockade" möglich gewesen. In Zukunft könnten 95 % aller Schulgesetze mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Mit der Beschlussfassung könne ein Wettbewerb der Ideen beginnen, etwa bei sprachlicher Frühförderung, bei der Nachmittagsbetreuung und bei der Reform der pädagogischen Hochschulen. Die im Zuge der Diskussion geäußerten Ängste habe man ernst genommen, sagte Amon weiter, daher habe man wesentliche Eckpunkte in der Bundesverfassung verankert. Man habe die Aufgabe der Schule klar definiert, man habe festgehalten, dass die Schule bestmögliche Ausbildung - unabhängig von der sozialen Herkunft der Schüler - vermitteln solle, man habe den Religionsunterricht abgesichert, die Schulpflicht - unter Einbeziehung der Berufsschule - verankert, die Schulgeldfreiheit und das differenzierte Bildungswesen festgeschrieben. Damit werde vieles an Reformen ermöglicht, aber auch abgesichert, was gut sei. Amon schloss seine Rede mit einem umfassenden Dank für alle, die am Zustandekommen der Vorlage mitgewirkt haben. Besonderen Dank richtete der VP-Bildungssprecher an Unterrichtsministerin Gehrer, der er zugleich mit einem Blumenstrauß zum Geburtstag und zum 10-Jahre-Jubiläum als Unterrichtsministerin gratulierte.

Auch Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) würdigte zunächst das Fallen der Zwei-Drittel-Mehrheit als "Schritt vorwärts", durch den substanzielle Reformen im Bildungswesen möglich würden. Diese Reformen seien auch im Hinblick auf die PISA-Studie dringend nötig, die gezeigt habe, dass ein Fünftel der 15jährigen nicht über ausreichende Kenntnisse in Lesen und Mathematik verfügten. Die Studie habe auch Sorgen als berechtigt erscheinen lassen, dass das Schulsystem die Effekte der sozialen Herkunft verstärke und die schulische Ausbildung nicht ausreichend auf die Anforderungen der modernen Arbeitswelt vorbereite. Gusenbauer begrüßte auch, dass die Schulgeldfreiheit, die Schulpflicht und die Schule als öffentliche Aufgabe in der Verfassung verankert werden, dass Chancengleichheit als Zielbestimmung definiert werde und dass der konfessionelle Unterricht in der Verfassung abgesichert sei, denn "Kulturkampf hat in der Schule keinen Platz". Er wünsche sich eine Schule, in der die Kinder über ausreichende Deutschkenntnisse verfügten, wenn sie in die Volksschule kommen, in der die Schwächeren gefördert und die Begabten gefordert würden, wo die Schule als "Ort des Lernens" anschließend Freizeit ermögliche, mit Klassengrößen, die es möglich machen, dass die LehrerInnen auf jedes Kind einzeln eingehen könne und wo im Vordergrund stehe, was den Kindern am meisten hilft.

"Aus aktuellem Anlass" appellierte Gusenbauer zum Schluss seiner Rede an Bundeskanzler Dr. Schüssel, auf seine für Samstag geplante Fernseh-Ansprache zu verzichten.

Die Bildungssprecherin der Klubs der Freiheitlichen, Abgeordnete ROSSMANN, erinnerte daran, dass ihre Fraktion immer wieder das Fallen der Zwei-Drittel-Mehrheit gefordert habe. Das Ergebnis der PISA-Studie habe eine breite Schuldiskussion ausgelöst, die Zukunftskommission habe entscheidende Impulse zur Reform gegeben. Rossmann betonte aber auch, dass Schule Kontinuität braucht und wandte sich gegen "schulische Experimente". Sie beklagte, dass die Kinder noch nie so vielen Ablenkungen ausgesetzt seien wie heute, dass sie wichtige Kulturtechniken nicht mehr erlernten und dass Phantasie und Kreativität zu kurz kämen. Es gälte, in Wahrnehmung bildungspolitischer Gesamtverantwortung, die Kinder auf das Leben - und auf einen dynamischen Arbeitsmarkt - vorzubereiten, auch im Sinne einer Entwicklung der sozialen und emotionalen Intelligenz. Die Abgeordnete riet dazu, die Vorschläge der Zukunftskonferenz umzusetzen: Sprachliche Frühförderung schon vor der Volksschule, individuelle Förderung, geregelte Nachmittagsbetreuung (bei Wahlmöglichkeit der Eltern), die Einführung von Fächerbündeln, die Einführung von Qualitätskontrollen und die bessere Nutzung der Unterrichtszeiten.

