Parlamentskorrespondenz Nr. 274 vom 30.03.2006

Europa-Plenum: Österreichs Justizpolitik und europäische Sicherheit

Zweites Thema: Wachstum und Beschäftigung in Europa

Wien (PK) - Die heutige 144. Sitzung des Nationalrates war EU-Themen gewidmet. Auf der Tagesordnung des von Nationalratspräsident Andreas KHOL eröffneten Plenums standen zwei Punkte: "Erfolgreiche Justizpolitik zum Wohle Österreichs und der europäischen Sicherheit" und "Neue Impulse für die Beschäftigungs- und Wachstumspolitik in der Europäischen Union und in Österreich".

Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) leitete den ersten Tagesordnungspunkt ein, indem sie sich mit der Empfehlung von EU-Politikern an Österreich auseinandersetzte, in erster Linie an die Sicherheit Europas zu denken. Für eine österreichische Politikerin gehe es aber nicht nur um das europäische Gemeinwohl und um das Vertrauen der Bürger in die EU, sondern auch um das Wohl der Österreicher sowie darum, österreichische Forderungen in der EU durchzusetzen. In diesem Sinne wandte sich die Rednerin dagegen, die jeweiligen nationalen Strafrechtsordnungen in Europa voll zu vereinheitlichen. Dies wäre schwierig und würde zu unbefriedigenden Kompromissen führen. Als Beispiel nannte die Abgeordnete die Unterschiede zwischen der Strafvollzugspraxis in Großbritannien und in Österreich. Die Justizministerin sollte Vorstößen zur Vereinheitlichung des Strafrechtes in der EU daher entgegen treten. Ebenso erteilte die Rednerin Vorschlägen für die Einrichtung eines europäischen Staatsanwalts eine Absage, dies sei für Österreich nicht notwendig. "Wir sind mit unserem hoch entwickelten Rechtssystem in der Lage, alle Rechtsbrüche, auch jene gegen EU-Recht", zu verfolgen, zeigte sich die Richterin überzeugt. - Anders liegen die Dinge allerdings im Zivilrecht, wo die Rednerin Vereinheitlichungen und Anpassungen für sinnvoll und notwendig hält.

Österreich habe ein starkes Interesse daran, dass die Strafen ausländischer Täter in deren Heimatland vollzogen werden können, Partik-Pable will dabei aber sichergestellt sehen, dass weder österreichische Urteile unterlaufen noch überzogene Urteile anderer Staaten in Österreich vollzogen werden müssen.

Im Asylrecht gehe es um ein einheitliches EU-Recht, weil Österreich im Asylwesen große Lasten zu tragen habe. Die Österreicher verstünden nicht, dass kriminell gewordene Asylwerber nicht abgeschoben werden können, sagte Partik-Pable und erneuerte in diesem Zusammenhang den Vorschlag des ehemaligen deutschen Innenministers Schily nach Einrichtung von Auffanglagern für Asylwerber außerhalb Europas.

Justizministerin Mag. GASTINGER erinnerte an die Erwartung der BürgerInnen, vor illegaler Migration, Asylmissbrauch, Menschenhandel, Terrorismus und organisierter Kriminalität geschützt zu werden. Daher seien gemeinsame Lösungen auf EU-Ebene wichtig, denn diese Probleme könnten nur auf europäischer Ebene gelöst werden.

Die Ministerin erläuterte das diesbezügliche Arbeitsprogramm der EU, das "Haager Programm" und die darin vorgesehenen Maßnahmen für Freiheit, Sicherheit und Recht im Zeitraum 2007 bis 2010. Dazu gehört eine gemeinsame europäische Asylregelung bis 2010 und der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der nationalen Strafrechtssysteme, die beibehalten und nicht harmonisiert werden sollen. Dies deshalb, weil sich in den Strafrechten die nationalen Wertesysteme widerspiegeln. Es gibt ein gemeinsames europäisches Wertesystem, aber auch die Wertesysteme der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten. Auch bei den Bemühungen um Strafvollzug im Heimatland des Täters sei das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wichtig, betonte die Justizministerin.

Beim Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität informierte die Ministerin über die Intensivierung der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene und die dafür notwendige Vernetzung der Polizei- und Justizbehörden.

Dem Schwerpunktthema "Westbalkan" der österreichischen EU-Präsidentschaft entspreche ihr Bemühen, beim Aufbau des Justizwesens in diesen Ländern mitzuhelfen, weil dies der Demokratie und der Sicherheit in der Region diene. Österreich könne helfen, weil es dort aus historischen Gründen großes Vertrauen habe.

