Parlamentskorrespondenz Nr. 473 vom 16.06.2010

Steigerung der Wirtschaftsleistung durch Gleichstellung der Frauen?

Aktuelle Stunde im Nationalrat

Wien (PK) – "Gleichstellung von Frauen forcieren heißt Wirtschaftsleistung steigern." So lautete der programmatische Titel, den die SPÖ für die Aktuelle Stunde gewählt hatte, mit der heute die Sitzung des Nationalrats eröffnet wurde. Unmittelbar nach Eröffnung der Sitzung durch Präsidentin Barbara Prammer kam es zu einer kurzen Debatte zur Geschäftsbehandlung. Abgeordneter Harald STEFAN (F) beantragte die Ergänzung der Tagesordnung um den Bericht III-111 d.B., das ist das stenographische Protokoll zur Enquete "Verteilungs- und Leistungsgerechtigkeit in Österreich: Transparenz und Fairness". Im gleichen Sinn sprach auch Abgeordneter Herbert SCHEIBNER (B). Abgeordneter Peter PILZ und Abgeordnete Eva GLAWISCHNIG-PIESCZEK (beide G) forderten ebenfalls eine Änderung der Tagesordnung, und zwar die Absetzung der Tagesordnungspunkte 7 und 8 (Vorlagen zum Glücksspielmonopolgesetz). ÖVP-Klubobmann Karlheinz KOPF begründete seine Ablehnung der Einwendungen von FPÖ und BZÖ damit, dass es sinnvoll sei, den genannten Bericht zusammen mit der Vorlage über die Mindestsicherung zu debattieren. In Richtung der Grünen meinte Kopf, die erzielte Vier-Parteien-Einigung zum Glücksspielgesetz rechtfertige in jedem Fall die Behandlung im Plenum. Auch SP-Klubchef Josef CAP lehnte die Einwendungen der Opposition ab.

Abgeordnete Gisela WURM (S) eröffnete die Debatte zur Aktuellen Stunde: Wirtschaft stelle sich als "Männersache" dar, Frauen hätten dabei wenig mitzureden. Die gegenwärtige Krise sei allerdings "von Männern gemacht", was Wurm pointiert damit illustrierte, dass die erste untergegangene US-Großbank "Lehman Brothers" und nicht "Lehman Sisters" geheißen habe. Frauen "könnten es" aber, wenn man sie nur lasse, betonte Wurm und nannte u.a. Maria Schaumayer und Brigitte Ederer als Beispiele. Frauen sollten daher gefördert und nicht behindert werden. Von der von Frauenministerin Heinisch-Hosek mit den Sozialpartnern ausgehandelten Maßnahmen zur Herstellung von Einkommenstransparenz erwartete sich Wurm mit Blick auf Schweden eine positive Entwicklung: Während die Einkommensdifferenz in Österreich bei 18 % liege, sei sie in Schweden – mit Einkommenstransparenz – bei etwa 6 %. Frauen, richtig eingesetzt, würden auch das BIP erhöhen, betonte Wurm und forderte ausreichende Kinderbetreuungsplätze und ganztägige Schulformen. Der daraus resultierende Effekt von höheren Geburtenraten käme auch dem Pensionssystem zugute, betonte Wurm und fasste zusammen: "Gleichberechtigung ist kein Luxus für gute Zeiten!"

Frauenministerin Gabriele HEINISCH-HOSEK erinnerte eingangs ihrer Wortmeldung an das Bekenntnis der Bundesregierung zur Gleichstellung von Frauen. Sie ging dann zunächst auf bezahlte Frauenarbeit ein und wies darauf hin, dass immer mehr Frauen Unternehmen gründeten. Allerdings seien Frauen auch stärker armutsgefährdet, speziell ältere Frauen und Frauen in und nach Teilzeitbeschäftigung. Hinsichtlich unbezahlter Frauenarbeit stellte die Ministerin fest, dass immer noch zwei Drittel der Kinderbetreuung und der Arbeit im Haushalt – also unbezahlte Arbeit – von Frauen geleistet werde. Hier brauche es eine gesamtgesellschaftliche Beurteilung, erklärte Heinisch-Hosek.

