Parlamentskorrespondenz Nr. 612 vom 02.07.2009

Bundesrat: Fragestunde mit Außenminister Michael Spindelegger

Vertrag von Lissabon - keine Notwendigkeit für neue Ratifikation

Wien (PK) – In der Fragestunde des Bundesrats stand heute Außenminister Michael Spindelegger den LändervertreterInnen Rede und Antwort. Er nahm unter anderem zur schwedischen EU-Präsidentschaft, zum Vertrag von Lissabon, zu Österreich als Mitglied des UN-Sicherheitsrats und zur Lage im Iran Stellung.

Bundesrat Georg KEUSCHNIGG (V/T): Welche Vorhaben, die Österreich in besonderem Maß betreffen, hat die schwedische EU-Präsidentschaft für das 2. Halbjahr 2009 angekündigt?

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Bundesminister Michael SPINDELEGGER nannte in diesem Zusammenhang vor allem die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise. Es gelte, das Vertrauen in den Finanzmarkt wieder herzustellen und die Finanzierung der Unternehmen zu sichern. Zur Kontrolle der Finanzmärkte liege bereits ein ambitioniertes Papier vor, sagte er. Auf eine Bemerkung von Bundesrat Albrecht KONECNY (S/W) hinsichtlich der Sicherung der Arbeitsplätze meinte der Außenminister, selbstverständlich stehe auch diese Frage im Vordergrund, jedoch sei die Zuständigkeit der EU in dieser Hinsicht begrenzt. Es gebe aber eine enge Kooperation unter den Mitgliedstaaten, und er könne versichern, dass alle an einem Strang ziehen.

Als eine besondere Herausforderung bezeichnete Spindelegger, die für Dezember in Kopenhagen anberaumte Klimakonferenz zu einem Erfolg zu führen. Die Ziele, die man sich gesetzt habe, seien äußerst ambitioniert und schwierig. Er halte es jedoch für eine gute Strategie, dass die einzelnen Zielsetzungen auf jeden Mitgliedstaat herunter gebrochen wurden. So müsse Österreich den Einsatz erneuerbarer Energien bis 2020 auf 34 % steigern. Das bedeute zusätzliche finanzielle Anstrengungen, fügte er hinzu. Die EU sei sich auch dessen bewusst, dass man Schwellen- und Entwicklungsländern bei Klimaschutzprogrammen unter den Arm greifen müsse. Spindelegger beantwortete damit auch eine Frage von Bundesrat Stefan SCHENNACH (G/W).

Weitere für Österreich wichtige Vorhaben sind laut Außenminister die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit auf der Grundlage des Stockholmer Programms, die Ostseestrategie, die das Vorbild für die Donauraumstrategie darstellt, sowie personelle Entscheidungen, die nach einem möglichen Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags zu treffen sind.

Bundesrat Albrecht KONECNY (S/W): Welche Initiativen und thematischen Schwerpunkte setzt Österreich als Mitglied im UN-Sicherheitsrat?

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Vorrangig sei die Wahrung des Friedens und der Sicherheit, betonte Bundesminister Michael SPINDELEGGER dazu. Man habe sich aber immer dem zu stellen, was gerade Thema ist. Der Sicherheitsrat befasse sich zu 60 % mit Problemen in Afrika, vor allem in humanitärer Hinsicht. Im November, wenn Österreich die Präsidentschaft übernehme, beabsichtige man die "Herrschaft des Rechts" in den Mittelpunkt zu stellen. Das ergebe sich aus der langen Tradition österreichischer Politik, bemerkte er, man wolle insbesondere den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten thematisieren.

Dem Außenminister geht es aber auch darum, der Bevölkerung die Bedeutung der derzeitigen österreichischen Funktion im UN-Sicherheitsrat medial zu vermitteln. Spindelegger kündigte weiters ein Konzert der Philharmoniker in New York an, und auch das Landwirtschaftsressort wird ihm zufolge zeigen, was Österreich kulinarisch zu bieten hat. Bundesministerin Claudia Schmied werde ebenfalls Schwerpunkte aus ihrem Arbeitsbereich setzen. Man strebe auch eine bessere Information im Schulunterricht an, weshalb spezielle Unterlagen ausgearbeitet würden und die Herausgabe eines Lehrbuchs in Erwägung gezogen werde.

