Parlamentskorrespondenz Nr. 958 vom 19.10.2011

Die Verlustgeschäfte der ÖBB

Heftige Kontroverse um Veröffentlichung eines Briefes an Abg. Grosz

Wien PK) – Im Mittelpunkt der weiteren Diskussion im Nationalrat standen die Geschäfte und Finanztransaktionen der ÖBB. Grundlage dafür war der Bericht des Ständigen Unterausschusses des Rechnungshofausschusses, der sich auf Verlangens der Abgeordneten Gabriela Moser (G), Wolfgang Zanger (F) und Gerald Grosz (B) umfassend mit der Vorbereitung, Durchführung und Aufarbeitung von Finanztransaktionen der ÖBB Holding und den nachgeordneten Gesellschaften des ÖBB-Konzerns mit der Deutschen Bank und anderen

beteiligten Finanzdienstleistern sowie mit den Managerverträgen im Konzern ausführlich beschäftigte. Thema des Ausschusses waren ferner der Ankauf der ungarischen MÁV Cargo und der damit in Zusammenhang stehenden Beratungsverträge sowie möglicher Provisionszahlungen sowie das Beschaffungswesen innerhalb des ÖBB Konzerns seit dem Jahr 2000.

Der Bericht wurde nur mit den Stimmen der beiden Regierungsparteien zur Kenntnis genommen.

Abgeordneter Wolfgang ZANGER (F) berichtete von der Arbeit des Unterausschusses des Rechnungshofausschusses, der sich mit der politischen Verantwortung für verlustreiche ÖBB-Spekulationsgeschäfte, für Unregelmäßigkeiten beim Kauf der MVA Cargo sowie mit dem ÖBB-Beschaffungswesen befasst habe. Der Abgeordnete kritisierte sowohl die Justizministerin als auch die Verkehrsministerin, die den Ausschuss nicht mit den gewünschten konkreten Informationen versorgt habe, sowie die Regierungsfraktionen wegen deren Widerstands gegen eine Ladung des ehemaligen Verkehrsministers Faymann und von Staatssekretär Ostermayer. Die ÖBB-Manager Huber und Söllinger hätten sich an Mitarbeitern "abgeputzt", sagte Zanger und bedauerte, dass man gegen diese Manager nicht das Instrument einer Organhaftungsklage in Anspruch genommen habe.

Abschließend befasste sich Zanger mit dem Italienengagement der ÖBB und der diesbezüglichen Rolle des Herrn Casal. Seine Fraktion lehne den Mehrheitsbericht aus dem Unterausschuss und die "Vernebelungstaktik" der Regierungsparteien ab.

Abgeordnete Christine LAPP (S) erinnerte daran, dass viele Probleme der ÖBB auf eine Zeit zurückgingen, in der die schwarz-blaue Regierung im Amt gewesen sei. Auch die "windigen Spekulationen" würden in diesen Zeitraum fallen, betonte sie. Ihrer Ansicht nach belegen diese Spekulationsgeschäfte die "Wirklichkeitsferne" und Unverantwortlichkeit der damaligen Direktoren des Unternehmens. Nachher habe niemand etwas wissen wollen und die Schuld dafür einfachen MitarbeiterInnen zugeschoben, klagte Lapp. Der nunmehrige Bundeskanzler und frühere Verkehrsminister Faymann habe das Ganze aber gestoppt.

Abgeordnete Gabriela MOSER (G) wies darauf hin, dass die Grünen einen eigenen Bericht erstellt hätten, um die Ergebnisse und Erkenntnisse des Unterausschusses des Rechnungshofausschusses systematisch zusammenzufassen. Der Mehrheitsbericht des Ausschusses weise einige Mängel auf, meinte sie.

Moser zufolge hat die ÖBB durch Spekulationsgeschäfte und durch den überteuerten Erwerb der ungarischen MAV Cargo eine Milliarde Euro an Steuergeldern "verschleudert" und das Geld "den Bach hinunterlaufen lassen". Dabei sei dem Management das Risiko der Spekulationen im vollen Umfang bewusst gewesen, bekräftigte sie. Trotz mangelhafter Risikoabwägung und fehlender Gutachten habe man den damaligen Vorstandsdirektoren aber unter Verkehrsminister Faymann einen "generösen Golden Handshake gegeben". Von der jetzigen Verkehrsministerin Doris Bures erwartet sich Moser nunmehr die Einbringung von Organhaftungs- und Schadenersatzklagen.

