Parlamentskorrespondenz Nr. 188 vom 01.03.2011

Bandion-Ortners Vorschlag für die gemeinsame Obsorge als Regelfall

ÖVP, FPÖ und BZÖ dafür - Bedenken bei SPÖ und Grünen

Wien (PK) – Der Nationalrat startete heute unter dem Vorsitz seiner Präsidentin Barbara Prammer mit einer Aktuellen Stunde in seine 96. Plenarsitzung. Das Thema lautete "Mütter UND Väter für alle Kinder – Reformschritte für eine gemeinsame Obsorge" und war von der ÖVP ausgewählt worden.

Die Begründung dafür lieferte Abgeordneter Karl DONNERBAUER (V), der die Debatte mit dem Hinwies darauf eröffnete, dass es wichtig sei, auch jenen 10 % der österreichischen Kinder, die nicht mit beiden Eltern harmonisch in einem gemeinsamen Haushalt leben sowie jenen 15.000 Kindern, die jährlich von der Scheidung ihrer Eltern betroffen werden, beste  Entwicklungsmöglichkeiten zu geben. Bei diesem Thema gehe es nicht um die Lebensqualität der Eltern oder um die Fortsetzung der Auseinandersetzung zwischen den Eltern, sondern nur um das Wohl der Kinder, um die Schwächsten der Gesellschaft und um die Zukunft des Landes, wie Donnerbauer betonte.

Experten seien sich darin einig, dass der ständige Kontakt zu Mutter und Vater für die Entwicklung der Kinder wichtig sei, egal ob die Eltern partnerschaftlich zusammen oder getrennt leben oder womöglich gar nichts mehr miteinander zu tun haben wollen. "Wir müssen das Recht der Kinder auf beide Eltern unabhängig von der Qualität der Beziehung zwischen den Eltern betrachten", sagte der Abgeordnete. Das Gesetz soll sich am Regelfall der gemeinsamen Obsorge der Eltern orientieren, nicht aber an jenen Fällen, in denen gravierende Differenzen zwischen den Eltern das Wohl des Kindes so sehr beeinträchtigen, dass – was auch weiterhin möglich sein soll, so Donnerbauer – das Gericht eingreifen müsse. Grundsätzlich sollen die Kinder aber auch nach einer Scheidung ihrer Eltern Kontakt zu beiden Eltern haben.

Nach langen Diskussionen hat Ministerin Bandion-Ortner nun das Modell einer Arbeitsgruppe vorgelegt, das darauf abzielt die gemeinsame Obsorge nach einer Scheidung grundsätzlich aufrecht zu erhalten, wie sich dies in 50 % der Fälle schon bisher bewährt hat. Diese Regelung entspreche auch der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschrechte, der es nicht für richtig hält, dass die Entscheidung für die gemeinsamen Obsorge allein von der Mutter des Kindes abhängt. Das vorgeschlagene Modell sieht bessere Regelungen für den Besuchskontakt zwischen dem Kind und dem Elternteil vor, der nicht beim Kind wohnt und will vermeiden, dass eine Mutter oder ein Vater ihr Kind jahrelang nicht sehen können.

Als Familienpartei ist es der Volkspartei wichtig, dass Kinder eine geborgene Kindheit und Jugend erleben können und dazu gehört der Kontakt zu Mutter und Vater, betonte Abgeordneter Donnerbauer.

Justizministerin Claudia BANDION-ORTNER forderte die Abgeordneten auf, den politischen Blickwinkel in der Diskussion über die gemeinsame Obsorge zu verändern und das Recht des Kindes auf beide Eltern in den Mittelpunkt rücken. Kinder sollen nicht beurteilen müssen, wer im Streit zwischen ihren Eltern Recht habe, sie wollen darüber nicht entscheiden müssen. Es gehe in dieser Frage auch nicht um Frauenpolitik und auch nicht um die Väter, es geht für Claudia Bandion-Ortner ausschließlich um die Kinder und ihre verfassungsmäßigen Rechte.

Die Justizministerin erläutert den Expertenentwurf für eine gemeinsame Obsorge, der den Begriff des Kindeswohls genauer definiert und das Recht auf Kontakt zu Mutter und Vater einbezieht. Die gemeinsame Obsorge nach Scheidungen hat sich als der natürliche Zustand bewährt, sagte die Ministerin. Sie räumte aber auch ein, dass es Fälle geben könne, in denen eine gemeinsame Obsorge nicht möglich sei und es daher weiterhin notwendig sein wird, dass das Gericht für eine alleinige Vorsorge entscheidet. Eine derartige Lösung gilt in Deutschland seit 1998 und hat sich dort bewährt, berichtete die Ministerin und machte insbesondere darauf aufmerksam, dass die gemeinsame Obsorge für ihre Kinder Konflikte zwischen den Eltern deeskaliert.

