Parlamentskorrespondenz Nr. 655 vom 05.07.2006

Österreichs Wirtschaft wächst deutlich stärker als die des Euroraums

Nationalbankgouverneur Liebscher berichtet dem Finanzausschuss

Wien (PK) – Als erster Punkt auf der Tagesordnung des Finanzausschusses stand der traditionelle Halbjahresbericht des Gouverneurs und des Vize-Gounveurs der Oesterreichischen Nationalbank, Klaus Liebscher und Wolfgang Duchatczek, über die erfolgten geld- und währungspolitischen Maßnahmen. Nach der Aussprache wurde sogleich eine weitere Sitzung des Finanzausschusses eröffnet, in der neben einigen Finanzvorlagen (UFSG-Novelle 2006, Bundeszuschuss für das Burgenland, Änderung des Glücksspielgesetzes) und Doppelbesteuerungsabkommen noch Beiträge zu zu internationalen Organisationen (Internationaler Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung, Multilaterale Entschuldungsinitiative) beschlossen wurden.

Der Gouverneur der Österreichischen Nationalbank, Klaus Liebscher, informierte die Abgeordneten über die wesentlichsten Entwicklungen und Ereignisse seit dem letzten Bericht im November 2005, wobei er sich auf folgende Themenbereiche konzentrierte: die geldpolitische Lage unter besonderer Berücksichtigung der konjunkturellen Situation im Euroraum vor dem Hintergrund der weltwirtschaftlichen Bedingungen; die aktuellen Entwicklungen in der europäischen Fiskal- und Strukturpolitik sowie die gegenwärtige konjunkturelle Lage in Österreich.

Liebscher erinnerte zunächst daran, dass der EZB-Rat aufgrund der wirtschaftlichen und monetären Entwicklungen beschlossen hat, die Leitzinsen Anfang Dezember und Anfang März um jeweils 25 Basispunkte anzuheben, nachdem sie sich zuvor zweieinhalb Jahre lang auf dem historisch niedrigsten Niveau befunden hatten. Eine weitere Erhöhung erfolgte dann am 8. Juni, erklärte Liebscher, die Zinssätze liegen seitdem bei 2,75 % (Mindestbietungssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte), 3,75 % (Zinssatz für Spitzenrefinanzierungsfazilität) und bei 1,75 % (Einlagefazilität).

Diese Entscheidung reflektiere die auf Grundlage der regelmäßigen Analyse der wirtschaftlichen und monetären Entwicklungen identifizierten Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität. Diese weitere geldpolitische Straffung werde dazu beitragen, die längerfristigen Inflationserwartungen im Eurogebiet auf einem mit der Preisstabilität konsistenten Niveau zu verankern, war der Nationalbankgouverneur überzeugt. Durch die Gewährleistung von Preisstabilität leiste die Geldpolitik weiterhin einen bedeutenden Beitrag zu Wachstum und Arbeit im Euroraum.

Die weltwirtschaftlichen Entwicklungen im letzten Halbjahr

Das weltwirtschaftliche Umfeld zeige sich insgesamt robust, lautete die Analyse von Liebscher. Das reale BIP-Wachstum der US-amerikanischen Wirtschaft beschleunigte sich im 1. Quartal auf 5,3 % nach einem Wachstum von 1,7 % im Vorquartal und verzeichnete damit das kräftigste Quartalswachstum seit zweieinhalb Jahren. Für die Beschleunigung der wirtschaftlichen Dynamik waren insbesondere der wieder deutlich stärkere Anstieg der Konsumausgaben sowie die gestiegenen Staatsausgaben und der als Folge stärkerer Exportzuwächse gesunkene negative Außenhandelsbeitrag verantwortlich. Das Wachstumstempo der US-Wirtschaft dürfte sich im weiteren Verlauf des Jahres 2006 allerdings verlangsamen, und zwar aufgrund der hohen Energiekosten und der Zinserhöhungen der Notenbank. In den neuen – für Österreichs Wirtschaft wichtigen – EU-Mitgliedstaaten entwickle sich die Wirtschaft schwungvoll. So habe sich beispielsweise in Polen das reale BIP-Wachstum im ersten Quartal 2006 erneut beschleunigt (auf 5,2 % im Jahresabstand). Ebenso positive Entwicklungen seien in der Slowakei, Tschechien und Ungarn feststellbar.

