Parlamentskorrespondenz Nr. 967 vom 20.10.2011

Stärkere Einbindung des Nationalrats bei EU-Gesetzen auf Schiene

Emotionale Debatte über Bundeshymne

Wien (PK) – Ein weiterer Schritt zu einer besseren Einbindung des österreichischen Parlaments in die EU-Gesetzgebung soll durch ein neues EU-Informationsgesetz sowie durch eine Änderung der NR-Geschäftsordnung erreicht werden. Der Nationalrat stimmte den Vorlagen in Zweiter Lesung mehrheitlich bzw. einstimmig zu. Die Beschlussfassung in Dritter Lesung erfolgt in einer der nächsten Sitzungen.

Zu den zentralen Neuerungen gehören eine detailliertere Festlegung der Informationspflichten der Regierung gegenüber dem Parlament, die Erweiterung des Katalogs an Verhandlungsgegenständen und die Verankerung neuer Instrumente im Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrats sowie eine Adaptierung von Verfahrensbestimmungen. So können in Hinkunft etwa Aussprachen über aktuelle EU-Fragen auf die Tagesordnung von Fachausschüssen gesetzt, EU-Enqueten abgehalten und "Sondersitzungen" des für EU-Angelegenheiten zuständigen Hauptausschusses einberufen werden. Auch die neue Möglichkeit einer Subsidiaritätsklage beim Europäischen Gerichtshof und das Instrument der Subsidiaritätsrüge werden in der Geschäftsordnung verankert.

Die bisher von den einzelnen Ressorts freiwillig erstellten Erläuterungen zu jenen EU-Vorhaben, die in den EU-Ausschüssen des Nationalrats und des Bundesrats eingehender beraten werden, werden künftig zur Pflicht. Die Regierung ist laut Gesetzentwurf außerdem angehalten, das Parlament frühzeitig über besonders bedeutende EU-Vorhaben zu informieren, auf Verlangen eines Klubs detaillierte schriftliche Erläuterungen zu einem EU-Dokument vorzulegen und über den Fortgang etwaiger vom Nationalrat bzw. vom Bundesrat eingebrachter Subsidiaritätsklagen zu berichten. Auch die Öffentlichkeit wird in Hinkunft über eine Datenbank der Parlamentsdirektion grundsätzlich Zugang zu allen EU-Dokumente haben – ausgenommen sollen nur sensible und vertrauliche Dokumente sein.

Abgeordneter Harald STEFAN (F) kritisierte, die Information würde nur scheinbar verbessert, der Aufwand sei enorm, und kündigte die Ablehnung durch seine Fraktion an.

Abgeordnete Christine MUTTONEN (S) erwartete sich von dem Gesetz hingegen eine Erhöhung der Transparenz und der demokratischen Kontrolle.

Abgeordneter Herbert SCHEIBNER (B) begrüßte das Gesetz und forderte in einem Abänderungsantrag die Möglichkeit der Einberufung des EU-Hauptausschusses auch für kleinere Fraktionen.

Abgeordneter Fritz NEUGEBAUER (V) unterstützte beide Materien und wies auf die Bedeutung der Information über EU-Maßnahmen und auf die entsprechende Datenbank im Parlament hin. Ein von ihm eingebrachter Abänderungsantrag der Regierungsparteien hatte redaktionelle Änderungen zum Inhalt.

Abgeordneter Alexander VAN DER BELLEN (G) äußerte sich ebenfalls zustimmend und meinte, nun gelte es, das Gesetz mit Leben zu erfüllen.

Abgeordneter Peter WITTMANN (S) schloss sich seinem Vorredner an und bemerkte überdies zur FPÖ, die EU finde statt, auch wenn es die Freiheitlichen nicht wollen.

Abgeordneter Johann SINGER (V) rechnete mit einer Stärkung der Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlaments als Folge der beiden Gesetze.

Abgeordnete Sonja STESSL-MÜHLBACHER (S) hob auch ihrerseits den Wert der Information über EU-Themen hervor.