Der Bildungssprecher der Grünen, Abgeordneter BROSZ, begann seine Rede mit einer doppelten Kritik. Zum einen habe es in den letzten Jahren in zentralen Fragen eine Blockade durch die Zwei-Drittel-Mehrheit gegeben, zum anderen aber seien wichtige schulische Fragen - Stundenkürzungen, Lehrpläne etc. - im Wege von Verordnungen erledigt und im Parlament nicht einmal debattiert worden. Für seine Fraktion sei die Abschaffung der Zwei-Drittel-Mehrheit wichtig, betonte Brosz, und wandte sich dann dem zentralen Diskussionsthema der letzten Tage zu, der Frage der "angemessenen" Differenzierung. Von den Sozialdemokraten werde der entsprechende Passus so interpretiert, dass damit die gemeinsame Schule der 10- bis 15jährigen möglich sei, nach Ansicht der Volkspartei sei sie hingegen nicht möglich. An diesem Punkt ortete Brosz "das pure Versagen der Politik in diesem Haus". In Finnland seien 20 % der Grundschüler in Fördermaßnahmen, in den beiden untersten Klassen sogar 30 %, führte Brosz weiter aus. Nur bei 7 % werde schließlich festgestellt, dass sie das schulische Ziel nicht erreicht hätten - in Österreich seien es hingegen 20 %. Im Budget aber gebe es keinen Euro mehr für Förderungsmaßnahmen.

Ähnlich wie vor ihm Gusenbauer, appellierte auch Abgeordneter Brosz an den Bundeskanzler, auf den geplanten Auftritt im Fernsehen zu verzichten.

Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer wertete den Tag der Beschlussfassung über den Wegfall der Zwei-Drittel-Mehrheit als "erfreulichen Tag für das gute österreichische Schulwesen und Schulsystem". Eine Blockade werde überwunden, und es gebe mehr Sicherheit. Die Unterrichtsministerin sprach von einem Meilenstein in der Bildungspolitik und hielt gegenüber der SPÖ fest, dass Österreich ein gutes und optimal durchlässiges Schulsystem habe, in dem 50 % der Maturanten aus der Hauptschule kommen. "Die Hauptschule ist eine gute Schule", unterstrich Ministerin Gehrer. Man sei schon in der Vergangenheit von einer Anordnungskultur im Schulwesen zu einer Vereinbarungskultur übergegangen, habe den Schulen Autonomie eingeräumt, wesentlich mehr Lehrer eingestellt und die Schulen technologisch bestens ausgestattet. Alle Schulen haben Internetanschluss, jeweils einen PC für fünf Schüler und 11.000 Schüler werden schon heute an Notebooks unterrichtet.

Die Ressortleiterin unterstrich ihre Absicht, das gute österreichische Gymnasium zu erhalten und verwies auf jüngste Erfolge der Universitäten, die ihre Absolventenzahlen um 31 % erhöhen konnten. Bei den Fachhochschulen wurden die Absolventenzahlen verdoppelt.

Regierung und Parlament schaffen nun die Voraussetzungen für noch bessere Bildungsmöglichkeiten. Mit dem Fall der Zweidrittelmehrheit können die Vorschläge der Zukunftskommission optimal umgesetzt werden. Nicht für alles brauche man aber ein Gesetz, vieles könne man per Verordnung oder Erlass regeln. Wer reformieren wolle, müsse Lehrer und Direktoren motivieren, sagte die Ministerin. Gegen die Ganztagsschule spricht laut Gehrer, dass es nicht gut sei, die Schule gänzlich vom Familienleben abzutrennen. Es brauche ein ständiges Miteinander. Die Kinder sollten nicht den ganzen Tag in der Schule sein, sie brauchen auch Zeit für Sport und Erholung. Berufstätigen Eltern sollen ein Angebot für die Nachmittagsbetreuung haben, sie sollen aber vollkommene Wahlfreiheit behalten, ob und in welchem Ausmaß sie die Nachmittagsbetreuung in Anspruch nehmen wollen.

