Parlamentskorrespondenz Nr. 1032 vom 16.12.2010

EU-Hauptausschuss für permanenten Stabilitätsmechanismus in Europa

Für und Wider die Euro-Bonds

Wien (PK) – Der EU-Hauptausschuss des Nationalrats unterstützte heute mehrheitlich die Schaffung eines permanenten Stabilitätsmechanismus in der Eurozone. Mittels eines von SPÖ und ÖVP angenommenen Antrags auf Stellungnahme, deren Inhalt für die Mitglieder der Bundesregierung bindend ist, werden diese aufgefordert, bei den Verhandlungen über die Schaffung eines solchen Mechanismus eine Änderung des Artikels 125 AEUV – der sogenannten "no-bail-out"-Klausel - abzulehnen. Diese Klausel stellt sicher, dass ein Euro-Teilnehmerland nicht für Verbindlichkeiten und Schulden anderer Teilnehmerländer haften oder aufkommen muss. Darüber hinaus werden die österreichischen VertreterInnen aufgefordert, dafür einzutreten, dass über die konkrete Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus, darunter insbesondere auch die Einbeziehung des Privatsektors, rasch Klarheit geschaffen wird. In diesem Zusammenhang soll nach Auffassung der AntragsstellerInnen geprüft werden, inwieweit sich die Abhängigkeit der Mitgliedstaaten von den Entwicklungen an den Finanzmärkten nachhaltig reduzieren lässt.

Bundeskanzler Werner Faymann führte dazu aus, dass die geplante Vertragsänderung, die sich auf das Wesentliche konzentriert, in einem vereinfachten Verfahren erfolgen soll. Eine Abgabe von innerstaatlichen Kompetenzen ist nicht geplant, da die jeweiligen Verhandlungen immer nur zwischen den Staaten erfolgen sollen, nicht aber durch die EU. Er sah daher auch keinen Anlass, die Änderungen einer Volksabstimmung zuzuführen. Nicht einmal Staaten, die eine solche Volksabstimmung bei Vertragsänderung verfassungsrechtlich vorsehen, werden die geplanten Änderungen diesem direkten demokratischen Instrument unterziehen, unterstrich Faymann. Er widersprach damit heftig den Abgeordneten von FPÖ und BZÖ, die die Auffassung vertraten, die angepeilte Vertragsänderung sei den Österreicherinnen und Österreichern im Rahmen einer Volksabstimmung vorzulegen.

Die Opposition lehnte den gegenständlichen Antrag auf Stellungnahme generell ab. So meinte etwa Abgeordneter Johannes Hübner (F), die Vertragsänderung stelle einen weiteren Schritt in eine permanente Transferunion dar, und der Rettungsschirm sei nichts anderes als die Einführung von Euro-Bonds durch die Hintertür. In diesem Sinne brachte er auch einen Antrag auf Stellungnahme ein, der vorsieht, Staaten mit schlechten makroökonomischen Kennzahlen aus der europäischen Währungsunion entlassen zu können. Dieser Antrag wurde jedoch von SPÖ, ÖVP und Grünen mehrheitlich abgelehnt.

Abgeordneter Christoph Hagen (B) wiederum sprach sich in einem Antrag auf Ausschussfeststellung für die Schaffung einer Euro-Kernzone der wirtschaftlich starken Euroländer sowie einer "Euro-Light-Zone" für andere Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets aus. Auch dieser Vorstoß fand nicht die erforderliche Mehrheit im Ausschuss. Dafür traten nur BZÖ und FPÖ ein. Abgeordneter Wolfgang Schüssel (V) reagierte darauf mit dem Hinweis, ein Ausstieg aus der Kernzone würde Österreich 40 Milliarden Euro kosten, bleibe man nach einer Teilung in der Kernzone müsste man massiv aufwerten, und das würde einen Verlust von rund 7% der Exportleistung und tausenden Arbeitsplätzen bedeuten.

Auch die Grünen sahen keinen Grund, den zwei Sätzen der Vertragsänderung, wie Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) dies ausdrückte, zuzustimmen. Der Bericht des Ratspräsidenten biete keinerlei Hintergrundinformation und kein anderer Staat außer Deutschland brauche dies, argumentierte der Wirtschaftsprofessor. Er trat, ebenfalls mittels eines Antrags auf Stellungnahme, für die Einführung von Euro-Bonds, entsprechend dem Vorschlag des Präsidenten der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, ein. Damit fand er jedoch keine Unterstützung der anderen Fraktionen. Abgeordneter Wolfgang Schüssel (V) meinte sogar, dass dies zu einer gigantischen Umverteilung führen würde und die Konsequenzen kaum abschätzbar wären. Ähnlich negativ äußerte sich Abgeordneter Josef Cap (S), der darin eine "Sachzwangpolitik" sah, die den politischen Handlungsspielraum einengen würde. Bundeskanzler Werner Faymann warnte vor der Einführung von Euro-Bonds insofern, als dies eine wesentliche Vertragsänderung bedeuten würde. Die Einführung von Euro-Bonds gehe in Richtung einer europäischen Wirtschaftsregierung und würde die Abgabe von Kompetenzen bedeuten.