F-Klubobmann SCHEIBNER gab dann ein klares Bekenntnis zur internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik ab. Zwar sei gegenüber der EU vielfach Kritik angebracht, bei der Verbesserung der Sicherheitsstandards gebe es aber keine Alternative zur Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Dies deshalb, weil Drogenkartelle und Menschenhändler weltweit mit modernster Technologie organisiert werden. Daher dankte Scheibner der Justizministerin, die sich auf diesem Gebiet gleichermaßen für die Verbesserung der Sicherheit in Europa und in Österreich engagiere.

Dem Vorschlag nach Einrichtung von Aufnahmezentren für Asylwerber außerhalb Europas schloss sich Scheibner an und unterstrich die Bedeutung von Friedenseinsätzen des Bundesheeres in Krisenregionen. Es gelte, Perspektiven für die Menschen in diesen Regionen zu schaffen, das Gewaltpotential zu vermindern, Terrorprävention zu betreiben und dem Migrationsdruck entgegen zu treten.

Abschließend betonte der Abgeordnete die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik sowie des Eintretens für die gemeinsamen europäischen Grundwerte, sei es bei der Presse- und Meinungsfreiheit, sei es bei den Menschenrechten.

Abgeordnete Dr. FEKTER (V) sah die europäische Justizpolitik von der Verantwortung für die Sicherheit der Menschen und ihres Schutzes vor Kriminalität getragen. Kriminalität mache erfahrungsgemäß immer weniger Halt vor nationalen Grenzen, Europa brauche daher ein gemeinsames Strafregister und gemeinsame Stellen wie Europol und Eurojust. Nötig seien auch gemeinsame Standards im Strafrecht, etwa um zu verhindern, dass Menschen außerhalb Österreichs frei herumlaufen können, obwohl sie in Österreich strafbar geworden sind.

Auf aktuelle Themen eingehend, wies die Rednerin darauf hin, dass im Bereich der Finanzkriminalität Delikte in Europa verfolgt werden können, nicht aber in der Karibik. Dabei sprach Fekter ihr Bedauern darüber aus, dass die EU keinerlei rechtlichen Zugriff auf Steueroasen außerhalb Europas habe. Es gehe nicht nur um den Schutz der Bürger, sondern auch um den Schutz ihres Vermögens, sowie darum, die Finanzierung des Terrors mit Drogengeldern zu unterbinden.

Abgeordneter Dr. JAROLIM (S) merkte gegenüber seiner Vorrednerin an, dass seit gestern bekannt sei, wie lange Finanzminister Grasser bereits über den BAWAG-Skandal Bescheid gewusst habe und dass es sich bei den Praktiken der BAWAG um solche gehandelt habe, die man aus allen Banken kenne.

Seine Fraktion bekenne sich zur Europäischen Union, sagte Jarolim, und sprach deshalb sein Bedauern darüber aus, dass Bundeskanzler Schüssel "nichts aus seinem EU-Vorsitz macht". Er würde moderieren, aber keine Entscheidungen herbeiführen. Zugleich habe der Kanzler die höchste Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit in Österreich zu verantworten und verzichte darauf, österreichisches Know-how für Fortschritte auf europäischer Ebene einzusetzen. Heftige Kritik übte der Redner an der Kriminalitätsentwicklung in Österreich und an der Verschlechterung der Aufklärungsquote seit dem Jahr 2000. Die steigende Kriminalität von Asylwerbern führte Jarolim auch darauf zurück, dass Österreich die längsten Asylverfahren habe, weil sich die Regierung weigere, den Bundesasylsenat personell aufzustocken. Dies werde von der organisierten Kriminalität gezielt ausgenützt. Versäumnisse ortete der Redner auch im Innenministerium, wo man verhindert habe, Jugendlichen, Frauen und Kindern, die von Stalking betroffen sind, Polizeischutz zu geben.

Abgeordnete Mag. STOISITS (G) gab ihrer Freude über das Engagement der Justizministerin in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien Ausdruck, vermisste aber ihre Initiative in der europäischen Visum-Politik. Es gelte dafür zu sorgen, dass Menschen, etwa aus Serbien, ihre Verwandten in Österreich gebührenfrei besuchen können. In der Asylpolitik plädierte Stoisits für eine Teilung der Verantwortung. Sicherzustellen sei aber, dass Menschen aus Krisengebieten um Asyl ansuchen können, wenn sie das brauchen. Dabei nannte Stoisits die historischen Stichwörter Ungarn, Tschechoslowakei, Polen und Balkan, um den Ruf deutlich zu machen, den Österreich in der Asylpolitik zu verteidigen habe. Stoisits vermisste Vorlagen der österreichischen EU-Präsidentschaft für eine europäische Asylpolitik und drängte darauf, die Vorfragen für die Einrichtung regionaler Schutzprogramme zu klären. In solchen Auffanglagern müssen die Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention gelten, unterstrich die Abgeordnete. Eine weitere große Aufgabe für den EU-Vorsitz sah Stoisits darin, die menschlichen Tragödien zu verhindern, die sich täglich beim Versuch von Menschen ereignen, das Mittelmeer in Richtung Europa zu überqueren.

