Parlamentskorrespondenz Nr. 953 vom 05.11.2009

Hauptausschuss: Grünes Licht für Nominierung Hahns als EU-Kommissar

Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierungsparteien

Wien (PK) – Bundesminister Johannes Hahn wurde heute in einer Sitzung des Hauptausschusses des Nationalrats mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP mehrheitlich für die Funktion des EU-Kommissars nominiert. Der Abstimmung ging eine umfangreiche und kontroversielle Debatte in einer öffentlichen Sitzung des EU-Hauptausschuss es voraus, an der neben dem Wissenschaftsminister und designierten österreichischen Kommissar auch Bundeskanzler Werner Faymann und Außenminister Michael Spindelegger teilnahmen.

Hahn will als Kommissar Drehscheibe zu seinem Heimatland sein

Bundesminister Johannes Hahn betonte, er wolle als Kommissar eine Drehscheibe zu seinem Heimatland sein, und versicherte, gerade vor dem Hintergrund des Lissabon-Vertrags und der stärkeren Einbindung der nationalen Parlamente im europäischen Entscheidungsprozess den Gedankenaustausch sowohl mit dem Parlament als auch mit den Institutionen und der Bevölkerung eng gestalten zu wollen. Europa müsse in den Köpfen und Herzen der Menschen verankert werden. Die Themen Wissenschaft, Bildung und Innovation würden in den nächsten Jahren in den Mittelpunkt europäischer Politik rücken, bemerkte Hahn, und ihm sei es wichtig, in diesem Bereich ein kluges Zusammenwirken zwischen europäischer und nationaler Ebene zu erreichen. Europa brauche eine solide Grundlagenforschung und eine entsprechende angewandte Forschung, wobei man besonders auf die Schnittstelle zur gewerblichen Tätigkeit achten müsse. Notwendig sei es auch, den regionalen Aspekt in diese Frage einzubringen, um zu vermeiden, dass sich Forschung und Entwicklung in nur einigen wenigen Regionen konzentrieren. Bildung schaffe Arbeit und Wissenschaft und Innovation sicherten den Wirtschaftsstandort Europa, so Hahn.  

Opposition übt harte Kritik an Vorgängen rund um die Nominierung

Die Opposition kritisierte insbesondere die Vorgangsweise innerhalb der Regierung im Vorfeld des Ministerratsbeschlusses und sprach von einem Schaden für das Image Österreichs in Europa (F-Klubobmann Heinz-Christian Strache), von einem blamablen Schauspiel (B-Klubobmann Josef Bucher) und von einem "Gezerre" (G-Klubobfrau Eva Glawischnig-Piesczek). Abgeordneter Strache nannte Hahn einen Kompromiss- und Notkandidaten und wie Abgeordnete Eva Glawischnig-Piesczek trat er für eine Änderung des Nominierungsprozesses ein. Beide forderten eine Änderung der Geschäftsordnung in dem Sinne, als in Zukunft den Mitgliedern des Hauptausschusses die Möglichkeit gegeben sein soll, in einem öffentlichen Hearing unter drei KandidatInnen auszuwählen.

Seitens der Opposition wurden auch Zweifel an der Qualifikation Hahns für den Posten als Kommissar und insbesondere für das kolportierte Ressort Wissenschaft und Forschung geäußert. Die Erfolge Hahns als Wissenschaftsminister seien enden wollend, sagte Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G), Hahn hinterlasse einen Flächenbrand an den Universitäten, meinte Abgeordnete Glawischnig-Piesczek (G). Dem widersprach der Wissenschaftsminister vehement, indem er auf die Steigerungsraten für das Universitäts- und Forschungsbudget trotz Wirtschaftskrise hinwies.

Es sei nicht einmal fix, dass Hahn das Wissenschaftsressort bekomme, und man frage sich, für welches andere Ressort Hahn sich eigne, bemerkte Abgeordneter Ewald Stadler (B). So sei es durchaus möglich, dass der derzeitige Kommissar für Wissenschaft und Forschung Janez Potocnik seine bisherigen Kompetenzen nicht abgeben möchte, und dann bleibe in diesem ganzen Bereich das Ressort Bildung, Training, Kultur und Mehrsprachigkeit, und dafür habe die EU kaum Kompetenzen.