Die Frauenministerin kam dann auf veränderte Familienformen zu sprechen, z.B. weniger Kinder und spätere Geburten. Skeptisch äußerte sich Heinisch-Hosek hinsichtlich aktueller Überlegungen einer gemeinsamen Obsorge nach strittigen Scheidungen. Hier gehe es um die Absicherung der Kinder, betonte sie. Es brauche mehr Einrichtungen mit ganztägiger Kinderbetreuung und mehr Tageseltern, die österreichweit eine gleiche Ausbildung erfahren sollten. Abschließend verwies die Frauenministerin auf die Einigung mit den Sozialpartnern hinsichtlich Einkommenstransparenz, die mit Beginn des kommenden Jahres wirksam werde.

Abgeordneter Christoph MATZNETTER (S) widerlegte die oft vorgebrachte Begründung für die krasse Unterrepräsentanz von Frauen in führenden Positionen mit dem Begriff "Zufall": Von Zufall könne nur dann die Rede sein, wenn es eine statistische Gleichverteilung gebe. Er sprach sich für strenge Regeln und die Beurteilung allein nach Fähigkeiten bei BewerberInnen um führende Positionen aus. Dies würde zu besserem Führungspersonal, damit zu besserer Motivation und schließlich zu einer besseren Wirtschaftsleistung führen, zeigte sich Matznetter überzeugt.

"Ohne uns Frauen geht nichts in Familie, Politik und Wirtschaft", zeigte sich Abgeordnete Dorothea SCHITTENHELM (V) überzeugt und bewertete in diesem Zusammenhang den Frauenanteil von 28 % im Nationalrat negativ. Der jüngste Frauenbericht belege nur, dass sich "nichts geändert" habe; eine Gleichstellung bei den Löhnen hätte auch positive Auswirkungen auf das BIP, es gehe auch darum, die soziale Kompetenz der Frauen einzubringen. Es müsse etwas bei den Kollektivverträgen getan werden; bei der Berufswahl müsse früher, nämlich mit Potenzialanalysen schon in der Schule, angesetzt werden, forderte Schittenhelm.

Frauen sollten nicht "um jeden Preis aus der Familienarbeit gedrängt werden", forderte hingegen Abgeordnete Carmen GARTELGRUBER (F). Sie bezeichnete es als "absoluten Schwachsinn", durch Schaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen könne der "Gebärstreik" beendet werden. Die kürzlich vereinbarten Maßnahmen der Frauenministerin seien "kein Meilenstein", zumal die Regierung dabei uneins sei: Während die SPÖ Sanktionen bei ungleichen Löhnen fordere, würden solche von der ÖVP verweigert. Gartelgruber forderte die Aufwertung der Teilzeitarbeit und insgesamt "mehr Orientierung an der Realität".

Frauenpolitik habe in der Regierung keinen Stellenwert, konstatierte Abgeordnete Eva GLAWISCHNIG-PIESCZEK (G) und vermisste "große Projekte". Während Österreichs Fußball in den letzten Jahren vom 102. auf den 64. Platz vorgerückt sei, sei Österreich nach dem Global Gender Gap-Report des World Economic Forum bei der Frauen-Gleichbehandlung vom 104. auf den 122. Platz zurück gefallen. Angesichts von Armutsgefährdung und Einkommensungleichheit forderte Glawischnig die Einführung einer echten Mindestsicherung und einen gesetzlichen Mindestlohn. Abschließend ging sie auch auf die aktuelle Diskussion zum Fall Arigona Zogaj ein und übte dabei vor allem Kritik an der SPÖ. Die Familie Zogaj dürfe nicht im Stich gelassen werden, forderte Glawischnig.

Abgeordnete Martina SCHENK (B) erinnerte an die Forderung ihrer Fraktion nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 1.300 € brutto. Obwohl Österreich bei der Frauen-Gleichstellung "weit hinten" sei, geschehe nichts, kritisierte sie. Auch die schwarze Liste der Frauenministerin werde "nichts bringen". Das Thema Gleichbehandlung müsse schon in der Ausbildung und nicht erst beim Arbeitsplatz anfangen, und gefragt seien Lösungen, nicht Kampagnen.

