Parlamentskorrespondenz Nr. 904 vom 06.10.2011

Abgeordnete wollen sich künftig intensiver mit EU-Themen befassen

GO-Änderung ebnet Weg für EU-Enqueten und Ausschuss-Sondersitzungen

Wien (PK) – Mit dem Vertrag von Lissabon haben die nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten erweiterte Mitwirkungsmöglichkeiten im Rahmen der EU-Gesetzgebung erhalten. Sie können unter anderem Gesetzesvorhaben der Europäischen Kommission einer Subsidiaritätsprüfung unterziehen und im Bedarfsfall gemeinsam eine Stopptaste drücken. Die EU-Ausschüsse des Nationalrats und des Bundesrats wenden sich immer wieder mit Stellungnahmen und "Rügen" an die EU-Kommission, um Bedenken gegen einzelne Initiativen geltend zu machen. Nun setzen die Abgeordneten mit einem eigenen EU-Informationsgesetz und einer Änderung der Geschäftsordnung des Nationalrats weitere Schritte, um bei aktuellen EU-Themen am Ball zu bleiben.

Die beiden Gesetzentwürfe gehen auf eine gemeinsame Initiative der Regierungsparteien und der Grünen zurück und wurden heute vom Verfassungsausschuss des Nationalrats mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen, im Falle des EU-Informationsgesetzes auch mit Zustimmung des BZÖ gebilligt, wobei in einigen Detailbereichen noch Abänderungen vorgenommen wurden.

Zu den zentralen Neuerungen gehören eine detailliertere Festlegung der Informationspflichten der Regierung gegenüber dem Parlament, die Erweiterung des Katalogs an Verhandlungsgegenständen und die Verankerung neuer Instrumente im Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrats sowie eine Adaptierung von Verfahrensbestimmungen. So können in Hinkunft etwa Aussprachen über aktuelle EU-Fragen auf die Tagesordnung von Fachausschüssen gesetzt, EU-Enqueten abgehalten und "Sondersitzungen" des für EU-Angelegenheiten zuständigen Hauptausschusses einberufen werden. Auch die neue Möglichkeit einer Subsidiaritätsklage beim Europäischen Gerichtshof und das Instrument der Subsidiaritätsrüge werden in der Geschäftsordnung verankert (siehe PK Nr. 731/2011).

Die bisher von den einzelnen Ressorts freiwillig erstellten Erläuterungen zu jenen EU-Vorhaben, die in den EU-Ausschüssen des Nationalrats und des Bundesrats eingehender beraten werden, werden künftig zur Pflicht. Die Regierung ist laut Gesetzentwurf außerdem angehalten, das Parlament frühzeitig über besonders bedeutende EU-Vorhaben zu informieren, auf Verlangen eines Klubs detaillierte schriftliche Erläuterungen zu einem EU-Dokument vorzulegen und über den Fortgang etwaiger vom Nationalrat bzw. vom Bundesrat eingebrachter Subsidiaritätsklagen zu berichten. Auch die Öffentlichkeit wird in Hinkunft über eine Datenbank der Parlamentsdirektion grundsätzlich Zugang zu allen EU-Dokumente haben – ausgenommen sollen nur sensible und vertrauliche Dokumente sein.

Zwei von SPÖ, ÖVP und Grünen zu den Gesetzentwürfen vorgelegte Abänderungsanträge präzisieren die Informationspflichten der Regierung weiter und betreffen neben redaktionellen Korrekturen und Klarstellungen auch Bestimmungen über den Zugang der Landtage und der Sozialpartner zur EU-Datenbank der Parlamentsdirektion. Außerdem wird das neue Recht der Abgeordneten, so genannte Dokumentenanfragen – kurze schriftliche Anfragen an die MinisterInnen auf Zusammenstellung sämtlicher Vorlagen zu einem aktuellen EU-Vorhaben – zu stellen, erweitert. Bei der Abstimmung berücksichtigt wurden weiters zwei Ausschussfeststellungen. Im Begutachtungsverfahren geäußerte verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf das EU-Informationsgesetz werden in Form von Erläuterungen zurückgewiesen.

Im Rahmen der Debatte bedauerte Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F), dass die FPÖ in die Verhandlungen über die Änderung des Geschäftsordnungsgesetzes nicht eingebunden gewesen sei. Dies sei eine unübliche Vorgangsweise, kritisierte er und kündigte in diesem Sinn die Ablehnung des Gesetzentwurfs an.