Europäische Sozial- und Wirtschaftsunion nicht in Sicht

Bundeskanzler Werner Faymann drückte in seinem Eingangsstatement die Hoffnung aus, dass die Diskussion über die Zukunft des Euro und der EU beim kommenden Rat eine konstruktive sein werde, um der Verunsicherung Einhalt zu gebieten. Die Spekulationen auf den Euro seien teilweise herbeigeredet, teilweise auch herbeigeführt, formulierte er. Die Gegner des Euro hätten Hochkonjunktur. Ein permanenter und vertraglich fixierter Krisenmechanismus stelle auch eine klare Auftragserteilung dar, die von der Eurozone auszugestalten ist, ergänzte Außenminister Michael Spindelegger. Es sei notwendig, nun möglichst rasch eine Grundlage für ein klares Prozedere zu schaffen, sagte er. Der Bundeskanzler merkte warnend an, dass der Schutzschirm und die Vertragsänderung allein noch keine Stabilität sichern werden. Gleichzeitig machte er deutlich, dass es in Europa derzeit keine grundsätzliche Bereitschaft gibt, Kompetenzen abzugeben um eine gemeinsame Sozial- und Wirtschaftsunion zu schaffen. Davon sei man weit entfernt, sagte er.

Die Notwendigkeit, nun rasch auf die Krise im Interesse eines verbesserten Schutzes der SteuerzahlerInnen und der Wahrung der Konkurrenzfähigkeit des europäischen Markts zu reagieren, wurde auch von Abgeordnetem Josef Cap (S) unterstrichen. Seine Klubkollegin Christine Muttonen meinte, mit dem Rettungsschirm werde ein klares Signal gesetzt. Auch Abgeordneter Wolfgang Schüssel (V) unterstützte den Schutzschirm, der intergouvernemental und unter Einbindung der Kommission und der EZB erfolgen soll. Dies bedürfe aber auch der Einhaltung klarer Stabilitätskriterien innerhalb der Eurozone, stellte er dezidiert fest.

Wie irrational reagieren die Finanzmärkte?

S-Abgeordnete Christine Muttonen ging auf die Gründe für die Finanz- und Wirtschaftskrise ein. Es habe sich gezeigt, dass die Finanzmärkte einen irrationalen Punkt erreicht haben, der nichts mit realen ökonomischen Daten zu tun habe. Sie sprach sich daher einmal mehr für eine Finanztransaktionssteuer und verschärfte Eigenkapitalregeln aus. Ebenso meinte Abgeordneter Kai Jan Krainer (S), es sei notwendig, den Spekulationen gegenüber einzelnen Staaten durch einen Schutzschirm Einhalt zu gebieten. Krainer thematisierte die Sensibilität der Finanzmärkte und meinte, auch der Bankensektor in Österreich sei exponiert. Ein einziger Satz einer Ratingagentur könne viel auslösen, und das habe oft nichts mit der Realwirtschaft zu tun. Er warnte auch vor einem "bank-run", der jede Bank in den Ruin führen würde. Deshalb müsse man darüber nachdenken, wie man nachhaltig Stabilität schaffen kann.

Dass die Finanzmärkte nicht irrational agieren, wurde von Abgeordnetem Wolfgang Schüssel (V) releviert. Die Fonds verträten das Geld kleiner AnlegerInnen, die beispielsweise für Pensionen ansparen, und müssten dieses verantwortungsvoll veranlagen, sagte er. Auch Abgeordneter Günter Stummvoll (V) bemerkte, die Finanzmärkte würden nur die Glaubwürdigkeit der Politik testen. Eine wirkliche Beruhigung werde erst dann eintreten, wenn die Staatsfinanzen in Ordnung sind, sagte er. Es müsse gelingen, die Wirtschaftspolitik innerhalb der Eurozone stärker zu koordinieren. Eine ordentliche Budgetpolitik sei zwar notwendig, warf dazu Abgeordneter Van der Bellen (G) ein, sie reiche aber nicht aus, wie man an den Exzessen des privaten Sektors in Irland nachverfolgen könne. Die Politik habe es verabsäumt, dem eine Grenze zu setzen, und nun hätten wir alle "den Scherben auf". Die Folge sei die wirtschaftliche Interdependenz, weshalb wir heute, ob wir wollen oder nicht, um eine intensivere Koordination nicht herumkommen. Van der Bellen ließ keinen Zweifel daran, dass er dies nicht befürwortet, die Sachzwänge aber vorhanden seien.