Väter sollen das Recht haben, die gemeinsame Obsorge zu beantragen, wenn diese nicht einvernehmlich zustande komme, denn es widerspreche den Menschenrechten, die gemeinsame Obsorge alleine der Entscheidung der Mutter zu überlassen. Das Vaterbild hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert, sagte Claudia Bandion-Ortner und zeigte sich überzeugt, dass es Eltern möglich sei, gemeinsam Erziehungsentscheidungen zu treffen, auch wenn sie nicht mehr "ein Herz und eine Seele" seien. Weiters informierte die Justizministerin die Abgeordneten über ihre Absicht, Besuchsrechtsverfahren zu beschleunigen und trat für ein gesetzliches Mindestbesuchsrecht ein. Die Gerichte sollen während des Scheidungsverfahrens auch ein provisorisches Besuchsrecht einführen können, um zu verhindern, dass Kinder in langwierigen Scheidungsverfahren lange Zeit auf Kontakt mit einem Elternteil verzichten müssen.

Da Familienstreitigkeiten grundsätzlich nicht in den Gerichtssaal gehörten, sondern an einen runden Tisch mit PädagogInnen, SozialarbeiterInnen und PsychologInnen, schlug die Justizministerin vor, eine Schlichtungsstelle für Familien einzuführen. Pflegschaftsrichtern soll auch die Möglichkeit gegeben werden, Eltern zu Mediatoren zu schicken und den Reisepass einzubehalten, um gegebenenfalls die Entführung eines Kindes zu verhindern.

In der Diskussion über eine neue Obsorge-Regelung sei auf jeden Fall zu vermeiden, dass das Thema "zu einem Kampf der Geschlechter" werde, lautete der Appell der Justizministerin an die Abgeordneten.

Abgeordnete Gabriele BINDER-MAIER (S) schloss sich der Ministerin in der Auffassung an, einen solchen Kampf möglichst zu vermeiden, hielt aber fest, dass die schwierigen Themen Scheidung, Obsorge, Unterhalt und Besuchsrecht unterschiedlich diskutiert werden müssen, wenn man zu Lösungen für die Menschen kommen will. Die Familienformen haben sich verändert, die Menschen brauchten daher unterschiedliche Lösungen, sagte Binder-Maier. Trennungen hinterlassen Spuren bei den Menschen, führte die Abgeordnete aus und fügte die Frage hinzu, warum in Österreich so viele Ehen geschieden werden. Jedenfalls gebe es Gründe für strittige Trennungen und es sei nicht möglich, Zuwendung und Harmonie zu "verordnen". Worum es gehe, seien bessere Regelungen für Unterhalt und Obsorge und ein modernes Familienrecht, das den Bedürfnissen der Eltern und den berechtigten Interessen der Kinder entspricht. Maßgeschneiderte Lösungen brauchen aber auch Ressourcen, kürzere Verfahren und eine verpflichtende Elternberatung bei strittigen Scheidungen, sagte die Rednerin, die sich für gerechte Lösungen im Sinne der Mütter, Vätern und vor allem von Kindern aussprach.

Abgeordnete Ridi STEIBL (V) schickte ihren Ausführungen die Aufforderung voran, Menschen besser zu unterstützen, die Erziehungsverantwortung tragen, und verlangte einmal mehr den Ausbau der Partnerschaftsberatung und Elternhilfe. Kinder haben das Recht auf beide Eltern, auch jene vier von zehn Kindern, die in Österreich unehelich zur Welt kommen, sowie die 15.000 Kinder, die alljährlich von Scheidungen ihrer Eltern betroffen werden. Dabei gelte der Vorrang für das Wohl des Kindes, betonte Ridi Steibl und unterstrich, dass alle Kinder auch männliche Vorbilder brauchen. Die Abgeordnete bedauerte dabei, dass es so wenige Kindergärtner und Volksschullehrer gebe.

