Parlamentskorrespondenz Nr. 743 vom 15.09.2006

Die Habsburg-Krise - mehr als parteipolitische Auseinandersetzungen

Grundsatzfragen von Verfassung und Parlament im Mittelpunkt

Wien (PK) – Im Rahmen unserer Reihe "Parlamentsdebatten, die Geschichte machten, bringen wir heute einen Bericht über die parlamentarischen Auseinandersetzungen im Rahmen der so genannten Habsburgkrise. Bisher erschienen: PK Nr. 52 über die erste Sitzung des Nationalrats nach dem 2. Weltkrieg; PK Nr. 542 über die Ratifizierung des Österreichischen Staatsvertrags; PK Nr. 226 über den EU-Beitritt Österreichs.

Eine schwere Belastung für die Große Koalition

Im Frühsommer des Jahres 1963 schlitterte die Große Koalition von ÖVP und SPÖ in eine ihrer schwersten Belastungen, die beinahe zum Bruch geführt hätte und nur mühsam wieder gekittet werden konnte– heute bekannt unter dem Titel "Habsburg-Krise". Die Debatten darüber gingen weit über die politisch brisante Frage, ob die von Otto Habsburg-Lothringen abgegebene Loyalitätserklärung zur Republik Österreich dem Habsburgergesetz entsprach und somit ausreichend war, hinaus; sie lieferte vor allem die Grundlage für eine tief greifende rechts- und verfassungspolitische Grundsatzdebatte, für eine Debatte über die Gewaltenteilung, für eine Diskussion, ob Urteile von Höchstgerichten einer Prüfung und einer Revision unterzogen werden können, und stellte darüber hinaus auch das parlamentarische Selbstverständnis auf den Prüfstand.

Die Große Koalition hatte damals bereits seit geraumer Zeit mit internen Schwierigkeiten und gegenseitiger Blockade zu kämpfen. Die von Otto Habsburg-Lothringen abgegebene Erklärung ließ die Risse vollends aufbrechen. Zunächst unüberwindbare Gegensätze führten dazu, dass die SPÖ, die sich strikt gegen eine Einreise Otto Habsburg-Lothringens nach Österreich ausgesprochen hatte, gemeinsam mit der FPÖ mehrheitlich einen Entschließungsantrag annahm. Damals begann erstmals eine Diskussion über eine mögliche Kleine Koalition zwischen SPÖ und FPÖ, bei der auch der damalige Präsident des Gewerkschaftsbundes, Franz Olah, eine wichtige Rolle spielte.

Anlass für die Krise war der Wunsch Otto Habsburg-Lothringens  – der in Deutschland lebende Sohn des letzten österreichischen Kaisers Karl I.  -   nach Österreich zurückzukehren. Er gab am 31. Mai 1961 offiziell zu Protokoll, dass er auf seine "Mitgliedschaft zum Hause Habsburg-Lothringen und auf alle aus ihr gefolgerten Herrschaftsansprüche ausdrücklich verzichte" und sich "als getreuer Staatsbürger der Republik bekenne". Seine familien- und privatrechtliche Stellung sollte dadurch nicht berührt werden. Gleichzeitig  ersuchte er die Regierung, im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats festzustellen, dass diese Erklärung als ausreichend anzusehen sei. Die Erklärung wurde am 5. Juni 1961 durch den Anwalt Dr. Draxler Bundeskanzler Gorbach übergeben. Im Ministerrat am 13. und 21. Juni konnte darüber keine Einigung erzielt werden. Das Protokoll der Sitzung wurde einige Tage später durch den Zusatz ergänzt, dass damit der Antrag als abgelehnt gilt.  Der Antrag wurde weder an den Hauptausschuss weitergeleitet, noch wurde Otto Habsburg-Lothringen oder sein Anwalt formell verständigt. Die "Wiener Zeitung" meldete, die Erklärung sei abgelehnt worden. Daraufhin rief Otto Habsburg-Lothringen den Verfassungsgerichtshof an, der sich am 16. Dezember 1961 jedoch für unzuständig erklärte. Das Höchstgericht begründete seine Haltung damit, dass kein Bescheid vorliege und dass die Regierung Einvernehmen mit dem Hauptausschuss suchen müsse, der wiederum kein Verwaltungsorgan sei und dessen Mitglieder über das verfassungsrechtlich garantierte freie Mandat verfügten. Es habe daher keine Entscheidungskompetenz. Otto Habsburg-Lothringen gab nicht auf und wandte sich mittels einer Säumnisbeschwerde am 6. Februar 1962 an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser forderte die Regierung auf, entweder eine Stellungnahme zu verfassen oder eine Entscheidung zu fällen. Nachdem die Regierung auch diesen Termin verstreichen ließ, stellte der Verwaltungsgerichtshof am 24. Mai 1963 fest, die Loyalitätserklärung sei ausreichend und die Landesverweisung Otto Habsburg-Lothringens aufzuheben.

