Parlamentskorrespondenz Nr. 337 vom 19.04.2006

EU-Unterausschuss diskutiert österreichische Ratspräsidentschaft

Unterschiedliche Beurteilung durch die Fraktionen

Wien (PK) – Die Union müsse sich auf Fragen konzentrieren, "die für die Bürger in ihrem täglichen Leben von Belang sind", heißt es in dem 59 Seiten umfassenden Jahresprogramm des Rates für 2006, das auf der Tagesordnung des heutigen Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union stand.

Staatssekretär Hans Winkler nützte die Gelegenheit, auf die vergangenen Monate der österreichischen Ratspräsidentschaft einzugehen, obwohl es, wie er betonte, für eine Bilanz viel zu früh sei. Den Frühjahrsgipfel im März wertete er als einen Erfolg, da es entgegen allen Erwartungen und trotz vieler Widerstände anderer Mitgliedstaaten gelungen sei, konkrete Ziele in den Schlussfolgerungen zu verankern. Winkler wies in diesem Zusammenhang auf den Durchbruch zur Dienstleistungs-Richtlinie sowie auf die Selbstverpflichtung der Staaten im Rahmen der Förderung der Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit hin, wodurch er sich wesentliche Impulse erwartete.

Der Gipfel habe darüber hinaus Erleichterungen für die Klein- und Mittelbetriebe, die ein wesentlicher Motor für Wirtschaft und Beschäftigung sind, gebracht, so Winkler weiter, und es sei gelungen, den Ansatz einer Energiepolitik für Europa zu schaffen. Als großen Erfolg wertete Winkler die Einigung über die finanzielle Vorausschau mit dem Europäischen Parlament und der Kommission. Das Paket habe Hand und Fuß, sagte er, und es seien in wichtigen Bereichen, wie im Bereich Bildung sowie Forschung und Entwicklung und bei den TEN-Projekten nach inakzeptablen Kürzungen Erhöhungen erreicht worden, ohne aber das Budget ausufern zu lassen. Auch für die Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit hätten durch die Einigung entscheidende Weichenstellungen vorgenommen werden können.

Besonderen Wert legt die österreichische Ratspräsidentschaft laut Winkler auf die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament.

Im Gegensatz dazu bewerteten die Abgeordneten der Opposition die bisherige Präsidentschaft weniger positiv. So meinte Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G), die österreichische Präsidentschaft beschränke sich vorwiegend auf die Moderation und setze zu wenig Aktivitäten. So müsste man etwa im Interesse der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schritte gegen das Steuerdumping setzen und das öffentliche Engagement bei den Investitionen erhöhen. Ihm fehlten auch mutige Schritte zur Nachhaltigkeitsstrategie. Pirklhuber kritisierte darüber hinaus das Weißbuch der Kommission zur Energiepolitik und bezeichnete es als ein großes Defizit des Gipfels, keine entschiedenen Schritte gegen die Atompolitik gesetzt zu haben.

Dem hielt der Staatssekretär entgegen, dass die Kommission im Juni  etwas Neues zur Nachhaltigkeitsstrategie vorlegen werde und dass man davon sehr ehrgeizige Ziele erwarten dürfe. Grundsätzlich, so Winkler, sei es Aufgabe einer Präsidentschaft, als guter Mediator darauf hinzuwirken, dass eine Einigung zustande kommt, und das erfordere Leadership. Die Präsidentschaft sei nicht dazu da, nationale Interessen in den Vordergrund zu stellen. Österreich sei bestrebt, aktiv etwas weiter zu bringen, man müsse aber die Grenzen einer Präsidentschaft akzeptieren.

Darin wurde er von Abgeordnetem Werner Fasslabend (V) unterstützt, der meinte, Österreich sei ein echter Akteur auf der europäischen Ebene geworden, und in dieser Auffassung werde er durch die positiven Reaktionen der anderen Staaten bestätigt. Auch Abgeordneter Markus Fauland (F) sah die österreichische Ratspräsidentschaft auf gutem Wege, da sie sich dadurch auszeichne, durch Konsenssuche zum Ziel zu kommen.

Wie geht es mit Europa und der EU-Verfassung weiter ?