"Wir wollen die Kinder bereits im Kindergarten fördern und Quereinsteiger sprachlich fördern", kündigte die Ressortleiterin an,  Schulen mit Schwerpunkten sollen dies in der Schulbezeichnung zum Ausdruck bringen können und Sonderschulen in Förderschulen umbenannt werden.

Die Bildungsministerin bekannte sich dazu, die Schulgeldfreiheit, das öffentliche Schulwesen, das Konkordat und das differenzierte Schulsystem in der Verfassung festzuschreiben und sprach von einem guten Kompromiss, von einem guten Tag für die Schüler, Eltern und Lehrer in Österreich.

Abgeordneter NEUGEBAUER (V) skizzierte die historische Entwicklung der österreichischen Schulgesetze seit Maria Theresia und würdigte die Leistung von Unterrichtsminister Drimmel, der mit seinen Schulgesetzen das gesamtösterreichische Schulwesen abgesichert habe. Neugebauer bekannte sich nachdrücklich zur Einführung der Schulpartnerschaft zwischen Eltern, Lehrern und Schülern unter Minister Moritz Mitte der achtziger Jahre und meinte, nun sei die Zeit reif für eine Entscheidung gegen die Zweidrittelmehrheit bei Schulgesetzen unter gleichzeitiger Fixierung von Schuldgeldfreiheit, des öffentlichen Schulwesens, des Religionsunterrichts und einer angemessenen Differenzierung des Schulsystems in der Verfassung.

Neugebauer sprach den Wunsch aus, dass Schüler ihre Interessen künftig nicht nur über Schülerfunktionäre, sondern vermehrt selber artikulieren. Der Redner erinnerte auch an die Verantwortung der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder - "Erziehung und Unterricht können nicht nur im Klassenzimmer stattfinden" - und deponierte die Klagen vieler Lehrer über mangelnden Kontakt zwischen Eltern und Schule.

Abschließend wies der Abgeordnete auf den enormen Umfang des Schulunterrichtsgesetzes hin und regte die Bildung einer Arbeitsgruppe an, die "das überbordende Schulunterrichtsgesetz mit frischem Wind durchflutet". Als ein zentrales Ziel der politischen Bildung sah es Neugebauer an, die Aufgeschlossenheit der Schüler für das politische Denken anderer zu fördern.

Abgeordneter Dr. NIEDERWIESER (S) suchte Antworten auf die Frage, wer die anfängliche Auseinandersetzung um den Fall der Zweidrittelmehrheit bei den Schulgesetzen gewonnen habe, und nannte als Antwort: "Alle, die diesem Gesetz zustimmen". Für die SPÖ sei es wichtig, dass die Schule nun ausdrücklich die Aufgabe habe, für eine bestmögliche Bildung unabhängig von sozialer Lage und finanziellem Hintergrund der Schüler zu sorgen. Wie notwendig dies sei, zeige die Tatsache, dass 63 % der AHS-Schüler Eltern mit Matura haben, aber nur 30 % der Hauptschüler.

Die vieldiskutierte Frage, was der Begriff "angemessene Differenzierung" bedeute, beantwortete Niederwieser mit dem Hinweis darauf, dass der Begriff "angemessen" bereits im Bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Jahr 1811 definiert sei. Man könne nicht ein für allemal festschreiben, was für die Kinder gut sei, die Schule brauche permanente Veränderung, der Gesetzgeber werde daher immer wieder mit einfacher Mehrheit zu definieren haben, was angemessene Differenzierung bedeute. Die SPÖ stehe zu diesem Kompromiss, den man nicht gering achten sollte. Das Motto heiße nun: "Bahn frei für Schulreformen!"

