Parlamentskorrespondenz Nr. 1066 vom 15.11.2011

Herausforderung: Strukturwandel in der Landwirtschaft

Debatte über den Grünen Bericht

Wien (PK) –  Die aktuelle Situation der Landwirtschaft in Österreich, vor allem die Schließung bäuerlicher Betriebe und das Fördersystem, waren Themen, die die Abgeordneten heute im Nationalrat im Zusammenhang mit dem Grünen Bericht 2011 erörtert haben. Der Bericht wurde schließlich mehrheitlich zur Kenntnis genommen.

Abgeordneter Rupert DOPPLER (F) hielt die österreichische Landwirtschaft mit ihren zahlreichen Aufgaben für unverzichtbar. Insofern sei die Tendenz, dass viele bäuerliche Betriebe und Bergbauernhöfe ihre Tätigkeit einstellten, überaus bedenklich, hielt der F-Mandatar fest. Gehe es so weiter, sehe die Zukunft vor allem auch in Hinblick auf Landschaftspflege und Tourismus "düster" aus. Die FPÖ fordere deshalb eine gerechtere Aufteilung der Ausgleichszahlungen. Tue man es nicht, so seien auch in Zukunft viele Bäuerinnen und Bauern gezwungen, "die Stalltüre für immer zu schließen".

V-Mandatar Franz ESSL stellte fest, der Grüne Bericht erlaube, die Entwicklungen in der Landwirtschaft über viele Jahre nachzuverfolgen. Es zeige sich, dass der Strukturwandel in Österreich geringer sei, als in anderen Ländern. Die Landwirtschaft sichere in Österreich auch viele Arbeitsplätze. Versorgungssicherheit und Erhaltung der Lebensqualität seien wichtige Aufgaben. Ziel der ÖVP sei es, die flächendeckende Bewirtschaftung durch Familienbetriebe zu sichern. Dazu müsse es aber möglich sein, das entsprechende Einkommen zu erwirtschaften. Der Einkommenszuwachs 2010 sei zwar erfreulich, folge aber auf ein sehr schlechtes Vorjahr 2009. Es müsse also noch Verbesserungen geben. Auch in Zukunft seien Zuschusszahlungen als Ausgleich für die im Vergleich zu anderen Ländern schlechteren Produktionsbedingungen notwendig. Eßl forderte auch, dass den Bäuerinnen und Bauern dabei nicht zu viel an Bürokratie zugemutet werde.

Abgeordneter Maximilian LINDER (F) konnte die optimistische Sicht seines Vorredners auf den Grünen Bericht nicht teilen, zumal sich etwa der Erwerbsunterschied zwischen Bergbauern und in anderen bäuerlichen Betrieben Tätigen weiter vergrößert habe. Über den diesbezüglichen Strukturwandel dürfe man auch nicht einfach hinweggehen, zeigte sich der F-Mandatar überzeugt: Es gelte deshalb im Sinne der Betroffenen, Bürokratie abzubauen und die vorhandenen Förderungen von den Groß- zu den Kleinbetrieben zu verschieben, schloss Linder.

S-Mandatar Josef MUCHITSCH meinte, die Stärken und Schwächen der Landwirtschaft in Österreich würden im Grünen Bericht deutlich aufgezeigt. Positiv sei etwa die Einkommenssteigerung und die Zunahme von Biobetrieben unter den Bergbauernbetrieben. Allerdings sei auch die Einkommensschere zwischen den Betrieben nach wie vor sehr groß und klaffe sogar weiter auf denn je, bedauerte er. Es brauche daher neue Förderungsrichtlinien, schloss Muchitsch daraus. Die SPÖ sei gerne bereit, an deren Ausarbeitung mitzuarbeiten.

