Parlamentskorrespondenz Nr. 557 vom 10.06.2008

Tätigkeitsbericht des VfGH und des VwGH 2005 und 2006 liegen vor

Kritik an verspäteter Kundmachung von Erkenntnissen

Wien (PK) - Kommende Woche wird sich der Verfassungsausschuss des Nationalrats mit den Tätigkeitsberichten des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) und des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) für die Jahre 2005 und 2006 befassen. Die Arbeitsbilanz der beiden Gerichtshöfe wurde von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer dem Nationalrat in einem zusammenfassenden Bericht vorgelegt (III-84 d.B.).

Wie aus dem Bericht hervorgeht, ist der Verwaltungsgerichtshof nach wie vor notorisch überlastet. Zwar konnte die Zahl der länger als drei Jahre anhängigen Verfahren in den letzten Jahren verringert werden, der VwGH sieht dennoch keine grundlegende Verbesserung der Situation. Im Gegenteil: Die Belastung nahm 2006 weiter zu und hat sich laut Gerichtshof im ersten Halbjahr 2007 sogar noch zugespitzt. Dabei gab es bereits Ende 2006 einen Rückstau von 8.858 Rechtssachen, 3.527 davon waren länger als ein Jahr anhängig. Die durchschnittliche Erledigungsdauer eines Verfahrens betrug 20 Monate. Immer häufiger werde, so der VwGH, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Überschreitung der angemessenen Dauer von Verwaltungsverfahren moniert.

Eine Entlastung für den Verwaltungsgerichtshof könnten die im Regierungsübereinkommen vereinbarten Verwaltungsgerichtshöfe erster Instanz bringen. Allerdings wird hier nach wie vor um deren Finanzierung gerungen. Lediglich für Asylangelegenheiten wurde mittlerweile ein eigener Gerichtshof eingerichtet. Seither können sich abgelehnte Asylwerber nicht mehr an den Verwaltungsgerichtshof wenden. Diese Entscheidung wurde von Regierung und Parlament gegen den ausdrücklichen Willen des VwGH getroffen, er beharrt im Bericht – vergeblich – darauf, dass seine Anrufbarkeit in Asylsachen bestehen bleiben müsse.

Insgesamt schaffte es der VwGH zuletzt im Jahresschnitt, rund 6.000 Rechtssachen zu erledigen. Exakt waren es im Jahr 2006 5.927 Rechtssachen, im Jahr davor 6.350. Dazu kamen 2006 3.574 abgearbeitete Anträge auf aufschiebende Wirkung.

In 1.573 Fällen entschied sich der VwGH 2006 dazu, den angefochtenen Bescheid aufzuheben. In 1.792 Fällen wurde die Beschwerde hingegen als unbegründet abgewiesen, in 1.113 Fällen die Behandlung der Beschwerde nach eingehender Prüfung abgelehnt. Die übrigen Erledigungen erfolgten nicht in Form von Sachentscheidungen, die Beschwerden wurden zum Beispiel zurückgewiesen oder zurückgezogen.

Inhaltlich gesehen betrafen die meisten Beschwerden das Sicherheitswesen und den Steuer- und Abgabenbereich. Aber auch die Bereiche Baurecht und Sozialversicherung lagen im Spitzenfeld. Ausdrücklich erinnerte der VwGH in seinem Tätigkeitsbericht 2006 daran, dass in Österreich Bedarf nach einer gesetzlichen Neuregelung der Staatshaftung besteht.

VfGH drängt auf unverzügliche Kundmachung seiner Entscheidungen

Auch der Verfassungsgerichtshof ist dem Bericht zufolge an den Grenzen seiner Kapazität angelangt. Vor allem Massenverfahren, wie etwa zuletzt eine 2.252 Fälle umfassende Serie von Beschwerden zum Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz, machen ihm zu schaffen. Aber auch durch Beschwerden gegen Bescheide, bei denen eine Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs nicht möglich ist, ist er zunehmend belastet. Dennoch ist die durchschnittliche Verfahrensdauer beim Verfassungsgerichtshof, wie im Bericht betont wird, mit rund neun Monaten im internationalen Vergleich äußerst niedrig.

Scharfe Kritik übt der Verfassungsgerichtshof an ausfälligen Bemerkungen von Politikern im Gefolge seiner so genannten "Ortstafel-Erkenntnisse". Eine sachliche Diskussion über Entscheidungen des VfGH sei in einem Rechtsstaat selbstverständlich zulässig, meinen die RichterInnen, es gehe aber nicht an, die Tätigkeit des Gerichtshofs systematisch herabzuwürdigen und Entscheidungen nur dann zu vollziehen, wenn diese den eigenen Standpunkt bestätigen.

Auch die Tatsache, dass seine Erkenntnisse oft erst mit wochenlanger Verspätung kundgemacht werden, löste beim VfGH großen Unmut aus. Besonders häufig säumig waren in den Jahren 2005 und 2006 – neben einigen Bundesländern – das Wirtschafts- und das Gesundheitsministerium. Die Betroffenen seien verpflichtet, die Aufhebung von Rechtsvorschriften unverzüglich kundzumachen, mahnt der VfGH, alles, was länger als vier Wochen dauere, sei nicht mehr angemessen.

Hervorgehoben wird vom Verfassungsgerichtshof darüber hinaus, dass Postdienstleistungen, insbesondere Zustellungen, schlechter funktionieren als noch vor wenigen Jahren. Seiner Ansicht nach kann das zu einer Beeinträchtigung der Rechtsschutzfunktion führen. Für ihn ist es außerdem auffällig, dass Agrarbehörden erster, aber auch zweiter Instanz in überdurchschnittlichem Maß ohne triftigen Grund nicht innerhalb der gesetzten Frist entscheiden.

Eine verfassungskonforme Regelung mahnen die RichterInnen in Bezug auf die Parteistellung von übergangenen BewerberInnen in bestimmten Stellenbesetzungsverfahren ein. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf eine Divergenz zwischen der Rechtssprechung des VwGH und des VfGH.

Insgesamt wurden im Jahr 2006 2.558 neue Fälle an den Verfassungsgerichtshof herangetragen, 2.834 Fälle konnten erledigt werden. Dazu zählen auch 245 Gesetzesprüfungsverfahren, in deren Rahmen die RichterInnen die Verfassungskonformität von 39 Bundes- und Landesgesetzen überprüften. Von diesen 39 Gesetzen hob der VfGH 30 zumindest teilweise auf, neun hielten der Prüfung stand. Als verfassungswidrig wertete der VfGH in den Jahren 2005 und 2006 beispielsweise Bestimmungen im Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz, im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, im Ärztegesetz, in der Gewerbeordnung, im Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz, im Einkommensteuergesetz, im Ökostromgesetz und im Bundesvergabegesetz.

Gesetzesprüfungsanträgen der damaligen parlamentarischen Opposition gab der Verfassungsgerichtshof in einem Fall statt und hob den von SPÖ und Grünen gemeinsam angefochtenen Paragraphen des Hochschülerschaftsgesetzes auf. Im zweiten Fall blitzte die SPÖ mit ihrem Antrag auf Aufhebung des novellierten Pensionskassengesetzes ab.

Alle aktuellen Entscheidungen des VwGH und des VfGH sind über das Rechtsinformationssystem des Bundes (www.ris2.bka.gv.at) abrufbar. (Schluss)