Abgeordnete Dr. BLECKMANN (F) fragte, warum es so lange gedauert habe, bis die Zweidrittelmehrheit bei Schulgesetzen nun endlich fallen könne, und bedauerte, dass ÖVP und SPÖ diesen Schritt nicht schon in der Zeit ihrer gemeinsamen Regierungsverantwortung gesetzt haben. Die PISA-Studie zeige, dass es dafür jetzt eigentlich schon zu spät sei. Nun gehe es darum, rasch Veränderungen herbeizuführen, wobei die Abgeordnete für die Erhaltung des differenzierten Schulsystems, für die Förderung der Begabten, für die Stärkung der Schwachen und gegen die Gesamtschule plädierte. Das Schulsystem müsse flexibler werden, das Sport- und Bewegungsangebot für die Kinder sei zu erhöhen und die Schule weiter zu entpolitisieren, auch die Schulverwaltung, die es überdies zu vereinfachen gelte. Sie erwarte rasche Gespräche über Reformen und Gesetze, die mit einfacher Mehrheit beschlossen werden können.

Abgeordnete MANDAK (G) kündigte an, dass die Grünen dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen werden, obwohl sie die Aufhebung der Zweidrittelmehrheit bei Schulgesetzen seit vielen Jahren verlangen. Dieses Gesetz sei zu unklar, es schiebe politische Verantwortung an den Verfassungsgerichtshof ab. Zur überraschenden Verbrüderung von SPÖ und Kirche merkte die Rednerin an, sie würde sich derartiges Engagement der Kirche auch in sozialen Fragen und bei Menschenrechtsthemen wünschen. Der Gesetzentwurf lasse einerseits zentrale Fragen offen, enthalte andererseits aber fragwürdige Festlegungen, etwa darauf, dass Schüler zur "Pflichttreue" erzogen werden sollen. 

Staatssekretär Mag. SCHWEITZER zeigte sich verwundert darüber, dass es die SPÖ verabsäumt habe, konkrete Vorschläge für die große Bildungsreform zu unterbreiten und legte seinerseits folgende Vorschläge vor: Jede Schule sollte verpflichtet werden, ein Schulprogramm zu formulieren und Schulbilanzen zu erstellen, in denen sie Rechenschaft über die Erreichung ihrer Ziele geben. Der Staatssekretär versprach sich davon eine Steigerung der Bildungsqualität und eine Qualitätssicherung an den Schulen. Die Lehreraus- und -fortbildung soll an den neuen Pädagogischen Hochschulen auf ein höheres Niveau gehoben und die Eignung junger Menschen, den Lehrberuf ein Leben lang erfolgreich ausüben zu können, überprüft werden. Statt Routinekompetenzen soll die Schule in Zukunft stärker auch die Fähigkeit zum Learning by doing vermitteln und generell das methodische Repertoire erweitern. Fächerbündel sollen eingeführt und die Leistungsbeurteilung reformiert werden, so dass nicht nur kurzfristig angeeigneter Lehrstoff abgefragt werde. Schließlich unterstrich der Staatssekretär sein persönliches Anliegen, das Bewegungsangebot an den Schulen zu verstärken und die Schüler an die tägliche Bewegung zu gewöhnen.

Abgeordneter Dr. SONNBERGER (V) brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass künftig 95 % der Schulgesetze mit einfacher Mehrheit geändert werden können, begrüßte auch die Beibehaltung eines differenzierten Schulwesens und die Einführung der Fünftagewoche, um den Kindern Erholung und ein intensiveres Familienleben zu ermöglichen. Berufstätige Eltern brauchen eine Tagesbetreuung der Kinder, sagte der Abgeordnete, betonte aber, dass dabei die Freiwilligkeit wichtig sei. "Die Mehrheit der Eltern ist gegen eine verpflichtende Gesamtschule mit verschränktem Unterricht". Beim Thema Schule und Bewegung riet der Abgeordnete, die Kooperation mit den Sportvereinen zu intensivieren. Grundsätzlich sah sich der Abgeordnete sehr viel Anlass, den österreichischen Pädagogen für ihre hervorragende Arbeit und für ihren Einsatz bei ehrenamtlichen Tätigkeiten zu danken.