Wirtschaft im Euroraum weiter auf Erholungskurs

Das BIP-Wachstum im Euroraum betrug im ersten Quartal 2006 0,6 % gegenüber dem Vorquartal und bestätigte damit den Expansionstrend des Vorjahres, der im vierten Quartal 2005 nur vorübergehend abgeschwächt war. Der Zuwachs wurde stark vom privaten und staatlichen Konsum gespeist. Insgesamt konnte sich die Binnennachfrage um 0,3 % gegenüber dem vierten Quartal 2005 verbessern. Der Außenbeitrag wuchs gegenüber dem Vorquartal ebenfalls um 0,3 %, da die Exporte die ebenfalls stark wachsenden Importe überflügelten. Die Vertrauens- und Vorlaufindikatoren für den Euroraum deuten ebenso wie nationale Indikatoren weiterhin auf eine ungebrochene Erholung im Euroraum im Laufe des Jahres 2006 hin.

Die von Experten der EZB erstellten gesamtwirtschaftlichen Projektionen vom 19. Mai 2006 gehen für die Jahre 2006 und 2007 von einem durchschnittlichen Jahreswachstum des realen BIP im Euroraum zwischen 1,8 % und 2,4 % bzw. 1,3 % und 2,3 % aus. In ihrer am 8. Mai 2006 publizierten Frühjahrsprognose sieht die Europäische Kommission das Wachstum im Euroraum bei 2,1 % und für 2007 bei 1,8 %. Das BIP-Wachstum wird in beiden Prognosen stark von der Auslandsnachfrage getragen, das verbesserte Geschäftsklima soll sich in höheren Investitionen niederschlagen. Ähnlich auch die Vorhersagen des IWF. Als Risikofaktor für die günstigen Perspektiven bleibt der Ölpreis.

Während sich also einerseits der Aufschwung festigt, sorgt andererseits die Entwicklung des Ölpreises für den Inflationsantrieb im Euroraum. Die HVPI-Inflationsrate betrug im Mai 2006 2,5 %, nach 2,4 % im April; im Jahr 2005 lag sie durchschnittlich bei 2,2 %. Die Energiekomponente hatte wie schon in den Vormonaten wieder wesentlich zum Preisauftrieb beigetragen. Ebenfalls zugelegt haben im April die Komponenten Verkehr und Wohnungskosten. Laut jüngster Projektionen der Experten des Eurosystems wird die HVPI-Inflationsrate im Jahr 2006 zwischen 2,1 % und 2,5 % und im Jahr 2007 zwischen 1,6 % und 2,8 % liegen.

Österreichs Wirtschaft wächst deutlich stärker als der Euroraum

Nationalbankgouverneur Liebscher ging sodann auf die ökonomische Entwicklung in Österreich ein, wo der Konjunkturaufschwung der letzten Monate an Breite gewonnen habe. Österreichs Wirtschaft wachse weiterhin deutlich stärker als die des Euroraums. Das Wirtschaftswachstum war 2005 mit 1,8 % (saisonal und arbeitstägig bereinigt: 1,9 %) – trotz sehr schwacher Konjunktur bei den Haupthandelspartner Deutschland und Italien – um rund einen halben Prozentpunkt stärker als im Euroraum. Begünstigt wurde diese Tendenz einerseits von der moderaten Entwicklung der relativen Lohnstückkosten in den letzten zehn Jahren und andererseits vom Ausbau der Exportbeziehungen nach Zentral- und Osteuropa. Auch wirtschaftspolitische Maßnahmen, wie die zweite Etappe der Steuerreform sowie drei Konjunktur- bzw. Beschäftigungspakete stützten das Wachstum.