Auf die Frage von Bundesrat Kurt STROHMAYER-DANGL (V/N) nach den bisherigen wichtigsten Diskussionspunkten im Sicherheitsrat nannte Spindelegger die Dringlichkeitsdebatte zum Nahen Osten, wo Österreich versucht habe, zwischen den Blöcken zu vermitteln und damit sicherlich auch zur Beschlussfassung der Resolution beigetragen habe. Wesentliche Themen seien darüber hinaus der Konflikt in Sri Lanka und das Raketenprogramm von Nordkorea gewesen. Nordkorea mache auch deutlich, dass Sanktionen nicht greifen, wo kein Wille zu Lösungen vorhanden sei, bemerkte der Außenminister gegenüber Bundesrätin Monika MÜHLWERTH (F/W). Man müsse sich daher auf die Zusammenarbeit konzentrieren, um ausreichend Informationen zu bekommen, und alle Mittel der Diplomatie einsetzen. Spindelegger zeigte sich insbesondere besorgt über die schlechte Versorgung der Bevölkerung Nordkoreas mit Lebensmitteln.

Bundesrätin Monika MÜHLWERTH (F/W): Wie beurteilen Sie die Irland-Garantien beim Vertrag von Lissabon, glauben Sie, dass diese Garantien nicht nur als solches von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden müssen, sondern überhaupt der gesamte Vertrag von Lissabon noch einmal ratifiziert werden soll?

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Außenminister Michael SPINDELEGGER stellte dazu klar, dass die Garantien für Irland im Beschluss des Europäischen Rats festgehalten seien, diese Passagen jedoch nicht den Vertrag von Lissabon ändern, sondern eine Interpretation darstellen. Eine neuerliche Ratifikation sei daher nicht erforderlich. Irland habe jedoch darauf bestanden, dass diese Garantien beim nächsten Beitrittsvertrag in einem Protokoll verankert werden, und die Aufnahme eines neuen Mitglieds müsse dann ohnehin ratifiziert werden. Ob im Lichte des Deutschen Verfassungsgerichts in Karlsruhe auch die Rechte des österreichischen Parlaments auszuweiten sind, betrachtete der Außenminister als eine Angelegenheit, die die Mitglieder des Nationalrats und des Bundesrats selbst zu entscheiden haben.

Sollte der Vertrag von Lissabon im Herbst von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden, so sei der früheste Termin seines Inkrafttretens der 1. November 2009, informierte er Bundesrat Josef SALLER (V/S). Der Außenminister bezweifelte jedoch, dass man das schaffen werde, und rechnete eher mit 1. Dezember 2009 oder 1. Jänner 2010 als Termin für das Inkrafttreten des Reformvertrags.

Bundesrat Albrecht KONECNY (S/W) thematisierte die Kluft zwischen EU-Institutionen und großen Teilen der europäischen Bevölkerung. Diese Sorge wurde vom Außenminister geteilt. Er habe daher in ganz Österreich eine sogenannte "Zuhörtour" hinter sich, wo er mit den vielfältigen Gründen der Skepsis konfrontiert worden sei. Man versuche daher, nun Dialoggruppen von der Gemeindeebene über die Länder bis zum Bund einzurichten. Es werde auch halbjährliche Gespräche mit den LandtagspräsidentInnen geben, und auch die Europaausschüsse sollen stärker eingebunden werden.

Nachdem Bundesrat Peter MITTERER (B/K) das Modell der unterschiedlichen Geschwindigkeiten innerhalb der EU angesprochen hatte, mahnte Bundesminister Spindelegger zu einer differenzierten und sorgfältigen Betrachtungsweise. Unterschiedliche Geschwindigkeiten innerhalb der derzeit 27 Mitgliedstaaten würden seiner Meinung nach eine unzulässige Graduierung bedeuten. Im Rahmen einer vebesserten Nachbarschaftspolitik sollte man jedoch neue Strukturen aufbauen, meinte er. Eine dritte Gruppe seien Kandidatenländer, beziehungsweise Länder mit Assoziierungsabkommen, wie zum Beispiel Staaten des Balkans, die man stärker an die EU heranführen müsse. Es habe sich gezeigt, dass Reformen dort besser gelingen, wenn es für diese Staaten europäische Perspektiven gibt. Österreich sei insbesondere bemüht, derzeitige Blockaden im Hinblick auf Serbien und Kroatien aufzulösen.