Abgeordnete Mag. KUNTZL (S) hielt es für sehr gut, dass in einer der umstrittensten Fragen ein Kompromiss gefunden werden konnte. Damit werde ein Schulsystem ermöglicht, "das mit innerer oder äußerer Differenzierung konstruiert" ist. Es könne nun auch die gemeinsame Schule nach dem finnischen Vorbild eingeführt werden, also jenes Modell, dass am besten abgeschnitten hat. Nun gehe es darum, sich zu überlegen, welche Schritte in der Zukunft gesetzt werden und wie mit dieser neuen Bewegungsfreiheit umgegangen werden soll, führte Kuntzl weiter aus. Wichtig wäre es ihrer Ansicht nach, die Frühförderung und die Förderstunden in den Schulen auszubauen. Außerdem sollte man den Kindern das Sitzenbleiben ersparen; hier werde sehr viel Geld verschwendet.

Die Bundesregierung habe dafür gesorgt, dass nun endlich die jahrlange Blockade in der Bildungspolitik aufgehoben wird, hielt Abgeordneter SCHEIBNER (F) den Oppositionsrednern entgegen. Auch wenn er sich gewünscht hätte, dass die antiquierte Zweidrittelmehrheit im Schulbereich gänzlich abgeschafft wird, werde heute ein erster wichtiger Schritt gemacht. Weitere Reformschritte müssen aber folgen, forderte Scheibner, denn es gehe darum, ein modernes, vielfältiges und flexibles Bildungssystem zu schaffen, das den jungen Menschen eine gute Ausbildung garantiert. Im großstädtischen Bereich, wie gerade in Wien, könne er sich nicht vorstellen, dass die Gesamtschule als einzig mögliche Schulform angeboten wird, merkte Scheibner weiter an.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) sprach von einem Rückfall in alte Zeiten, da heute die Zweidrittelmehrheit im Schulbereich abgeschafft und gleichzeitig wieder eingeführt wird. Es sei nicht einzusehen, warum es gerade bei der Schulorganisation eine Blockademöglichkeit geben soll. Die Verfassung werde damit "zur Schutthalde für ungelöste politische Fragen und Probleme", kritisierte die G-Rednerin. Was unterscheide die Schulpolitik zum Beispiel von den Universitäten? - Gar nichts. Es handle sich um eine reine politische Blockadepolitik zwischen ÖVP und SPÖ, urteilte Glawischnig.

Bundesministerin GEHRER ging auf die Aussagen ihrer Vorrednerin ein und wies auf genauen Verfassungstext hin. Dort steht, dass der Gesetzgeber ein differenziertes Schulsystem vorzusehen hat. Die Primarschule gehe bis zur vierten Schulstufe, danach beginnt die Sekundarschule und ab dem 10. Lebensjahr gibt es eine weitere angemessene Differenzierung, erläuterte Gehrer. Die oberste Priorität dabei ist, die Schulqualität weiter zu entwickeln. Dann werden Gespräche über die Schulorganisation geführt. Die Bundesministerin wies darauf hin, dass es bereits eine Reihe von Schulversuchen, z.B. die kooperative Mittelschule, gibt. Gleichzeitig habe man aber versucht, die guten Hauptschulen, Gymnasien und berufsbildenden Schulen abzusichern. Der nächste Schritt werde sein, die wichtigsten zehn Bereiche, die im Zukunftsdialog besprochen wurden, umzusetzen.