Quartalsdaten des realen BIP für 2006 bekräftigen, dass der Mitte 2005 begonnene Aufschwung an Stärke gewonnen hat. Nach einem Zuwachs von 0,6 % bzw. 0,7 % (saison- und arbeitstägig bereinigt, im Vergleich zum Vorquartal) im dritten bzw. vierten Quartal 2005 legte die österreichische Wirtschaft auch im ersten Quartal 2006 mit 0,6 % kräftig zu.

Die OeNB erwartet in ihrer jüngsten Österreich-Prognose vom Juni eine Zunahme des realen BIP im Jahr 2006 um 2,5 %. Im Vergleich zur Dezember-Prognose der OeNB wurde das Wachstum für 2006 um 0,2 Prozentpunkte nach oben revidiert. Belebte Inlandsnachfrage und Exportdynamik bilden die Triebfedern für das beschleunigte Wirtschaftswachstum. Für 2007 und 2008 werden jeweils 2,2 % Zuwachs prognostiziert.

Mit 1,4 % lag das reale Konsumwachstum 2005 unter dem langjährigen Durchschnitt. Zwar dämpfen die hohen Energiepreise weiterhin den Konsum, doch begünstigt seit Jahresbeginn das verbesserte Vertrauen die Konsumnachfrage. Die privaten Haushalte beginnen ihre Einkommenszuwächse infolge der Steuerreform und höherer Lohnabschlüsse vermehrt auszugeben, wodurch 2006 mit einem Rückgang der Sparquote zu rechnen ist.

Die Investitionsnachfrage war 2005 durch das Auslaufen der Investitionszuwachsprämie geprägt. Im Jahr 2006 werden die Investitionen aber durch regen Export, günstige Finanzierungsbedingungen und hohe Unternehmensgewinne belegt. Das Investitionswachstum wird 2006 2,5 % betragen und sich 2007 auf 3,1 % beschleunigen, erklärte Liebscher.

Die Exporte bleiben eine wichtige Konjunkturstütze, betonte der Nationalbank-Gouverneur. Obwohl die heimischen Exporteure 2005 – unterstützt durch Lohnmoderation – ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit verbessern konnten, hat sich das Wachstum der realen Exporte 2005 verlangsamt. In den Jahren 2006 bis 2008 wird jedoch infolge des nach wie vor dynamischen Wachstums der Märkte eine Beschleunigung des Exportwachstums erwartet. 2006 wird die Zunahme der realen Exporte mit 6 % recht kräftig ausfallen, für 2007 und 2008 wird mit einer weiteren leichten Beschleunigung auf 6,2 % bzw. 6,3 % gerechnet.

Das gesamtstaatliche Budgetdefizit fiel 2005 in Österreich mit 1,5 % etwas höher als 2004. Die OeNB geht in ihrer Frühjahrsbudgetprognose von einem Rückgang des Defizits bis 2008 auf 1 % aus. Die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts werden klar erfüllt und im Vergleich zum EU- bzw. Euroraum-Durchschnitt schneidet Österreich deutlich besser ab. Die Staatsschuld erreichte 2005 62,9 % des BIP, sie wird nach der Prognose der OeNB bis 2008 unter die 60 %-Quote fallen. Nicht nur der Konjunkturausblick sei durchaus positiv, auch der Wirtschaftsstandort Österreich ist international gut positioniert, konstatierte Liebscher. Bei nahezu allen wichtigen makroökonomischen Kenndaten schneidet Österreich international gesehen gut ab.

