Parlamentskorrespondenz Nr. 375 vom 20.05.2010

Eine thematisch breit gestreute Sozialdebatte

Richtlinien für Servicehunde, Einmalzahlung für Conterganopfer

Wien (PK) – Im weiteren Verlauf seiner heutigen Sitzung wandte sich der Nationalrat Sozialvorlagen aus den Reihen der Opposition zu. Zur Debatte standen Entschließungsanträge der Grünen und der FPÖ auf Verankerung von Service- und Signalhunden im Bundesbehindertengesetz ( 1088/A[E], 1091/A[E] ) sowie FPÖ-Anträge auf Vermittlung der Braille-Schrift (963/A[E] ) an dauerhaft sehbehinderte Menschen, auf Gleichstellung von Contergan-Geschädigten mit Kriegsopfern, NS-Opfern, Impfgeschädigten und Verbrechensopfern (1075/A[E]), auf Nichtanrechnung des Erhöhungsbeitrags der Familienbeihilfe für behinderte Kinder auf das Pflegegeld (903/A), auf ein neues Begutachtungsverfahren zur Feststellung des Ausmaßes der Pflegebedürftigkeit (1061/A[E]), auf einen Härteausgleichsfonds für unverschuldet in Not geratene Unfallopfer (289/A[E]), für ein breiteres regionales heilpädagogisches Angebot für behinderte SchülerInnen (1046/A[E]) sowie auf gesetzliche Grundlagen für eine familienorientierte Rehabilitation nach deutschem Vorbild (1093/A[E]). Das BZÖ forderte kostenfreie Therapien für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre (942/A[E]), die Erstellung eines neuen Gesamtkonzepts für die Pflege (926/A[E]) samt Schaffung eines Lehrberufs "Pflege und Gesundheit" sowie die Einrichtung eines Freiwilligen Sozialdienstjahres (312/A[E]). - Diese Anträge der Oppositionsparteien wurden zwar abgelehnt, auf Antrag aller fünf Parteien (1106/A[E]) sprach sich das Nationalratsplenum aber für einheitliche Richtlinien für Service- und Signalhunde sowie für eine Einmalzahlung für Contergan-Geschädigte aus. Überdies beauftragte der Nationalrat Bundesminister Hundstorfer mit S-V-Mehrheit, die Absicherung des Freiwilligen Sozialen Jahres durch einen gesetzlichen Rahmen zügig weiter zu verfolgen.

In der Debatte bedauerte Abgeordneter Norbert HOFER (F), dass zahlreiche Anträge der Opposition im Sozialbereich abgelehnt worden seien. Er nannte dabei die Anträge seiner Partei über einen Hilfsfonds für Unfallopfer im Fall der Überschreitung des Rahmens der Haftpflichtversicherung und für ein neues Pflegemodell, hier hätte er sich eine weitere Diskussion im Ausschuss gewünscht.

 

Abgeordnete Ulrike KÖNIGSBERGER-LUDWIG (S) konzentrierte sich zuerst auf den Fünf-Parteien-Antrag über einheitliche Richtlinien für Service- und Signalhunde. Der Antrag reagiere auf eine Bürgerinitiative, die auf diese Problematik hingewiesen hatte. Für Blindenhunde bestehen bereits Regelungen, man strebe an, auch Signal- und Servicehunde diesen gleichzusetzen.

 

Weiter befasste sich die Abgeordnete mit einem Antrag zugunsten von Contergan-Geschädigten. Eine Änderung des Contergan-Stiftungsgesetzes erlaube nun auch schon Abgewiesenen, nochmals einen Antrag auf Einmalentschädigung zu stellen. Dies sei ein erster wichtiger Schritt für die Betroffenen, dem noch weitere folgen müssten.

 

Abgeordnete Helene JARMER (G) begrüßte den Fünf-Parteien-Antrag zur Gleichstellung von Signal- und Servicehunden mit Blindenhunden. Im vorliegenden Plan zur inklusiven Bildung von Blinden sah sie einen wichtigen ersten Schritt wie auch in der Anpassung des Pflegegelds. In weiterer Folge müsse man aber an ein gesamtes Pflegepaket denken. Auch die Einmalzahlung an Contergan-Geschädigte sei noch nicht genug. Da Betroffenen oft kürzere Zeiten der Erwerbstätigkeit haben und daher niedrigere Pensionen, müsse eine Rentenregelung gefunden werden. Es gehe um die Lebensqualität im Sinne von Inklusion und Gleichberechtigung für die Betroffenen.