Dies entfachte eine gewaltige und kontroversielle öffentliche und politische Debatte. Es kam zu Streiks und zu Demonstrationen gegen Habsburg, in der parlamentarischen Auseinandersetzung wiederum wurde vor allem auch der verfassungsrechtliche und rechtsstaatliche Aspekt heftig diskutiert. Abgesehen von der Frage, ob das Nichtzustandekommen eines einstimmigen Beschlusses im Ministerrat einer Ablehnung gleichkam oder nicht, erregte die unterschiedliche Spruchpraxis der beiden Höchstgerichte schwere verfassungsrechtliche Bedenken. Angesichts dieser Situation sprach man von eklatanter Rechtsunsicherheit. Welche Entscheidung war nun gültig: diejenige des Verfassungsgerichtshofs, der gemeint hatte, es handle sich um eine politische Entscheidung der Bundesregierung und des Hauptausschusses, die einer Überprüfung durch die Gerichtshöfe überhaupt entzogen ist, oder diejenige des Verwaltungsgerichtshofs, durch dessen Spruch der Hauptausschuss übergangen worden war und womit eine parlamentarisch-demokratische Kernfrage berührt wurde.

Sondersitzung des Nationalrats mit SP-Dringlicher

Gelegenheit für den ersten parlamentarischen Schlagabtausch bot die Sondersitzung vom 5. Juni 1963 (18. Sitzung des Nationalrats, X. GP), in der die Dringliche Anfrage der SPÖ an den Bundeskanzler "betreffend die Wahrung der Rechtseinheit in Österreich" debattiert wurde.

Als erster Redner ergriff Abgeordneter Robert Uhlir (SPÖ) das Wort, der die Anfrage begründete. Er sprach von der "ernsteste[n] Situation, in der sich der österreichische Staat seit seinem Wiedererstehen im Jahr 1945 befindet". Uhlir beleuchtete zunächst die Gründe für die ablehnende Haltung der SPÖ zum Hause Habsburg-Lothringen. Der Erste Weltkrieg sei sehr leichtfertig vom Zaun gebrochen worden und habe Hunderttausende von österreichischen Staatsbürgern das Leben gekostet, sagte er. Das Reich sei nur deshalb zusammengebrochen, weil "absolutistische Engstirnigkeit den Völkern in der österreichisch-ungarischen Monarchie die Selbstbestimmung verweigert hatte". Für Österreich sei ein "wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Trümmerhaufen" übrig geblieben. Die damals lebende Generation habe dieses Herrschergeschlecht für ihr Elend verantwortlich gemacht und die Landesverweisung sei die menschlichste Form der Beseitigung dieser Herrschaft gewesen. Man müsse daher verstehen, dass man auch für den "Sproß des Kaiserhauses" nichts übrig habe. Als Folge der beiden einander widersprechenden Erkenntnisse der beiden Höchstgerichte befürchtete Uhlir eine Erschütterung des Rechtsbewusstseins in der Bevölkerung, die "kein Verständnis für Rechtskniffe und Rechtsschliche" habe. Er prangerte insbesondere auch die Sistierung eines dem Nationalrat zustehenden Rechts durch den Verwaltungsgerichtshof an. Die sozialistischen Abgeordneten verträten, so Uhlir, daher die Auffassung, "dass in der Frage der Beurteilung der Loyalitätserklärung des Dr. Otto Habsburg und des Rechts der Mitwirkung des Hauptausschusses raschest eine authentische Gesetzesinterpretation durch den Nationalrat zu erfolgen hat".

