Parlamentskorrespondenz Nr. 727 vom 30.09.2010

Quadriga 05: Die Entdeckung des Menschen

Buchpräsentation und Podiumsdiskussion im Hohen Haus

Wien (PK) – Mit Quadriga 05 startete die Buchpräsentationsreihe des Parlaments heute Abend in ihr zweites Jahr. Dabei wurden in gewohnter Manier vier Bücher zu einem aktuellen Thema vorgestellt und von vier ExpertInnen diskutiert. Der heutige fünfte Teil beschäftigte sich unter dem Titel "Die Entdeckung des Menschen – Möglichkeiten einer neuen demokratischen Kultur?" unter anderem mit jenen Chancen, die aus einer zunehmenden Betonung menschlicher Qualitäten, Werte und Moralvorstellungen erwachsen können. Unter der Moderation von Zita Bereuter (FM4) und Peter Zimmermann (Ö1) diskutierten der evangelische Theologe und Medizinethiker Ulrich H. J. Körtner, der Kulturwissenschaftler und Philosoph Thomas Macho, die amerikanische Philosophin Susan Neiman sowie der Schriftsteller und Essayist Franz Schuh in den Räumlichkeiten des Palais Epstein über Werte, Moral, Ethik und Demokratie.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer freute sich angesichts der regen Teilnahme an dieser Veranstaltung über das steigende Interesse an der Buchpräsentationsreihe Quadriga. Ihr Ziel solle es unter anderem sein, politischen EntscheidungsträgerInnen Anregungen zu bieten. Denn wo sonst solle ein Diskurs über Demokratie möglich sein, so Prammer, wenn nicht im Parlament selbst.

Zita Bereuter und Peter Zimmermann, die die DiskutantInnen vorstellten, umrissen eingangs die zentralen Fragestellungen, die man im Rahmen der heutigen Veranstaltung aufgreifen wolle: Im gegenwärtigen, politischen Diskurs tauchten schließlich zunehmend Begriffe auf, die bis vor Kurzem noch einen schlechten Ruf genossen hatten oder schlichtweg unter Banalitätsverdacht standen. Hierunter fielen etwa Termini wie Gefühl, Liebe, Fairness und das Gute. Es werfe sich, so Zimmermann, deshalb die Frage auf, inwiefern Politik wieder Maß am Menschen nehmen solle, welche Chancen für eine neue demokratische Kultur daraus erwachsen oder ob es sich nur um eine neue, inszenierte Menschlichkeit handle.

Die amerikanische Philosophin Susan Neiman stellte angesichts der im Buch von Jeremy Rifkin formulierten Thesen fest, dass es wichtig sei, zu glauben, dass man zur Verbesserung der Welt beitragen könne. Man müsse daher fragen, welcher Vernunftglaube es überhaupt ermögliche, weiter zu kämpfen, zeigte sich die Rednerin überzeugt. Optimismus und das Menschenbild, das Rifkin in seinem Buch entwerfe, seien nicht abzulehnen, Katastrophenmeldungen und Abhandlungen über das Böse gebe es, so Neiman, bereits genug. Religion wollte die Rednerin nicht als Grundlage für Moral verstanden wissen. Wie alttestamentarische Beispiele zeigten, kämen moralische Vorstellungen noch vor Gott. Sie halte es außerdem für kritikwürdig, dass stark emotional aufgeladenen Begriffe wie Moral und Held dem Diskurs der Rechten überlassen werden. In ihrem Buch spricht sich Neiman deshalb für moralische Klarheit und das Zurückgewinnen moralischer Begrifflichkeiten für die Linke aus, die derzeit, was diesen Bereich anbelangt, sprachlos sei.

Für Schriftsteller und Essayist Franz Schuh stand fest, dass sowohl Optimismus als auch Pessimismus "banale Haltungen" darstellten. Der Empathiebegriff, den Neiman angesprochen habe, sei wichtig, denn ohne Einfühlung "gehe es nicht". Man dürfe aber auch nicht darüber hinwegsehen, dass Empathie satt und bequem mache und deshalb nicht zur Lösung von Konflikten beitrage. Sie käme, so Schuh, aber vor allem in Verbindung mit dem Dunklen und Aggressiven zum Vorschein. Die Leistung des ebenfalls diskutierten Buchs von Susan Neiman bestehe darin, dass es zeige, wie falsch die gegen die Aufklärung gerichtete Propaganda sei.

Für Kulturwissenschaftler und Philosoph Thomas Macho ist Empathie eng mit Nähe verbunden. Er beklagte, dass Utilitarismus in der heutigen Auseinandersetzung über ethische Standards mehr Gewicht zukomme als Kantianismus, wie ihn Neiman vertrete. Sein Buch, mit dem man sich ebenfalls eingehend befasste, beschäftigt sich mit der Frage nach Gerechtigkeit. Für Macho steht dabei die Evidenz von Ungleichheit und Ungerechtigkeit fest. Dass den Menschen außerdem die Vorstellung eines Jüngsten Gerichts, vor dem man sich für seine Taten zu verantworten habe, verloren gegangen ist, bewertete er als großen Verlust.

Der evangelische Theologe und Medizinethiker Ulrich H. J. Körtner plädierte dafür, auf politische Strategie, statt auf die vermeintlich empathischere, vernetztere "Milleniumsgeneration" zu setzen. Man müsse deshalb auch davon abkommen, immer neue Menschentypen zu kreieren. Empathie sei ein notwendiger, allerdings nicht hinreichender Faktor im Hinblick auf moralisches Handeln. Ein absolutes Verständnis für den Anderen könne, so Körtner, schnell umschlagen und zur Vereinnahmung führen. Er wolle außerdem nicht dem von Neiman kritisierten Negativismus das Wort reden, doch ginge es nicht an, über das Dunkle hinwegzusehen. Religion sah Körtner, der die Frage nach einer Evidenz des Ethischen aufwarf, nicht als Bedingung für moralisches Handeln an.

Als Grundlage für die Podiumsdiskussion dienten die folgenden Buchneuerscheinungen:

Axel Hacke, Giovanni di Lorenzo: Wofür stehst du? Die Werte unseres Lebens – eine Suche, Kiepenheuer & Witsch.

Thomas Macho: Das Leben ist ungerecht, Residenz.

Susan Neiman: Moralische Klarheit. Leitfaden für erwachsene Idealisten, Hamburger Edition.

Jeremy Rifkin: Die empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein, Campus. (Schluss)

HINWEIS: Fotos zu dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – im Fotoalbum des Parlaments.