SPÖ und ÖVP: Bereiche Wissenschaft und Forschung sind Zukunftssignal

Anders bewerteten die Abgeordneten von SPÖ und ÖVP die Nominierung. Klubobmann Josef Cap (S) sprach in Bezug auf Bildung, Forschung, Wissenschaft und Innovation von einem wichtigen Zukunftssignal, weshalb es sich lohne, sich darum zu bemühen. Klubobmann Karlheinz Kopf (V) hob die langjährigen Erfahrungen Hahns in der Privatwirtschaft sowie in der Politik auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene hervor. Dies sei eine ideale Voraussetzung für die Aufgaben eines Kommissars, der nicht nur sein eigenes Ressort zu betreuen habe, sondern für die Gesamtarbeit der Kommission mitverantwortlich sei. Europa sei gerade jetzt bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise besonders herausgefordert, weshalb die wirtschaftlichen Kenntnisse Hahns von großem Vorteil seien.      

Bundeskanzler Werner Faymann hob die pro-europäische Haltung Hahns, seine Bereitschaft, die Interessen Österreichs zu vertreten, und seine Kompetenzen im Bereich Wissenschaft und Forschung hervor. Aus all diesen Gründen sei er überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben. Der Bundeskanzler machte klar, dass die Ressortverteilung innerhalb der künftigen Kommission noch nicht feststeht, er schloss auch nicht aus, dass sich die bisherigen Verantwortungsbereiche in der Kommission verschieben. Faymann stimmte mit dem Außenminister überein, dass im Falle der Besetzung des Amtes eines hohen Repräsentanten für die Außenpolitik mit einem Österreicher die Nominierung Hahns rückgängig gemacht werden müsste. Dies gelte jedoch nicht in Bezug auf die Funktion des künftigen Präsidenten der EU, da es sich bei diesem nicht um ein Mitglied der Kommission handelt. 

Außenminister Michael Spindelegger würdigte ebenfalls die positive europäische Grundeinstellung Hahns und bemerkte, der Kommissar könne viel zum Dialog in Österreich beitragen, zumal die EU-Skepsis unter der Bevölkerung sehr hoch sei. Er stellte jedoch klar, dass der Kommissar kein Lobbyist des eigenen Landes sein könne. Durch den Kommissar gebe es aber einen wichtigen und notwendigen Informationsfluss.

Nominierung für den AdR und den WSA

In weiterer Folge wurde die neuerliche Nominierung von Bürgermeister a.D. Erwin Mohr als ordentliches Mitglied im Ausschuss der Regionen von den Ausschussmitgliedern zur Kenntnis genommen.

Ebenso erfolgte die Kenntnisnahme der Nominierung von Oliver Röpke zum ordentlichen Mitglied im Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA). Er vertritt dort ArbeitnehmerInneninteressen und folgt in dieser Funktion Evelyn Regner. Röpke ist derzeit Leiter des Europabüros des ÖGB in Brüssel.

Schließlich wurde Abgeordneter Albert Steinhauser (G) einstimmig als Ersatzmitglied für den Ständigen Unterausschuss des Hauptausschusses gewählt.

Die Debatte im Einzelnen

Faymann: Bildung, Wissenschaft und Forschung sind zentrale Themen

In seiner Begründung, warum die Wahl auf Bundesminister Johannes Hahn gefallen ist, bemerkte Bundeskanzler Werner Faymann, der Minister bringe sowohl Erfahrungen aus der Privatwirtschaft als auch politische Erfahrungen und darin insbesondere in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung mit. Damit verfüge er über Expertenwissen in einem Zukunftsbereich, sagte Faymann. Die Fragen der Bildungs- und Wissenschaftspolitik, von Forschung und Entwicklung müssten zu den zentralen Themen in der EU zählen, soll sie auch in Zukunft als Industriestandort Bestand haben. Forschung und Entwicklung seien auch für den Klimaschutz und die Energiesicherheit von enormer Bedeutung, und auch hier verfüge der Wissenschaftsminister über große fachliche und politische Erfahrung. Es gehe darum, dass gerade in der Energiepolitik, aber auch in der Sozialpolitik Standards nicht geringer werden, sondern Österreich als ein Vorbild dient. Er schätze die Zusammenarbeit mit Bundesminister Hahn, die durch Konstruktivität und Sachbezogenheit trotz aller Meinungsverschiedenheiten gekennzeichnet ist, so das Resümee des Bundeskanzlers. 

Die Äußerungen von Bundeskanzler Faymann zur Funktion eines Kommissars bzw. einer Kommissarin gaben Anlass zu einer prinzipiellen Diskussion. Faymann sagte, der Kommissar habe die politische Aufgabe, österreichische Interessen zu vertreten, soweit dies der Rahmen der Kommission zulässt. Er gehöre einem Team an, in dem er über den eigenen Aufgabenbereich hinaus in Mehrheitsentscheidungen eingebunden ist.

