Parlamentskorrespondenz Nr. 688 vom 12.07.2006

Sozialpolitische Themen im Nationalrat

Vom ArbeitnehmerInnenschutz bis zur MitarbeiterInnenvorsorge

Wien (PK) – Sozialthemen standen am Nachmittag, unterbrochen durch die Debatte über den Dringlichen Antrag der Grünen, im Mittelpunkt der Debatte des Nationalrats.

Änderungen im ArbeitnehmnerInnenschutz nach EuGH-Urteil

Abgeordneter Ing. WINKLER (V) wies darauf hin, dass die vorliegende Gesetzesnovelle erforderlich sei, um einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu entsprechen. Dieser habe festgestellt, dass Österreich eine EU-Richtlinie nicht ausreichend umgesetzt habe. Insbesondere gehe es um das Aufzeigen und das Informieren über Gefahrenquellen in Betrieben, skizzierte Winkler. Der Abgeordnete betonte allerdings, dass die Arbeitgeber im Interesse der Gesundheit der Arbeitnehmer schon jetzt bemüht seien, Gefahrenquellen zu erkennen und zu beseitigen.

Abgeordneter LACKNER (S) wies auf die Bedeutung des Schutzes für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hin und zeigte sich enttäuscht, dass mit der vorliegenden Novelle EU-Vorgaben nur in einer "Minimalvariante" umgesetzt würden. Seiner Meinung nach gibt es im Bereich des Arbeitnehmerschutzes noch einige Regelungslücken.

Abgeordneter WALCH (F) unterstrich, Österreich nehme im Bereich des Arbeitnehmerschutzes eines Vorreiterrolle ein. Unternehmer seien selbst nicht daran interessiert, dass Arbeitsunfälle passieren, bekräftigte er.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) meinte hingegen, der Arbeitnehmerschutz sei einer jener Bereiche, in denen die EU Maßstäbe gesetzt habe, auch für Österreich. "Wir sind im Arbeitnehmerschutz ganz sicher nicht Europa- oder Weltmeister", sagte er, vielmehr gebe es etwa in der Baubranche ein im internationalen Vergleich hohes Unfalls- und Invaliditätsrisiko. Das Motto laute, "nur das Nötigste machen". In diesem Sinn habe man auch Betriebe mit weniger als fünf Beschäftigten von bestimmten Verpflichtungen ausnehmen wollen, kritisierte Öllinger, was der EuGH nunmehr jedoch unterbunden habe.

Wirtschaftsminister Dr. BARTENSTEIN widersprach Abgeordnetem Öllinger massiv. Vorliegende Daten würden belegen, dass Österreich im Bereich des Arbeitnehmerschutzes in Europa zur Spitzengruppe gehöre, unterstrich er. In Richtung Abgeordnetem Lackner hielt er fest, sowohl die geltenden Bestimmungen als auch die vorliegenden Gesetzesänderungen beruhten auf einer Sozialpartner-Einigung. Das Urteil des EuGH werde selbstverständlich umgesetzt, versicherte der Minister, auch wenn er, wie er sagte, manche EU-Vorgabe für "überschießend" hält.

Abgeordnete RIENER (V) führte aus, seit vielen Jahren werde der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich groß geschrieben. Arbeitnehmerschutz diene nicht nur der Gesundheit der ArbeitnehmerInnen, erklärte sie, sondern habe auch positive betriebs- und volkswirtschaftliche Auswirkungen. Jeder einzelne Arbeitsunfall, der verhindert werden könne, erspare dem Unternehmen im Schnitt 2.000 €.

Abgeordnete MITTERMÜLLER (F) konstatierte, Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz sei allen ein Anliegen. Schließlich verursachten Arbeitsunfälle nicht nur einen jährlichen Schaden von 1,5 Mrd. €, sondern hätten auch viel persönliches Leid zur Folge. Erfreut zeigte sich Mittermüller darüber, dass die Zahl der Arbeitsunfälle in Österreich seit dem Jahr 1996 um 30 % zurückgegangen sei.

Die Gesetzesnovelle wurde vom Nationalrat einstimmig verabschiedet.