Abgeordneter Dr. BRADER (V) bezeichnete die Vorlage als gute Lösung, weil damit die Basis für eine qualitätsvolle Weiterentwicklung des an sich schon guten österreichischen Schulwesens geschaffen wurde. Es gelte die Rahmenbedingungen für die Bildungsprozesse so zu gestalten, dass jedes Kind entsprechend seiner einmaligen Individualität daran teilnehmen kann. Deshalb müsse man den kognitiven, körperlichen und psychosozialen Entwicklungsstand des Kindes genau kennen. Die geplante Vorverlegung der Schuleinschreibung sei dann zu begrüßen, wenn im Falle festgestellter Entwicklungsverzögerungen auch die nötigen Fördermaßnahmen angeboten werden können, argumentierte er. In diesem Zusammenhang werde es notwendig sein, die diesbezüglichen Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden zu koordinieren. Ein optimales Modell habe sich auf diesem Gebiet in Niederösterreich etabliert, hob Brader hervor, da jedem Kind mit besonderen Bedürfnissen ein entsprechendes Förderangebot gemacht werden kann.

Der heutige Beschluss bedeute, dass vor den nächsten Wahlen jede Partei erstmals den Wählerinnen und Wählern Angebote in Sachen Schulpolitik machen kann, die wirklich Realität werden können, konstatierte Abgeordneter BROUKAL (S). Den Sozialdemokraten sei es ein Anliegen, dass die Schule in Zukunft mehr tut für die jungen Menschen. So soll der Schule wieder das Geld gegeben werden, das sie braucht, um das beste für die Kinder leisten zu können. Derzeit stehen viel zu wenige Mittel für z.B. für den Förderunterricht zur Verfügung, obwohl die Zahl der Kinder in Klassen wieder steige. Außerdem sind 4.500 Lehrer in Frühpension gegangen und 10 % der Schulstunden gekürzt worden. Die SPÖ verspreche auch allen Familien, die es brauchen, einen Ganztagsplatz für ihre Kinder anzubieten. Es müsse auch den Gemeinden geholfen werden, die Schulen für den Nachmittagsunterricht einzurichten. Denn die Ganztagsschule soll in ganz Österreich angeboten werden können, und nicht nur in den reichen Gemeinden, unterstrich Broukal.

Es wurden Entscheidungen getroffen, die dazu beitragen, dass sich in der Bildungspolitik etwas bewegt, erklärte Abgeordneter DI SCHEUCH (F). Diese neue Bewegungsfreiheit bringe aber nicht nur Chancen, sondern auch Risiken mit sich. Die SPÖ habe zwar fünf Jahre lang gebraucht, um endlich die Blockadepolitik aufzugeben, aber nun könne dieser wichtige Schritt gesetzt werden. Aus persönlicher Erfahrung sei es ihm ein Anliegen, eine noch stärkere Verbindung zwischen Kindergarten und Volksschule herzustellen. So könnte man z.B. die Stichtagsregelung überdenken, da es doch vielmehr darauf ankomme, wie weit ein Kind entwickelt ist. Weiters muss gewährleistet werden, dass die Kinder in der Volksschule wirklich ein ordentliches Rüstzeug bekommen und Schreiben, Lesen und Rechnen lernen.

Noch immer sei die Frage offen, ob nun eine gemeinsame Schule möglich ist, gab Abgeordnete SBURNY (G) zu bedenken. Die ÖVP sage nämlich Nein und die SPÖ sage Ja dazu; und diese Unsicherheit wird noch in einem Verfassungsgesetz festgeschrieben. Die Zukunftskommission habe in ihrem Bericht festgestellt, dass ein echter Fortschritt nur dann möglich ist, wenn eine Gemeinschaftsschule flächendeckend eingerichtet wird. Derzeit basiere das österreichische Schulsystem traditionell, strukturell und pädagogisch auf den Prinzipien Aussonderung und Selektion. Bedauerlich sei, dass bei der ganzen Diskussion immer noch ideologische Fragen im Mittelpunkt stehen und nicht das Wohl der Kinder.