Abgeordneter FAULAND (F) lobte die Justizministerin für ihre ausgezeichnete Arbeit im Rahmen des österreichischen EU-Vorsitzes und unterstrich ihr engagiertes Eintreten für die Schutzbedürfnisse der Menschen sowie für die Geltung der Grundrechte. Der Kritik des Abgeordneten Jarolim wegen steigender Kriminalitätsraten hielt Fauland die Tatsache entgegen, dass fast die Hälfte der Straftäter nicht aus Österreich stammt. Probleme im Asylrechtsbereich hätten ihre Wurzeln auch in einer Gesetzgebung, die in die Zeit der sozialdemokratische Regierungsverantwortung zurückreiche. Das neue Asylgesetz sei demgegenüber der Versuch, im Rahmen der internationalen Möglichkeiten optimale Regelungen für Österreich zu schaffen.

Auf Details eingehend verlangte Fauland, im Verkehrsstrafrecht dafür zu sorgen, dass nicht nur österreichische, sondern auch ausländische Raser abgestraft werden, und drängte auf eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit beim Kampf gegen die Drogenkartelle sowie beim Schutz der Konsumenten bei Internetgeschäften.

Abgeordneter Mag. DONNERBAUER (V) betonte, ein gemeinsamer europäischer Wirtschaftsraum benötige Sicherheit. Er sah die EU aufgerufen, bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus zusammenzuarbeiten. So wichtig die internationale Kooperation mit Polizei- und Justizfragen sei, so wichtig sei aber auch ein transparenter Umgang mit prominenten Kriminalfällen in Österreich, wie etwa der Causa BAWAG, stand für den Redner fest. Donnerbauer appellierte in diesem Zusammenhang an den ÖGB, sich besonders genau an die Regeln der wirtschaftlichen und politischen Hygiene zu halten. Die SPÖ forderte er wiederum auf, sich klar von den Malversationen bei der BAWAG und beim ARBÖ zu distanzieren und für eine schonungslose Aufklärung zu sorgen.

Abgeordnete Mag. WURM (S) drängte auf europaweite Aktivitäten im Kampf gegen Frauen- und Kinderhandel und meinte, es gehe darum, dem Geschäft mit der Ware Mensch Einhalt zu bieten. Die bisherigen Anstrengungen könne man nicht als ausreichend betrachten, solange Sicherheits- und Freiheitsrechte nicht für die Opfer dieser modernen Sklaverei gelten. Sie forderte vor allem Ermittlungen über die Grenzen hinweg und verstärkte Zusammenarbeit mit den Ländern des Europarates.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) sprach das Problem der Visumpflicht für Bürger Südosteuropas an und beklagte, jungen Menschen würde dadurch die Möglichkeit genommen, die EU-Staaten zu besuchen und kennen zu lernen. Heftig kritisierte sie auch eine Praxis, ausländische Ehepartner von Österreichern abzuschieben und diesen Menschen zu unterstellen, eine Scheinehe geschlossen zu haben. Anliegen der Rednerin waren zudem auch die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und ein verstärktes Engagement in der EZA.

Abgeordneter DI SCHEUCH (F) bezeichnete Österreich als Vorzeigeland und rief die Regierung auf, sich dafür einzusetzen, dass die österreichischen Gesetze im Bereich des Asyl- und Fremdenrechtes auch auf EU-Ebene umgesetzt werden.

Abgeordnete Mag. HAKL (V) sah die Justizpolitik durch den Missbrauch der neuen Technologien vor neue Herausforderungen gestellt. Vor allem bei der Bekämpfung der Internetkriminalität bedarf es ihrer Meinung nach verstärkter internationaler Zusammenarbeit und einer entsprechenden Vernetzung der europäischen Behörden. In Anspielung an den BAWAG-Skandal forderte Hakl überdies eine bessere justizielle Kooperation der EU mit den Karibik-Staaten.