Weitere Beschlüsse des Finanzausschusses

Nach Erledigung des Themas "Basel II" (siehe PK Nr. 653) verabschiedeten die Mitglieder des Finanzausschusses zunächst einstimmig eine Regierungsvorlage zur Novellierung des Gesetzes über den unabhängigen Finanzsenat, mit der die Zuständigkeit des UFS-Präsidenten gegenüber der Vollversammlung klarer abgegrenzt wird. Neben Verfahrensvereinfachungen in der Bundesabgabenordnung und im Bodenschätzungsgesetz trägt die Sammelnovelle zudem einem VfGH-Erkenntnis Rechnung: Die Vergütung der Normverbrauchsabgabe wird auch bei der Verbringung eines privaten Gebrauchtfahrzeugs ins Ausland oder eines betrieblichen Fahrzeugs in eine ausländische Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen sowie beim Export durch einen Fahrzeughändler zuerkannt. Nicht begünstigt bleibt die Lieferung eines privaten PKWs ins Ausland (1567 d.B.).

Bundeszuschuss zum 85. Geburtstag des Bundeslandes Burgenland

Dann befürwortete der Ausschuss mit den Stimmen aller vier Fraktionen einen Bundeszuschuss an das Burgenland aus Anlass seiner 85-jährigen Zugehörigkeit zu Österreich (1555 d.B.). Der einmalige Zweckzuschuss soll 2 Mill. € betragen und zur Förderung von Beschäftigung, Wirtschaft, Sozialwesen, Jugend, Kultur und Bildung eingesetzt werden. Staatssekretär Alfred Finz ging auf eine Frage des Abgeordneten Christoph Matznetter ein und stellte fest, dass es sich bei dem Betrag um eine Zuwendung außerhalb des Finanzausgleichs handle; sowohl die Form als auch die Höhe würden von den anderen Bundesländern akzeptiert. Die Textierung selbst basiere auf einem Vorschlag von Seiten Burgenlands, erklärte er gegenüber Abgeordnetem Werner Kogler (G).

Im weiteren Verlauf der Ausschusssitzung erzielte ein V-F-Antrag auf Änderung des Glücksspielgesetzes zur Anpassung an das jüngst beschlossene Deregulierungsgesetz einhellige Zustimmung. Konkret wird der Verweis auf die Existenzminimum-Verordnung durch einen Verweis auf die Exekutionsordnung ersetzt (844/A).

Schließlich verlangte der Ausschuss auf Antrag der Abgeordneten Günter Stummvoll, Josef Bucher, Johann Maier und Werner Kogler einen jährlichen Berichtes über die Vollziehung des Produktpirateriegesetzes (834/A(E)). – Einstimmig angenommen.

Internationale Finanzabkommen passieren den Ausschuss

Österreich soll sich an der Wiederauffüllung des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) mit einem Betrag von 10,8 Mill. USD beteiligen und damit zur Förderung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern beitragen, beschloss sodann der Finanzausschuss einstimmig (1556 d.B.). Hauptzweck der Fondstätigkeit ist die Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion und die Bekämpfung der Armut, führte Finanzstaatssekretär Alfred Finz aus.

Ebenfalls der Erreichung der UN-Millenniumsziele beim Kampf gegen die globale Armut dient die auf dem G8-Gipfel von Gleneagles im Juli 2005 vorgeschlagene multilaterale Entschuldungsinitiative (MDRI) für die ärmsten Länder der Welt. Dieser Schuldenerlass erfordert bei der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA) und beim Afrikanischen Entwicklungsfonds (AfEF) eine Wiederauffüllung, an der sich Österreich bis 2016 mit 67,6 Mill. € beteiligen soll, empfahl der Ausschuss einstimmig (1557 d.B.). Da mit den Beiträgen Schulden abgebaut werden, könne er auch keine Auskunft über konkrete Projekte geben, stellte Staatssekretär Alfred Finz gegenüber S-Abgeordneter Hagenhofer fest.

Schließlich verabschiedete der Finanzausschuss ein Einkommen- und Vermögensteuer-Abkommen mit Algerien (1494 d.B.) einstimmig. Ebenfalls einstimmig passierten Doppelbesteuerungsabkommen mit Venezuela, Saudi-Arabien und Tschechien den Ausschuss (1507 d.B., 1540 d.B. und 1566 d.B.). (Fortsetzung)