Abgeordnete Dr. BRINEK (V) rief der Kollegin Sburny in Erinnerung, dass das PISA-Ergebnis der ersten Studie auch Länder mit einem ausdifferenzierten Gesamtschulmodell ausgewiesen hat, die weit hinter Österreich lagen. Außerdem belege eine OECD-Studie, dass gerade in multikulturellen Gesellschaften Einheitsschulsysteme nicht zielführend seien. Es gehe daher nicht darum, Modelle von anderen Ländern bloß zu kopieren, sondern es müssen die Bildungsforschungsergebnisse ernst genommen werden. Ein solches Ergebnis besagt, dass die Kernaufgabe der Schulen, nämlich der erziehende Unterricht, wieder stärker in den Mittelpunkt rücken müsse. Mit dem heutigen Ergebnis werde einerseits Sicherheit und Verlässlichkeit und andererseits die Möglichkeit für Reformoffenheit geschaffen, schloss Brinek.

Sie finde es schade, dass nicht alle Parteien die Freude über die Abschaffung der Zweidrittelmehrheit teilen, meinte Abgeordnete HEINISCH-HOSEK (S). Die Sozialdemokraten treten für eine Ganztagsschule ein, d.h. eine verschränkte Form mit sinnvoller Abwechslung von Schulzeit, Freizeit, Projektzeit, Förderzeit usw., denn Schule soll sowohl Lernraum als auch Lebensraum sein. Heinisch-Hosek war überzeugt davon, dass die Kinder dadurch weniger Leistungsstress haben, da sie alles in der Schule erledigen und dadurch noch Zeit für ihre Freunde und Eltern haben. In solch einer Schule werden die Schwächeren gefördert und die Besseren gefordert, hob die Rednerin hervor. Bedingung dafür sei jedoch, dass die Arbeitsbedingungen für die Lehrer in der Schule verbessert werden.

Abgeordnete DI ACHLEITNER (F) war nicht der Auffassung, dass die verschränkte Ganztagsschule das Allheilmittel in der Bildungspolitik ist. Ein modernes Bildungssystem müsse die Kinder in die Lage versetzen, mit den komplexen und sich schnell ändernden Herausforderungen umgehen zu können; dabei gehe es in erster Linie um die Qualität und nicht nur um die Quantität. Es sei daher positiv, dass durch den Wegfall der Zweidrittelblockade rasch reagiert werden könne, ohne dass an den Grundfesten gerüttelt wird. Man dürfe sich aber jetzt nicht zurücklehnen, sondern nun müssen die Ergebnisse des Reformdialogs umgesetzt werden, forderte Achleitner.

Abgeordnete Mag. WEINZINGER (G) warf Bundesministerin Gehrer vor, dass sie jeden Vorschlag mit den Hinweis darauf, dass "es eh alles gut sei" abschmettere. Aufgabe der Politik sei es jedoch, den Blick darauf zu richten, was verbessert werden könne. Einen Nachholbedarf gab es ihrer Ansicht nach zum Beispiel bei der Ausbildung von Mädchen, die laut der PISA-Studie in den naturwissenschaftlichen Fächern schlechter abgeschnitten haben als Burschen. Bedauerlich sei auch, dass Gehrer der Ganztagsschule eine klare Absage erteilt hat. Sie könne die Position nicht nachvollziehen, wonach sich Eltern angeblich nicht mehr für die schulischen Leistungen ihrer Kinder interessieren, wenn diese ihre Aufgaben schon in der Schule gemacht haben.

Abgeordnete SCHIEFERMAIR (V) verwahrte sich gegen die Unterstellung, Mütter würden nicht gerne die Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder übernehmen. Hinsichtlich der Schulmaterie sprach sich die Rednerin für ein "Bewahren, wo möglich, verändern, wo nötig" aus. Besonderes Augenmerk legte die Rednerin dabei auf den Religionsunterricht, der den jungen Menschen die grundlegenden Werte unserer Gesellschaft vermittle, und auf die Durchlässigkeit des Schulsystems.

Abgeordneter Mag. GASSNER (S) sprach sich für eine zweckmäßige sprachliche Förderung aus und nannte diesbezügliche konkrete Beispiele. Diese Förderung brauche aber auch entsprechende finanzielle Unterstützung, weshalb der Bund hier seine Verantwortung wahrnehmen müsse. Der Redner regte an, die Postdividende dem Schulwesen zur Verfügung zu stellen.