 

Abgeordneter August WÖGINGER (V) nahm zum Thema Pflege Stellung und meinte mit Hinweis auf die demographische Entwicklung, diese werde das Hohe Haus in den nächsten Monaten und Jahren stark beschäftigen. Schließlich werde im Jahr 2040 bereits ein Drittel der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein, die Zahl der über 75-Jährigen werde sich verdoppeln. Es sei also höchste Zeit aktiv zu werden, sagte Wöginger und sieht die Politik vor allem in Bezug auf die Finanzierungsfrage vor großen Herausforderungen. Seiner Darstellung nach arbeitet die Regierung bereits mit den Bundesländern gemeinsam an einem neuen Pflegesystem, zunächst müssten Daten erhoben werden.

Abgeordneter Sigisbert DOLINSCHEK (B) setzte sich mit dem 5-Parteien-Antrag zu den Service- und Signalhunden auseinander und begrüßte die Initiative. Service- und Signalhunde bekämen für behinderte Menschen immer größere Bedeutung bei der Bewältigung des Alltags, skizzierte er und forderte einheitliche Begriffsbestimmungen und Qualitätskriterien für derartige Hunde analog zu den Blindenhunden. Weiters sprach sich Dolinschek für kostenlose Therapien für Kinder aus.

Abgeordneter Franz RIEPL (S) nahm zum FPÖ-Antrag betreffend Härteausgleich für Unfallopfer Stellung und wandte sich dagegen, wegen einzelner Fälle einen Fonds einzurichten. Man könne sich eventuell anschauen, ob es im Bereich der Versicherungssummen Anpassungsbedarf gebe, erklärte er, für Unfallfolgen sollte aber in erster Linie nicht die Allgemeinheit, sondern der Unfall-Verursacher bzw. dessen Versicherung aufkommen.

Abgeordnete Carmen GARTELGRUBER (F) bemängelte das fehlende Angebot an Einrichtungen zur familienorientierten Rehabilitation in Österreich. Viele betroffene Familien müssten nach Deutschland ausweichen, kritisierte sie. Die Unterbringung von Kindern im Rahmen von Erwachseneneinrichtungen wertete Gartelgruber aufgrund der besonderen Bedürfnisse von Kindern als nicht zielführend.

Abgeordneter Franz-Joseph HUAINIGG (V) drängte darauf, im neuen ORF-Gesetz verpflichtende Bestimmungen zum Ausbau der Barrierefreiheit zu verankern. Angestrebtes Ziel muss es seiner Meinung nach sein, das Gesamtprogramm von ORF 1 und ORF 2 zu untertiteln und vermehrt Audio- Deskriptionen für Blinde anzubieten. Auch bei der barrierefreien Gestaltung der Website des ORF sieht er Handlungsbedarf. Das immer wieder ins Treffen geführte Kostenargument ließ Huainigg nicht gelten und gab zu bedenken, die Barrierefreiheit wäre Berechnungen zufolge mit 1,5 % des geplanten Steuerzuschusses für den ORF umsetzbar.

Abgeordneter Karl ÖLLINGER (G) ging auf einen von Abgeordnetem Norbert Hofer geschilderten Fall ein und warf dem FPÖ-Mandatar Unredlichkeit vor. Grundsätzlich erhalte die Frau das Kinderbetreuungsgeld und die Familienbeihilfe, unterstrich Öllinger. Wenn es in einem konkreten Fall zu Problemen gekommen sei, liege das nicht an einem schlechten Gesetz, sondern an der Fehlleistung des zuständigen Beamten.

Abgeordnete Christine LAPP (S) hielt in Richtung BZÖ fest, mit der einmaligen Erstellung eines Pflegekonzepts wäre es nicht getan. Vielmehr müssten die Rahmenbedingungen für Pflege und Betreuung immer wieder an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasst werden. Lapp verwies auf laufende gesetzliche Adaptierungen und hob etwa die bessere Pflegegeldeinstufung für demenzkranke Menschen hervor. Ausdrücklich wandte sich Lapp gegen einen Lehrberuf "Pflege".

