Parlamentskorrespondenz Nr. 343 vom 21.04.2006

Außenpolitische Tour dHorizon in der Länderkammer

Bundesrat nimmt zwei Berichte des Außenministeriums zur Kenntnis

Wien (PK) – Die österreichische EU- und Außenpolitik standen im Mittelpunkt einer umfassenden Debatte des Bundesrats im Anschluss an die Fragestunde. Vor Eingang in die Tagesordnung kündigte Präsidentin HASELBACH die Abstimmung eines S-G-Fristsetzungsantrages für Beschlüsse des Nationalrates zum Thema "Institute of Science and Technology - Austria" nach Erledigung der Tagesordnung an. SPÖ und Grüne verlangen die Vorlage der diesbezüglichen Berichte des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft bis 10. Mai 2006.

Die beiden ersten Punkte der Tagesordnung betrafen den Außenpolitischen Bericht 2004 sowie den Bericht über das EU-Arbeitsprogramm, die unter einem debattiert wurden. Beide Berichte wurden vom Bundesrat einhellig zur Kenntnis genommen.

Außenministerin Dr. PLASSNIK leitete die Debatte, ausgehend von den genannten Vorlagen, mit einer außenpolitischen Tour d'Horizon ein. Außenpolitik dürfe nicht etwas "Abgehobenes" sein, sondern müsse konkret und nachvollziehbar bleiben, betonte Plassnik. Das außenpolitische "Highlight" des Jahres 2004 sei die Erweiterung der EU auf 25 Mitglieder gewesen. Die zehn damals neuen Mitglieder hätten den notwendigen Aufholprozess mit beeindruckender Energie bewältigt, sodass heute niemand mehr von "neuen" Mitgliedern spreche. Österreich habe von der Erweiterung profitiert; so habe sich der Export in die 2004 beigetretenen Mitglieder von 1,3 Mrd. € im Jahr 1990 auf 11,7 Mrd. € verneunfacht, und Österreich sei in diesen Ländern ein führender Investor.

Für den Balkan bekräftigte die Außenministerin die europäische Perspektive, die es "mit Augenmaß und Hausverstand", auch gegen öffentlicher Skepsis, zu verfolgen gelte. In der Entwicklungszusammenarbeit habe es eine substanzielle Erhöhung – von 67,12 Mill. € auf 92,54 Mill. € - gegeben, und die ADA habe 2004 ihre Tätigkeit aufgenommen.

Zur österreichischen EU-Präsidentschaft sagte Plassnik, gegenüber zunehmender Skepsis gelte es, durch umsichtige Arbeit mehr Vertrauen und mehr Schwung zu schaffen. Sie zeigte sich zufrieden über die mit dem Europäischen Parlament erreichte Einigung über die Finanzvorschau und würdigte die Bemühungen um Arbeitsplätze und Wachstum und in der Energiepolitik. Die von Österreich eingeforderte Beachtung der Aufnahmefähigkeit der EU im Zusammenhang mit Erweiterungsschritten sei heute eine "mainstream-position". In der Diskussion über eine gemeinsame EU-Außenpolitik seien Fortschritte erzielt worden – siehe die Positionen der EU gegenüber Irak, Iran, Weißrussland und in der Balkanfrage.

Mit dem Beitritt Österreichs zum Europarat am 16. April 1956 habe sich Österreich zur europäischen Wertegemeinschaft bekannt, führte Außenministerin Plassnik weiter aus. Österreichs Mitgliedschaft sei äußerst positiv, und die Europäische Menschenrechtskonvention als Bestandteil der österreichischen Bundesverfassung sei und bleibe ein Grundpfeiler des österreichischen Rechtssystems. Im Blick auf die erweiterte EU gehe es um die Verbesserung der Zusammenarbeit von EU und Europarat, sagte Plassnik, und verwies in diesem Zusammenhang auf den jüngst zu diesem Thema vorgelegten Bericht des luxemburgischen Ministerpräsidenten Juncker.

Bundesrat LINDINGER (S) stellte ausführlich Vorgeschichte und Geschichte des Europarats dar und meinte angesichts der Österreicher, die dem Rat als Generalsekretäre oder Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung oder in anderer Funktion gedient haben: "Österreich prägte den Europarat, aber der Europarat prägte auch Österreich."

Bundesrat AGER (V) ging auf den Außenpolitischen Bericht ein und stellte fest, durch die EU-Erweiterung sei Österreich "vom Rand ins geographische Zentrum gerückt". Er berichtete von einer kürzlich absolvierten Reise nach Mazedonien, wo er beeindruckt gewesen sei von den dort erreichten Fortschritten. Den Ländern auf dem Westbalkan müsse "uneingeschränkte Hilfe mit Respekt und auf gleicher Augenhöhe" gelten, betonte Ager. Im Falle der Türkei sprach sich der Bundesrat für eine "dynamische Partnerschaft" aus.

