Parlamentskorrespondenz Nr. 524 vom 20.06.2005

HEARING ZUM ASYLGESETZ IM INNENAUSSCHUSS: EXPERTEN UNEINIG

Raschauer sieht alle Verfassungswidrigkeiten beseitigt

Wien (PK) - Der Innenausschuss des Nationalrats setzte am Nachmittag sein Expertenhearing über das Fremdenrechtspaket 2005 fort. Auf dem Prüfstand des zweiten Hearing-Teils standen das Asylgesetz und die zugehörigen Teile des Fremdenpolizeigesetzes, wobei der Regierungsentwurf von den Expertinnen und Experten im Ausschuss zum Teil vollkommen konträr beurteilt wurde. So meinten sowohl Universitätsprofessor Bernhard Raschauer als auch Rechtsexperte Alfred Schramm, der vorliegende Gesetzentwurf enthalte keine echten verfassungsrechtlichen Mängel mehr, eine Meinung, die andere ExpertInnen jedoch nicht teilen wollten. Besonders kritisiert wurden etwa die neuen Schubhaftbestimmungen, die der österreichische UNHCR-Vertreter Gottfried Köfner als übertrieben und unverhältnismäßig wertete. Seitens der evangelischen Diakonie plädierte Christoph Riedl für eine Nachdenkpause.

Zur umstrittenen Frage der Zwangsernährung nahm u.a. der Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes Georg Lienbacher Stellung und betonte, eine solche sei gegen den ausdrücklichen Willen des Schubhäftlings aus grundrechtlichen Überlegungen auch in Zukunft nicht möglich.

Insgesamt hatten die Abgeordneten 14 Expertinnen und Experten - unter ihnen den Leiter des Bundesasylamtes Wolfgang Taucher, den Vorsitzenden des Menschenrechtsbeirates Erwin Felzmann, den Neurologen Wolfgang Soukop sowie VertreterInnen von Flüchtlings- und Hilfsorganisationen und Rechtsexperten - eingeladen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem neuen Asylgesetz auseinandersetzten.

Eingeleitet wurden die Statements der Expertinnen und Experten von Gottfried Köfner, dem Vertreter des UNHCR in Österreich. Köfner äußerte sich zwar über die Gesprächsbereitschaft des Innenministeriums erfreut, seiner Meinung nach bestehen aus der Perspektive des Internationalen Flüchtlingsrechts aber nach wie vor zwei gravierende Vorbehalte gegen das Asylgesetz: übertriebene Schubhaftbestimmungen und mangelnder Datenschutz.

Köfner zufolge gehen die Schubhaftbestimmungen vor allem für unbescholtene Asylwerber zu weit. Rein auf Verdacht hin, dass ein anderer Staat für den Flüchtling zuständig sei, jemanden in Schubhaft zu nehmen, sei nicht gerechtfertigt, betonte er, das UNHCR lehne die Verhängung von Schubhaft zu rein bürokratischen Zwecken dezidiert ab. Zuständigkeiten müssten unter humaneren Bedingungen zu klären sein. Gestrichen werden sollte nach Meinung Köfners außerdem Absatz 11 des § 57 Asylgesetz, wonach unter bestimmten Bedingungen eine Übermittlung personenbezogener Daten des Flüchtlings in sein Herkunftsland möglich ist.

Wolfgang Taucher, Leiter des Bundesasylamtes, hielt fest, das Bundesasylamt wünsche sich Kontinuität bei jenen Bestimmungen, die sich in der Praxis bewährt hätten, und sinnvolle Modifizierungen, wo es Probleme gebe. So hat es sich ihm zufolge bewährt, dem eigentlichen Asylverfahren ein Zulassungsverfahren in Erstaufnahmestellen voranzustellen. Dieses System werde, so Taucher, auch vom Verfassungsgerichtshof als zulässig erachtet.

Gut funktioniert Tauchers Darstellung zufolge auch das Konsultationsverfahren zwischen den Staaten zur Klärung der Frage, wer für einen Flüchtling zuständig ist. Österreich sei derzeit aber oft nicht in der Lage, Asylwerber tatsächlich zurückzustellen. Hier sieht Taucher Handlungsbedarf.