Abgeordneter Reinhold LOPATKA (V) wies auf den europäischen Rat vom kommenden Sonntag hin und drängte auf eine rasche Information des Parlaments über die diesbezüglichen Beschlüsse.

Bei der Abstimmung wurde das EU-Informationsgesetz in Zweiter Lesung mehrheitlich angenommen, die Dritte Lesung wurde auf einen späteren Zeitpunkt vertagt. Die Änderung der Geschäftsordnung wurde in der Fassung eines S-V-G-Abänderungsantrags einstimmig in Zweiter Lesung angenommen. Die Beschlussfassung in Dritter Lesung kann laut geltender Geschäftsordnung frühestens 24 Stunden danach erfolgen. Der Abänderungsantrag des BZÖ fand keine Mehrheit.

Abschaffung des Bundesrats mehrheitlich kein Thema

Keine Mehrheit fand die Initiative des BZÖ nach Abschaffung des Bundesrats und Halbierung der Anzahl der Abgeordneten im Nationalrat und in den Landtagen. Das BZÖ will auch die Zahl der Mitglieder der Bundesregierung – inklusive StaatssekretärInnen – auf 15 limitieren.

Abgeordneter Herbert SCHEIBNER (B) hob die Notwendigkeit hervor, einmal umfassend über eine Staatsreform zu diskutieren und auch über die Neugestaltung der gesetzgebenden Organe nachzudenken. Es sei beispielsweise fraglich, ob man heutzutage noch 183 Abgeordnete oder den Bundesrat brauche, meinte er. Mit einer Verfassungs- und Verwaltungsreform könnte man seiner Auffassung nach viel einsparen.

Abgeordneter Peter WITTMANN (S) wertete den Antrag des BZÖ hingegen als populistisch. Er kann der Forderung nach einer Halbierung der Zahl der Abgeordneten oder der Abschaffung des Bundesrats nichts abgewinnen. Zudem sprach er sich für eine strikte Trennung von Gesetzgebung und Exekutive aus.

Abgeordneter Wolfgang GERSTL (V) äußerte die Vermutung, dass das BZÖ den Antrag nicht in der vorliegenden Form eingebracht hätte, wenn es selbst mehr Mitglieder in den Landtagen oder im Bundesrat hätte. Dem BZÖ gehe es beim Antrag nicht wirklich um eine große Verfassungs- und Verwaltungsreform, sondern lediglich um Populismus, zeigte er sich überzeugt.

Abgeordneter Alois GRADAUER (F) wertete es angesichts der Budgetsituation in Österreich für legitim zu fragen, wie viel Verwaltung der Staat brauche und welche Struktur dazu notwendig sei. Seiner Ansicht nach gibt es Einsparungspotentiale "zuhauf". Als Beispiel nannte er die Schulverwaltung.

Abgeordneter Albert STEINHAUSER (G) hielt fest, eine Reduzierung der Zahl der Politiker klinge immer gut, eine Halbierung der Mandate im Nationalrat würde ihm zufolge aber die parlamentarische Arbeit kleiner Fraktionen erheblich erschweren. Zudem wandte er sich massiv gegen eine Aufwertung der Landeshauptleutekonferenz.

Der Nationalrat nahm den ablehnenden Bericht des Verfassungsausschusses über den Antrag des BZÖ mit Stimmenmehrheit zur Kenntnis.

Der Nationalrat beendete seine heutige Sitzung in den frühen Morgenstunden mit drei Ersten Lesungen von Anträgen.

BZÖ will parlamentarische Kontrolle der Staatsanwaltschaft

Zum einen spricht sich das BZÖ für eine parlamentarische Kontrolle der Staatsanwaltschaft aus und beantragt eine entsprechende Änderung der Bundesverfassung und des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrats (1581/A).