Bundeskanzler Alfons Gorbach (ÖVP) betonte einleitend, dass der Verfassungsgerichtshof keineswegs davon gesprochen habe, dass die Bundesregierung am 13. und 21. Juni 1961 die Loyalitätserklärung als nicht ausreichend anerkannt und damit abgelehnt habe. Bloß in der Begründung werde von einem Beschluss gesprochen, ohne dass dies allerdings näher begründet werde. Er widersprach damit der Begründung der Dringlichen Anfrage, in der es hieß, der Verfassungsgerichtshof habe entschieden, dass die Bundesregierung die Loyalitätserklärung Otto Habsburg-Lothringens in den Ministerratssitzungen als nicht ausreichend erkannt habe, womit sie abgelehnt worden sei. Der Bundeskanzler wies auch auf die vom Verwaltungsgerichtshof vertretene Rechtsmeinung hin, dass "die Bundesverfassung von 1920 selbst das Mitwirkungsrecht des Hauptausschusses beseitigt" habe. Es komme ihm nicht zu, ein Urteil über diese Rechtsmeinung abzugeben. Das Verhalten der Bundesregierung in ihrer Sitzung am 13. Juni 1961 habe es allerdings unmöglich gemacht, den Hauptausschuss des Nationalrats zu befassen. Abschließend betonte er das gewaltentrennende Prinzip als einen wesentlichen Bestandteil der republikanisch-demokratischen Staatsform und erklärte, dass die Bundesregierung den in der abgelaufenen Gesetzgebungsperiode dem Nationalrat vorgelegten Bericht betreffend "die Frage der Beseitigung und Verhütung von Widersprüchen in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, des Verwaltungsgerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs" dem Nationalrat abermals vorgelegt hat.

Für Abgeordneten LujoToncic-Sorinj (ÖVP), der nach dem Bundeskanzler das Wort ergriff, hatte das Grundrecht der Freiheit der Niederlassung an jedem Ort des Staatsgebietes oberste Priorität. Das Habsburger-Gesetz bezeichnete er als ein "Ausnahmegesetz", das nur auf einen kleinen Personenkreis beschränkt ist. Die von Otto Habsburg-Lothringen abgegebene Erklärung entsprach seiner Meinung nach "nicht nur genau dem vom Gesetz geforderten Wortlaut, sondern auch allen bisherigen von der Bundesregierung als ausreichend festgestellten und vom Hauptausschuss des Nationalrats ebenso beurteilten Erklärungen anderer Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen". Der Rechtsstaat dürfe niemals aus politischen Erwägungen gebeugt oder verletzt werden, unterstrich er und wandte sich gegen extensive Auslegung von Ausnahmegesetzen. Hinter der SPÖ vermutete er eine "Mentalreservation" gegen Otto Habsburg-Lothringen. Toncic-Sorinj konnte keinen Widerspruch in den Sprüchen der beiden Höchstgerichte erkennen, sondern nur in den Motiven ihres Judizierens, da sich ein Gerichtshof unwidersprochen für unzuständig erklärt hatte, der andere aber unwidersprochen für zuständig. Die Auffassung der SPÖ, wonach der Verwaltungsgerichtshof nicht zuständig sei, teilte er nicht, da auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs "einzig der Verwaltungsgerichtshof dazu berufen" sei, "über Verletzungen der Entscheidungspflicht, also bei einer Säumnisbeschwerde, zu erkennen". Wenn man aber der Ansicht sein sollte, argumentierte Toncic-Sorinj weiter, dass es nach einem Bescheid oder nach einem mangelnden Bescheid des Organs "Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss" keine Berufungsmöglichkeit mehr an ein Höchstgericht gäbe, "dann würde einer bestimmten Gruppe österreichischer Staatsbürger bei Geltendmachung eines Grundrechts der verfassungsmäßig gesicherte Rechtsschutz durch die Höchstgerichte versagt bleiben".  Die Befassung des Hauptausschusses sei durch die Tatsache entfallen, dass die Bundesregierung keine übereinstimmende Auffassung habe erzielen können. Schließlich sprach sich Toncic-Sorinj für eine so genannte authentische Interpretation des Habsburger-Gesetzes aus, betonte aber gleichzeitig, dass diese nur für künftige Fälle gelten könne, da die Gesetzgebung niemals eine schon erlassene gerichtliche Entscheidung aufheben dürfe.