Laut Programm, das im Dezember des Vorjahrs vorgelegt worden war, ist für die österreichische und finnische Präsidentschaft vorgesehen, einen umfassenden Dialog in Gang zu bringen, um die wichtigen Fragen- und Politikbereiche zu ermitteln, um die Herausforderungen bewältigen zu können. Als einen Schwerpunkt weist das Dokument die  Diskussion über das Subsidiaritätsprinzip aus, die Sondierung von Möglichkeiten, wie Entscheidungen auf möglichst niedriger Ebene getroffen werden können. Diesem Thema hat sich auch die Konferenz "Europa fängt zu Hause an" vom 18. und 19. April in St. Pölten gewidmet, in der sich ParlamentarierInnen aus allen 25 Mitgliedstaaten sowie aus Rumänien und Bulgarien gemeinsam mit ExpertInnen, mit VertreterInnen des Europäischen Parlaments und der Kommission erstmals mit der Frage der Subsidiarität aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln auseinandergesetzt haben.

Darauf nahmen die Abgeordneten Carina Felzmann, Werner Fasslabend und Karl Donabauer (alle V) Bezug. Die Konferenz sei geprägt gewesen von einer intensiven Diskussion auf hohem Niveau, bemerkten sie. Man habe den Gleichklang aller mitnehmen können, dass man das Thema Subsidiarität intensiv weiter behandeln wolle, da es eine mögliche Antwort auf die EU-Skepsis darstelle. Es sei ermutigend gewesen zu sehen, wie viele konkrete Vorstellungen artikuliert worden sind. Felzmann sprach sogar von einer gewissen Aufbruchstimmung, die man gespürt habe. Abgeordnete Elisabeth Hlavac (S) wiederum sah die Notwendigkeit, sich mehr auf inhaltliche Fragen zu konzentrieren, da für die Akzeptanz in der Bevölkerung weniger die Entscheidungsebenen wichtig seien, sondern ob und wie die für die Zukunft tatsächlich entscheidenden Fragen in Angriff genommen werden.

Was den Verfassungsvertrag betrifft, so soll der Europäische Rat auf seiner Tagung im Juni Bilanz über den so genannten Reflexionsprozess ziehen und darauf aufbauend das weitere Vorgehen festlegen. Abgeordneter Caspar Einem (S) vermisste jedoch Ideen, wie es mit dem Verfassungsvertrag weitergehen könnte. Auch Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) forderte eine entschiedenere Debatte und die Vorlage eines Zeitplans für die Beschlussfassung des Verfassungsvertrags ein.

Dem hielten die Abgeordneten Werner Fasslabend (V) und Markus Fauland (F) entgegen, es wäre falsch, während des Reflexionsprozesses mit vorgefertigten Antworten zu kommen. Europa müsse sich Zeit nehmen, strukturiert weiter zu denken, meinte Fasslabend. Auch Staatssekretär Winkler hielt diese Vorgangsweise für die einzige Möglichkeit, da etwa die Herausnahme einzelner Teile einen neuen Beschluss in der EU erforderlich machten. Derzeit würden jedenfalls verschiedene Überlegungen angestellt und die vorliegenden Vorschläge diskutiert, und im Juni werde man versuchen, auf Grund dessen konkrete Vorschläge zu machen. Es wäre unrealistisch zu meinen, ein Konsens über den Verfassungsvertrag sei noch während der österreichischen Präsidentschaft zu erzielen, betonte er. Aber man wolle Weichenstellungen vornehmen, etwa im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips die Rolle der nationalen Parlamente zu stärken und so genannten better regulations zum Durchbruch zu verhelfen. Winkler sprach sich auch dafür aus, mehr Transparenz in die Entscheidungsfindung des Rates zu bringen und diesen zu öffnen, wobei es aber massiven Widerstand gebe, räumte er ein.

Großes Gewicht will man seitens der EU im laufenden Jahr auch auf die Umsetzung der ersten nationalen Reformprogramme im Rahmen der Lissabon-Strategie zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung legen, als "Teilschritt zur Erreichung des Gesamtziels der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und der Sicherung der Tragfähigkeit des europäischen Wohlfahrtsmodells". Hauptziel sei "eine in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht nachhaltige Entwicklung". Staatssekretär Hans Winkler hatte in seiner Einleitung auf die diesbezüglichen konkreten Zielsetzungen, auf die man sich anlässlich des Frühjahrsgipfels geeinigt hatte, hingewiesen. Er unterstrich insbesondere die Selbstverspflichtung der Staaten und der Kommission, diese Ziele auch umzusetzen.