Abgeordneter Ewald STADLER (B) führte aus, er habe mit dem Antrag eine Idee von ÖVP-Abgeordnetem Amon aufgegriffen. Es sei notwendig, die Arbeit der Staatsanwaltschaft zu kontrollieren, meinte er, diese sei mittlerweile zu "einem Staat im Staat" geworden. Im Konkreten spricht sich Stadler dafür aus, analog zu anderen ständigen parlamentarischen Unterausschüssen einen Unterausschuss zur Prüfung der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit einzurichten.

Abgeordneter Johannes JAROLIM (S) äußerte sich zum Antrag des BZÖ skeptisch. Man müsse behutsam vorgehen und sich eine sinnvolle Kontrolle der Staatsanwaltschaft überlegen, mahnte er. Es gebe alternative Modelle zum Antrag des BZÖ. Jarolim stellte etwa die Einrichtung eines Bundesstaatsanwalts zur Diskussion.

Abgeordneter Werner AMON (V) sprach sich dafür aus, über den Antrag des BZÖ ernsthaft zu diskutieren. In einem demokratischen Rechtsstaat dürfe es nichts geben, das der parlamentarischen Kontrolle entzogen werden könne, argumentierte er.

Abgeordneter Johannes HÜBNER (F) wandte sich dagegen, auf die StaatsanwältInnen in einzelnen Verfahren politischen Druck von Seiten der Abgeordneten auszuüben. Er sieht generell aber sehr wohl die Gefahr gegeben, dass die Staatsanwaltschaft "einen Staat im Staat" bilden könne. Ein Kontrollinstrument könnte seiner Meinung nach ein Umdenken in der Staatsanwaltschaft bewirken.

Auch Abgeordneter Albert STEINHAUSER (G) qualifizierte den Antrag des BZÖ als diskussionswürdig. Es könne sich von Seiten des Parlaments aber nur um eine nachprüfende Kontrolle handeln, betonte er. Er halte nichts davon, in laufende Verfahren "hineinzudirigieren". Das würde eine zunehmende Politisierung der Staatsanwaltschaft zur Folge haben.

Dritter Nationalratspräsident Martin GRAF wies den Antrag des BZÖ dem Geschäftsordnungsausschuss zu.

Grüner Vorstoß in Richtung Ehe von Gleichgeschlechtlichen

Als "zeitgemäße Neudefinition" der Ehe verstehen die Grünen ihren Entschließungsantrag auf Änderung des ABGB, in dem die Bestimmung gestrichen wird, dass nur zwei Personen verschiedenen Geschlechts eine Ehe eingehen können. Konkret heißt es in dem von den Grünen vorgeschlagenen Passus des ABGB nun: "In einem Ehevertrag erklären zwei Personen auf Grund einer Vertrauensbeziehung ihren Willen, in Gemeinschaft einander umfassend und partnerschaftlich auf Dauer beizustehen und ihre Rechtsbeziehungen diesem Gesetz entsprechen zu gestalten."

Abgeordneter Albert STEINHAUSER (G) sprach sich für eine neue Definition der Ehe im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch aus. Die geltende Definition stamme aus dem Jahr 1811, argumentierte er. Steinhauser zufolge sollen auch gleichgeschlechtliche Partner eine umfassende Vertrauensbindung und Partnerschaft auf Dauer eingehen können. Parallel dazu urgiert er eine Neuregelung des Scheidungsrechts.

Abgeordnete Sonja STESSL-MÜHLBACHER (S) räumte ein, die Lebensrealität sei anders geworden. Darauf habe man etwa mit der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft reagiert. Man solle sich aber auch in anderen Bereichen "von ideologischen Grenzen entfernen", forderte sie.

Abgeordnete Anna FRANZ (V) erklärte, das ABGB werde vom Leitbild der ehelichen Familie getragen, davon sollte man sich keinesfalls verabschieden. Sie sieht auch keinen Anlass dafür, die Unzertrennlichkeit der Ehe fallen zu lassen und gleichgeschlechtlichen Paaren eine Ehe zu ermöglichen.