Abgeordneter Erwin HORNEK (V) machte auf die zunehmende Verschuldung der ÖBB aufmerksam und gab zu bedenken, dass die Bahnschulden mittlerweile zehn Prozent der gesamten Staatsschulden Österreichs ausmachten. Statt sich auf zentrale Aufgaben – optimale Kundenorientierung, Verbesserung der Kostenstruktur und effizientes Management – zu konzentrieren, habe die ÖBB schon im Jahr 1995 begonnen, mit Cross-Border-Leasing-Geschäften betriebsfremde Geschäfte zu verfolgen, bemängelte er. Diese hätten sich in weitergehender Folge ausgeweitet. Der Kauf der ungarischen MAV Cargo sei zwar strategisch richtig gewesen, meinte Hornek, die eingesetzten finanziellen Beträge waren seiner Ansicht nach aber viel zu hoch.

Abgeordneter Gerald GROSZ (B) kritisierte das Management der ÖBB und skizzierte, dass sich allein der Schaden durch die Spekulationsverluste auf 300 Mio. € belaufe. Dazu kämen 700 Mio. € für den Kauf der MAV Cargo. Der Rechnungshof habe bereits im Juni 2010 festgestellt, dass von Seiten der ÖBB-Manager zahlreiche Pflichten verletzt worden seien, bis heute habe Verkehrsministerin Bures aber nichts unternommen, klagte Grosz.

Nach Darstellung von Grosz haben die Beratungen im Unterausschuss des Rechnungshofausschusses gezeigt, dass bei den ÖBB über Jahre hinweg "ein System der Steuergeldverschwendung" und des "kriminellen Verhaltens" gepflogen worden sei. Aus den Zeugenaussagen hätten sich eindeutig strafrechtlich relevante Fakten ergeben. Er habe diese daher in einem verschlossenen Kuvert der Staatsanwaltschaft übermittelt. Folge sei allerdings gewesen, dass das Justizministerium gegen ihn Ermittlungen wegen Verletzung der Verschwiegenheitspflicht aufgenommen habe. Grosz wertete diese Vorgangsweise als inakzeptabel.

Abgeordneter Günther KRÄUTER (S) wies die allgemeine Kritik des BZÖ an den ÖBB zurück und bekräftigte, für eine Verunglimpfung des Unternehmens bestehe kein Anlass. Die Spekulationen und das Missmanagement seien in eine Zeit gefallen, in der Hubert Gorbach Verkehrsminister gewesen sei, skizzierte er. "Fatale Auswirkungen" hat Kräuter zufolge auch die seinerzeitige Zersplitterung der ÖBB gehabt, für die die schwarz-blaue Regierung verantwortlich gezeichnet habe.

Verkehrsministerin Doris BURES hielt eingangs ihrer Rede fest, die ÖBB seien ein "rot-weiß-rotes Unternehmen", in dem tagtäglich 42.000 Menschen arbeiteten, das tagtäglich 1,2 Millionen ÖsterreicherInnen befördere und das mit der Güter- und Personenbeförderung einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz und zur Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Österreich leiste. Die Schulden des Unternehmens seien auf Investitionen für den Ausbau des Schienenkorridors zurückzuführen, hob Bures hervor, damit wolle man den Verkehr stärker von Straße auf die Schiene verlagern.

Auch sie halte die Spekulationsgeschäfte, die das Unternehmen erheblich geschwächt hätten, für "skandalös", bekräftigte Bures. Diese hätten aber 2005 stattgefunden. Sie selbst habe auf die Kritikpunkte des Rechnungshofs reagiert und alles unternommen, dass solche Risiken von den ÖBB nicht mehr eingegangen werden könnten. Überdies habe sie effiziente Unternehmensstrukturen eingeführt und damit das "repariert", was 2003 "verbockt worden ist". Es gebe auch klare Ziele für die ÖBB, unterstrich Bures: Das Unternehmen müsse ab 2013 schwarze Zahlen schreiben und das Pensionsantrittsalter jährlich um ein Jahr steigern und dürfe im Jahr 2014 keine Langsamfahrstrecken im Kernnetz mehr haben.

Was die rechtliche Verantwortung betrifft, sieht Bures die Justiz am Zug. Sollten kriminelle Handlungen ans Tageslicht kommen, werde das selbstverständlich Konsequenzen nach sich ziehen, sicherte sie zu.