Bundesrat SCHENNACH (G) trat angesichts der "Sinnkrise", in die der Europarat durch die wachsende EU gerate, für ein "sinnvolles Nebeneinander" und gegenseitige Ergänzung ein. Schennach bekannte sich – nach einer Aufzählung der zahlreichen Aktivitäten des Europarats – uneingeschränkt zum Europarat und zu Österreichs Rolle. Auf den Außenpolitischen Bericht eingehend, bekannte sich der Redner zur EU-Perspektive für den Westbalkan. Die Türkei hingegen habe, gemäß dem Bericht, "von dieser Bundesregierung nichts zu erwarten" und keinen Beitritt in den "Christenclub" zu erhoffen, formulierte Schennach pointiert. Er bedauerte dies, weil es als Chance zu sehen sei, wenn zwei Kulturkreise zusammenfinden könnten. Schließlich wollte der Mandatar von der Ministerin wissen, wie die Position bezüglich Aktionsprogramm gegen Personenminen aussehe und wie der aktuelle Stand in der Visa-Affäre laute.

Bundesrat KAMPL (o.F.) äußerte Lob für den Bericht, stellte aber auch eine Reihe von Fragen an die Ministerin. So vermisste er in dem Bericht Äußerungen zu den Heimatvertriebenen, zu den Avnoj-Beschlüssen und den Benesch-Dekreten und äußerte Sorgen bezüglich einer nicht ausreichenden Beachtung des ländlichen Raums.

Der Außenpolitische Bericht mache deutlich, wie wenig das Projekt Europa definiert sei, eröffnete Bundesrat KONECNY (S) seine Wortmeldung. Er konstatierte einen Vertrauensverlust gegenüber der EU bei weiten Teilen der Bevölkerung, das "Erfolgsmodell EU" sei "ins Stottern gekommen" und habe an Dynamik verloren. Man sei "großartig bei Verbalkompromissen", aber dünn in der Substanz. Das europäische Verfassungsprojekt sei gescheitert, noch ehe es ins Finale gekommen sei, führte Konecny aus und diagnostizierte "unterschiedliche Konzepte von Europa" in verschiedenen Ländern. Daher gelte es, "das europäische Projekt aus der Unverbindlichkeit herauszuholen". Den Beitritt Kroatiens müssten "alle 25 Mitglieder" wollen, führte der Bundesrat aus; bei der Türkei gebe es eine lange Liste nicht gehaltener Versprechen. Anderseits könnten aktuelle Entwicklungen in der Türkei – Vorgehen gegen Werbung für Wehrdienstverweigerung, strafrechtliche Verschärfungen, Kurdenpolitik – nicht hingenommen werden.

Die österreichische Außenpolitik der letzten 60 Jahre sei eine "Erfolgsgeschichte der besonderen Art", meinte Bundesrat KNEIFEL (V). Österreich sei es mit seiner Ratspräsidentschaft gelungen, die "Erstarrung" in der EU aufzulösen – bei der Finanzvorschau, bei der Dienstleistungsrichtlinie, in der Verfassungsthematik, beim Kohäsionsbeitrag der Schweiz; die Europaskepsis werde durch harte und unaufgeregte Arbeit bekämpft.

In einer weiteren Wortmeldung meinte Außenministerin PLASSNIK in Richtung Bundesrat Konecny, das europäische Projekt sei keineswegs "ins Stottern geraten", man habe vielmehr "Gewaltiges weitergebracht". Beim Verfassungsprojekt gebe es trotz einer "anhaltenden Schrecksekunde" Fortschritte, etwa bezüglich Belgien, Estland und Finnland. Das europäische Lebensmodell sei nicht in Frage gestellt. Es sei auch unrichtig, meinte die Ministerin in Richtung Bundesrat Schennach, dass die Türkei "nichts zu erwarten" habe; sie sei immer für eine enge dynamische Partnerschaft eingetreten, auch mit der langfristigen Perspektive eines Beitritts. Nun sei aber die Entscheidung für Beitrittsverhandlungen gefallen, und ein Transformationsprozess stehe an. Die EU dürfe keineswegs als "Christenclub" gesehen werden: Eine Hand sei in die islamische Welt ausgestreckt, die zweite zu den islamischen Gemeinschaften innerhalb der EU, betonte Plassnik.

Österreichs Engagement gegen Personenminen gehe unvermindert weiter, beschied die Außenministerin Bundesrat Schennach. Hinsichtlich der Visa-Affäre seien lückenlose Aufklärung und Missbrauchsunterbindung für die Zukunft das Ziel. Derzeit gebe es eine Verurteilung und vier laufende Verfahren, in anderen Fällen seien die Verfahren eingestellt worden. Es gebe eine gute Zusammenarbeit mit dem Justiz- und mit dem Innenministerium.

Bundesrat Kampl gegenüber führte die Außenministerin aus, dass der ländliche Raum "wichtiges Element des europäischen Lebensmodells" sei, daher gebe es dafür auch mehr Mittel. Hinsichtlich der Heimatvertriebenen gebe es enge Kontakte mit den entsprechenden Verbänden.

Beide Berichte wurden vom Bundesrat mit Stimmeneinhelligkeit zur Kenntnis genommen. (Schluss Außenpolitik/Forts. BR)

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