Nationalrat nimmt Ablehnung eines SP-Antrags zur Kenntnis

Abgeordneter RIEPL (S) hielt fest, die Mitarbeitervorsorge sei ein "Kind der Sozialpartner" und als Abfertigung Neu auch allgemein akzeptiert. Der vorliegende Antrag ist seiner Darstellung nach deshalb von der SPÖ eingebracht worden, weil viele Arbeitgeber zum Nachteil der Beschäftigten nicht fristgerecht eine Mitarbeitervorsorgekasse ausgewählt hätten, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen wären. Das Anliegen ist ihm zufolge aber mittlerweile aufgegriffen und das Problem gelöst worden. Generell regte Riepl eine Diskussion über eine Beitragserhöhung der Unternehmer in Bezug auf die Mitarbeitervorsorge an.

Abgeordneter Mag. TANCSITS (V) bezeichnete die Mitarbeitervorsorge als "eine tolle Sache" und wies darauf hin, dass der zur Diskussion stehende Antrag der SPÖ überholt sei. Tancsits räumte allerdings ein, dass das Mitarbeitervorsorgegesetz einige "Schönheitsfehler" habe. Ihm zufolge verlangt der ÖAAB eine Erhöhung des Beitragssatzes der Unternehmer in Richtung 2,5 %, zudem zeigte er sich über das Mitwirkungsrecht des ÖGB - anstelle der Arbeiterkammer - bei Zuweisungsverfahren "unglücklich". Änderungen sollten aber nicht vom Gesetzgeber "dekretiert" werden, sagte Tancsits, vielmehr sei eine Einigung zwischen den Sozialpartnern erforderlich.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) erklärte, Kern des Problems seien die "völlig überzogenen" Erwartungen in Bezug auf die Renditenentwicklung der Mitarbeitervorsorgekassen und in Bezug auf die Lohnzuwächse. Überdies habe es im ersten Jahr zwischen den einzelnen Vorsorgekassen Renditenunterschiede von 100 % gegeben, skizzierte er. Zum Teil sei die Rendite sogar von den Verwaltungskosten "aufgefressen" worden. Öllinger zufolge ist es daher nicht angebracht, von einem Erfolgsmodell zu sprechen.

Abgeordneter WALCH (F) machte geltend, dass der vorliegende SPÖ-Antrag erledigt sei. Generell zeigte sich der Abgeordnete mit der Abfertigung Neu zufrieden und verwies darauf, dass früher nicht einmal 15 % der arbeitenden Menschen einen Abfertigungsanspruch gehabt hätten, während es jetzt 100 % seien. Ihm zufolge muss man nunmehr allerdings rund 38 Jahre - statt wie früher 25 Jahre - arbeiten, um auf eine Abfertigung von einem Jahresgehalt zu kommen.

Für Abgeordnete KÖNIGSBERGER-LUDWIG (S) ist die vorliegende SPÖ-Initiative maßgeblich dafür verantwortlich, dass bezüglich der automatischen Zuweisung einer Mitarbeitervorsorgekasse mittlerweile eine Regelung getroffen wurde. Ihrer Auffassung nach gibt es aber noch einige andere offene Punkte im Zusammenhang mit der Abfertigung Neu. So ist ihr zufolge die Frage der Verbindlichkeit von Kontonachrichten zu klären und auch die Frage, wie man mit Kurzzeitbeschäftigten umgehe.

Abgeordneter PRINZ (V) stellte fest, die Abfertigung Neu habe sich als Erfolgsmodell etabliert. Nunmehr sei sichergestellt, dass alle Arbeitnehmer eine entsprechende Abfertigung erhalten. Die Kritik von Abgeordnetem Öllinger an der Renditeentwicklung der Mitarbeitervorsorgekassen wies Prinz zurück.

Abgeordnete MITTERMÜLLER (F) bekräftigte, die Abfertigung Neu habe allen Arbeitnehmern wesentliche Verbesserungen gebracht, insbesondere auch Frauen. So würden während Kinderbetreuungszeiten und Zeiten der Familienhospizkarenz vom Familienlastenausgleichsfonds Beiträge in die Mitarbeitervorsorgekasse eingezahlt. Der SPÖ-Antrag ist Mittermüller zufolge bereits erledigt, es sei sichergestellt, dass die Unternehmerbeiträge rasch an die Vorsorgekassen weitergeleitet werden.

Der ablehnende Bericht des Sozialausschusses zum SPÖ-Antrag 502/A(E) wurde mit den Stimmen der Koalitionsparteien zur Kenntnis genommen.