Die diesbezügliche Parlamentarische Enquete habe zur Erkenntnis geführt, dass die gemeinsame Obsorge Konflikte zwischen den Eltern vermindere. Eine ähnliche Sprache spreche der jüngste Familienbericht. Bei der Lösung der dramatischen Situation der Kinder bei Scheidung und Trennung ihrer Eltern, dürfen weder frauenpolitische Interessen noch die Enttäuschung der Väter im Vordergrund stehen, sondern nur das Wohl des Kindes, sagte die Abgeordnete und bezeichnet die Vorschläge der Justizministerin als eine gute Grundlage für die Diskussion zur Verbesserung des Obsorgerechts.  

Abgeordneter Norbert HOFER (F) sprach sein Bedauern darüber aus, dass die Regierungsparteien nicht nur in den Fragen Verwaltungsreform, Gesundheitsreform, Bundesheer und Pflege streiten, sondern auch beim Thema gemeinsame Obsorge. Für Hofer ist  die gemeinsame Obsorge für Kinder nach der Scheidung der Eltern die wichtigste Maßnahme für das Kinderwohl in Österreich, weil alljährlich tausende Kinder zu Scheidungsopfern werden. Bei diesem Thema gehe es nicht um Väter- oder Frauenrechte, sondern um das Wohl der Kinder, sagte Abgeordneter Hofer und schilderte den Fall eines Kinderarztes, der nach einer Scheidung seine eigenen Kinder jahrelang nicht sehen konnte. Das Bild des Vaters in der Gesellschaft hat sich verändert, betonte Norbert Hofer und hielt fest, dass sich eine wachsende Zahl von Vätern liebevoll um ihre Kinder kümmern, ihnen bei ihren Hausaufgaben helfen und Freizeit mit ihnen verbringen. Sie wollen dies auch nach einer Scheidung können und das entspreche dem Recht der Kinder. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die gemeinsame Obsorge der Eltern sei zu verbessern, sagte Hofer, weil es in dieser Frage nicht um die Rechte von Männern und Frauen, sondern um das Wohl der Kinder geht.

  

Abgeordneter Albert STEINHAUSER (G) zeigte sich irritiert über die Vorgangsweise der Justizministerin, die einen Gesetzentwurf vorgelegt habe, ohne darüber mit dem Koalitionspartner gesprochen zu haben. "Das trägt zur Emotionalisierung des Themas, nicht aber zu einer Lösung bei", sagte Steinhauser. Der Abgeordnete sah die FamilienrichterInnen überlastet und führte die überlangen Verfahren darauf sowie auf die mangelnde Qualität vieler Gutachten zurück.  

Steinhauser warnte vor einer eindimensionalen Sichtweise und der Vorstellung, alle Mütter würden den Vätern ihrer Kinder das Besuchsrecht verweigern. Es gebe gute Väter, aber auch solche, die die Mütter ihrer Kinder "sekkieren", sagte der Redner. Es brauche daher differenzierte Lösungen für eine Vielzahl von Fällen. Kritik übte Steinhauser an der Absicht der Bundesministerin die Entscheidung über die gemeinsame Obsorge bei den Gerichten zu lassen. Sein Vorschlag lautete im Sinne einer Deeskalation des Konflikts zwischen streitenden Eltern, Schlichtungsstellen als Anlaufstellen für Eltern einzurichten. Und wo es keine Lösung gebe, werde man auch künftig Entscheidungen darüber brauchen, wer die Obsorge für das Kind erhält, schloss Abgeordneter Steinhauser.

Auch Abgeordneter Ewald STADLER (B) bedauerte, dass sich SPÖ und ÖVP bei einem wichtigen Thema wieder einmal nicht einigen können. Dabei verteidigte Stadler die Bundesministerin gegen den Vorwurf, sich in der Obsorge-Debatte auf die Seite der Väter gestellt zu haben.

"Die Bundesministerin steht mit ihrem Vorschlag auf der Seite der Kinder", hielt Stadler fest und erinnerte daran, dass Kinder in Scheidungsverfahren immer häufiger als Druckmittel eingesetzt werden, ein Vorwurf, den der Abgeordnete auch an die Anwaltszunft richtete. Der einzige Weg, Kinder aus dieser Situation herauszunehmen, besteht für ihn darin, die gemeinsame Vorsorge vorzuschreiben. Dabei kritisierte Stadler die SPÖ. Die zwar bei der Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung "hohe Werte" vertrete, aber dann, wenn es darum geht, ein konkretes Kinderrecht, nämlich jenes auf Vater und Mutter, zu stärken, eine feministisch motivierte Haltung zu Lasten der Kinder einnehme. Abschließend unterbreitete Stadler den Vorschlag, bei der Bemessung der Unterhaltungsleistung Betreuungsleistungen anzurechnen.

