Parlamentskorrespondenz Nr. 641 vom 04.07.2006

Können Rumänien und Bulgarien am 1. Jänner 2007 der EU beitreten?

Trotz großer Fortschritte erhebliche Anstrengungen erforderlich

Wien (PK) – Der EU-Unterausschuss befasste sich heute auch mit dem Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens. Dabei äußerten die Abgeordneten ihre Sorgen und Bedenken, ob die beiden Staaten in der Lage sein werden, die noch offenen Punkte, insbesondere Rechtsdurchsetzung und Korruption, zu lösen, um zeitgerecht am 1. Jänner 2007 der Union beitreten zu können.

Staatssekretär Hans Winkler machte auf die, wie er sagte, erheblichen Fortschritte seit dem Bericht von Oktober 2005 aufmerksam und unterstrich, dass alle notwendigen Gesetze von Bulgarien und Rumänien erlassen worden seien. Daher gehe es nicht mehr um einen legistischen Prozess sondern um die konkrete Umsetzung. Beide Staaten müssten sich aber noch sehr anstrengen, und der nächste Monitoring-Bericht der Kommission sei für 26. September 2006 angekündigt.

Der Beitrittsvertrag sehe eine Aufnahme der beiden Länder mit 1. Jänner 2007 vor, vorausgesetzt, dass alle Staaten bis Jahresende den Vertrag ratifiziert haben. Derzeit lägen Ratifizierungen aus 16 Mitgliedstaaten vor. Die Kommission könne auch die Empfehlung abgeben, den Beitritt um ein Jahr zu verschieben, wofür ein einstimmiger Beschluss im Rat der EU erforderlich sei. Die Empfehlung könnte aber durchaus auch die Einführung von Schutzklauseln enthalten, sagte Winkler. Die österreichische Bundesregierung hoffe jedenfalls, dass Rumänien und Bulgarien Ende dieses Jahres alle Voraussetzungen erfüllen werden und derzeit gehe man durchaus davon aus, dass sowohl Bulgarien als auch Rumänien in der Lage sein sollten, die Bewältigung der Probleme in Angriff zu nehmen.

Während im Oktober des Vorjahres von der Kommission in Rumänien noch 14 kritische Bereiche geortet wurden, spreche der Bericht von Mai 2006 nur mehr von vier. Bulgarien habe die 16 offenen Punkte auf 6 reduzieren können, berichtete Winkler. Konkret gehe es in Rumänien um funktionsfähige Auszahlungsstellen für die direkten Zahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik, um die Einrichtung elektronischer Steuerverwaltungssysteme zwecks korrekter Mehrwertssteuereintreibung, um die Einrichtung eines funktionierenden Integrated Administration and Control System in der Landwirtschaft sowie um den Aufbau von Kadaverbeseitigungs- und Behandlungseinrichtungen gemäß dem Acquis für BSE und Tiernebenprodukte. Die letzten beiden Punkte treffen auch auf Bulgarien zu, das darüber hinaus noch konkrete Ergebnisse im Kampf gegen die organisierte Kriminalität erbringen muss und die Antikorruptions- und Antibetrugsgesetzgebung effizienter umzusetzen hat. Weiters verlangt die EU von Bulgarien eine intensivere Umsetzung der Gesetze gegen die Geldwäsche sowie eine stärkere Finanzkontrolle über Struktur- und Kohäsionsfonds.

Abgeordneter Caspar Einem (S) meinte, der Bericht der Kommission müsse zu denken geben. Die Möglichkeit, den Prozess zu beeinflussen, hielt er jedoch für gering. Die Dynamik werde sich nicht mehr aufhalten lassen. Beim Vorprüfungsverfahren sei einiges schief gelaufen, und das sehe man jetzt. Ende des Jahres werde man vor zwei Möglichkeiten stehen, so Einem, entweder eine politisch bedenkliche Notbremse zu ziehen, oder zu sagen, "Augen zu und durch". Einem wies insbesondere auf Informationen hin, wonach es in Bulgarien kaum Bereitschaft gebe, bei der Anpassung der Zivilprozessordnung zu kooperieren. Es gebe "absurde Regelungen", die einfach nicht ins europäische System passten. Auch seine Klubkollegin Marianne Hagenhofer äußerte sich skeptisch in Bezug auf die Erfolgschancen, bis Jahresende die notwendigen Maßnahmen zu setzen, um etwa Schattenwirtschaft und organisierte Kriminalität effizient bekämpfen zu können. Darüber hinaus habe sich sogar die Kontrolle der strukturpolitischen Ausgaben verschlechtert, gab Hagenhofer zu bedenken.