Bundesrat Georg SPIEGELFELD-SCHNEEBURG (V/O): Welche strategischen Zielsetzungen verfolgt Österreich im Rahmen der gemeinsamen Außenpolitik der EU bezüglich der Länder entlang der Donauachse bzw. des Balkan?

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Über den Beschluss des Europäischen Rats, der Kommission den Auftrag zu geben, eine Donauraumstrategie auszuarbeiten, zeigte sich Außenminister Michael SPINDELEGGER besonders zufrieden. Es sei das Ergebnis einer gezielten außenpolitischen Arbeit, sagte er. Durch eine intensivere Kooperation mit den Ländern des Donauraums werde ein Band geknüpft, das die Staaten enger zusammen führe und wodurch auch wirtschaftliche und kulturelle Interessen gebündelt werden können. Für seine Initiative erhalte Österreich sowohl in der EU als auch durch die internationale Staatengemeinschaft große Anerkennung, was zugleich aber auch eine besondere Verantwortung mit einschließe.

Der Außenminister räumte gegenüber Bundesrätin Ana BLATNIK (S/K) ein, dass man dem wichtigen Thema der Lage der Minderheiten in diesen Staaten noch zu wenig Beachtung geschenkt habe. Er sagte zu, dass er dafür eintreten werde, sich mehr mit dieser Frage zu beschäftigen, auch wenn die Zuständigkeit der EU in dieser Hinsicht eine geringe ist.

Was die Visafreiheit für die Staaten des Westbalkans betrifft, so habe Mazedonien fast alle Auflagen erfüllt. Weit fortgeschritten seien auch Serbien und Montenegro. Spindelegger zeigte sich zuversichtlich, dass die Visafreiheit für diese drei Länder bis Jahresende umgesetzt werden kann. Andere Länder, wie Bosnien und Albanien, hätten noch einiges aufzuarbeiten, berichtete der Außenminister und reagierte damit auf eine Zusatzfrage von Bundesrat Efgani DÖNMEZ (G/O).

Bundesrat Reinhard TODT (S/W): Haben Sie sich in Ihrer Funktion als Außenminister für die sofortige Freilassung aller Iraner eingesetzt, die anlässlich der Demonstrationen in Folge der Wahlen im Iran inhaftiert wurden?

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Er habe von Beginn an in der Öffentlichkeit, im Europäischen Rat und im Außenministerrat kritisch zu den Vorgängen im Iran Stellung genommen. Auch mit dem Iranischen Botschafter in Wien seien all diese Fragen im Rahmen von zwei Gesprächen detailliert erörtert worden, berichtete Außenminister Michael SPINDELEGGER. Seitens der EU seien insbesondere die Wahlmanipulationen und das Vorgehen der iranischen Führung gegen Demonstrantinnen und Demonstranten verurteilt worden. Leider sei es derzeit nicht absehbar, dass sich im Iran Entscheidendes verbessern wird, stellte er mit Bedauern fest. Man könne von Außen die Lage nur kritisch begleiten, immer wieder auf die Wahrung der Menschenrechte aufmerksam machen, aber man müsse darauf achten, dass man nicht den Eindruck erweckt, sich in innere Angelegenheiten des Iran einzumischen, betonte der Minister. Er ging damit auch auf eine Frage von Bundesrat Reinhard JANY (V/B) ein. Ob es weitere Sanktionen gegen den Iran geben wird – eine Frage von Bundesrat Stefan ZANGERL (Liste Fritz/T) -, darauf konnte der Außenminister keine Antwort geben. Es sei abzuwarten, wie sich die Sache entwickelt, merkte er an, denn zusätzliche Sanktionen könnten auch einen der ursprünglichen Intention gegenteiligen Effekt haben. Aus jetziger Sicht sehe er keine Notwendigkeit zusätzlicher Sanktionen.

Die derzeitige Sorge konzentriere sich auf jene Mitarbeiter der Britischen Botschaft, die festgenommen worden sind. Man bemühe sich intensiv um deren Freilassung.

Bundesrat Walter EBNER (B/K): Wenn Einsparungen im Bereich der Botschaften gemacht werden müssen, warum wurde dann 2008 die Botschaft in Astana eröffnet und warum soll 2009 die Botschaft in Aserbaidschan eröffnet werden?