Abgeordneter Anneliese KITZMÜLLER (F) sprach sich ebenfalls gegen eine Neudefinition der Ehe aus. Eine Ehe solle aus Mann und Frau bestehen, deren Ziel die Familiengründung sei, bekräftigte sie. Auch in Bezug auf die anderen Anliegen des Antrags sieht Kitzmüller keinen Handlungsbedarf.

Dritter Nationalratspräsident Martin GRAF wies den Antrag der Grünen dem Justizausschuss zu.

ÖVP, SPÖ und Grüne beantragen Änderung des Textes der Bundeshymne

Schließlich ging es um die gemeinsame und in der Öffentlichkeit heftig diskutierte Initiative von ÖVP, SPÖ und Grünen auf Änderung des Textes der Österreichischen Bundeshymne ab. Anstelle von "Heimat bist du großer Söhne" solle in Zukunft "Heimat großer Töchter, Söhne" gesungen werden. Die Mandatarinnen wollen damit Bewusstsein dafür schaffen, dass auch Frauen große Leistungen für Österreich erbracht haben.

Abgeordnete Dorothea SCHITTENHELM (V) sprach sich dafür aus, auch die österreichischen "Töchter" in der Bundeshymne zu verankern. Die Emotionen nach Einbringung des Antrags seien hoch gegangen, auch in ihrer Fraktion, räumte sie ein, sie führt das in erster Linie aber auf die "nicht angebrachte" Vorgehensweise bei der Antragseinbringung zurück. Ihr sei durchaus bewusst, dass es wichtigere Anliegen, auch im Bereich der Gleichbehandlungspolitik gebe, sagte Schittenhelm, eine Änderung der Bundeshymne wäre aber ein wichtiges Symbol. Sie hofft in diesem Sinn auf eine sachliche Diskussion im Ausschuss.

Abgeordnete Gisela WURM (S) trat dafür ein, die österreichische Bundeshymne "auf die Höhe der Zeit zu bringen". Es sei wichtig, auch die "großen Töchter" in der Hymne zu erwähnen. Wurm wies darauf hin, dass es schon zahlreiche Anläufe für eine gendergerechte Bundeshymne gegeben habe. Sprache bedeute Bewusstsein, bekräftigte sie, wer die Sprache verändere, verändere die Welt.

Abgeordnete Carmen GARTELGRUBER (F) äußerte sich hingegen skeptisch zum vorliegenden Antrag und sprach von "Symbolromantik". Ihrer Meinung nach ist es eine "Schande", wie den Frauen eingeredet werden solle, dass eine Änderung der Bundeshymne irgendetwas in Bezug auf die Gleichstellung bringen werde.

Abgeordnete Judith SCHWENTNER (G) trat für eine Änderung der Bundeshymne ein und begründete dies damit, dass Sprache Wirklichkeit schaffe und durch Sprache Bilder in den Köpfen entstünden. Überdies erinnerte sie daran, dass die Originalversion des Textes von Paula von Preradovic nie gesungen worden sei. Man habe schon im Rahmen des Ministerratsbeschlusses Änderungen vorgenommen. Sie sieht aufgrund eines OGH-Urteils auch keine urheberrechtlichen Probleme.

Abgeordneter Stefan PETZNER (B) zog die beantragte Änderung der Bundeshymne ins Lächerliche und äußerte unter anderem die Befürchtung, dass die großen Töchter in der Praxis zu großen "Töchtersöhnen" würden, da man einen Beistrich nicht singen könne. Das BZÖ lehne eine Änderung der Bundeshymne ab, bekräftigte er.

Abgeordnete Heidemarie UNTERREINER (F) sprach von einem "schwarzen Tag im Kulturland Österreich" und einem "Anschlag auf die Freiheit der Kunst". Die FPÖ achte die Leistungen großer KünstlerInnen, bekräftigte sie, man dürfe dem Zeitgeist nicht nachgeben.

Dritter Nationalratspräsident Martin Graf wies den Antrag dem Verfassungsausschuss zu.

Eine weitere (125.) Sitzung des Nationalrates diente in der Geschäftsordnung vorgesehenen Zuweisungen und Mitteilungen.

(Schluss Nationalrat)