Abgeordnete Andrea KUNTZL (S) hingegen sah viele wichtige Maßnahmen der Regierung und der Frauenministerin. Sie nannte in diesem Zusammenhang den nationalen Aktionsplan zur Gleichstellungspolitik, die Schaffung von 10.000 neuen Kinderbetreuungsplätzen und die Einigung der Sozialpartner zur Einkommenstransparenz. Als besonders positiv wertete Kuntzl den "atemberaubenden Aufholprozess" der Frauen bei der Bildung; dies habe sich allerdings noch nicht in der Entlohnung ausgewirkt, monierte die Abgeordnete.

Abgeordnete Adelheid FÜRNTRATH-MORETTI (V) wies darauf hin, dass viele Frauen Beruf und Familie verbinden wollen. Dazu brauche man aber entsprechende Rahmenbedingungen. Sie zeigte sich erfreut darüber, dass eine langjährige Forderung der ÖVP nach steuerlicher Absetzbarkeit der Kosten für Kinderbetreuung nun umgesetzt werde. Die Regelung gelte aber derzeit nur bis zum zehnten Lebensjahr der Kinder. Die Abgeordnete forderte eine Ausdehnung der Regelung auf das 15. Lebensjahr. Da nach wie vor viele Mädchen in Berufe im Niedriglohnsektor drängen, sollte eine Diversifizierung der Berufswahl gefördert werden. In diesem Zusammenhang verwies die Rednerin auf die hohe Zahl von Frauen, die unternehmerisch tätig sind.

Abgeordnete Dagmar BELAKOWITSCH-JENEWEIN (F) kritisierte in ihrem Redebeitrag mit scharfen Worten den Zugang der SPÖ zu Frauenthemen. Sie sah ein Einschwenken auf einen neoliberalen Kurs, wonach Frauen nur billige Arbeitskräfte stellen sollten. SPÖ und die Gewerkschaften seien säumig bei konkreten Verbesserungen für die Frauen. Statt der Forderung nach neuen Berufen für Frauen wäre es effektiver, endlich die Gehälter in frauenspezifischen Berufen anheben, oder dafür sorgen, dass Mütter, welche oft mehrere Steuerzahler herangezogen haben, auch eine entsprechende Alterspension erhielten.

Abgeordneter Judith SCHWENTNER (G) meinte, man solle nicht bloß das Aufklaffen der Einkommensschere bei Männern und Frauen beklagen, sondern es läge an den Regierungsparteien, hier etwas zu ändern. Das vorgelegte Modell der Offenlegung von Gehältern in Betrieben bringt nach Ansicht der Rednerin wenig. Vielmehr werde dadurch die notwendige Diskussion bis 2014 lahmgelegt, befürchtete sie. Abgeordnete Schwentner verwies auf die Ergebnisse von Studien, wonach eine konsequente Gleichbehandlungspolitik das österreichische BIP wesentlich steigern würde.  Abschließend appellierte sie an die Ministerin, sich dafür einzusetzen, dass die Wiener Philharmoniker ihre Verpflichtung zur Erhöhung der Frauenquote in ihrem Orchester endlich nachkommen.

Abgeordneter Ursula HAUBNER (B) rief dazu auf, alle politischen Kräfte zu bündeln, um den Frauen gleiche Rechte und Chancen zu gewährleisten. Ein wesentliches Anliegen von Frauen sei die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Rednerin sah hier Tendenzen, die eher in die gegenteilige Richtung gingen. Ungleichheiten ortete sie im Pensionssystem und bei der niedrigen Bewertung von Pflegeberufen und häuslicher Pflege. Sie forderte eine höhere Anerkennung von Kinderbetreuungszeiten. Leider würden gute Projekte im Bereich der Frauenförderung nun der Sparpolitik zum Opfer fallen. In der Einführung von Frauenquoten sah Haubner nur eine vorübergehende Lösung. (Schluss)