Parlamentskorrespondenz Nr. 588 vom 21.06.2006

SPÖ thematisiert im Nationalrat die Bildungspolitik

Aktuelle Stunde: Die gescheiterte Bildungspolitik der Bundesregierung

Wien (PK) – Die heutige Sitzung des Nationalrats begann mit einer von der SPÖ beantragten Aktuellen Stunde zum Thema "Die gescheiterte Bildungspolitik der Bundesregierung – SPÖ-Alternativen".

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) zog in diesem Zusammenhang eine negative Bilanz der Bildungspolitik der Bundesregierung und forderte eine umfassende Schulreform. Österreich sei über die schlechten Ergebnisse der PISA-Studie "schockiert" gewesen, sagte er, die Bundesregierung habe aber trotz Abschaffung der Zweidrittelmehrheit die Chance nicht genützt, Reformen in die Wege zu leiten. Das sei "das eigentlich Erschütternde" und "eine Schande", so Gusenbauer.

Als Beispiele für die aus seiner Sicht gescheiterte Bildungspolitik nannte er unter anderem die Tatsache, dass 20 % der Schulabgänger und Schulabgängerinnen mit 15 Jahren Probleme beim Lesen und Schreiben haben. In Finnland liege dieser Prozentsatz bei 7. Es sei auch höchst an der Zeit, mehr Schulen mit der verschränkten Form der Ganztagsschulen zu schaffen, forderte Gusenbauer und vertrat die Auffassung, die sinkenden Schülerzahlen für die Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen auf 25 zu nützen. Es gehe vor allem darum, so Gusenbauer, den Kindern mehr Chancen zu sichern. Die Zukunftskommission habe wissenschaftlich fundierte Vorschläge präsentiert, die ÖVP habe jedoch einen "Stopp der Bildungspolitik" ausgerufen und betreibe eine "ideologische Blockadepolitik", eine "Politik des Zuschauens und des Verdrängens". Der ÖVP müsse daher die Verantwortung für die Bildungspolitik aus der Hand genommen werden, fasste Gusenbauer zusammen. Wer das beste Bildungssystem habe, werde auch morgen über das beste Lohnniveau verfügen. Daher müsse sich etwas ändern, sonst drohe eine Gefährdung des materiellen Wohlstands.

Bundesministerin GEHRER warf ihrem Vorredner vor, die Schule schlecht zu reden und schlecht zu machen und damit alle Lehrerinnen und Lehrer zu desavouieren. Die beste Bestätigung für das funktionierende Schulsystem sei die positive Entwicklung der Wirtschaft und die Tatsache, dass die jungen Menschen Arbeit finden, hielt sie ihm entgegen. Ihr Ziel sei auf keinen Fall, Verhältnisse wie in Korea zu schaffen, wo sich Kinder das Leben nähmen. Sie verfolge eine gesamthafte Bildung. Außerdem zeigten zahlreiche Studien, dass sich 90 % der Schülerinnen und Schüler in den Schulen wohl fühlten und 90 % der Bevölkerung mit dem Schulsystem zufrieden seien.

Den SPÖ-Alternativen aus der Broschüre "Startklar" erteilte sie eine klare Absage. Die SPÖ wolle alle Kinder in einen Topf werfen und die Berufsbildenden Schulen und die AHS in einer modularen Art zusammen legen. Darüber hinaus beabsichtige die SPÖ die Leistung abzuschaffen und das Wiederholen von Klassen nur auf freiwilliger Basis anzubieten. Sie halte es aber für falsch, wenn Leistung keine Bedeutung mehr haben soll. In Bezug auf die Vorschläge der Zukunftskommission seien bereits 22 Bereiche umgesetzt worden, betonte die Ministerin. Sie befürworte eine Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen, wolle dies aber in die Kompetenz der einzelnen Schulen geben, anstatt dies bundesweit von oben zu dekretieren. Die Ministerin wies in weiterer Folge auf die kontinuierliche Steigerung des Schulbudgets hin, auf die zusätzlichen Investitionen für die EDV-Ausstattung sowie für spezielle Initiativen, auf die Universitätsmilliarde sowie auf die zusätzliche Milliarde für Schulbauten. An den heutigen Schulen stünden mehr Lehrerinnen und Lehrer für mehr Schülerinnen und Schüler zur Verfügung, bemerkte Gehrer und gab zu bedenken, dass die Landeshauptleute den Verhältniszahlen im Finanzausgleich zugestimmt haben. Von ihrer Seite gebe es darüber hinaus eine zusätzliche Unterstützung. Die Bundesregierung habe die Autonomie der Schulen gestärkt, erklärte Gehrer und bekräftigte, das differenzierte Schulsystem beibehalten und ausbauen zu wollen. Abschließend bedankte sie sich ausdrücklich für die Arbeit aller Lehrerinnen und Lehrer.