In ähnlicher Weise nahm Abgeordneter Johannes Hübner (F) Stellung. Nicht die Märkte seien Schuld an der Krise, sie hätten es einigen Ländern so lang wie möglich erlaubt, die Krise hinaus zu schieben, indem sie ihnen die Defizite finanziert haben. Was jetzt laufe, sei nicht der Angriff der Märkte auf einzelne Staaten, sondern eine Reaktion auf ausufernde Defizite. Nur jene Länder mit fundierten Volkswirtschaften seien den Spekulanten ausgeliefert.

Ist die Entwicklung in Europa zu schnell gegangen?

Abgeordneter Alois Gradauer (F) warf den EU-PolitikerInnen vor, es verabsäumt zu haben, richtige Spielregeln zu verankern, die Banken in Investmentbanken und andere Banken zu trennen, einen TÜV für Finanzprodukte zu erstellen und eine Ratingagentur in Europa zu errichten. Er bezweifelte, dass die europäische Finanzpolitik im Stande sein wird, die Probleme zu bewältigen. Die Konstruktion des Euro sei am Scheideweg angelangt, man werde weder mit Euro-Bonds noch mit anderen Mechanismen über die Runden kommen. Die Eurozone sei viel zu schnell gewachsen, man habe Länder aufgenommen, ohne diese ausreichend zu kontrollieren, und das Risiko werde nun auf die SteuerzahlerInnen abgewälzt.

Dass die Wurzeln des Problems darin liegen könnten, dass der europäische Entwicklungsprozess zu rasch und zu unreguliert vorangetrieben wurde, wurde auch von Abgeordnetem Josef Cap (S) eingeräumt. Die Eurozone und die EU bestehen aus unterschiedlichen Volkswirtschaften, unterschiedlichen Demokratien und unterschiedlichen Traditionen. Vielleicht habe man das auch als ein Konzept verstanden, merkte er an. Daraus eine Ideologie zu machen, sei nun die halbe Wahrheit. Die andere Wahrheit sei, die Finanzmärkte bewusst nicht zu regulieren, so seine Kritik an der gegenwärtigen EU-Politik.

Nicht der Euro ist in der Krise, sondern einige Länder

Sowohl Abgeordneter Kai Jan Krainer (S) als auch Abgeordneter Günter Stummvoll (V) stellten außer Streit, dass der Euro eine sichere und wettbewerbsbeständige Währung darstellt, der die österreichische Wirtschaft unterstützt. Nicht der Euro sei in einer Krise, sondern einzelne Länder befänden sich in einer Krise, sagte Stummvoll. Die beiden reagierten damit auf die Forderung des BZÖ nach einer Trennung der Euroländer in eine Euro-Kernzone und in eine "Euro-Light-Zone".

Abgeordneter Christoph Hagen (B) sah aus seiner Sicht die Stabilität des Euro nicht mehr gegeben. Er habe mittlerweile 40% an Wert verloren. Auch Abgeordneter Johannes Hübner (F) bezeichnete die Eurozone als einen Fehlschlag. Kein Wirtschaftsraum habe die Krise so schlecht bewältigt wie die EU, hielt er fest, keine Volkswirtschaft befinde sich in einer so großen budgetären Schieflage. Die Folge davon könne nur sein, die Grenzen zu beachten, aber nicht neue Zentralisierungsschritte zu setzen. Die Union könne sich nicht weiter volkswirtschaftlich verbreitern, denn die einzelnen Volkswirtschaften seien einfach nicht kompatibel.

Warum eine Vertragsänderung?

Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) zeigte kein Verständnis dafür, dass die übrigen Staaten dem Wunsch Deutschlands nach einer Vertragsänderung folgen. "Kein anderer Staat außer Deutschland braucht diese zwei Sätze", formulierte er pointiert, "auch Österreich nicht". In Österreich habe bislang das Parlament über die Zustimmung zu den Schutzschirmen entschieden. Es sei auch ungeklärt, wer darüber entscheidet, wann der Privatsektor einbezogen werden soll und was konkret die "Nähe der Insolvenz" bedeutet. Man habe bereits jetzt die Vergemeinschaftung der Risiken, nur eben nicht instrumentalisiert. Demgegenüber bemerkte Abgeordneter Josef Cap (S), die private Beteiligung am Risiko sei an sich sympathisch, man müsse nur schauen, ob damit nicht der Zweck verfolgt werde, dass sich in Zukunft keine Privaten mehr beteiligen.