Die Debatte sei "ein Prüfstein, wie wir Abgeordnete vorsorgen, dass die Hoheit des Parlaments als gesetzgebende Körperschaft garantiert wird, und ein Prüfstein für das Gewicht, welches wir dem Rechtsstaat und seinen Prinzipien zumessen", begann Abgeordneter Willfried Gredler (FPÖ) seinen Debattenbeitrag. Er ortete in erster Linie ein Versagen der Koalition. Die durch die Verschiedenheit höchstgerichtlicher Auffassungen hervorgerufenen Situation nannte er einen "unguten Zustand". Gredler ließ die Ereignisse nochmals Revue passieren und machte auf den Umstand aufmerksam, dass dem Beschlussprotokoll des Ministerrats vom 13. Juni erst eine Woche später der Protokollzusatz beigefügt worden sei, dass damit der Antrag als abgelehnt gelte. Auch wenn die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, sich für nicht zuständig zu erklären, sowie die dazugehörige Begründung in Fachkreisen Erstaunen ausgelöst habe, sagte Gredler, so sei diese aber im entscheidenden Teil richtiger gewesen als der Spruch des Verwaltungsgerichtshofs. Zum Unterschied von diesem habe nämlich der Verfassungsgerichtshof die Rolle des Hauptausschusses als Teil einer gesetzgebenden Körperschaft, der vom Verfassungsgerichtshof nicht kontrolliert werden könne, klar herausgestellt. Der "schwere und zu rügende Mangel des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs" liege dem gegenüber im "Übergehen des Parlaments und seines Hauptausschusses". Lange bevor es zu diesem Erkenntnis gekommen sei, habe aber die Regierung selbst den Hauptausschuss ausgeschaltet. Der Vorwurf des Verwaltungsgerichtshofs, die Bundesregierung sei säumig geworden, treffe daher zweifellos zu, unrichtig in diesem Urteil sei jedoch die Begründung, wonach der Hauptausschuss nicht einmal zuständig wäre, kritisierte Gredler. Er stimmte aber seinem Vorredner insofern zu, dass der Spruch eines Höchstgerichts volle Rechtskraft hat, und fügte hinzu, auch eine rückwirkende Beseitigung eines solchen Spruchs im Wege einer Volksabstimmung sei unzulässig. Gredler übte aber auch Kritik am Verhalten Otto Habsburg-Lothringes: "Von einem Patrioten wird erhofft und erwartet, dass er von einem Recht dann nicht Gebrauch macht, wenn dies das Interesse seines Vaterlandes gebietet".

In dem von Abgeordnetem Gredler eingebrachten Entschließungsantrag wird die Bundesregierung aufgefordert, dem Parlament einen Gesetzentwurf vorzulegen, um einander widersprechende Entscheidungen der Höchstgerichte künftig zu vermeiden. Darüber hinaus wird eine authentische Auslegung des Habsburgergesetztes verlangt, damit der Hauptausschuss in Hinkunft in seinen Rechten nicht geschmälert wird. Dieser Entschließungsantrag wurde bei der Abstimmung mit den Stimmen von FPÖ und SPÖ mehrheitlich angenommen.