Abgeordnete Ursula HAUBNER (B) bekräftigte, es gebe einen großen Handlungsbedarf im Pflegebereich. Zwar seien in den letzten Jahren einige gesetzliche Anpassungen vorgenommen worden, ihrer Meinung nach fehlt aber ein Gesamt-Pflegekonzept. Die Regierung verschließe aber die Augen vor den anstehenden Problemen, kritisierte Haubner und machte u.a. auf tausende fehlende Pflegekräfte aufmerksam. Überdies vermisst sie Reformen in der Verwaltung und die Abschaffung von Mehrgleisigkeiten, um Gelder für den Pflegebereich freizubekommen.

Abgeordneter Martin BARTENSTEIN (V) warnte davor, Menschen in Vorwahlzeiten mit einem "künstlich ausgerufenen Pflegenotstand" zu verunsichern. Es stimme, dass es in Zukunft einen erheblichen Finanzbedarf in diesem Bereich gebe, meinte er, qualitativ sei die Pflege in Österreich aber "nicht schlecht" geregelt. Anstatt ein Gesamtkonzept einzufordern, hält Bartenstein es für zielführender, Schritt für Schritt vorzugehen. Mit dem steuerfinanzierten Pflegesystem fährt Österreich ihm zufolge gut, bei einer Pflegeversicherung würde eine weitere Erhöhung der Lohnnebenkosten drohen.

Abgeordnete Sabine OBERHAUSER (S) befasste sich mit dem Thema Kinderrehabilitation. Es gebe in Österreich zwar einige Therapiebetten für Kinder, skizzierte sie, diese würden sich aber in Erwachsenen-Einrichtungen befinden. Oberhauser zufolge ist es zunächst notwendig zu evaluieren, wie viele Betten für Kinder man in Österreich brauche und wo diese angeboten werden sollen. Dazu sei derzeit eine Studie des ÖBIG in Ausarbeitung.

Abgeordneter Oswald KLIKOVITS (V) machte geltend, das Thema Pflege sei immer aktuell. Er verwahrte sich aber gegen die Behauptung, dass es in Österreich einen Pflegenotstand gebe. Das bestehende System werde stetig weiterentwickelt. Äußerst skeptisch äußerte sich Klikovits zur Lehrlingsausbildung im Pflegebereich.

Abgeordneter Walter SCHOPF (S) räumte ein, dass Österreich in Bezug auf familienorientierte Rehabilitation Nachholbedarf habe. Ein Problem sieht er darin, dass bei angeborenen Krankheiten die Länder für Therapien, bei Unfallfolgen aber die Versicherungen zuständig seien. Schopf sprach sich für kindergerechte Rehab-Zentren aus, in denen auch das Personal entsprechend pädagogisch ausgebildet sei. Eine von Gesundheitsminister Stöger eingerichtete Arbeitsgruppe zum Thema Kindergesundheit soll ihm zufolge bis März 2011 Ergebnisse vorlegen.

Abgeordneter Dietmar KECK (S) begrüßte den vorliegenden Entschließungsantrag zum Thema Service- und Signalhunde. Als jemand, der selbst seit Jahrzehnten in der Hundeausbildung tätig sei, wisse er, dass Blinden-, Signal- und Servicehunde mehr als "der beste Freund des Menschen" seien, sagte er. Oft würden sie Betroffenen die einzige Möglichkeit bieten, am gesellschaftlichen Leben aktiv teilzunehmen. Kritik übte Keck an den zum Teil "horrenden" Ausbildungskosten für die Hunde, hier wird seiner Auffassung nach oft sehr gut auf Kosten von Behinderten und Kranken verdient.

Abgeordneter Josef MUCHITSCH (S) führte aus, jeder kenne Anlassfälle, die soziale Härten sichtbar machten. Nicht immer würden die Betroffenen vom dicht gespannten Sozialnetz in Österreich aufgefangen. Österreich liege mit seinem sozialen System international aber an der Spitze, bekräftigte Muchitsch.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer stellte die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Erarbeitung von Richtlinien für Service- und Signalhunde und zur Erhebung des Bedarfs in Aussicht. Es gehe um die Frage der Qualität, betonte er.