Abgeordneter Bernhard VOCK (F) kam auf den Tierschutz zu sprechen und stellte fest, dass der Grüne Bericht diesbezüglich falsche Zahlen enthalte. Kritisch äußerte sich der F-Mandatar außerdem zum Rückgang bei den heimischen Viehbauern. Wie die Zahlen belegten, könne Österreich nicht mit der EU-Massentierhaltung mithalten: Es gelte im Gegenteil, auf hochwertige Produkte, die unter Berücksichtigung des Tierschutzes erzeugt werden, zu setzen. Der Landwirtschaftsminister solle deshalb auch Gespräche mit dem Gesundheitsminister aufnehmen, was das Problem der Kastenstandhaltung von Zuchtsauen anbelangt, forderte Vock.

Abgeordneter Wolfgang PIRKLHUBER (G) kündigte die Zustimmung seiner Fraktion zum vorliegenden Grünen Bericht an. Man könne aus ihm klar ableiten, wo die Herausforderungen liegen, sagte er. Es zeige sich etwa, dass die Politik leider nicht bereit sei, die Vorzüge kleinbäuerlicher Familienbetriebe zu erkennen. Bereits 60% der bäuerlichen Betriebe, darunter auch viele Biobetriebe, werden nur mehr im Nebenerwerb geführt. Bedauerlich sei, dass sich die Landwirtschaftskammern gegen die richtigen Maßnahmen zu einer Ökologisierung der Landwirtschaft in der EU wehrten. Die diesbezüglichen Ängste der ÖVP könne er nicht verstehen, meinte Pirklhuber.

Die Einkommenssituation in der Landwirtschaft sei von den volatilen Agrarmärkten abhängig. Es brauche daher eine gut durchdachte Marktpolitik, um die Ernährungssicherheit zu garantieren und sicherzustellen, dass LandwirtInnen für Agrarprodukte den angemessenen Preis erhalten. Probleme sah der Abgeordnete bei der unzureichenden Kennzeichnung von verarbeiteten Eiern aus Käfighaltung. Er brachte daher einen Entschließungsantrag der Grünen zur Lebensmittelkennzeichnung ein, wonach für alle Produkte mit Ei die Haltungsform der Legehennen verpflichtend anzugeben sei. Gefordert wird auch ein Importverbot für Eier aus Käfighaltung sowie eine Initiative der Bundesregierung zur EU-weiten Einstellung der Käfighaltung von Hühnern. 

B-Mandatar Gerhard HUBER konnte nicht nachvollziehen, wie sich die  ÖVP für ihre Agrarpolitik "abfeiern" könne. Angesichts der Tatsache, dass die Bauernschaft sogar reale Einkommensverluste zu verzeichnen habe, sei dies schließlich nicht angebracht. Die Bäuerinnen und Bauern müssten, so Huber, zu selbständigen UnternehmerInnen werden, die von ihrer Landwirtschaft leben können und auch auf dem Gebiet der Energieproduktion Initiative zeigen dürfen. Es brauche außerdem eine Steigerung der Produktion, zumal Österreich derzeit jährlich rund 2 Mio. lebende Schweine und 100.000 Rinder importiere. Ernährungsautarkie sei dementsprechend nicht mehr gegeben, monierte der Abgeordnete. Die ÖVP setze jedoch lieber auf Spekulationen und "Abzocke", womit sie die Existenz der heimischen Bauernschaft aufs Spiel setze. Es gelte aber vielmehr, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, um Österreich zum "Feinkostladen" Europas zu machen.

Landwirtschaftsminister Nikolaus BERLAKOVICH hielt fest, der Grüne Bericht zeige, dass die Einkommen in der Landwirtschaft 2010 zwar zugelegt hätten, dies aber die Verluste früherer Jahre nicht kompensieren konnte. Es sei daher auch nicht der richtige Weg, die Betriebsmittel mit Abgaben zu belasten, wie es etwa die Grünen fordern. Einen Strukturwandel habe es in der Landwirtschaft immer gegeben, er habe sich zuletzt auch deutlich verlangsamt. Es sei deshalb wichtig, weiterhin für die richtigen Rahmenbedingen zu sorgen. Die Agrarpolitik sollte insgesamt sicherlich ökologischer werden. Kritik gebe es aber an der Bürokratie, die mit den bisher geplanten Maßnahmen der EU zum "Greening" der Landwirtschaft verbunden seien. Es sei für Österreich zudem ein energischer Kampf um die EU-Mittel für die Landwirtschaft notwendig. Alle bisher von der EU angebotenen neuen Varianten bedeuteten, dass Österreich letztlich Geld verlieren würde. Es sollte jedoch honoriert werden, dass Österreich früher als andere auf Ökologisierung gesetzt hat. Österreich habe im Unterschied zu anderen Ländern nach wie vor eine bäuerliche Landwirtschaft. Kritik an den Förderungen ließ der Minister nicht gelten, der Anteil der Landwirtschaft daran betrage nur 4,5%.