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Man müsse nach jeweiligen Gegebenheiten Schwerpunkte setzen und dementsprechend das Vertretungsnetz anpassen, erklärte Bundesminister Michael SPINDELEGGER. Die neuen Botschaften in Astana (Kasachstan) und in Aserbaidschan hielt er aus wirtschaftlicher und politischer Hinsicht für notwendig. Auch wenn die Botschaft im Oman geschlossen werde, sei Österreich trotzdem auf der Arabischen Halbinsel stark vertreten, unterstich er. Trotz Schließung von Botschaften werde es keine Beeinträchtigungen hinsichtlich der konsularischen Vertretungen geben, versicherte der Außenminister gegenüber Bundesrat Franz Eduard KÜHNEL (V/W). Das Außenministerium habe eine Notfallkarte entwickelt, die mit den neuen Pässen ausgegeben werde. Man kooperiere aber auch eng mit anderen Ländern, um den ÖsterreicherInnen eine entsprechende Vertretung zu gewährleisten, wo Österreich selbst über keine eigene Botschaft verfügt.

Die Aufgaben der Botschaften beschrieb der Außenminister gegenüber Bundesrätin Maria MOSBACHER (S/St) mit dem außenpolitischen Interesse Österreichs, Informationen aus erster Hand zu erhalten. Außerdem hätten die Botschaften die ÖsterreicherInnen, die in den betreffenden Ländern leben, zu schützen. Schließlich müssten Botschaften konkrete politische Interessen des Heimatlandes vertreten.

Hinsichtlich der Aktionspläne und Partnerschaftsabkommen, vor allem im Rahmen des Barcelona-Prozesses, der Partnerschaft zwischen EU und den Mittelmeerstaaten, sei man erst am Beginn, informierte Spndelegger Bundesrat Stefan SCHENNACH (G/W). Es obliege nun der Kommission, insbesondere der Kommissarin Benita Ferrero-Waldner, die Finanzierung sicherzustellen. Es gehe nun darum, Projekte im Hinblick auf Infrastruktur und Öffnung auszuarbeiten, Ziel sei jedoch nicht der Beitritt dieser Länder.

Bundesrat Andreas SCHNIDER (V/ST): Wie bewerten Sie die jüngsten Entwicklungen im Iran, insbesondere im Zusammenhang mit dem Vorwurf des systematischen Wahlbetrugs?

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Da keine internationalen BeobachterInnen zugelassen seien, sei man auf eigene Quellen angewiesen, die Informationen seien jedoch nicht belegbar, betonte Bundesminister MIchael SPINDELEGGER. Man sei informiert worden, dass wesentlich mehr Stimmen ausgezählt als abgegeben wurden. Man müsse aber zur Kenntnis nehmen, dass der Wächterrat im Iran nach einer stichprobenartigen Nachzählung befunden hat, dass die sich dadurch ergebenen Änderungen keinen Einfluss auf das Endergebnis haben.

Der Außenminister betonte nochmals, es sei jeder Eindruck zu vermeiden, dass man sich in die inneren Angelegenheiten des Iran einmischen wolle. Man würde damit auch denjenigen nichts Gutes tun, die eine Änderung herbeiführen wollen. Oppositionsführer Mussawi sei auch ein Teil des Systems, meinte der Minister. Die besondere Sorge gelte den vier britischen Mitarbeitern, sagte er, man warte nun einige Tage die Reaktion des Iran auf die Forderung nach deren Freilassung ab, und werde sich dann in der EU wieder zusammensetzen, um weitere Schritte zu überlegen. Spindelegger ging damit auf Zusatzfragen von Bundesrat Reinhold EINWALLNER (S/V) und Bundesrat Johann ERTL (F/N) ein.

Bundesrat Wolfgang BEER (S/W): Wie bewerten Sie die aktuelle Situation im Iran?

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Außenminister Michael SPINDELEGGER bezeichnete die aktuelle Lage im Iran als relativ ruhig. Man könne jedoch nicht sagen, ob die Einschüchterungen durch das Regime Wirkung gezeigt haben. Wie es weiter gehen wird, darüber könne man nichts sagen, zumal es keine internationale Berichterstattung gebe und es sehr schwierig sei, an Informationen heranzukommen, bemerkte der Minister auch gegenüber Bundesrat Ferdinand TIEFNIG (V/O).

(Schluss)


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