Georg Lienbacher, Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes, schickte seiner Stellungnahme voraus, er könne nur verfassungsrechtliche Problemfelder aufzeigen, nicht aber definitiv beurteilen, ob einzelne Punkte des Asylgesetzes verfassungskonform beziehungsweise verfassungswidrig seien. Unter anderem befasste er sich mit der Schubhaftdauer und meinte, aus Sicht des Verfassungsdienstes handle es sich bei der vorgesehenen Schubhaftdauer um Höchstgrenzen, die der Einzelfallprüfung unterliegen. Eine exakte verfassungsmäßige Grenze gebe es nicht.

Eine Zwangsernährung von Schubhäftlingen gegen deren ausdrücklichen Willen kommt Lienbacher zufolge auch in Zukunft nicht in Frage. Schubhäftlinge, die ihren Gesundheitszustand selbst herbeigeführt haben, können allerdings in eine medizinische Einrichtung überwiesen werden, wenn ihre ambulante Behandlung oder die Behandlung im Haftraum nicht möglich sei. Dabei sei aber stets eine Einzelfallprüfung erforderlich.

Erwin Felzmann, Vorsitzender des Menschenrechtsbeirates, räumte ein, dass das Innenministerium zahlreiche Kritikpunkte, die im Begutachtungsverfahren vorgebracht worden seien, im Regierungsentwurf berücksichtigt habe. So gibt es seiner Ansicht nach bei den Schubhaftbestimmungen Fortschritte gegenüber dem Ministerialentwurf. Allerdings hat der Menschenrechtsbeirat Felzmann zufolge noch einige Bedenken, so sollte die amtswegige Haftprüfung nicht erst nach sechs Monaten, sondern früher erfolgen, zudem habe die Missachtung der Mitwirkungspflichten von Asylwerbern zum Teil unverhältnismäßig strenge Folgen. 

Bereits mehrfach vorgeschlagen hat der Menschenrechtsbeirat laut Felzmann darüber hinaus, Ersteinvernahmen von Asylwerbern nicht automatisch durch uniformierte Beamte vorzunehmen. Erfahrungen zeigten, dass gerade die am schwersten Betroffenen, traumatisierte Flüchtlinge, Probleme mit Uniformierten hätten.

Zum Thema Zwangsernährung merkte Felzmann an, dies sei für ihn eher ein Vollzugsproblem als ein Problem des Gesetzgebers. So komme es vor allem in Wien zu Freipressungen durch Hungerstreiks, während man es in den anderen Bundesländern schaffe, Hungerstreikende zum Aufgeben zu bewegen.

Der ehemalige Fremdenpolizist Mathias Bitschnau betonte, es sei der richtige Weg, Häftlinge, die aus der Haft heraus Asylanträge stellen, in Schubhaft nehmen zu können. Das gleiche gelte für die Zwangsernährung von Hungerstreikenden, wobei er das, wie er sagte, als medizinische Maßnahme zum Schutz der Häftlinge sehe. Vorgesehene Durchsuchungsmöglichkeiten bei Asylwerbern wertete Bitschnau als wichtige Möglichkeit, um Reiserouten von Fremden zu eruieren. Generell betonte er, Menschen, die sich illegal in Österreich aufhalten, müssten härter behandelt werden.

Rechtsanwalt Georg Bürstmayr qualifizierte die Tendenz, im Bereich des Fremdenrechtes "mit relativ scharfen Maßnahmen" vorzugehen, als beunruhigend. Für ihn stehen manche Bestimmungen des Fremdenrechtspakets im Konflikt mit diversen Grundrechten.

Unter anderem kritisierte Bürstmayr die vorgesehene Erstbefragung von Asylwerbern durch uniformierte Beamte. Für viele tschetschenische Flüchtlinge gehöre es zur Überlebensgrundhaltung, uniformierten Beamten zu misstrauen, skizzierte er, die Chance sei daher groß, dass sie in Erstbefragungen falsche Angaben machten. Dies hätte in weiterer Folge aber negative Konsequenzen für sie. Als extrem problematisch erachtet Bürstmayr auch die Einleitung des Ausweisungsverfahrens durch einen Aktenvermerk.

Ingrid Egger, Psychotherapeutin und Mitglied des Vereins Zebra in Graz, äußerte Bedenken bezüglich der möglichen Zurückschiebung von traumatisierten Asylwerbern in sichere Drittstaaten im Zuge des Dublin-Verfahrens. Man könne nicht davon ausgehen, dass es in allen Staaten ausreichende Zugangsmöglichkeiten zu Psychopharmaka und notwendigen psychotherapeutischen Behandlungen gebe, unterstrich sie.