Seitens des BZÖ regte Abgeordneter Herbert Scheibner an, die Bestimmungen über die Einberufung von außertourlichen Sitzungen des EU-Hauptausschusses noch zu adaptieren und jeder Fraktion jedenfalls einmal jährlich das Recht auf Verlangen einer "Sondersitzung" zuzugestehen. Das EU-Informationsgesetz wurde von ihm grundsätzlich begrüßt.

Positiv zu beiden Gesetzentwürfen äußerten sich SPÖ, ÖVP und Grüne. So sprach Abgeordnete Daniela Musiol (G) von einem "tollen Ergebnis" und zeigte sich darüber erfreut, dass die EU-Datenbank der Parlamentsdirektion auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Sie hofft nun auf eine rasche Umsetzung der Bestimmungen und urgierte eine baldige Ausschreibung der Datenbank-Applikation und eine rasche Zertifizierung des Sicherheitssystems.

Zweiter Nationalratspräsident Fritz Neugebauer (V) wies darauf hin, dass das EU-Informationsgesetz eine umfassende und zeitnahe Unterrichtung des Parlaments über alle aktuellen EU-Vorhaben sicherstelle. Damit könne sich das Parlament vor der Beschlussfassung einer Materie auf EU-Ebene rechtzeitig einschalten. Auch die Öffentlichkeit erhalte einen transparenten Einblick in EU-Vorhaben. Nach Ansicht Neugebauers ist durch die vorgenommenen Abänderungen auch ein verantwortungsvoller Umgang mit sensiblen Informationen gewährleistet.

Ausschussobmann Peter Wittmann machte geltend, dass die FPÖ mehrfach zu Gesprächen über die Geschäftsordnungsänderung eingeladen worden sei, stellte aber nochmalige Gespräche in Aussicht.

Beratungen über Neuregelung der Immunität von Abgeordneten vertagt

Vom Verfassungsausschuss vertagt wurden auf Antrag von ÖVP-Abgeordnetem Heribert Donnerbauer die Beratungen über die Neuregelung der Immunität von Abgeordneten. Die Fraktionen wollen einigen Bedenken, die im Zuge des Begutachtungsverfahrens zu einem Vier-Parteien-Antrag geäußert wurden, noch Rechnung tragen. Der ebenfalls von Abgeordnetem Donnerbauer beantragte Beschluss, die zum Gesetzentwurf eingelangten Stellungnahmen zu veröffentlichen, fiel einstimmig.

In der Debatte plädierte Abgeordneter Heribert Donnerbauer (V) dafür, die wichtigen Einwände, die im Begutachtungsverfahren eingelangt sind, ausführlich zu diskutieren.

Demgegenüber erinnerte Abgeordneter Otto Pendl (S) an die langen und intensiven Diskussionen, die zu einer wohlfundierten Einigung geführt haben. Man sollte jetzt rasch zu einem Beschluss kommen und diesen umsetzen.

Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) schloss sich seinem Vorredner an und riet dem Parlament, gegenüber der Ansicht, die Abgeordnetenimmunität stelle ein Privileg dar, selbstbewusst aufzutreten und die Funktion des freigewählten Abgeordneten sicher zu stellen. Um BürgerInnen vor Verleumdungen zu schützen, gebe es ausreichend Möglichkeiten, eventuell eine parlamentarische Schiedsstelle. Für ergänzungsbedürftig hielt Fichtenbauer die Bestimmungen über den Rechtsschutzbeauftragten, den es seiner Meinung nach aufzuwerten gelte.

Abgeordneter Herbert Scheibner (B) sprach von einer notwendigen Reform, brach eine Lanze für das freie Rederecht der Abgeordneten, das aber keinen Freibrief für Verleumdungen darstellen dürfe. Auch Scheibner drängte auf Finalisierung der Verhandlungen.

Abgeordneter Dieter Brosz (G) trat ebenfalls vehement für den Schutz der Kontrollrechte von Abgeordneten ein, hielt aber zugleich noch Klarstellungen für notwendig. Daher schlug er vor, sich das vorliegende - wohldurchdachte - Paket noch einmal anzuschauen und dann zu einer raschen Lösung zu kommen.