Abgeordneter Karl Czernetz (SPÖ) fasste die Lage mit den Worten zusammen, dass sich die Republik durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs "in einer ernsten Rechtskrise, in einer ernsten Verfassungskrise" befinde und dass man "damit vor einer politischen Frage ersten Ranges" stehe. Man stehe aber auch "vor dem krassesten Fall einer Rechtsunsicherheit in der Zweiten Republik". Das krasse Auseinanderklaffen der Rechtssprechung sei eine "ernste und gefährliche Sache".  Die vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen Ausschaltung des Hauptausschusses bezeichnete er als eine "unerhörte Anmaßung", die die Lebensfrage der parlamentarischen Demokratie betreffe. Czernetz zog aber auch die Aufrichtigkeit Otto Habsburg-Lothringens in Zweifel und zitierte zur Untermauerung seiner Vermutung aus dessen Briefen. So habe er im März 1937 in einem Brief an den Vorstand eines Kriegervereins, in dem es um Disziplin, Gemeingeist und Kameradschaft im neuen Österreich ging, geschrieben: "Was an mir liegt, wird hiezu geschehen, sobald ich die Zügel der Regierung ergriffen haben werde." Ein Brief Otto Habsburg-Lothringens vom 2. Juli 1945 an US-Präsident Truman trage auf jeder Seite die Kaiserkrone und sei mit "Otto of Austria" unterzeichnet, so der weitere Vorwurf des SPÖ-Abgeordneten. Er habe darin Truman auch vorgeschlagen, die "selbsternannte provisorische Regierung", die unter Vorsitz Renners stand,  seitens der Alliierten nicht anzuerkennen. Auch habe Otto Habsburg-Lothringen noch im Jahr 1960 in einem Interview für die Zeitung "Express" gemeint, er befürworte als Staatsform eine Mischform, weil er an viele Elemente der Monarchie glaube. Und in einer Eintragung im Taufregister von Pöcking aus dem Jahr 1961 habe er mit "Seine Majestät Otto von Österreich-Ungarn" unterschrieben. Es sei daher Aufgabe des Nationalrats dafür zu sorgen, dass die "demokratische Republik gegen solche Umtriebe und solche Unglaubhaftigkeiten tatsächlich entsprechend gesichert" werde, forderte Czernetz.

Nicht als Justizminister, sondern als Abgeordneter meldete sich danach Christian Broda (SPÖ) zu Wort. Er bezeichnete es als "Pflicht des Gesetzgebers, interpretierend, das heißt auslegend, dort einzugreifen, wo er letzte Instanz ist, wo es notwendig ist, auch... gegenüber Gerichten korrigierend einzugreifen".  Es gehe nur um die Frage, wieweit und in welchem Umfang der Gesetzgeber diese Korrekturen vornehmen kann, soll und darf. Broda beschuldigte den Koalitionspartner ÖVP, es durch die Weigerung, den Antragsteller von der negativen Entscheidung zu verständigen, ermöglicht zu haben, "den Weg zum Verwaltungsgerichtshof zu konstruieren". Der Verwaltungsgerichtshof habe dadurch eine "Scheinzuständigkeit" auf einem Umweg erhalten, während der Verfassungsgerichtshof höchste Instanz gewesen wäre, zumal es sich um die Auslegung eines Verfassungsgesetzes handle. Durch den Spruch eines unzuständigen Gerichtshofs seien Rechte des Parlaments, die 43 Jahre vollkommen unbestritten waren, mit einem Federstrich beseitigt worden. Ein Gesetzgeber und ein Verfassungsgesetzgeber, ein Parlament, das eine solche Gerichtsentscheidung hinnimmt, gebe sich selbst auf, mahnte Broda, der in diesem Zusammenhang auch von einer "Staatsstreichtheorie"  durch "Juristen, auch im Richtertalar", "wie schon einmal in der Ersten Republik" sprach, und warnte davor, dieses unwidersprochen hinzunehmen, ohne Maßnahmen zu ergreifen. Der Gesetzgeber habe das Recht der authentischen Auslegung, und die Freiheitliche Partei und die Sozialistische Partei stimmten darin überein, "dass in diesem Fall sogar die Notwendigkeit besteht, authentisch zu interpretieren".  Broda verlieh dabei dezidiert seiner Rechtsmeinung Ausdruck, dass die authentische Auslegung auch so weit zurückgreifen kann, dass sie ein bereits ergangenen Urteil aufhebt. Außerdem liege kein endgültiges Urteil vor, da es ja zwei unterschiedliche gebe. "Wenn diese Diskrepanz in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung im Sinne der Einheit des Rechts in Österreich behoben werden soll, dann soll sich der Verfassungsgesetzgeber zur Rechtsansicht des einen Gerichts, nämlich des Verfassungsgerichtshofs bekennen", forderte Broda. Er sah auch "Platz für eine kühne Maßnahme", nämlich das Volk darüber entscheiden zu lassen, ob Otto Habsburg-Lothringen zurückkehren soll oder nicht.