Abgeordneter Johannes JAROLIM (S) appellierte an die Abgeordneten, die Debatte über die gemeinsame Obsorge sachlich zu führen und erinnerte daran, dass 90 % der Scheidungen einvernehmlich vor sich gehen. Bei jenen 10 % der Scheidungen, die strittig vollzogen werden, gelte es sicherzustellen, dass das Kind nicht in den Streit der Eltern hineingezogen wird. Daher sei in solchen Fällen zwischen gemeinsamer Obsorge und Besuchsrecht klar zu unterscheiden. Jarolim bedauerte, dass die Verfahren zu lange dauern und viele Besuchsrechte nicht durchgesetzt werden. Auch stimmte Jarolim der Bundesministerin zu, dass Gerichte nicht der beste Ort für das Austragen von Familienstreitigkeiten seien. Jarolim will Kinder davor schützen, in den Streit der Eltern einbezogen zu werden und womöglich zum Faustpfand im Konflikt zwischen den Eltern zu werden. Spezielle Einzelfälle mit oft großem therapeutischem Aufwand dürfen aber nicht ignoriert werden, warnte Jarolim und sprach sich für die Einrichtung von Schlichtungsstellen für Eltern in Konfliktsituationen aus.

Abgeordnete Anna HÖLLERER (V) unterstrich die Notwendigkeit das Kindeswohl in den Mittelpunkt zu stellen und den Kindern durch Kontakt mit beiden Eltern optimale Entwicklungsmöglichkeiten zu geben. Der Gesetzentwurf der Ministerin ziele darauf ab, Eltern davor zu bewahren, einen Streit auf Kosten ihrer Kinder auszutragen. Daher unterstützte Höllerer die beabsichtigte Einführung von Schlichtungsstellen, die sich der Aufgabe widmen, Eltern zu beraten und womöglich wieder zusammen zu führen. Dies sei wichtig, weil Experten immer dringlicher darauf aufmerksam machen, dass Kinder sich nur in einer liebevollen Umgebung zu Persönlichkeiten entwickeln können, die den Anforderungen des Lebens gewachsen sind. Menschen, die auf eine solche Kindheit verzichten müssen haben größere Probleme, Suchtgefahren entgegenzutreten und ihr Entwicklungspotential auszuschöpfen. "Kinder brauchen Väter und Mütter und haben ein Recht auf beide Elternteile", schloss Anna Höllerer und plädierte für eine intensive Diskussion über den dazu vorliegenden Vorschlag der Justizministerin.

Abgeordneter Peter FICHTENBAUER (F) begrüßte den Entwurf seitens seiner Fraktion und betonte, die Obsorge für Kinder dürfe nicht zum Geschlechterkampf umfunktioniert werden. Es gehe nicht an, Kinder als Druckmittel auszuspielen, meinte er an die Adresse der Grünen gerichtet. Der Redner erinnerte an positive Erfahrungen mit der gemeinsamen Obsorge in Deutschland und sah in dem Gesetz nun vor allem auch die Chance, eine große Zahl von Kindern aus dem Konfliktpotenzial ihrer Eltern herauszuhalten.

Abgeordnete Daniela MUSIOL (G) stellte hingegen fest, der Entwurf Bandion-Ortners spreche die Sprache der Väter und nicht jene der Kinder. In der Krisensituation einer Trennung würde zwanghafte Gemeinsamkeit nichts nützen, gab sie zu bedenken und meinte, es gehe vielmehr um die Unterstützung bei der Deeskalation. Statt automatischer Obsorge schlug Musiol daher die Einrichtung einer dem Gericht vorgelagerten Schlichtungsstelle vor. Erst im Falle des Scheiterns einer Einigung sollte dann das Gericht zum Wohle des Kindes entscheiden.

Abgeordnete Ursula HAUBNER (B) unterstrich, das BZÖ sehe sich ausschließlich als Vertreter der Kinder, die, wie sie sagte, ein Recht auf Mutter und Vater haben. Gemeinsame Obsorge sollte Standard, die alleinige Obsorge hingegen Ausnahme sein, stellte sie klar und wandte sich überdies auch gegen Differenzierungen zwischen gemeinsamer Obsorge bei Scheidungskindern und unehelichen Kindern.

Den Entwurf der Justizministerin begrüßte sie ausdrücklich. (Fortsetzung Nationalrat)