Als "unglaublich" bezeichnete Abgeordneter AMON (V) die Ausführung von Klubobmann Gusenbauer. Während die Bundesregierung die Ergebnisse der PISA-Studie in Ruhe analysiert habe, reagiere die SPÖ "panikartig". Dies sei völlig ungerechtfertigt, da PISA in keiner Weise eine Aussage über das gesamte österreichische Schulsystem geben könne. Wenn die SPÖ immer wieder Finnland als Vorbild heranziehe, so wolle er darauf hinweisen, dass es dort eine extrem strenge Auswahl gebe, wer den Lehrberuf ausüben dürfe, und die Gratisschulbücher seien davon abhängig, ob es sich um eine reiche oder arme Gemeinde handle. Während die SPÖ für einen verpflichtenden Unterricht am Nachmittag eintrete, werde dieser in Finnland auf freiwilliger Basis angeboten. Die ÖVP wolle die Klassenschülerhöchstzahlen auf 25 senken, jedoch auf einer Basis gesicherter Ressourcen. Wogegen er sich wehre, sei ein Wahlkampfgag, wie ihn die SPÖ betreibe, denn dafür sei die Bildungspolitik zu wichtig.

Abgeordneter BROUKAL (S) reagierte auf seinen Vorredner, der kritisiert hatte, dass die SPÖ zur Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen nur einen Entschließungsantrag eingebracht hat. Broukal meinte, man könne sich doch zusammen setzen und noch heute einen Gesetzesantrag formulieren. In Richtung der Bildungsministerin zitierte Broukal eine Umfrage, wonach 59 % der Österreicherinnen und Österreicher mit der Arbeit von Ministerin Gehrer unzufrieden sind. Auch im Politranking rangiere sie weit im negativen Bereich und das müsse ihr doch zu denken geben, meinte Broukal. Er habe in den letzten Monaten keine Lehrerinnen und Lehrer und keine Mütter getroffen, die meinten, in der Schule sei alles in Ordnung. Er kritisierte in weiterer Folge die beabsichtigte Reduzierung der Lehrerinnen und Lehrer im Pflichtschulbereich um 1.500 und befürchtete, dass die Katastrophe im Pflichtschulbereich weitergehe. Er appellierte daher an Gehrer, die Kündigungen nicht auszusprechen, sondern die Klassenschülerhöchstzahlen auf 25 zu senken.

Abgeordnete ROSSMANN (F) machte darauf aufmerksam, dass Bildung nicht ausschließlich Bundessache sei, und erinnerte an die Verantwortung auch der SPÖ-Landeshauptleute. Die Bildungspolitik sei in vielen Fällen in den Bundesländern hausgemacht, sagte Rossmann, und vielfach darauf ausgelegt, Unfrieden zu stiften. Rossmann thematisierte den hohen Ausländeranteil in manchen Klassen in Wiener Schulen und forderte die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit nicht deutscher Muttersprache auf 30 % pro Klasse zu senken. Dass in manchen Klassen heute noch mehr als 25 Schülerinnen und Schüler sitzen, sei auf die gesetzliche Regelung zurückzuführen, die auch die SPÖ mit zu verantworten habe, merkte Rossmann an. Sie trat für eine flächendeckende freiwillige Nachmittagsbetreuung ein und hob die Initiative in Kärnten hervor, wo die Möglichkeit geboten wird, an den Berufsschulen die Berufsreifeprüfung zu machen.