Abgeordnete ROSENKRANZ (F) zeigte sich enttäuscht über den gefundenen Kompromiss zur Gesamtschule, da die diesbezügliche Formulierung von jeder Seite so interpretiert werde, wie sie es gerne möchte. Die Materie werde wohl vor dem Verfassungsgerichtshof landen, eine wirkliche Lösung sei also nicht gefunden worden, so Rosenkranz.

Abgeordneter BROSZ (G) brachte einen Abänderungsantrag ein, der es der ÖVP und der SPÖ ermöglichen solle, ihren ursprünglichen Intentionen betreffend einer generellen Abschaffung der Zweidrittelmehrheit zustimmen zu können.

Abgeordnete FELZMANN (V) zeigte sich überzeugt, dass man heute einen gemeinsamen Weg einschlagen werde, der das heimische Bildungssystem für die künftigen Aufgaben entsprechend rüsten werde. Insbesondere setzte sich die Rednerin mit der dualen Ausbildung auseinander, um schließlich einen Mehrparteien-Abänderungsantrag einzubringen, der die Resultate der zuletzt geführten Konsultationen enthielt.

Abgeordnete Mag. LAPP (S) nannte die gewählte Vorgangsweise einen tragfähigen Kompromiss, von dem die Schülerinnen und Schüler profitieren würden. Sie erinnerte daran, dass die diesbezügliche Diskussion von SP-Parteichef Gusenbauer initiiert worden sei.

Abgeordnete Dr. WOLFMAYR (V) nannte die Vorlage ein "historisches Gesetzeswerk" und zeigte sich erleichtert, dass in diese Frage endlich Bewegung gekommen sei. Die Schule werde von diesem Schritt profitieren.

Abgeordneter RIEPL (S) votierte für die Annahme der Vorlage, die einen positiven Schritt darstelle, trat aber gegen eine allfällige Privatisierung der Lehrerfortbildung ein. Konkret setzte sich der Redner mit der Berufschule auseinander.

Abgeordneter PRINZ (V) erklärte, man müsse das Bildungssystem und die Bildungsinhalte jeweils den gegebenen Erfordernissen anpassen, das differenzierte Schulsystem selbst könne aber nur in einem breiten Konsens geändert werden. Die heimischen Schulen solle man nicht schlechtreden, sie leisteten hervorragende Arbeit.

Abgeordnete SCHASCHING (S) meinte, man müsse die heimische Schule weiter verbessern, weshalb es sie freue, dass heute eine wesentliche Reformbarriere endlich falle. Die Kinder, so führte Schasching aus, sollten im Mittelpunkt der Reformbestrebungen stehen.

Abgeordnete FUHRMANN (V) ging von einem Schritt in die richtige Richtung aus und wies auf wichtige Verbesserungen hin, die am Schulsektor zuletzt erzielt werden konnten.

Die Abgeordneten Dr. RADA, Mag. MUTTONEN und FAUL (sämtlich S) unterstrichen jeweils den Standpunkt ihrer Fraktion. Abgeordnete ROSSMANN (F) vertrat die Ansicht, dass mit diesem großen Schritt viele wichtige Reformen möglich sein werden. Zudem sollte eine schlanke Verwaltung und eine Entpolitisierung der Schulgremien angestrebt werden. In diesem Sinne brachte die Rednerin einen V-F-Entschließungsantrag ein, in welchem die Ministerin u.a. ersucht wird, eine Arbeitsgruppe zur Durchforstung des Schulrechts einzusetzen.

Abgeordnete MANDAK (G) signalisierte die Zustimmung ihrer Fraktion zu dem eben eingebrachten Antrag. Auch ihre Fraktion spreche sich für eine schlankere und entpolitisierte Schulverwaltung aus.

In der Abstimmung wurde die Vorlage in der Fassung des Mehrparteienabänderungsantrags mehrheitlich angenommen, der G-Abänderungsantrag blieb in der Minderheit. Der V-F-Entschließungsantrag erhielt die erforderliche Mehrheit.

(Schluss Schulgesetze/Forts. NR)


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