Abgeordneter Caspar Einem (S) zeigte sich jedoch skeptisch, nachdem sämtliche Maßnahmen der letzten sechs Jahre nicht funktioniert haben. Anders beurteilte Abgeordneter Werner Fasslabend (V) die Lage, zumal es gelungen sei, für den gesamten Komplex Wirtschaft, Soziales und Umwelt konkrete Maßnahmen zu vereinbaren. Auch die Dienstleistungs-Richtlinie, die nun auf gutem Weg sei, werde seiner Meinung nach einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der Binnenkonjunktur leisten. Winkler sprach die Erwartung aus, die Dienstleistungs-Richtlinie nach der grundsätzlichen Einigung zwischen Kommission, Parlament und Rat noch während der Präsidentschaft endgültig beschließen zu können.

Kurz wurde in der Diskussion auch die Erweiterung der Union gestreift, wobei Staatssekretär Hans Winkler an das informelle Treffen der Außenminister in Salzburg erinnerte. Dort sei es gelungen, Einigkeit darüber zu erzielen, den Staaten des Balkans eine europäische Perspektive unter Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit der Union zu geben. Beitrittsverhandlungen dürften auch zu keinem Automatismus führen, unterstrich der Staatssekretär. Abgeordneter Caspar Einem (S) wies auf die Sorge anderer Staaten hin, dass mit den Balkanländern eine große Zahl kleinerer Staaten beitreten, wodurch die Balance im Rat im Hinblick auf das Stimmrecht gestört wäre. Winkler bemerkte dazu, dass es derzeit um die Heranführung dieser Staaten an die EU und die Stabilität am Balkan gehe. Die von Einem angesprochene institutionelle Frage werde erst vor einem eventuellen Beitritt spruchreif und dann sei es selbstverständlich notwendig, eine Lösung für die Stimmengewichtung im Rat zu finden, um die Balance zwischen großen und kleinen Staaten aufrecht zu erhalten.

Ganz oben auf der Aufgabenliste der EU-Politik stehen weiters die Bekämpfung des Terrorismus und der schweren Kriminalität, die Verbesserung des Austausches wichtiger Informationen und die Förderung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, sowie die Bemühungen um eine gemeinsame Asylpolitik und eine gemeinsame Migrationssteuerung. Nachdem von Abgeordneter Bettina Stadlbauer (S) gefordert worden war, Opfer des Menschenhandels nicht mit illegalen Einwanderern gleichzusetzen, bekräftigte Winkler, dass der Kampf gegen den Menschenhandel, der Schutz der Opfer und Programme zur Verhinderung von Menschenhandel ein besonderes Anliegen der österreichischen Präsidentschaft darstellten.

Antrag der Grünen zur Gentechnik

In der Diskussion über das Jahresprogramm stellten die Abgeordneten Caspar Einem, Marianne Hagenhofer und Bettina Stadlbauer (alle S) sowie Carina Felzmann (V) und Wolfgang Pirklhuber (G) zahlreiche Detailfragen. Pirklhuber brachte dazu einen Antrag auf Stellungnahme zur Gentechnik ein, der von den V- und F-Abgeordneten mehrheitlich abgelehnt wurde. Darin zitieren die Grünen den wissenschaftlichen Bericht der EU-Kommission anlässlich des WTO-Gentechnik-Schiedsverfahrens, der die bisherige Kritik der europäischen Gentechnik-GegnerInnen an der Zulassungspraxis der Kommission bestätigt. Die Grünen fordern daher eine entsprechende Initiative des Umweltministers ein, mit dem Ziel, die bisherige Politik der Kommission in Bezug auf Gentechnik umgehend zu ändern.

Pirklhuber nannte den Umgang der Kommission mit der Gentechnik als einen symbolischen Bereich für die Vertrauenskrise in der Union. Die Kommission habe bisher eine Politik verfolgt, die die Menschen nicht mittragen. Der Antrag spreche daher konkrete Lebensinteressen der europäischen Bevölkerung an. Pirklhuber zitierte in diesem Zusammenhang auch die positive Reaktion des Umweltministers auf die so genannte Wiener Erklärung für ein gentechnikfreies Europa. Er konnte daher die ablehnende Haltung von Abgeordnetem Karl Donabauer (V) nicht verstehen, der gemeint hatte, die Annahme dieses Antrags würde Österreich in eine Außenseiterrolle treiben und zu einer Blockade führen. Donabauer versicherte wiederum, er bringe der Wiener Erklärung großes Interesse entgegen und er verstehe auch deren Intention. Mit ihr solle nun eine Diskussion eingeleitet werden. Derzeit sei aber der im Landwirtschaftsausschuss angenommene Entschließungsantrag ausreichend. (Schluss)