Abgeordneter Theodor Piffl-Percevic (ÖVP) rief darauf hin den Grundsatz der Gewaltentrennung in Erinnerung und hielt aus seiner Sicht fest, dass gemäß B-VG dem Verwaltungsgerichtshof der Schutz des Einzelnen vor rechtswidrigem Verhalten der Verwaltung verfassungsrechtlich aufgetragen sei. Zum rechtswidrigen Verhalten zähle auch die Verletzung der Entscheidungspflicht. Nicht der Verwaltungsgerichtshof habe den Hauptausschuss ausgeschaltet, sondern die Bundesregierung selbst habe ihn negiert und übersehen. Er kritisierte scharf den Verfassungsgerichtshof, der sich für unzuständig erklärt hatte. Piffl-Percevic konnte daher auch seinem Vorredner nicht folgen, denn das einzige Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, das man wiederherstellen könne, sei, dass sich dieser für unzuständig erklärt hat. Sich allein habe der Verfassungsgerichtshof für unzuständig erklärt, kein anderer Gerichtshof, und so dürfe man sich nicht wundern, wenn "der Verwaltungsgerichtshof als einziger von der Verfassung für die Erledigung von Säumnisbeschwerden zuständig erklärter Gerichtshof über Antrag seine Zuständigkeit wahrnahm". Wenn Erkenntnisse der Höchstgerichte nicht durchgeführt werden, "dann haben wir den Rechtsstaat verspielt, dann ist die Balance der Kräfte, die uns die Freiheit verbürgt, verloren!", appellierte er. Kein politisches und kein Verwaltungsorgan sei berufen, den Spruch eines Gerichts im Hinblick auf seine Irrtumsfreiheit einer Revision zu unterziehen. Piffl-Percevic lehnte es aus rechtsstaatlicher Sicht ab, ein dem einzelnen Bürger vom Gerichtshof zuerkanntes Recht unter dem Mantel der Rechtmäßigkeit durch den Gesetzgeber wieder nehmen zu wollen. Hinsichtlich der divergierenden Spruchpraxis der Höchstgerichte hielt er aber ebenfalls eine "eventuelle gesetzliche authentische Interpretation" für erforderlich, die jedoch nur in der Zukunft wirksam sein könne. Die ÖVP habe dazu einen detaillierten Initiativantrag eingebracht, stellte er fest.

Als Letzter trat Felix Hurdes (ÖVP) ans Rednerpult. Er bedauerte es, dass es bislang nicht gelungen sei, Vorsorge zu treffen, damit die Widersprüche zwischen den Höchstgerichten vermieden werden können, obwohl man sich damit bereits seit mehreren Jahren beschäftige. Der SPÖ hielt er entgegen, über die Zeit der Sippenhaftung sollte man schon hinweg sein. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs sei gewissenhaft vorbereitet worden, sagte er, und eine Regelung könne man nur pro futuro treffen. An Christian Broda gerichtet, stellte Hurdes fest, dass die Bundesregierung weder eine negative noch eine positive Entscheidung gefasst hat und damit keine Entscheidung gefallen sei, daher auch kein Entscheid habe zugestellt werden können. Er konnte auch keine Scheinzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs erkennen, weil eben Säumnisfolgen eingetreten sind. Es sei interessant, "dass ausgerechnet der Justizminister den Standpunkt vertritt, dass über die obersten Gerichte, wenn sie rechtsgültig, endgültig entschieden haben, noch eine oberste Instanz gestellt werden soll". Die ÖVP vertrete den Standpunkt "Recht muss Recht bleiben!"