Abgeordneter Mag. MAIER (S) forderte die Regierung auf, die europäischen Vorgaben zum Schutz der Konsumenten umzusetzen. So gebe es nach wie vor keine österreichischen Konsumentenschutzbehörde, auch habe man die Verordnung über die Fluggastrechte noch nicht implementiert. Der Justizministerin wiederum warf Maier vor, europäischen Datenschutzkriterien, denen sie auf EU-Ebene zugestimmt hatte, innerstaatlich noch nicht entsprochen zu haben.

Abgeordnete Mag. WEINZINGER (G) kritisierte die Behandlung von Asylwerbern durch Österreich und vermisste eine europäische Initiative in Richtung Harmonisierung und gleicher Standards. Handlungsbedarf ortete sie insbesondere bei der Schubhaftdauer und bei der Unterbringung in Flüchtlingslagern. Im Übrigen qualifizierte sie die österreichische Sicherheitspolitik als einseitig und warf der Regierung vor, sich nur auf den Asylmissbrauch zu konzentrieren, bei der Problematik des Frauenhandels aber blind zu sein.

Justizministerin Mag. GASTINGER plädierte für die Entwicklung einer gemeinsamen Grundrechtscharta und unterstützte die Forderungen nach Mindestgarantien in strafrechtlichen Verfahren und nach EU-weiten Datenschutzbestimmungen. Zur Asylpolitik meinte sie, wichtig sei es, Hilfe vor Ort mit den finanziellen Mitteln und dem Know-how der EU zu geben. Mit Nachdruck wies die Ministerin Vorwürfe der Säumigkeit bei der Bekämpfung von Menschenhandel und Schlepperei zurück. Sie erinnerte daran, dass die diesbezüglichen Strafbestimmungen verschärft wurden, auch habe man den Opferschutz wesentlich gestärkt.

Abgeordneter KÖSSL (V) betonte die Notwendigkeit der Zusammenarbeit in Europa und meinte, diese Zusammenarbeit sei gerade im Bereich der Sicherheit sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene gefordert. Österreich könne nur dann sicherer gemacht werden, wenn auch Europa sicherer ist, sagte Kößl. Er begrüßte daher die Ziele des Amsterdamer Vertrages sowie des Haager Programms, wonach es eine Harmonisierung der Asyl- und Migrationspolitik und der grenzüberschreitenden Koordination der Sicherheitsbehörden geben soll. Vor allem im Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik müsse man Schranken dort setzen, wo sie notwendig sind, einen europäischen Lastenausgleich schaffen, Perspektiven für jene bieten, die Schutz suchen, und klare Regelungen treffen, um den Missbrauch der europäischen Freizügigkeit zu verhindern.

Abgeordneter Dr. PUSWALD (S) hielt es für "beschämend und erschreckend", dass die Regierungsfraktionen EU-Themen missbrauchen, um politisches Kleingeld zu wechseln. Man wolle damit offensichtlich vor den wirklichen Themen ablenken, sagte Puswald, denn dem österreichischen Vorsitz würde mangelnder Eifer vorgeworfen. Puswald zeigte sich zwar in einigen Punkten mit der Justizministerin einig, er vermisste jedoch die Umsetzung von Ankündigungen. Grundsätzlich warf er der Regierung vor, ein sinkendes Wirtschaftswachstum und steigende Arbeitslosenzahlen verursacht zu haben.

Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) gab den Vorwurf, in der EU-Debatte politisches Kleingeld zu schlagen, an die Opposition zurück. Es gebe in Österreich vieles, worauf man stolz sein könne. So nehme derzeit Österreich den dritten Platz in der EU in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit ein. Partik-Pable widersprach Abgeordneter Stoisits heftig und meinte, deren Vorwürfe träfen nicht zu. Europa gewähre Afrika und dem Nahen Osten massive finanzielle Unterstützung, Europa könne aber nicht für die gesamte Asylproblematik zuständig sein. In Afrika warteten laut Partik-Pable rund 500.000 Menschen darauf, in die EU zu kommen, was sie verhindern möchte. Man brauche vielleicht Einwanderung, sagte sie, aber man müsse sich aussuchen können, wer kommt. Asyl dürften nur diejenigen bekommen, die dieses brauchen und die Gesetze auch einhalten. Partik-Pable sprach sich auch für die Anpassung internationaler Verträge wie der Genfer Konvention an die heutigen Gegebenheiten aus. Europa stehe vor ungeheuerlich großen Aufgaben und man müsse jetzt darauf schauen, dass sich Europa auch konsolidiere. (Forts./Beschäftigung)