Parlamentskorrespondenz Nr. 205 vom 07.03.2008

Auch PolitikerInnen steht die ewige Seligkeit offen

Hildegard Burjan: Parlamentarierin, Gründerin der Caritas Socialis

Wien (PK) – Das Image – in früheren Zeiten sagte man eher: der Ruf – der PolitikerInnen ist in unseren Tagen nicht der beste. Man mag darüber streiten, ob zu Recht oder nicht. Fest steht, dass es für PolitikerInnen nicht nur möglich ist, einen guten Ruf zu haben, sondern sogar im Ruf der Heiligkeit zu stehen. Auch in Österreich. Voraussichtlich noch in diesem Jahr wird das für eine österreichische Politikerin und Parlamentarierin kirchenoffiziell anerkannt: Hildegard Burjan, christlichsoziale Politikerin und vom 4. März 1919 bis zum 9. November 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, wird voraussichtlich noch in diesem Jahr selig gesprochen. Die PK bringt anlässlich des Weltfrauentags am 8. März ein Porträt der ungewöhnlichen Politikerin.

Hildegard Burjan (1883 – 1933), die Gründerin der Caritas Socialis, konnte als eine der wenigen Frauen der damaligen Zeit einen Universitätsabschluss vorweisen. Auch damit entsprach sie, im Grunde genommen, so gar nicht den Vorstellungen ihrer Partei, zumal sie ihren persönlichen Einsatz zu einem großen Teil in den Dienst außerfamiliärer Aktivitäten stellte. Auch ihr unerschütterlicher Glaube und die feste Bindung an die Katholische Kirche und deren Gebote und Verbote – sie war jüdischer Abstammung, konvertierte aber nach schwerer Krankheit und unerklärlicher plötzlicher Genesung zum katholischen Glauben – konnten sie nicht davon abhalten, ihre Augen für das zu öffnen, was man in weiten Kreisen der Christlichsozialen und in der damaligen Kirche gerne übersehen und verschwiegen hätte. Das Handeln und Wirken der Politikerin ist zwar untrennbar mit dieser tiefen Religiosität verbunden, weil sie die Caritas als eine der wesentlichsten Aufgaben von Christen verstand, sie ließ sich dabei jedoch nicht von bestimmten Wertvorstellungen der Kirche einengen. Engstirnigkeit war, insbesondere was die sozialen Probleme betraf, nicht ihre Art.

Wie weit ihre Bindung an die Kirche ging, lässt sich an folgender Episode ablesen, die von ihren Biographen festgehalten wurde. Als sie von ihrem Mann Alexander, der sie gerne als gut gekleidete Dame der Gesellschaft sah, während sie selbst eher einfache Kleidung bevorzugte, einmal ein kurzes, der damaligen Mode entsprechendes Kleid geschenkt bekam, rief sie bei Kardinal Piffl an, ob sie das anziehen dürfe. Die Antwort war negativ. Die neuen Trends in der Damenmode, und damit implizit auch das geänderte Selbstbewusstsein der Frauen, waren damals nämlich auch ein viel diskutiertes Thema unter den österreichischen Bischöfen.

Verfolgt man die Biographie Burjans, so mutet diese teilweise auch modern an, weil sie zeigt, dass Frauen in Politik und Beruf auch neunzig Jahre später trotz großer Fortschritte mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wie damals. Ihr Mann Alexander hatte Karriere gemacht und war Generaldirektor der fusionierten Österreichischen Telephonfabrik AG und der Telephon-Telegraphenfabrik Czeija, Nissl & Co. Er war auch an der Gründung der RAVAG (Österreichische Radio-Verkehrs-AG) beteiligt. Die Diskrepanz zwischen einem Leben in der Nobelvilla mit großem Haushalt und Verpflichtungen als Dame der Gesellschaft und der täglichen Konfrontation mit der Armut war groß.

Hin- und hergerissen zwischen unbändigem politischem und sozialem Engagement einerseits und familiären und gesellschaftlichen Verpflichtungen andererseits, begleitet von schlechtem Gewissen ihrem Mann und vor allem ihrer Tochter gegenüber, führte Hildegard Burjan ungeachtet ihres schlechten Gesundheitszustands ein kräfteraubendes Leben. Trotz der enormen außerhäuslichen Belastung war, wie in ihren Biographien nachzulesen ist, das Familienleben ein sehr gutes, der Mann akzeptierte das eigenständige Leben seiner Frau. Die Tochter Elisabeth litt jedoch darunter, dass die Mutter so wenig Zeit für sie hatte, weshalb die Beziehung zwischen den beiden auch sehr schwierig war. Die Intensität und Beharrlichkeit, mit der Hildegard Burjan ihre Ziele verfolgte, vermitteln oft den Eindruck einer Getriebenen, von ihren Ideen Besessenen. Burjan schien zu spüren, dass ihr selbst wenig Zeit blieb, und sie versuchte auch andere zu überzeugen, dass Hilfe angesichts der großen Not keinen Aufschub erlaubte.