Dem hielt die grüne Klubobfrau Eva Glawischnig-Piesczek entgegen, der Kommissar sei keineswegs Interessenvertreter Österreichs, er habe die Interessen der Gemeinschaft zu vertreten, und diese deckten sich nicht immer mit denjenigen des eigenen Landes. Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) wies in diesem Zusammenhang auf die Verträge hin, die den KommissarInnen völlige Unabhängigkeit zusichern. Auch Klubobmann Josef Bucher (B) vertrat die Auffassung, dass das Kommissionsmitglied neutral agieren müsse. Klubobmann Karlheinz Kopf (V) bemerkte dazu, die Mitgliedsländer entsendeten Personen, um im Interesse des Ganzen das Beste zu erzielen. Man werde selbstverständlich die Herkunft nicht verleugnen, müsse aber das Gemeinsame im Auge behalten. F-Klubobmann Heinz-Christian Strache wiederum erwartete, dass sich Hahn als Vertreter Österreichs empfindet.

Der Bundeskanzler stellte daraufhin klar, dass die Vertretung Österreichs und die Wahrnehmung europäischer Interessen keinen Gegensatz darstellen, sondern als ein "Sowohl als Auch" zu verstehen seien. So erwarte er etwa, dass Hahn den österreichischen Standpunkt zur Atomenergie innerhalb der Kommission vertritt, auch wenn er damit ziemlich allein dastehen werde, fügte Faymann hinzu. 

Außenminister Michael Spindelegger meinte ebenfalls, der Lebenslauf Hahns prädestiniere ihn, auch in der Kommission ein entscheidendes Ressort zu übernehmen, und das sei der Wissenschafts- und Forschungsbereich, wo der Außenminister ein enormes Gestaltungspotenzial ortete. Hahn sei seines Wissens auch der einzige Wissenschaftsminister, der für die Funktion eines Kommissar nominiert wurde, informierte Spindelegger.

Hahn: Das Haus Europa wohnlich gestalten

Der Wissenschaftsminister selbst schilderte zunächst seinen persönlichen Zugang zu Europa. Am Beginn seiner politischen Laufbahn in den achtziger Jahren sei er federführend für die Mitgliedschaft Österreichs in der damaligen EG eingetreten. Er sei von Anfang an davon überzeugt gewesen, dass sich Österreich nur in einem größeren gemeinsamen Ganzen weiterentwickeln könne. Außerdem sei der Gedanke des Friedensprojekts damals wie heute aktuell.

Dass die Wahl auf ihn gefallen ist, bewertete Hahn nicht als ein Signal gegen jemanden, sondern als ein Signal für etwas. Er hoffe, dass er ein Zukunftsressort übernehmen könne, und werde alles tun, um den bisher exzellenten Ruf der österreichischen Kommissionsmitglieder fortzusetzen. Wissenschaft, Forschung und Innovation seien Zukunftsressorts und für eine wissensbasierte Gesellschaft ebenso von Bedeutung, wie für den Wirtschaftsstandort und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Dies sei auch wichtig im Hinblick auf die Tatsache, dass Europa bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise besonders herausgefordert sei.

Hahn begrüßte den Abschluss des Ratifikationsprozesses für den Reformvertrag, womit die institutionelle Konsolidierung abgeschlossen sei und die Union nun ihre Handlungsfähigkeit beweisen und Resultate bringen müsse. Die EU sei kein Projekt für wenige, sondern eines für alle Menschen auf dem Kontinent, sagte Hahn. Es gehe nun darum, das Haus Europa wohnlich zu gestalten und die Chancen der kulturellen Vielfalt zu nützen. Als kleines Land habe man auch große Chancen, die eigenen Vorstellungen umsetzen zu können, zeigte er sich überzeugt. Der Wissenschaftsbereich sei international vernetzt wie kaum ein anderer Bereich, bemerkte Hahn, und bekräftigte, dass er sich als Österreicher in Europa und als Europäer in Österreich sehe.

FPÖ: Nominierung war dilettantische Kür

Nachdem Klubobmann Heinz-Christian Strache (F) den Nominierungsvorgang innerhalb der Bundesregierung einer harschen Kritik unterzogen hatte, stellte er die Frage in den Raum, ob der EU-Kommissar eigentlich eine Erbpacht der ÖVP sein müsse. Er bezweifelte, dass Hahn die bestqualifizierte Person ist, und vertrat die Auffassung, dass man sich mit der dilettantischen Kür in Europa blamiert hat.