Nachdem Abgeordneter Felix Hurdes Christian Broda vorgeworfen hatte, als Justizminister hätte dieser auch den Antrag stellen können, eine Stellungnahme des Hauptausschusses einzuholen, rechtfertigte sich Broda mit dem Hinweis, dass die Zustimmung des Hauptausschusses nicht mehr einzuholen war, da ja die Loyalitätserklärung durch die Bundesregierung abgelehnt worden war.

Auf Grund der von SPÖ und FPÖ angenommenen Entschließung betreffend eine authentische Auslegung des Habsburgergesetzes legte die Bundesregierung ein Bundesverfassungsgesetz (RV 157 d.B.) vor, "mit dem das Gesetz vom 3. April 1919, StGBl. Nr. 209, betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, authentisch ausgelegt wird".  Darin wird in Art. I  § 2  folgendes festgelegt: "Im Interesse der Sicherheit der Republik werden die ehemaligen Träger der Krone und die sonstigen Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen, diese, soweit sie nicht auf ihre Mitgliedschaft zu diesem Haus und auf alle aus ihr gefolgerten Herrschaftsansprüche ausdrücklich verzichtet und sich als getreue Staatsbürger der Republik bekannt haben, des Landes verwiesen. Die Festsetzung, ob diese Erklärung als ausreichend zu erkennen sei, steht der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates zu". Diese Regierungsvorlage passierte dann sowohl den Verfassungsausschuss am 26. Juni 1963 als auch das Plenum des Nationalrats in seiner 21. Sitzung vom 4. Juli 1963 einstimmig. Auch der Bundesrat erhob in seiner Sitzung am 19. Juli 1963 (206. Sitzung) dagegen keinen Einspruch. Somit konnte der Beschluss im Bundesgesetzblatt Nr. 172/1963 veröffentlicht werden. In einer eigenen Entschließung forderte der Bundesrat, in dem die ÖVP die Mehrheit hatte, aber die Bundesregierung auf, "unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Mai 1963 mit allem Nachdruck darauf zu achten, dass die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gewahrt und gesetzwidrige Maßnahmen verhindert werden".

Die Einreise nach Österreich wurde Otto Habsburg-Lothringen jedoch nicht ermöglicht. Grund dafür war eine von den Abgeordneten Robert Uhlir (SPÖ) und Jörg Kandutsch (FPÖ)  eingebrachte  Entschließung betreffend die "Willenskundgebung der Volksvertretung zu einer Rückkehr von Dr. Otto Habsburg-Lothringen" (70/A). Diese war im bereits erwähnten Verfassungsausschuss des Nationalrats von den beiden Parteien gegen die Stimmen der ÖVP angenommen worden und passierte auch das Plenum des Nationalrats vom 4. Juli 1963 mit der Mehrheit von SPÖ und FPÖ. Dementsprechend turbulent verlief auch diese Sitzung. Die Emotionen gingen hoch und von einigen Rednern wurden unter gegenseitigen Beschuldigungen sogar die Auseinandersetzungen in der ersten Republik  und ihr Untergang wieder in Erinnerung gerufen. In Form von Zwischenrufen fielen Worte wie "Provokateur", "größenwahnsinniger Jurist" und "Sie Faschist".

In der Entschließung wird die Bundesregierung "beauftragt", "in Würdigung der Tatsache, daß... eine Rückkehr von Dr. Otto Habsburg-Lothringen nach Österreich nicht erwünscht ist, weil sie ohne Zweifel mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Republik Österreich verbunden wäre und wegen der Gefahr daraus entstehender politischer Auseinandersetzungen auch zu wirtschaftlichen Rückschlägen führen würde, dieser Feststellung als Willenskundgebung der österreichischen Volksvertretung in geeigneter Weise zu entsprechen.