Für Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) macht ein Beitritt der beiden Länder mit 1.1. 2007 tendenziell Sinn, aber auch sie ortete große Probleme bei der Umsetzung und Durchsetzung entsprechender Maßnahmen, um etwa der Korruption entgegen zu wirken und die Polizei entsprechend zu schulen. Sie hielt es auch für notwendig, die Prozesse nach dem Beitritt genauer zu beobachten. Dies wäre nicht nur bei der letzten Erweiterungsrunde erforderlich gewesen, bemerkte sie, sondern auch gegenüber der Regierung Berlusconi. Um der weit verbreiteten Skepsis in der Bevölkerung gegenüber dem Erweiterungsprozess zu begegnen, halte sie es für unumgänglich, entsprechenden Druck zur Behebung der Defizite aufrecht zu erhalten und Maßnahmen im Falle mangelnder Reformen zu ergreifen. Jahresberichte würden ihrer Meinung nach nicht ausreichen.

Abgeordneter Werner Fasslabend (V) artikulierte ebenfalls Bedenken hinsichtlich der Korruption und der mangelnden Rechtsdurchsetzung in beiden Ländern. Grundsätzlich sei der Beitritt Rumäniens und Bulgariens für Österreich von größtem Interesse, betonte er und erinnerte daran, dass Österreich von der EU-Erweiterung insgesamt profitiert habe. Dennoch könne ein Beitritt nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen vorhanden seien und wenn der Bericht der Kommission glaubhaft versichere, die Probleme seien zu bewältigen. Daher plädierte Fasslabend dafür, den Bericht der Kommission abzuwarten. Für das Selbstverständnis der EU sei es unverzichtbar, dass jedes Mitglied die Bedingungen auch erfüllt, bekräftigte Fasslabend.

Für Abgeordneten Reinhard Eugen Bösch (F) ist der Beitrittstermin für beide Länder auf alle Fälle zu früh. Er betrachtete beide Länder auf Grund der vorliegenden Berichte für nicht EU-reif. Bösch hielt es für den falschen Weg, einen Termin übers Knie zu brechen, und hofft wenigstens auf eine Verschiebung des Beitritts um ein Jahr. Bösch sprach auch die Aufnahmefähigkeit der Union an und meinte, dass bei den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei die Stopptaste längst hätte gedrückt werden müssen.

Es sei eine grundsätzliche Frage, wie perfekt die Länder zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme sein müssen, reagierte Staatssekretär Winkler auf die vorangegangenen Wortmeldungen. Beide Länder befänden sich heute ungefähr auf jenem Level, auf dem sich Länder der vorgegangenen Erweiterungsrunde vor ihrem Beitritt befunden hätten. Winkler räumte jedoch ein, man habe aus der letzten Erweiterung gelernt und wähle nun eine andere Vorgangsweise gegenüber den Ländern des Balkan.

Der Staatsekretär widersprach jenen Abgeordneten, die gemeint hatten, nach dem Beitritt könne man keinen Reformdruck mehr ausüben. So bestehe die Möglichkeit, ein Verfahren nach Artikel 6 einzuleiten, darüber hinaus gebe es auf Grund des Beitrittsvertrags beispielsweise die Möglichkeit, die Freiheit des Warenverkehrs aufzuheben, Steuerkontrollen an den Binnengrenzen fortzusetzen oder die Auszahlung von EU-Fördergeldern zurückzuhalten. Auch durch die Rechtsprechung des EuGh stünden wirksame Mittel zur Verfügung, sagte Winkler. Er gebe aber zu, dass es nicht realistisch sei, mit einer vollen Umsetzung aller offenen Punkte bis 1.1.2007 zu rechnen. Wesentlich sei der politische Wille in den beiden Ländern und der Wille der Union, sich alle Möglichkeiten der Überprüfung und Maßnahmen vorzubehalten, die in den Verträgen vorgesehen seien. Er sei jedoch zuversichtlich, dass die Umsetzung der noch offenen Punkte bei entsprechender Überprüfung und Begleitung, was auch nach dem Beitritt fortgesetzt werde, möglich ist.

Zur Kritik von Abgeordnetem Reinhard Eugen Bösch, die Aufnahmefähigkeit der Union sei als Voraussetzung für die Erweiterung gefallen, entgegnete Winkler, dass dieses Kriterium in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Juni bekräftigt worden sei. Die EU-Kommission sei dazu aufgefordert worden, bis Herbst einen Bericht vorzulegen, in dem auch die Meinung der Bevölkerung enthalten sein soll. Dieses demokratische Element werde für die künftige Erweiterungen eine Rolle spielen, bekräftigte Winkler. (Fortsetzung)