Erweitern will Egger zudem den Kreis der Sachverständigen, die zu beurteilen haben, ob ein Flüchtling traumatisiert ist oder nicht. Sie will auch Psychologen und Psychotherapeuten einbeziehen. Zudem mahnte Egger die interkulturelle Kompetenz der Sachverständigen und den Einsatz qualifizierter Dolmetscher ein. Generell forderte sie eine bessere Betreuung traumatisierter Flüchtlinge.

Universitätsassistentin Lamiss Khakzadeh vom Institut für öffentliches Recht der Universität Innsbruck kritisierte die häufige Verwendung unbestimmter Begriffe und demonstrativer Aufzählungen im Asylgesetz. Zudem widersprechen einige Punkte des Gesetzes ihrer Meinung nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Gegen Aktenvermerke, wonach Schubhaftgründe vorliegen, müsste es Khakzadeh zufolge ein Rechtsmittel geben.

Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich, bedankte sich für die Kommunikationsbereitschaft seitens des Innenministeriums, übte aber gleichzeitig scharfe Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf. Sollte das Gesetz, so wie es vorliege, beschlossen werden, sei heute das Abschiedsfest für die Genfer Flüchtlingskonvention gewesen, meinte er. Patzelt hält es etwa für "einen himmelschreienden Tabubruch", in Österreich selbst zu definieren, was Flüchtlingseigenschaften seien. Er interpretiert die Bestimmungen des Asylgesetzes zudem so, dass Tschetschenen aufgefordert würden, sich mit ihrem Asylansuchen an Russland zu wenden.

Die Standardantwort ist laut Patzelt stets Schubhaft. Seiner Meinung nach kann es aber nicht wichtiger sein, traumatisierte Flüchtlinge innerhalb der EU zu verschieben als ihre seelischen Verletzungen sachkundig zu behandeln. Generell zeigte er kein Verständnis dafür, einer Menschengruppe, die nicht primär kriminell sei, nämlich Personen ohne österreichische Staatsangehörigkeit, mit Sonderpolizei- und -strafrecht zu begegnen.

Zum Thema Zwangsernährung sagte Patzelt, es sei selbstverständlich nicht erfreulich, wenn ein Staat seine Rechtsposition nicht durchsetzen könne, es gebe aber den Begriff der Verhältnismäßigkeit. Zwangsernährung als Heilbehandlung zu definieren, mache sie auch nicht menschenfreundlicher. Selbst wenn es stimme, dass Zwangsernährung auch in Zukunft nicht möglich sei, blieben die Bestimmungen bedenklich, da, so Patzelt, Androhen von Folter genauso menschenrechtswidrig sei wie Folter selbst. Abschließend äußerte sich Patzelt überzeugt davon, dass man die kritischen Punkte des Asylgesetzes mit wenig Mühe reparieren könnte.

Universitätsprofessor Bernhard Raschauer hielt fest, Österreich habe eine EU-Richtlinie umzusetzen. Das sei die Wurzel einiger der von den anderen Experten geäußerten Bedenken, meinte er. Zudem müsse man unterscheiden, was verfassungsrechtlich geboten sei und was humanitär wünschenswert wäre bzw. was bereits bisher geltendes Recht sei. Ihm zufolge sind etwa die administrative Kontrolle von Räumen und die Ersteinvernahme von Flüchtlingen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes keine Neuerung. Zweiteres wertete er zwar als "nicht schön", aber nicht verfassungswidrig.

Nach Ansicht Raschauers sind die wirklich sensiblen Punkte im vorliegenden Gesetzentwurf bereinigt worden. Echte verfassungsrechtliche Mängel seien in der nunmehrigen Vorlage nicht mehr enthalten, bekräftigte er. Mit dem von manchen kritisierten Aktenvermerk werde ein Schubhaftverfahren nicht eingeleitet, sagte Raschauer, sondern es werde das Einleiten des Verfahrens lediglich per Aktenvermerk dokumentiert.

Zur Frage der Zwangsernährung erklärte Raschauer, nach Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention sei ein Staat verpflichtet, Personen, die in seinem Gewahrsam sind, am Leben zu erhalten. Da die Voraussetzungen für Schubhaft vorliegen würden, sei Freilassen bei Hungerstreik keine Alternative.

