Parlamentskorrespondenz Nr. 115 vom 24.02.2010

Vorlagen: Verfassung

Koalition legt begleitende Gesetzesnovelle zum Lissabon-Vertrag vor

Durch den mit 1. Dezember des vergangenen Jahres in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon wurden den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten mehr Mitspracherechte in Angelegenheiten der Europäischen Union eingeräumt. Um diese zusätzlichen Mitspracherechte innerstaatlich zu verankern und die Mitwirkungsrechte des Parlaments bei EU-Vorhaben generell an das geltende EU-Recht anzupassen, beantragen SPÖ und ÖVP eine Änderung der Bundesverfassung (978/A).

Konkret sieht der gemeinsame Antrag der beiden Koalitionsparteien vor, die Instrumente der Subsidiaritätsrüge und der Subsidiaritätsklage in Form von zwei neuen Artikeln (23g und 23h) in der Bundesverfassung zu verankern. Sowohl dem Nationalrat als auch dem Bundesrat bzw. den dafür zuständigen Ausschüssen wird demnach die Möglichkeit eingeräumt, einen Richtlinienentwurf oder eine andere Gesetzgebungsinitiative der Europäischen Kommission zu beeinspruchen, wenn diese nach Meinung der ParlamentarierInnen überschießend sind und zu sehr in die Rechte der Mitgliedstaaten eingreifen. Für eine solche Subsidiaritätsrüge haben Nationalrat und Bundesrat laut Vertrag von Lissabon acht Wochen Zeit. Sollte ein Drittel aller nationalen Parlamente einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip orten, ist die EU-Kommission gezwungen, ihr Vorhaben zu überdenken.

Bei einem bereits erlassenen Gesetzgebungsakt haben der Nationalrat und der Bundesrat künftig die Möglichkeit, innerhalb von zwei Monaten Klage beim Europäischen Gerichtshof zu erheben, wobei sich das Klagsrecht des Bundesrats dem Gesetzentwurf zufolge auf Gesetzgebungsakte beschränken soll, die die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung einschränken. Für eine solche Subsidiaritätsklage soll in beiden Kammern jeweils die einfache Stimmenmehrheit ausreichend sein.

Besonders starke Mitwirkungsrechte des Parlaments sieht der Antrag der Koalitionsparteien auch für den Fall vor, dass auf EU-Ebene die Anwendung der Brückenklausel (Passarelle) zur Diskussion steht, also in einem bestimmten Politikbereich vom Einstimmigkeitserfordernis oder von einem besonderen Gesetzgebungsverfahren abgegangen werden soll. Gemäß Artikel 23i soll das jeweils zuständige österreichische Regierungsmitglied einer solchen Initiative nur dann zustimmen dürfen, wenn der Nationalrat und der Bundesrat dies ausdrücklich mit Zweidrittelmehrheit genehmigen. Außerdem ist die Regierung zu einer frühzeitigen und umfassenden Information des Parlaments angehalten. Auch nach einem Beschluss auf EU-Ebene ist eine gemeinsame Ablehnung der Initiative durch Nationalrat und Bundesrat innerhalb von sechs Monaten möglich.

Darüber hinaus wird mit dem Gesetzentwurf die von der Regierung bereits geübte Praxis, den Nationalrat und den Bundesrat jeweils zu Beginn eines Kalenderjahres über die in diesem Jahr zu erwartenden Vorhaben der Europäischen Kommission und des Europäischen Rats in den einzelnen Politikfeldern zu informieren, verfassungsrechtlich verankert. Eine Reihe weiterer Änderungen dient legistischen und terminologischen Anpassungen und Klarstellungen.

Schließlich stellt eine ergänzende Gesetzesänderung sicher, dass bis zur Aufstockung der Sitze Österreichs im Europäischen Parlament von 17 auf 19 Mandate die beiden schon gewählten Abgeordneten als Beobachter in das Europäische Parlament entsendet werden können.  (Schluss)