Abgeordneter Johannes Hübner (F) bewertete die Erklärung Hahns als gehaltlos, denn die EU sei in den fünfziger Jahren als Friedensprojekt aktuell gewesen, heute müsse man sich mit anderen Problemstellungen befassen, merket er an. Er bezweifelte auch die Schutzfunktion der EU in der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise. Der Abgeordnete im Europäischen Parlament, Andreas Mölzer (F), befürchtete eine Zentralisierung Europas und machte kein Hehl daraus, dass etwa das Bildungsressort, sollte es mit Wissenschaft und Forschung nicht klappen, aus seiner Sicht nur wenig Bedeutung habe. Abgeordneter Andreas Karlsböck (F) wiederum beklagte, dass die Werte in Europa verloren gingen, zumal immer öfter Entscheidungen gegen ein christliches Europa fallen.

BZÖ: Hahn ist kleinster gemeinsamer politischer Nenner

Abgeordneter Ewald Stadler (B) sprach in Bezug auf die Nominierung Hahns vom "kleinsten gemeinsamen politischen Nenner". Klubobmann Josef Bucher (B) bemängelte, der Nominierungsvorgang habe unter Beweis gestellt, dass es der Regierung weniger um europäische Interessen, sondern vielmehr um die Interessen der eigenen Parteien geht. Er zeigte sich verwundert, dass der Bundeskanzler offensichtlich wenig bereit sei, die ehemaligen Bundeskanzler Schüssel und Gusenbauer zu unterstützen, eines der hohen Ämter in der Union zu bekleiden. Diese blamable Regierungspolitik sei auch mit ein Grund dafür, dass die Bevölkerung den Weg nach Europa nicht mitgehen möchte. Diesem Vorwurf widersprach Bundeskanzler Faymann vehement und sicherte seine Unterstützung zu, sollte ein Österreicher Chancen für eines der Spitzenämter haben.

Klubobmann Josef Bucher (B) plädierte dafür, die besten Köpfe nach Brüssel zu schicken, und hinterfragte die Nominierung von Minister Hahn, indem er auch auf dessen Interview vom 24. Oktober hinwies. Damals habe Hahn gesagt, er gehe nur nach Brüssel, wenn es unbedingt sein müsse, und stehe nur für den Bereich Wissenschaft und Forschung zur Verfügung. Er, Bucher, sei daher gespannt auf die Reaktion des Wissenschaftsministers, sollte er dieses Ressort nicht erhalten.

Bucher erkundigte sich ebenso wie Abgeordneter Ewald Stadler (B), ob es wahr sei, dass Kommissionspräsident Barroso das Agrarressort für Molterer zugesagt hat. Stadler mutmaßte weiters, dass Barroso ein anderes, bedeutendes Ressort in Aussicht gestellt habe, wenn Österreich eine Frau nominiert. Bundeskanzler Fayman erwiderte darauf, dieses Gerücht sei falsch, und es habe seitens des Kommissionspräsidenten keinerlei Fixierungen oder konkrete Vorschläge gegeben.

Grüne: Hahn hinterlässt Flächenbrand auf Universitäten

Ähnlich wie ihre Vorredner bezweifelte Abgeordnete Eva Glawischnig-Piesczek (G) die Qualifikationen Hahns für das Amt eines Kommissars und kritisierte die Entscheidung als eine ausschließlich parteipolitische. "Was kann Hahn, was Molterer und Ferrero-Waldner nicht können?" fragte sie. Sie wies auf die Situation auf den Universitäten hin und meinte, Hahn hinterlasse dort einen Flächenbrand. Somit gehe Hahn mit einem Rucksack und einem schlechten Signal nach Brüssel.

Das Gezerre rund um die Nominierung habe es unmöglich gemacht, in Europa eine gestaltende Rolle zu spielen, beklagte Glawischnig-Piesczek, man beschränke sich nun auf ein kleines Ressort. Sie griff Hahn insofern persönlich an, als sie ihm vorwarf, er habe, in Unkenntnis der vertraglichen Situation, ursprünglich Wiener Landesparteiobmann bleiben wollen. Wie Abgeordneter Johannes Hübner (F) kritisierte auch Glawischnig-Piesczek die Tätigkeit Hahns bei der Firma Novomatic.