Ihr Engagement sowohl als Parlamentarierin als auch als Privatperson galt vor allem der Not und Benachteiligung von Frauen, insbesondere der Heimarbeiterinnen und Dienstboten. Sie trat aber auch für die Aufnahme von Frauen in staatliche Ämter und Betriebe sowie für deren Gleichbehandlung ein und machte sich für die Ausbildung von Mädchen sowie für den Mutterschutz stark. Auch wenn die von ihr initiierten Maßnahmen kaum den Rahmen des tradierten Rollenbilds der Frau als Hausfrau und Mutter zu sprengen versuchten, sondern dieses zu festigen trachteten, hat Hildegard Burjan angesichts der tristen Verhältnisse nach dem ersten Weltkrieg und des herrschenden Widerstands gegen die Gleichberechtigung der Frauen, vor allem auch in der Christlichsozialen Partei, neue Wege beschritten. Denn weder in ihrer eigenen Partei, und schon gar nicht innerhalb der damaligen katholischen Kirche, konnte sie von vornherein auf Verständnis für die Gestrauchelten, für die auf "unsittliche Wege" Abgedrifteten bauen. Sie fand jedoch in der Person von Bundeskanzler Ignaz Seipel und in Kardinal Friedrich Gustav Piffl mächtige Unterstützer ihrer Ideen.

Ihr Bemühen um Mädchenbildung, um berufliche Eingliederung, um Absicherung und Gleichbehandlung von Frauen, bis hin zu positiver Diskriminierung, entsprach ebenso wenig den Idealvorstellungen der Christlichsozialen wie der Kirche. Daher ist es umso bemerkenswerter, dass eine derart tief religiöse und kirchentreue Person wie Hildegard Burjan bei ihrem sozialen Engagement ihre Augen nicht vor den Schattenseiten der Gesellschaft, wie Jugendkriminalität, Verwahrlosung, Prostitution, verschloss; dass sie die Zeichen des gesellschaftlichen Wandels erkannte, aber auch akzeptierte und erfolgreich und zielgerichtet für die Gestrandeten Hilfsmaßnahmen setzte.

Hildegard Burjan wurde von ihren sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen im Parlament wegen ihres Einsatzes gegen die Armut und wegen ihrer Durchsetzungskraft geachtet. Julius Tandler zum Beispiel hat ihr Ausscheiden aus dem Parlament ausdrücklich bedauert. Sogar in der sozialdemokratischen Presse brachte man ihr Respekt entgegen. Trotz der enormen ideologischen Unterschiede zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten erkannte Hildegard Burjan, dass beide Parteien bei der Linderung der Not ein gemeinsames Ziel hatten. Denn Burjan und die Christlichsozialen setzten beispielsweise auf private caritative Einrichtungen als Ergänzung zur Linderung der ärgsten Not, da das staatliche Netz noch sehr unvollständig war. Demgegenüber bauten die SozialdemokratInnen auf die staatliche Fürsorge und lehnten private Initiativen als bloße Almosen ab, weil diese, ihrer Ansicht nach, von dem Ziel, Gerechtigkeit für alle zu schaffen, nur ablenken würde. Burjan lernte daher rasch, Kompromisse zu schließen.

Dazu sei ein Ausspruch Burjans zitiert, der sehr gut ihre Einstellung charakterisiert: "Es geht mir um die Achtung vor dem sachlichen Gegner. Je fester ein Mensch von seiner Weltanschauung überzeugt ist, je mehr ihm seine Gesinnung Herzenssache ist, desto ruhiger erträgt er andere Meinungen, sucht überall das Versöhnende, Verbindende und ignoriert bei gemeinsamer Arbeit das Trennende".

Burjans sicheres Gespür für die Zeichen der Zeit erwies sich auch in ihrer Einschätzung des aufkeimenden Nationalsozialismus. Sie warnte davor, dass diese Bewegung totalitär ist und bis zum Äußersten gehen wird.

Nähere Informationen siehe PK Nr. 206 /2008 (Biographie Hildegard Burjans) und PK Nr. 207 /2008 (Hildegard Burjans parlamentarische Tätigkeit). (Schluss)