Abgeordneter Gerhard DEIMEK (F) übte scharfe Kritik am Kauf der ungarischen MAV Cargo durch die ÖBB. Der Kauf sei zwar strategisch richtig gewesen, räumte er ein, die Durchführung sei aber "stümperhaft vergeigt worden". Deimek verwies in diesem Zusammenhang etwa auf die Beauftragung eines dubiosen ungarischen Lobbyisten und ein seiner Ansicht nach unfähiges Management. Bemängelt wurde von ihm außerdem, dass Auskunftspersonen im Rechnungshof-Unterausschuss lügen dürften, "dass sich die Balken biegen", ohne dass dies Konsequenzen habe. Bundeskanzler Faymann warf er vor, in seiner Zeit als Verkehrsminister seine politische Verantwortung nicht wahrgenommen zu haben und nicht eingeschritten zu sein.

Abgeordneter Johann SINGER (V) wertete die Spekulationsverluste der ÖBB und die Vorgänge rund um den Kauf der MAV Cargo ebenso als "unglaublich" wie den Umstand, dass die ÖBB dem Steuerzahler jährlich mehr als sechs Milliarden Euro kosten würden. Der Unterausschuss des Rechnungshofausschusses habe sich sehr intensiv mit den Spekulationen beschäftigt, betonte er. Allerdings seien einige Auskunftspersonen dem Ausschuss fern geblieben, andere hätten unglaubwürdige Aussagen im Widerspruch zur Faktenlage getätigt.

Was die Ermittlungen der Justiz gegen Abgeordneten Grosz betrifft, zitierte Singer aus einem aktuellen Schreiben des Justizressorts an Grosz vom 6. Oktober, in dem unter anderem von einem Missverständnis und dem Einstellen der Ermittlungen die Rede ist. Das führte zu heftigen Zwischenrufen von Seiten des BZÖ, wobei Grosz unter anderem einwarf, dass er dieses Schreiben noch nicht erhalten habe.

Allgemein hielt Singer fest, er sei zutiefst überzeugt, dass die ÖBB ein wichtiges Unternehmen für Österreich sei, es müsse aber noch viel getan werden, um das Unternehmen konkurrenzfähig zu machen.

Abgeordneter Harald WALSER (G) äußerte sich empört darüber, dass Abgeordneter Singer aus einem persönlichen Schreiben des Justizressorts an Abgeordneten Grosz zitiert habe, das diesem selbst unbekannt ist. Die Vorgänge in den ÖBB entsprechen seiner Meinung nach einem "Sittenbild", das in den letzten Monaten auch in vielen anderen Bereichen zu beobachten gewesen sei. Walser ist überzeugt, dass die Vorgänge rund um den Kauf der MAV Cargo im Dunkeln geblieben wären, wäre seine Fraktionskollegin Gabriela Moser nicht so aktiv gewesen. Die Grünen würden von Verkehrsministerin Bures nun energisch fordern, Organhaftungsklagen einzubringen, damit der Steuerzahler wenigstens einen Teil des Verlusts wieder bekomme, sagte Walser.

Abgeordneter Anton HEINZL (S) betonte, es sei unrichtig, dass die ÖBB aus dem Budget jährlich einen Zuschuss von 6,7 Mrd. € bekomme. 2011 habe der Bundeszuschuss vielmehr 2,1 Mrd. € betragen, konstatierte er. Damit abgegolten würden alle gemeinwirtschaftlichen Leistungen inklusive Investitionen in die Infrastruktur. Schließlich beförderten die ÖBB 500 Millionen Kunden pro Jahr. Wenn Abgeordnetem Singer die Investitionen zu hoch seien, müsse er klar sagen, dass er keine neuen Infrastrukturprojekte wie den Brenner-Basistunnel oder den Koralmtunnel wolle, sagte Heinzl.

Dem alten ÖBB-Management warf Heinzl vor, sich an "kleinen MitarbeiterInnen abzuputzen". Alle "Malversationen" seien außerdem zwischen 2000 und 2006 geschehen, in einer Zeit, wo alle Verkehrsminister der FPÖ beziehungsweise dem BZÖ angehört hätten, führte Heinzl an.

Abgeordneter Ewald STADLER (B) wertete es als "Skandal der Sonderklasse", dass ÖVP-Abgeordneter Singer im Besitz einer Kopie eines Schreibens des Justizressorts an Abgeordneten Grosz sei, das dieser selbst noch nicht erhalten habe. Zur Demonstration öffnete er den noch verschlossenen Umschlag des Originalschreibens an Grosz direkt am Rednerpult. Stadler übte aber auch Kritik an der Sache selbst: Seiner Ansicht nach geht es nicht an, Ermittlungen gegen einen Abgeordneten zu führen, noch dazu ohne das Parlament darüber zu informieren, und zwar nur deshalb, weil dieser Abgeordnete der Staatsanwaltschaft "kriminelle Sachverhalte" zur Kenntnis bringen habe wollen.