Ähnlich kritisch nahm Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) Stellung. Für die Nominierung seien keine fachlichen europapolitischen Kriterien ausschlaggebend gewesen, meinte er, und ließ seine Präferenz für Wilhelm Molterer durchblicken. Auch er erinnerte nochmals an das Interview Hahns vom 24. Oktober, in dem der Wissenschaftsminister wenig Begeisterung für den Posten eines Kommissars gezeigt habe. Sein Klubkollege Abgeordneter Albert Steinhauser (G) machte darauf aufmerksam, dass Johannes Hahn, sollte er tatsächlich das Wissenschaftsressort übertragen bekommen, auch für Nuklearforschung zuständig sei. Er, Steinhauser, frage sich daher, ob es unter einem Kommissar Hahn zu einer Richtungskorrektur kommen wird.

SPÖ: Europa braucht mehr Bürgernähe

Im Gegensatz zur Opposition verteidigten die Abgeordneten der Regierungsfraktionen die Nominierung Hahns. Die Diskussion sei transparent gewesen, sagte etwa Klubobmann Josef Cap (S) und meinte, auch in anderen Ländern habe es ähnliche öffentliche Debatten gegeben. Er kenne Hahn aus den Tagen der Jugendbewegung, erläuterte Cap, und schätze seine Qualifikationen. Cap richtete aber an den designierten Kommissar die Bitte, über das Bild Europas kritische Reflexionen anzustellen. Es gehe darum, so Cap, mit den BürgerInnen über die Zukunftsperspektiven in einen Dialog zu treten und nicht nur Europa zu erklären.

Die Notwendigkeit von mehr Bürgernähe wurde auch von Abgeordneter Christine Muttonen (S) unterstrichen. Muttonen erwartete sich von Hahn, dass sich dieser für eine Schwerpunktsetzung im Bereich Forschung und Infrastruktur einsetzt. Die Bedeutung der Kommission in Hinblick auf die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise sowie auf die Sicherung von Arbeitsplätzen wurde von Abgeordneter Renate Csörgits (S) hervorgehoben. Abgeordnete Marianne Hagenhofer (S) thematisierte die Gestaltungsmöglichkeiten und Schwerpunktsetzungen bei der Budgeterstellung und Abgeordneter Hannes Weninger (S) betonte, es sei wichtig, ein Portfolio zu erhalten, das mit den eigenen Interessen übereinstimmt.

ÖVP: Hahn bringt nötige wirtschaftliche und politische Erfahrung mit

Klubobmann Karlheinz Kopf (V) zeigte sich überzeugt davon, dass Bundesminister Hahn die besten Voraussetzungen für die Funktion eines Kommissars mitbringt. Die Entscheidung sei für eine Person und nicht gegen eine Person gefallen, stellte er fest. Kopf sah die Union vor riesige Herausforderungen gestellt, wobei der Kommission durch ihre administrativen Aufgaben und ihr Initiativrecht eine Schlüsselfunktion zufalle. Europa müsse die Wirtschafts- und Finanzkrise bewältigen, durch den Vertrag von Lissabon werde die Union jedoch flexibler und entschiedener agieren können, bemerkte Kopf. Durch die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips sowie des Europäischen Parlaments werde die Union aber auch demokratischer, betonte er. Kopf erhoffte sich von Hahn Initiativen, um der negativen Einstellung der österreichischen Bevölkerung entgegen zu wirken, und glaubte, dass der Wissenschaftsminister im gegebenen Fall die nötigen Schwerpunkt in Forschung und Innovation setzen werde, um wichtige Impulse zur Krisenbewältigung zu geben.

Abgeordnete Katharina Cortolezis-Schlager (V) nannte Hahn einen humorvollen Wiener, einen leidenschaftlichen Österreicher und überzeugten Europäer. Er stehe für den geistigen Gedanken Europas, denn man brauche auch immaterielle Güter und Werte, eine gemeinsame Kultur und hohe Bildungsstandards. Hahn habe den Rahmen dafür geschaffen, dass Österreich herausragende WissenschafterInnen hervorbringt, merkte die V-Abgeordnete an, und verwies auf die Steigerungen im Wissenschaftsbudget.

Ihr Klubkollege Peter Michael Ikrath (V) konzentrierte sich auf den Finanzbereich und stellte fest, in den nächsten Jahren würden entscheidende Weichenstellungen für die Volkswirtschaft, für den Wirtschaftsstandort und für die Schaffung von Arbeitsplätzen vorgenommen. Bundesminister Hahn bringe praktische Wirtschaftserfahrung mit, was eine entscheidende Stärke und Kompetenz darstelle.