Christoph Riedl, Vertreter der Evangelischen Diakonie, konstatierte, aktuelle Probleme im Asylbereich würden zu einem überwiegenden Teil durch Probleme beim Vollzug und durch Personalmangel verursacht. Der vorliegende Gesetzentwurf findet ihm zufolge jedenfalls nicht die Zustimmung der Diakonie. Das Asylgesetz werde zur Missbrauchsverhinderungsdoktrin, klagte er, jeder und jede Schutzsuchende werde unter Generalverdacht gestellt.

Konkret bedauerte Riedl etwa, dass sich Österreich vom Bekenntnis verabschiede, Asylanträge traumatisierter Flüchtlinge in Österreich zu prüfen. Seiner Meinung nach ist entsprechende therapeutische Behandlung nicht in allen Staaten zugänglich, zudem sei es Opfern von Gewalt nicht zumutbar, in Schubhaft genommen zu werden. Weiters forderte Riedl die Beibehaltung der aufschiebenden Wirkung aller Berufungen und früherer Haftprüfungen. Zwangsernährung widerspricht ihm zufolge der Menschenwürde.

Kritisch äußerte sich Riedl auch zur strafrechtlichen Ahndung von Beihilfe zum unbefugten Aufenthalt. Das sei aus Sicht von Flüchtlingshilfsorganisationen völlig inakzeptabel, erklärte er, es bestehe die Gefahr, dass ein Flüchtlingsberater, der für seine Klientel tätig werde, einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt sei. Riedl trat für eine Nachdenkpause ein, zuerst müsse man den Vollzug verbessern und erst dann etwaige Gesetzesänderungen überlegen.

Universitätsassistent Alfred Schramm vom Institut für österreichisches und europäisches Öffentliches Recht der Wirtschaftsuniversität Wien unterstrich, er finde im vorliegenden Entwurf "kaum noch Verfassungswidrigkeiten". Ziel des Gesetzentwurfs sei es, Missbrauchstatbestände einzuschränken, Asylverfahren aber dennoch menschenrechtskonform und rasch umzusetzen.

Schramm sieht beispielsweise keine Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit durch die befristete Bestellung von Richtern des Unabhängigen Bundesasylsenats. Auch die Gebietsbeschränkung von Asylwerbern ist für ihn menschenrechtskonform und nicht verfassungswidrig, ebenso die Bestimmung über die Zustellung ablehnender Asylbescheide.

Neurologe Wolfgang Soukop, Primarius im Krankenhaus Wiener Neustadt, setzte sich mit dem Thema Traumatisierung auseinander und sprach sich dafür aus, prinzipiell jedem Asylwerber sein Trauma zu glauben. Die ärztliche Beurteilung soll ihm zufolge vielmehr darauf ausgerichtet sein, die Schwere des Traumas, die Auswirkungen der Traumatisierung und etwaige Folgen bei Schubhaft und Zurückstellungen zu prüfen. Zudem solle darauf Bedacht genommen werden, ob in jenen Ländern, in die traumatisierte Flüchtlinge zurückgestellt werden sollen, eine entsprechende Behandlung garantiert sei. Psychopharmaka allein seien zuwenig, betonte Soukop.

Stefan Wallner, Vertreter der Caritas, ortet etliche Hindernisse, um das angestrebte Ziel der Regierung - effiziente schnelle Asylverfahren von hoher Qualität - zu erreichen. Für ihn sind jedoch nur 20 % der aktuellen Probleme durch die derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen bedingt, je 40 % führt er auf mangelnde Qualität des Vollzugs und fehlende Ressourcen zurück.

Der vorliegende Gesetzentwurf enthält nach Auffassung Wallners Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Ministerialentwurf, er sieht aber dennoch einige Kritikpunkte. Unverständlich ist es für ihn beispielsweise, dass künftig Schubhaft verhängt werden kann, wenn nach Abnahme des Fingerabdrucks des Flüchtlings der Verdacht bestehe, dass ein anderer Staat für den Asylwerber zuständig sei. Auch Zwangsernährung hält er für den falschen Weg. Ausdrücklich begrüßt wurde von Wallner die personelle Aufstockung beider Asylinstanzen.

(Forts./Debatte)