Zum Thema Pflege merkte Hundstorfer an, es stimme, dass die Gemeinden finanzielle Probleme hätten. Das liegt seiner Meinung nach aber nicht an steigenden Pflegekosten, sondern an sinkenden Ertragsanteilen. Ihm zufolge wird gerade eine Studie erstellt, um den künftigen Finanzbedarf im Pflegebereich zu ermitteln. Derzeit würden Bund, Länder und Gemeinden 3,7 Mrd. € für Pflege ausgeben, dazu komme noch eine Summe in unbekannter Höhe von den Betroffenen selbst. Beim AMS-Angebot gibt es laut Hundstorfer einen Schwerpunkt im Bereich Pflege.

Der Fünf-Parteien-Entschließungsantrag betreffend Service- und Signalhunde wurde vom Nationalrat einstimmig, die dem Bericht des Sozialausschusses über den Antrag 1075/A(E) angeschlossene Entschließung betreffend Einmalzahlung an "Contergan"-Geschädigte mit Stimmenmehrheit angenommen. Mehrheitlich nahmen die Abgeordneten auch die ablehnenden Berichte des Sozialausschusses über die Oppositionsanträge zur Kenntnis.

Thema Freiwilliges Sozialjahr

 

Ein Manko von 7.000 PflegehelferInnen, die dem Lande in den kommenden Jahren schmerzlich abgehen würden, ortete Abgeordneter Werner NEUBAUER (F), zumal der Bedarf an solchen PflegerInnen in der nächsten Zukunft noch ansteigen werde. Es brauche daher eine praktikable Lösung, um jenen Menschen, die sich zu diesem Beruf im wahrsten Sinn des Wortes "berufen" fühlten, den Zugang zum Pflegebereich zu erleichtern. In diesem Sinne brachte der Redner auch einen entsprechenden Entschließungsantrag ein, wonach geprüft werden solle, ob der Pflegeberuf auch als Lehrberuf eingerichtet werden könnte.

Abgeordneter Erwin SPINDELBERGER (S) meinte, hier gehe es um das soziale Engagement, das im Mittelpunkt stehen solle. Daher sollte das freiwillige soziale Jahr eher der Persönlichkeits- und weniger der Berufsentwicklung dienen. Und genau hinsichtlich dieser Problematik arbeite das Ministerium an einer ansprechenden Lösung.

Abgeordnete Tanja WINDBÜCHLER-SOUSCHILL (G) erinnerte daran, dass das freiwillige soziale Jahr seit 1968 existiere. Seitdem hätten sich unzählige junge Menschen in den Dienst der guten Sache gestellt. Insofern sei es mehr als wünschenswert, hier endlich auch zu einer ansprechenden gesetzlichen Regelung zu kommen.

Abgeordneter August WÖGINGER (V) erklärte, seine Fraktion bekenne sich seit langem zum freiwilligen sozialen Jahr und habe auch kein Problem mit der in Rede stehenden Regelung. Vielmehr stehe hier der ÖGB auf der Bremse, da dieser offenbar Probleme mit dem Arbeitsmarkt befürchte. Seine Fraktion stehe hingegen voll zu der angestrebten Regelung im Interesse aller Beteiligten.

Abgeordnete Ursula HAUBNER (B) sagte, die Arbeit der Freiwilligen sei unverzichtbar für die Gesellschaft, man sollte den Freiwilligen daher auch die nötige Unterstützung angedeihen lassen, die für die Betreffenden auch spürbar und sichtbar sein sollte. Daher gelte es, das freiwillige soziale Jahr rasch auf eine ansprechende gesetzliche Grundlage zu stellen.

Bundesminister Rudolf HUNDSTORFER betonte, dass sein Ressort sich bereits mit der Frage befasse. Es gebe ein erstes Arbeitspapier, das, einmal ausgearbeitet, in die Begutachtung gehen werde. Sodann berichtete das Regierungsmitglied von diesbezüglichen Erfahrungen in anderen Ländern. Man werde das Thema weiter behandeln, schon jetzt aber jene Schritte finanziell unterstützen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits gesetzt werden könnten.

Der Nationalrat nahm Bericht und Entschließung des Sozialausschusses mehrheitlich zur Kenntnis, die Entschließungsanträge von FPÖ und BZÖ verfielen der Ablehnung. (Schluss)


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