Hahn: Es kommt auf die Gestaltungsmöglichkeiten an

In seiner Reaktion auf die Diskussion betonte Bundesminister Johannes Hahn, er fühle sich keineswegs als Kompromisskandidat, zumal er von der gesamten Bundesregierung getragen sei. Er habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass er sich als Kandidat für Wissenschaft, Forschung und Innovation betrachte, auch wenn er sich durchaus imstande sehe, andere Bereiche zu übernehmen. "Es wird sie aber nicht überraschen, dass ich kein klassischer Agrarkommissar bin", sagte er. Er halte es aber für einen falschen Zugang, die Gewichtung eines Ressorts nur budgetär zu sehen. Es komme vielmehr auf die Gestaltungsmöglichkeiten an, sagte er.

Der Kritik an seiner Arbeit als Wissenschaftsminister begegnete er mit dem Hinweis auf die Steigerung des Universitätsbudgets um 17 %, der Studienplatzfinanzierung an den Fachhochschulen um 13,7 % und der Forschungsfinanzierung um 25 %. Österreich sei auch das erste Land Europas, in dem es einen Kollektivvertrag für Hochschulangehörige gibt. Diesen "Rucksack" nehme er sich als Latte für die Arbeit in Europa mit. Kommissionspräsident Barroso habe sich vorgenommen, im Bereich Forschung und Entwicklung einen Schwerpunkt zu setzen. Dabei gehe es auch um eine stärkere regionale Entwicklung und um eine verbesserte innereuropäische Mobilität.

Grundlagenforschung und die Überführung angewandter Forschung in die wirtschaftliche Verwertbarkeit stellten wesentliche Herausforderungen für die wirtschaftliche Entwicklung Europas dar, sagte Hahn. Umfassende Forschung, Innovation und Technologiepolitik seien Grundlage für wirtschaftliches Handeln. Hahn möchte in diesem Zusammenhang vor allem auch den Dienstleistungssektor mit einbeziehen, der sich bislang als etwas forschungsresistent erwiesen habe, bemerkte er.

Hahn versicherte nochmals, auch vor dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips und der verstärkten Mitwirkung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente im europäischen Entscheidungsprozess, eng mit dem österreichischen Parlament zusammenarbeiten zu wollen. Durch die Möglichkeit der institutionalisierten Rückkoppelung, die der Lissabon-Vertrag eröffnet, werde man nun auch stärker auf die Bedürfnisse der Regionen eingehen können, sagte Hahn. Das führe zu mehr Bürgernähe, aber auch er selber wolle mit Engagement den Dialog mit der Bevölkerung führen, um das Erscheinungsbild Europas zu verbessern. Er versicherte, mit verstärkter Präsenz in der Heimat europäische Positionen erläutern und vermitteln zu wollen, und zu zeigen, dass es bei verschiedenen Themen unterschiedliche Zugänge geben kann.

Gerade in der jüngsten Krise habe Europa bewiesen, wie sinnvoll die Integration und wie wichtig eine stabile Währung sind. Die EU sei imstande gewesen, sehr rasch zu reagieren. Hahn erwiderte auf die Kritik, sein Europabild sei zu historisch, mit der Bemerkung, wie aktuell das Friedensprojekt sei, zeige sich auf dem Balkan. Die Zusammenarbeit mit den Ländern stelle dort ein wesentliches Element der Friedenssicherung und der Wahrung grundlegender Werte dar.

Die Fragen des EU-Abgeordneten Andreas Mölzer sowie des Abgeordneten Johannes Hübner (beide F) nach seiner Meinung zu einem etwaigen Beitritt der Türkei beantwortete Hahn, es sei richtig, die Verhandlungen mit einem offenen Ergebnis zu führen. Es habe sich gezeigt, dass sich in der Türkei nun doch etwas bewege.

Zu seiner Tätigkeit bei Novomatic bemerkte er, dieses sei ein Dienstleistungs- und Industrieunternehmen und er habe auch drei Jahre bei der VA-Tech gearbeitet. Nachdem Abgeordneter Gerhard Kurzmann (F) die Anschuldigungen bezüglich der Dissertation Hahns thematisierte, meinte der Minister, er habe dazu vor zwei Jahren alles hinlänglich erläutert und richtig gestellt.  (Schluss)