Beharrungsbeschlüsse gegen BR-Einsprüche zum SRÄG und zum SVÄG

Abgeordnete SILHAVY (S) untermauerte die Kritik ihrer Fraktion an der Bestimmung über die Mitversicherung von Lebensgefährten und betrachtete es als Diskriminierung, dass die kostenlose Mitversicherung nunmehr von einem Alterslimit und von der Erziehung gemeinsamer Kinder bzw. der Pflege von Angehörigen abhängig gemacht wird. Der Unmut Silhavys traf weiters auch die Regelung der Schwerarbeiterpension. Hier befürchtete die Rednerin, dass durch die Einführung eines Stichtages zahlreiche Menschen von der Leistung ausgeschlossen bleiben.

Abgeordneter Mag. TANCSITS (V) bezeichnete die Einsprüche als sozialpolitisch unverantwortlich und meinte, es gehe nicht an, die Regelungen in ihrer Gesamtheit zu kippen, nur weil der SPÖ einige Teile davon nicht passen.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) zeigte kein Verständnis für die Stichtagsregelung beim Anspruch auf Schwerarbeiterpension und argumentierte, dadurch würden neue Ungerechtigkeiten geschaffen werden. Die Regelung der Mitversicherung der Lebensgefährten wiederum ist nach Ansicht Öllingers Ausdruck eines überkommenen Familienbildes der ÖVP. Der Redner warf der Volkspartei vor, dabei nicht die Partnerschaften der Zukunft, sondern jene von vorgestern im Auge zu haben.

Abgeordneter WALCH (F) lobte die Regierung für die Gleichstellung der verschiedenen Pensionssysteme und bezeichnete die Schwerarbeitsregelung gegenüber den Sprechern der Opposition als gerecht. Für Frauen werde die Regelung ab Juli 2010 wirksam, erinnerte Walch und korrigierte Aussagen des Abgeordneten Keck, VOEST-Arbeiter würden nicht unter diese Regelung fallen.

Abgeordnete HEINISCH-HOSEK (S) wandte sich gegen die Diskriminierung homosexueller Lebensgemeinschaften und forderte die ÖVP dazu auf, auch Lebensgemeinschaften als Familienformen zu akzeptieren. Alternative Lebensformen verdienten Verständnis, man sollte nicht eine verstaubte Ideologie über die Lebensrealität vieler Menschen stellen.

Für Abgeordnete STEIBL (V) gingen die Ausführungen der Vorrednerin zu weit. Das VfGH-Erkenntnis zwinge den Gesetzgeber zum Handeln und dabei habe man dafür gesorgt, dass die kostenlose Mitversicherung in Lebensgemeinschaften gelte, in denen Kinder erzogen oder Pflegebedürftige gepflegt werden. Der Einspruch des Bundesrates und der Opposition sei völlig haltlos, schloss Steibl.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) befürchtete, die ÖVP werde erst in Jahrzehnten oder Jahrhunderten bereit sein, die Realität anderer Familienformen als die der Ehe in der österreichischen Bevölkerung wahrzunehmen. Die unbegründete Privilegierung der Ehe bedeute eine Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare. Das VfGH-Erkenntnis sei nicht richtig umgesetzt worden, klagte die Rednerin und erinnerte die ÖVP an ihre Ankündigung, die Situation gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften zu verbessern. "Offenbar fehlt Ihnen der Mut, Ankündigungen umzusetzen".

Abgeordnete MITTERMÜLLER (F) hielt den Einspruch des Bundesrates, der mit einer Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften begründet wurde, für nicht nachvollziehbar. Dem diesbezüglichen VfGH-Urteil sei Rechnung getragen worden, sagte die Rednerin, die den Beharrungsbeschluss bejahte und sich zur Mitversicherung in Lebensgemeinschaften bekannte, in denen Kinder erzogen und Pflegebedürftige gepflegt werden.

Abgeordneter KECK (S) kritisierte, dass es die im Gesetz festgeschriebenen Kriterien den Schwerarbeitern nicht ermöglichen, die Schwerarbeitsregelung beim Pensionsantrag in Anspruch zu nehmen. Die meisten Bauarbeiter etwa verlassen ihre Branche zwischen 40 und 60 Jahren und haben bei ihrem Pensionsantritt keine Chance, 10 Jahre Schwerarbeit während der letzten 20 Jahre nachzuweisen.