Kernpunkt der geplanten Verfassungsänderung und einer damit in Zusammenhang stehenden Novellierung der Geschäftsordnung des Nationalrats ist die Abschaffung der außerberuflichen Immunität von Abgeordneten bei gleichzeitiger Ausweitung der so genannten "sachlichen Immunität". Damit will man etwa sicherstellen, dass Abgeordnete Vorwürfe, die sie im Zuge von Parlamentsdebatten oder schriftlichen Anfragen erhoben haben, in Presseaussendungen oder Weblogs wiederholen können, ohne sich vor Anzeigen fürchten zu müssen.

Um den Abgeordneten eine ungestörte Ausübung ihrer parlamentarischen  Arbeit zu ermöglichen und "Informanten" zu schützen, ist außerdem ein – begrenztes – Ermittlungsverbot der Staatsanwaltschaft sowie, analog zum Redaktionsgeheiminis, die Einführung einer Art "Parlamentsgeheimnis" vorgesehen. Damit sollen etwa Telefonabhörungen ausgeschlossen werden. Mutmaßliche strafbare Handlungen von MandatarInnen, wie etwa Bestechung, sind vom geplanten Ermittlungsverbot jedoch nicht betroffen.

Grüne urgieren mehr Transparenz bei Ministerratssitzungen

Vom Verfassungsausschuss mit S-V-Mehrheit vertagt wurde ein Antrag der Grünen, der auf mehr Transparenz bei Ministerratssitzungen abzielt. Abgeordneter Dieter Brosz (G) sprach sich dafür aus, sowohl die Tagesordnung als auch das Beschlussprotokoll aller Regierungssitzungen inklusive der endgültigen Fassung von Ministerratsvorträgen umgehend zu veröffentlichen. Abgeordneter Otto Pendl (S) beantragte – unterstützt von Abgeordnetem Reinhold Lopatka (V) - die Vertagung mit dem Argument, man müsse prüfen, ob dieses Anliegen wirklich nur durch eine Verfassungsänderung umzusetzen sei. 

BZÖ will Bundesrat abschaffen und Anzahl der Abgeordneten halbieren

Vom Verfassungsausschuss mit S-V-Mehrheit abgelehnt wurde ein von Abgeordnetem Herbert Scheibner (B) vertretener Entschließungsantrag des BZÖ, der die Abschaffung des Bundesrats und eine gleichzeitige Halbierung der Mandate im Nationalrat und in den Landtagen zum Ziel hat. Die Länderinteressen in der Bundesgesetzgebung könnten nach Ansicht von Klubobmann Josef Bucher und seinen FraktionskollegInnen stattdessen von der Landeshauptleutekonferenz vertreten werden, die mehr Kompetenzen erhalten soll. Die Zahl der Mitglieder der Bundesregierung – inklusive Staatssekretäre – will das BZÖ auf 15 limitieren.

Nach einer kritischen Wortmeldungen zum Antrag des BZÖ von Abgeordnetem Stefan Prähauser (S) und einer Mahnung des Ausschussvorsitzenden, bei Vorschlägen zur Veränderung der Landesgesetzgebung den Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung zu beachten, merkte Abgeordnete Daniela Musiol (G) an, man sollte zuerst über die Gesetzgebungskompetenzen diskutieren und erst dann über die jeweiligen Organe. Einig waren sich die Abgeordneten Musiol und Scheibner in ihrer Forderung nach Wiederbelebung des Unterausschusses zur Staats- und Verwaltungsreform.     

FPÖ fordert Ausweitung der Kontrollrechte der Volksanwaltschaft

Schließlich vertagte der Verfassungsausschuss einen Entschließungsantrag der FPÖ, in dem sich Abgeordneter Harald Stefan (F) und seine FraktionskollegInnen dafür aussprechen, die Kontrollrechte der Volksanwaltschaft auszuweiten. Demnach sollen die VolksanwältInnen, analog zum Rechnungshof, auch für ausgegliederte Rechtsträger zuständig sein. Damit will die FPÖ eine ihrer Meinung nach bestehende Kontrolllücke beseitigen. Von Seiten der Grünen unterstützte Abgeordneter Wolfgang Zinggl die Initiative der FPÖ ausdrücklich und wies auf Kontrolllücken und die Einschränkung von Bürgerrechten seit der massiven Ausgliederungspolitik hin. Die Vertagung erfolgte mit S-V-Mehrheit.

(Fortsetzung Verfassungsausschuss)