Was die Produkte mit Eiern betreffe, so sei es problematisch, dass das ab 2012 gültige EU-weite Verbot der Käfighaltung von Legehennen in Österreich bereits 2009 umgesetzt worden sei, während viele europäische Staaten ihre Produktion bis jetzt nicht umgestellt hätten. Durch den gemeinsamen Markt gelangten diese Eier aus Käfighaltung auch nach Österreich. Für die Kastenstandhaltung von Schweinen müsse es ein neues System geben, meinte der Minister, sprach sich aber gegen ein generelles Verbot aus.  

Eine Verbesserung der Situation der österreichischen Landwirtschaft sah Abgeordneter Michael PRASSL (V). Dabei kam der V-Mandatar auf zahlreiche Fallbeispiele zu sprechen, die dies belegten. Die ÖVP stehe natürlich zu den heimischen Bäuerinnen und Bauern, hielt Praßl fest, der außerdem die guten Ausbildungsmöglichkeiten für LandwirtInnen in Österreich hervorhob.

S-Mandatarin Ulrike KÖNIGSBERGER-LUDWIG sprach sich für eine stärkere Ausgeglichenheit in der Verteilung der bäuerlichen Einkommen aus. Aus Sicht der SPÖ sei hier vieles zu tun. EU-weit sei die Aufteilung der Fördermittel sehr problematisch, die größten Betriebe würden auch am stärksten gefördert. Es müsse daher Obergrenzen bei der Förderung geben. Hierzu müsse auch der nationale Spielraum genutzt werden. Es gehe dabei nicht um "Klassenkampf", sondern schlicht um Gerechtigkeit, betonte sie. Es gebe auch weltweit ein Recht auf Nahrungssicherheit, das müsse auch in die GATT-Verhandlungen einfließen, forderte Königsberger-Ludwig.

Abgeordneter Gerald GROSZ (B) äußerte sich abfällig über den Grünen Bericht und sprach unter anderem von einem "jährlichen Hochamt der Schönrednerei". Die Daten im Bericht würden jeder Realität widersprechen, meinte er. Das Sterben der bäuerlichen Betriebe gehe weiter, viele LandwirtInnen sähen unter den geltenden Rahmenbedingungen keine Überlebenschance. Kritisch setzte sich Grosz in diesem Zusammenhang auch mit der Förderung von "Kunstkäse" auseinander.

Dritter Nationalratspräsident Martin GRAF erteilte Abgeordnetem Grosz für die Aussage, die ÖVP betreibe an Abgeordnetem Grillitsch "politischen Meuchelmord" einen Ordnungsruf. Ebenfalls einen Ordnungsruf handelte sich ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf für den Ausdruck "miese Kreatur" in Richtung Grosz im Form eines Zwischenrufs ein.

Abgeordneter Peter MAYER (V) machte darauf aufmerksam, dass die österreichische Landwirtschaft mit vielen Anforderungen konfrontiert sei. Unter anderem verlange man von ihr eine sichere Lebensmittelproduktion in hoher Qualität und in ausreichender Menge, die Pflege der Kulturlandschaft sowie die Bereitstellung erneuerbarer Energiequellen. Mayer wies außerdem auf die Vorreiterrolle der österreichischen Landwirtschaft beim Tierschutz hin und signalisierte Verhandlungsbereitschaft über einen gemeinsamen Antrag zum Thema verarbeitete Käfigeier. Eine Substanzbesteuerung zu Lasten der Landwirte lehnte er hingegen dezidiert ab.