Gegenüber dieser Entschließung wurden seitens der ÖVP Bedenken geäußert, die sie auch in einem Minderheitenbericht festhielt. Darin  wird argumentiert, dass gem. Art. 18 B-VG die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden dürfe. Eine Entschließung könne nur Wünsche an die Regierung herantragen, die diese nicht binden. Die vorliegende Entschließung sei ihrem Inhalt nach aber nichts anderes als einen Auftrag an die Regierung, die Rechtskraft eines höchstgerichtlichen Erkenntnisses zu ignorieren und ihr entgegen zu wirken und das bedeute "die Aufforderung zu einem Verfassungsbruch, zum Missbrauch der Amtsgewalt und somit zu einem Bruch des auf die Bundesverfassung abgelegten Amtseides". Dem wurde entgegengehalten, dass dem Nationalrat durch das Bundes-Verfassungsgesetz sowie durch die Geschäftsordnung des Nationalrats ausdrücklich die Befugnis eingeräumt wird, seinen Wünschen über die Ausübung der Vollziehung in Entschließungen Ausdruck zu verleihen. Außerdem werde die Bundesregierung aufgefordert, der Willenskundgebung der österreichischen Volksvertretung in "geeigneter Weise" zu entsprechen, sodass verfassungs- und gesetzwidrige Maßnahmen selbstverständlich von vornherein ausscheiden.

Die Krise findet ihren Abschluss

Die Krise fand ihren vorläufigen Abschluss, nachdem Innenminister Franz Olah und Außenminister Bruno Kreisky die Weisung gaben, Otto Habsburg-Lothringen, der keinen österreichischen Reisepass, sondern einen spanischen Diplomatenpass besaß,  keinen Pass auszustellen und somit seine Einreise zu verhindern.

Im Jahr darauf einigten sich ÖVP und SPÖ darauf, die Habsburgerfrage "in Wahrung der Verfassung und jedes Rechtsstaates  gemeinsam in friedlicher Weise und auf Dauer zu lösen", wie es in der Regierungserklärung vom 2. April 1964 heißt. Man kam auch überein, von übereilten Schritten Abstand zu nehmen, womit eine Einreise Otto Habsburg-Lothringens bis zum Ende der Legislaturperiode nicht mehr zur Debatte stand.

Die Nationalratswahl des Jahres 1966, aus der die ÖVP mit einer absoluten Mehrheit hervorging, brachte auch eine Wende in der Habsburgerfrage. Unter der ÖVP-Alleinregierung stellte das Innenministerium Otto Habsburg-Lothringen am 1. Juni 1966 einen Reisepass aus. Darauf folgte Proteste seitens der SPÖ, die am 8. Juni 1966 (9. Sitzung, XI.GP) im Parlament im Rahmen einer Dringlichen Anfrage zwei Entschließungsanträge einbrachte. In einem wurde gefordert, die Entschließung vom 4. Juli 1963, worin die Rückkehr Otto Habsburg-Lothringens als nicht erwünscht erklärt worden war, abermals zu bekräftigen. Die zweite zielte darauf ab, dafür Sorge zu tragen, das Habsburger-Vermögen, welches vor allem für Zwecke der Kriegsopferfürsorge in das Eigentum der Republik übertragen wurde, auch "weiterhin ungeschmälert dem österreichischen Volk" zu erhalten. Beide Anträge, eingebracht von Abgeordnetem Leopold Gratz, wurden diesmal mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ abgelehnt.  Eine Mehrheit von ÖVP und FPÖ fand jedoch der Entschließungsantrag des Abgeordneten Emil van Tongel (FPÖ), in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, bei "allfällig anhängig gemachten oder noch geltend zu machenden Ansprüchen von Dr. Otto Habsburg-Lothringen oder von anderen Mitgliedern des Hauses Habsburg-Lothringen dafür Sorge zu tragen, dass diese ausschließlich von den zuständigen Gerichten der Republik Österreich auf dem Boden der Gesetz entschieden werden".  Damit war die parlamentarische Behandlung der Loyalitätserklärung beendet.

Otto Habsburg-Lothringen reiste am 31. Oktober 1966 erstmals nach Österreich ein, was am 2. November Proteste und einen Streik von rund 250.000 Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zur Folge hatte. Am 4. Mai 1972 kam es schließlich anlässlich des 50. Jubiläums der Paneuropa-Union in Wien zum historischen Handschlag zwischen Otto Habsburg-Lothringen und Bundeskanzler Bruno Kreisky. Damit hat auch die politische Debatte ein Ende genommen und Besuche Ottos von Habsburg-Lothringen erregten keinerlei Emotionen mehr. (Schluss)