Bundeskanzler Werner Faymann gab grundsätzlich dem Grünen Abgeordneten Recht. Er erklärte jedoch, dass Deutschland auf Grund seiner Verfassungslage diese Vertragsänderung brauche, sonst könne sich Deutschland nicht mehr an der Verlängerung des Schutzschirms beteiligen. Die Eurozone könne aber nur dann verteidigt werden, wenn man Haftungen übernimmt. Der Kanzler stellte nochmals klar, dass damit die Unterschiede in Europa, etwa was Standortvorteile durch niedrige Steuern oder die Schattenwirtschaft betrifft, nicht ausgeglichen werden können. Man dürfe aber die Unterschiede nicht so weit treiben, dass die Eurozone in Gefahr gerät, vielmehr müsse man danach trachten, auszugleichen und die gesamte Eurozone wieder zu stabilisieren.

Sind Euro-Bonds die Lösung oder die größte Umverteilung?

Eine intensive Diskussion entspannte sich auch um die Frage der von Jean-Claude Juncker in Diskussion gebrachten Euro-Bonds, nachdem sich Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) vehement dafür ausgesprochen hatte. Der Vorschlag habe Hand und Fuß, sagte er, und es sei keineswegs gesagt, dass sich derartige Anleihen negativ für Deutschland und Österreich auswirken. Die Risikoprämie sei zwar nicht einschätzbar, er sei aber überzeugt, dass die Liquiditätsprämie sinken werde. Van der Bellen hielt auch eine freiwillige Umschuldung für möglich. Sympathie für die Euro-Bonds zeigte auch Abgeordneter Kai Jan Krainer (S). Die Frage stelle sich nur, ob man den eigenen Zinsvorteil für die Staatsschulden aufgeben will oder nicht, merkte er an.

Dem widersprach Abgeordneter Wolfgang Schüssel (V) heftig. Die Einführung von Euro-Bonds würde die größte Transferunion mit dramatischen Folgen, auch für die österreichischen SteuerzahlerInnen, bedeuten. 1% zusätzliche Zinsenbelastung würde jedes Jahr schlagend werden. Die Verschuldung würde dramatisch ansteigen und dann gäbe es kein Halten mehr, warnte er. Mit der Einführung von Euro-Bonds würde man auch die "no-bail-out"-Klausel aushebeln und damit einer europäischen Wirtschafts- und Zentralregierung den Weg ebnen. Ähnlich reagierte Bundeskanzler Werner Faymann. Die Einführung der Euro-Bonds wären der Weg zu einer Wirtschafts- und Sozialregierung durch die Hintertür. Dies würde die Abgabe zahlreicher Kompetenzen an die EU bedeuten und eine umfassende Vertragsänderung nach sich ziehen, stimmte er mit Schüssel überein.

Österreichs wird sich weiter für den Westbalkan engagieren

Neben diesem wirtschafts- und finanzpolitischen Thema ging es im heutigen EU-Hauptausschuss kurz auch um die Außenpolitik. Bundesminister Michael Spindelegger erwähnte den in Aussicht genommenen Kandidatenstatus für Montenegro und unterstrich die Wichtigkeit, dass Österreich weiterhin Triebfeder für die Erweiterung am Westbalkan bleibt. Damit trage man zur dauerhaften Stabilisierung in diesem Raum bei, bekräftigte er.

Spindelegger wurde darin von seiner Amtsvorgängerin Ursula Plassnik (V) unterstützt, die sich insbesondere dafür aussprach, in der Frage der Erweiterung gemeinsam mit der Türkei - und in gewisser Hinsicht auch mit Russland - vorzugehen, wenn sie auch gleichzeitig feststellte, dass die Frage des Beitritts der Türkei noch lange offen bleiben wird. Plassnik bedauerte insbesondere, dass trotz der UNO-Resolution in den technischen Gesprächen zwischen Serbien und dem Kosovo die Frauen nicht einbezogen werden. Abgeordneter Josef Cap (S) bemerkte dazu kritisch, angesichts einer Bevölkerung von 68 Millionen Menschen und der Problematik der Landwirtschaft übersteige ein Beitritt der Türkei derzeit seine Fantasie.

Abgeordneter Johannes Hübner (F) brachte einen Antrag auf Stellungnahme ein, in dem die FPÖ es strikt ablehnt, dass die Republik Montenegro den Status eines Bewerberlandes für einen Beitritt zur Europäischen Union zugesprochen bekommt. Der Antrag wurde von SPÖ, ÖVP und Grünen mehrheitlich abgelehnt.

(Schluss EU-Hauptausschuss)