Abgeordnete Rosemarie SCHÖNPASS (S) führte aus, der Grüne Bericht bringe klar zum Ausdruck, dass die Fördermittel im Agrarbereich ungleich verteilt seien. Große Betriebe mit viel Fläche erhielten viel Geld, kleine Betriebe hingegen nur wenig. Sie forderte daher eine Umstellung des Fördersystems mit einer verstärkten Berücksichtigung des Arbeitsaufwandes.

Abgeordneter Jakob AUER (V) räumte ein, dass täglich in Österreich eine bestimmte Zahl von landwirtschaftlichen Betrieben zusperre. Er führt diesen Umstand jedoch nicht auf die österreichische Landwirtschaftspolitik zurück. Dass große landwirtschaftliche Betriebe mehr Fördergelder erhalten als kleine, ist für ihn selbstverständlich, das sei auch in anderen Bereichen der Wirtschaft nicht anders. Man solle stolz sein, auf die Leistungen der österreichischen Bäuerinnen und Bauern, forderte Auer.

Abgeordneter Harald JANNACH (F) äußerte sich verwundert darüber, dass kein einziger ÖVP-Abgeordneter im Rahmen der heutigen Diskussion die Arbeit des zurückgetretenen Bauernbund-Obmanns Fritz Grillitsch gewürdigt hat. Wie man Grillitsch behandelt habe, sei menschenverachtend, meinte er.

Den Grünen Bericht wird die FPÖ, wie Jannach ankündigte, ablehnen. Der Bericht gehe mit keinem Wort auf wichtige Themen, wie notwendige Reaktionen auf den Strukturwandel in der Landwirtschaft, die Preisentwicklung für landwirtschaftliche Produkte, die endlose Diskussion um die Lebensmittelkennzeichnung und Konsequenzen für die Bauern durch das Auslaufen der Milchquote, ein, kritisierte er. Er drängte außerdem auf Förderobergrenzen für landwirtschaftliche Betriebe. Ein von Jannach eingebrachter Entschließungsantrag zielt auf eine Novellierung des Führerscheingesetzes ab: LandwirtInnen sollten wieder von der Pflicht zur Führerscheinmitnahme bei Arbeiten im engeren Umkreis des Hofes entbunden werden.

Abgeordneter Kurt GASSNER (S) hielt fest, die "Krokodilstränen", die die FPÖ und das BZÖ Bauernbund-Obmann Grillitsch nachweinten, seien "mehr als eigenartig". Er selbst wünschte Grillitsch baldige und gute Genesung, sollte er gesundheitlich angeschlagen sein. Über den Entschließungsantrag der Grünen und den Entschließungsantrag der FPÖ will Gaßner, wie er sagte, in weiterer Folge Gespräche führen, für die heutige Abstimmung kündigte er allerdings eine Ablehnung von Seiten der SPÖ an. Im Grünen Bericht vermisst Gassner Informationen darüber, was mit den Empfehlungen der "§7-Kommission" geschieht.

Abgeordneter Wolfgang PIRKLHUBER (G) warb in einer zweiten Wortmeldung nochmals für den Entschließungsantrag seiner Fraktion betreffend Kennzeichnungspflicht für verarbeitete Eier. Die Annahme des Antrags könnte Landwirtschaftsminister Berlakovich in Brüssel den Rücken stärken, betonte er. Die Grünen werden auch den Entschließungsantrag des BZÖ betreffend Führerscheinmitnahmepflicht unterstützen, kündigte Pirklhuber an.

Der Grüne Bericht 2011 wurde vom Nationalrat mehrheitlich zur Kenntnis genommen.

Der Entschließungsantrag der Grünen betreffend Kennzeichnungspflicht für verarbeitete Eier blieb in der Minderheit. Auch der Entschließungsantrag der FPÖ betreffend Führerscheinmitnahmepflicht fand keine Mehrheit: In namentlicher Abstimmung votierten 58 Abgeordnete für und 100 Abgeordnete dagegen.

(Fortsetzung Nationalrat)