Abgeordneter Wilhelm HABERZETTL (S) ortete den Grund für die Spekulationsgeschäfte in der ÖBB-Reform des Jahres 2003. Diese habe Strukturen geschaffen, die nicht harmonieren können, und Entscheidungen ermöglicht, für die letztlich niemand verantwortlich sei, stellte er fest. Als untrennbar mit dem "Unglück" der kritisierten Investitionen verbunden nannte er Huber, Sollinger und Gorbach, nahm aber von seinen Vorwürfen auch die ÖVP nicht aus.

Abgeordneter Robert LUGAR (o.F.) forderte Bures auf, die Vorfälle aufzuklären und dabei die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen.

Abgeordneter Ferdinand MAIER (V) sprach sich ebenfalls für Aufklärung aus, drängte aber zudem darauf, auch die Fälle Poschalko und Pöchhacker zu prüfen.

Abgeordneter Ewald STADLER (B) verlieh in einer zweiten Wortmeldung abermals seiner Empörung über die Veröffentlichung eines Briefes an den Abgeordneten Grosz durch den VP-Klub Ausdruck und kündigte eine Strafanzeige wegen Verletzung des Briefgeheimnisses an.

Geschäftsordnungsdebatte wegen "Briefaffäre"

Während der späteren Diskussion zur Dringlichen Anfrage der Grünen, wurde die Veröffentlichung des Briefes an Abgeordneten Grosz (B) durch Abgeordneten Singer (V) nochmals Thema einer heftigen Geschäftsordnungsdebatte.

Abgeordneter Ewald STADLER (B) hielt fest, V-Mandatar Johann Singer habe über einen Brief aus dem Justizministerium verfügt, der eigentlich an B-Abgeordneten Grosz gerichtet war und der diesen erst heute unter der Adresse des BZÖ-Klubs erreichte. Da der ganzen Sache ein "unsinniges" und auch wieder eingestelltes Strafverfahren gegen seinen Fraktionskollegen zugrunde liege, forderte Stadler Nationalratspräsidentin Prammer dazu auf, mit zwei Anliegen an die Justizministerin heranzutreten: Zum einen gelte es zu klären, wie es möglich sein könne, dass gegen einen Abgeordneten ermittelt werde, ohne dass man das Parlament darüber in Kenntnis setzt, zum anderen solle hinterfragt werden, wie der Brief an den V-Mandatar gelangt ist, schloss Stadler.

ÖVP-Klubobmann Karlheinz KOPF unterstützte dieses Verlangen. Tatsächlich bestünde immer wieder das Problem, dass durch unnötige Ersuchen auf Aufhebung der Immunität Dinge an die Öffentlichkeit getragen würden, die dort nicht hingehörten. Da Abgeordneter Pilz andauernd und unter Beifall aus Akten zitiere, die ihm aus Ministerien zugespielt wurden, könne er, so Kopf, die Skandalisierung der Wortmeldung seines Fraktionskollegen allerdings nicht nachvollziehen. Abgeordneter Singer wisse selbst nicht, woher und von wem er dieses Dokument erhalten habe, schloss Kopf.

Nationalratspräsidentin Barbara PRAMMER zeigte sich ob dieses Vorfalls von der Notwendigkeit, die Diskussion über die Neuregelung der Immunität zu einem Abschluss zu bringen, überzeugt.

Abgeordneter Karl ÖLLINGER (G) hielt das Begehren Stadlers für durchaus berechtigt. Da der Brief ausschließlich an den Abgeordneten Grosz adressiert gewesen war, habe man es mit einer ernsthaften Verletzung des Briefgeheimnisses zu tun. Außerdem stehe der Verdacht des Amtsmissbrauchs im Raum.

F-Mandatar Walter ROSENKRANZ (F) kritisierte die Vorgangsweise des Justizministeriums. Die zuständige Bundesministerin wäre gut beraten, dem Parlament diesbezüglich Rede und Antwort zu stehen, meinte er.

Abgeordneter Peter PILZ (G) wies darauf hin, dass es Aufgabe des Hohen Hauses sei, Missstände in der Verwaltung anzusprechen. Man werde deshalb auch dem heute zu Tage getretenen Verdacht auf Amtsmissbrauch und Verletzung des Briefgeheimnisses nachgehen, kündigte er an.

Nationalratspräsidentin Barbara PRAMMER sicherte zu, an die Justizministerin herantreten und die Umstände dieses Zwischenfalls klären zu wollen.(Fortsetzung Nationalrat)