Sozialministerin HAUBNER erinnerte einmal mehr daran, dass die Regierung mit der Schwerarbeitsregelung Neuland betreten habe. Die Regelung stelle keinen Ersatz für eine Berufsunfähigkeitspension dar, sie ermögliche Schwerarbeitern fünf Jahre früher mit wesentlich geringeren Abschlägen in Pension zu gehen. Das Modell sei fair, treffsicher und umsetzbar. Bei Schicht- und Wechseldienst werde von einer Durchschnittsbetrachtung ausgegangen, um unregelmäßige Schichtdienste zu berücksichtigen. Das Schwerarbeitsmodell soll auch für Teilzeitbeschäftigte gelten, etwa in Pflegeberufen. Außerdem stellte die Ministerin klar, dass der Urlaub die Schwerarbeit nicht unterbreche. Die Schwerarbeiterregelung sei ein wichtiger Stein in der Entwicklung eines nachhaltigen Pensionssystems.

Für Abgeordneten DONABAUER (V) haben Regierung und Koalitionsparteien in den letzten Jahren gute sozialpolitische Arbeit geleistet, daher könne er der kommenden Wahl sehr sachlich entgegenblicken. Die vorgesehene Regelung für die kostenlose Mitversicherung in Lebensgemeinschaften berücksichtige Kindererziehung und Pflege von Pflegebedürftigen. Das stelle keine Diskriminierung dar, sondern entspreche den Werthaltungen der ÖVP.

Dem widersprach Abgeordnete Mag. KUNTZL (S), indem sie eine Ungleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften feststellte. Die ÖVP diskriminiere solche Lebensformen, weil sie sie nicht wolle. Der SPÖ gehe es hingegen um gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle Lebensformen. Die Behauptung, die Ehe habe eine höhere Bestandssicherheit, sei angesichts der hohen Scheidungsraten nicht haltbar. Man sollte Gesetze für die Welt von heute machen, lautete der Appell der Abgeordneten.

Abgeordneter SCHÖLS (V) vermisste das Verständnis der Sozialdemokraten für die Sozialpolitik. Die SPÖ ignoriere mit ihrem Einspruch die Wünsche von Polizisten und Justizwachebeamten, die keine Schwerarbeitsregelung in Anspruch nehmen könnten, würde der Nationalrat heute keinen Beharrungsbeschluss fassen.

Bundesministerin RAUCH-KALLAT erinnerte an die Aufhebung der beitragsfreien Mitversicherung durch den VfGH. Hätte man das Gesetz nicht repariert, wäre jede Frau, die in einer Lebensgemeinschaft lebt, aus der Mitversicherung heraus gefallen, dies habe man mit den Bestimmungen Kindererziehung und Pflege verhindert. Das sei eine vernünftige Regelung in Übereinstimmung mit den Intentionen des VfGH.

Abgeordnete CSÖRGITS (S) kritisierte, die Sozialministerin handle beim Schwerarbeitsgesetz mit Empfehlungen an die Sozialversicherungsträger, statt klare gesetzliche Bestimmungen zu formulieren. Bei der Abschaffung der Frühpensionen habe die Regierung den Menschen versprochen, bei Schwerarbeit früher in Pension gehen zu können. Dieses Versprechen habe die Regierung gebrochen. "Diese Regierung hat kein soziales Empfinden", sagte Csörgits und kritisierte weiter, dass Frauen weiterhin von der Schwerarbeitsregelung ausgeschlossen seien und kranke Menschen von dieser Regelung keinen Nutzen haben.

Abgeordneter DOBNIGG (S) sah keinen Grund zum Jubel über die Schwerarbeiterregelung. Das Ziel, Schwerarbeitern einen früheren Pensionsantritt zu ermöglichen, sei weit verfehlt worden. Das Sozialrechtsänderungsgesetz strotze vor Ungerechtigkeiten und Verschlechterungen. Von Treffsicherheit und Fairness könne keine Rede sein und überdies würden Frauen benachteiligt. Die Regierung habe eine große sozialpolitische Chance vertan.

Bei der Abstimmung fasste der Nationalrat bei verfassungsmäßig ausreichendem Quorum mehrheitliche Beharrungsbeschlüsse gegen beide Einsprüche des Bundesrates.

(Schluss Soziales/Forts. NR)