Abgeordneter BROSZ (G) stellte die Frage, was denn noch passieren müsse, dass die Bundesministerin endlich zugibt, dass nicht alles in Ordnung sei. Der Vorsitzende der Zukunftskommission sei keineswegs mit der Umsetzung der Vorschläge zufrieden, bei manchen sei sogar das Gegenteil dessen, was gewünscht wurde, herausgekommen. Die Bundesregierung habe auch in den letzten Jahren sämtliche Initiativen zur Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen niedergestimmt, das Betreuungsverhältnis sei in den letzten Jahren schlechter geworden und die Budgets an den Pflichtschulen seien in absoluten Zahlen gesunken, so die negative Analyse von Brosz. Für die 700 Mill. €, die man zur Sanierung der Universitätsgebäude versprochen habe, gebe es kein Budget, kritisierte er. Brosz ging auch auf die Bewertung Bundesministerin Gehrers ein und ortete dabei eine massive Vertrauenskrise in ihre Bildungspolitik.

Abgeordnete Dr. BRINEK (V) rief die Steigerung des Schulbudgets um 24 % in Erinnerung und betonte, dass das Lehrer-Schüler-Verhältnis an den Volksschulen 1 : 14,5 und an den Hauptschulen 1 : 10 betrage. Würde man generell eine Klassenschülerhöchstzahl von 25 einführen, so würden alle Klassen, die heute darunter liegen, schlechter dastehen. Kritisch setzte sich Brinek mit der Wiener Landesregierung auseinander, die das Gesetz zur Tagesbetreuung nicht entsprechend umsetze. In Wien gebe es auch keinerlei Initiativen zur Integration von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache, außerdem fehle es an Schulentwicklungs- und Schulausbauplänen. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis in Wien betrage 1 : 22 und man müsse sich daher fragen, so Brinek, wo die Lehrerinnen und Lehrer sind, die der Bund bezahlt, die aber nicht in der Klasse stehen. Sie sprach sich dafür aus, die Steuermittel pädagogisch sinnvoll einzusetzen und vertrat die Auffassung, dass die SPÖ keine ernsthaften Alternativen anbiete. Vielmehr demotiviere sie Schüler, Eltern und Lehrer.

Abgeordneter DDr. NIEDERWIESER (S) sprach abermals den 20-%igen Anteil jener Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 Jahren an, die Probleme mit Lesen und Schreiben haben. Er forderte, die 1.500 Lehrer und Lehrerinnen im Herbst nicht auf die Straße zu stellen, sondern dieses Potential für die Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen zu nützen. Die Kosten für die Pflichtschullehrer und -lehrerinnen trage der Bund, sagte er in Richtung Gehrer, und dieser müsse seine Aufgaben auch wahrnehmen. Er kritisierte auch den Bau von Privatschulen und bemerkte, es sei Aufgabe der öffentlichen Hand, für ausreichend Plätze an Schulen zu sorgen. Abschließend forderte Niederwieser die Öffnung der Berufsschulen für jene Jugendliche, die keine Lehrstellen haben.

Bundesministerin GEHRER betonte in einer Replik auf die bisherige Diskussion, dass sie keineswegs die Zahl der Lehrerinnen und Lehrer reduziere. Sie erörterte nochmals den Finanzausgleich, dem die Landeshauptleute zugestimmt haben und betonte, dass sie zusätzliche Mittel für notwendige Initiativen zur Verfügung stelle. Sie wehrte sich auch gegen den Vorwurf, die ÖVP forciere das Privatschulwesen, und stellte klar, dass sie der Forderung der SPÖ nach Abschaffung der dualen Ausbildung nicht Rechnung tragen werde.

Abgeordnete Dr. BLECKMANN (F) zeigte sich "schockiert" darüber, dass sich die SPÖ vom dualen Ausbildungssystem verabschieden möchte. Die beste Ausbildung helfe nichts, wenn kein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, meinte sie, außerdem sei es notwendig, Anreize für die Betriebe zu schaffen. Hinsichtlich der Diskussion um die Klassenschülerhöchstzahlen vermutete sie seitens der SPÖ eine wahltaktische Auseinandersetzung auf dem Rücken der Kinder und rief dazu auf, gemeinsam darüber Gespräche zu führen. Was Finnland betreffe, so sei dies ein Land mit der niedrigsten Zuwanderungsquote, betonte Bleckmann und wiederholte die Forderung ihrer Fraktion, den Anteil von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache auf 30 % pro Klasse zu deckeln.

Abgeordnete MANDAK (G) forderte mehr individuelle Förderung an den Schulen  und stellte im übrigen fest, das Bildungssystem funktioniere nicht wegen, sondern trotz der Bildungspolitik der Bundesregierung. (Schluss Aktuelle Stunde/Forts. NR)


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