Parlamentskorrespondenz Nr. 143 vom 01.03.2012

Frühkindliche Pädagogik braucht mehr Aufmerksamkeit der Politik

Spezialdebatte des Sonderausschusses zum Bildungsvolksbegehren

Wien (PK) – Im zweiten Teil seiner heutigen Sitzung widmete sich der Besondere Ausschuss zur Vorberatung des Volksbegehrens Bildungsinitiative dem Thema Vorschulische Einrichtungen und Frühpädagogik. Die Diskussion von ExpertInnen und Abgeordneten drehten sich um Fragen der gemeinsamen akademischen Ausbildung der PädagogInnen, der Qualitätssicherung und der angemessenen Bezahlung der Leistungen, die in diesem gesellschaftlich enorm wichtigen Bereich erbracht werden. Alle diese Aspekte müssen beachtet werden, um der frühkindlichen Pädagogik jene Wertschätzung in der Gesellschaft zu geben, die ihr zusteht, da sie das Fundament für die spätere Bildungskarriere legt, wie betont wurde. Man müsse daher auch von dem Begriff der "Betreuungseinrichtung" wegkommen, um die Einrichtungen des vorschulischen Bereichs als Bildungseinrichtung zu verstehen und entsprechend zu schätzen. Dafür müssen aber auch mehr Ressourcen, sowohl personell als auch finanziell, mobilisiert werden. Das sei auch deshalb wichtig und mache sich bezahlt, weil alle Versäumnisse in diesem Bereich sich später als weit höhere Kosten für die Gesellschaft niederschlagen, so der allgemeine Tenor.

Es bestehe dabei eine Reihe von Problemen, in denen das Handeln der Politik gefragt sei, wurde festgestellt. So gebe es Schnittstellenproblematiken zwischen Elternhaus und pädagogischen Einrichtungen, sowie beim Übergang vom Kindergarten zur Volksschule. Ein breiter Konsens zeichnete sich auch hinsichtlich der Notwendigkeit ab, die Kompetenzzersplitterung, welche in Österreich besteht, zur Umsetzung der festgestellten Aufgaben zu beenden. Der Bund werde daher eine klare Zuständigkeit in den Bereichen Ausbildung, Qualitätssicherung sowie Dienst- und Besoldungsrecht brauchen.

Die Bedeutung der Frühförderung muss gewürdigt werden

Bernd Schilcher legte in seinem Statement ein Plädoyer für Frühförderung ab. Ihr Stellenwert werde in Österreich leider noch nicht überall ausreichend erkannt und deshalb die Notwendigkeit einer akademischen Ausbildung für FrühpädagogInnen noch nicht überall akzeptiert. Er hob hervor, dass die frühpädagogischen Einrichtungen wesentlicher Faktor der Sprachförderung und damit zentral für die spätere Bildungskarriere, insbesondere auch von Kindern mit Migrationshintergrund, sind. Es sei durch Studien erwiesen, dass die Gesamtschule sich positiv auf den Lernerfolg auswirke und das Modell der Ganztagsschule dabei zu bevorzugen sei. Österreich habe das große Problem von jährlich rund 9.000 Jugendlichen, die ohne formalen Abschluss von der Schule abgehen. Man müsse bedenken, dass die Reparatur von Versäumnissen in diesem Bereich später sehr teuer komme. Der Föderalismus stelle in Österreich leider ein großes Hindernis im Bereich der Bildungspolitik dar, stellte Schilcher fest, da er eine enorme Kompetenzzersplitterung verursache. 

Heidemarie Lex-Nalis (Plattform EduCare)  konzentrierte sich auf den Status der FrühpädagogInnen, der dringend anzuheben sei. Aus dem gesellschaftlichen Unverständnis für ihre Bedeutung resultiere, dass die KindergartenpädagogInnen die niedrigste Ausbildung und die niedrigsten Gehälter des gesamten Bildungsbereichs hätten und dass auf die Kindergärten der kleinste Anteil am Bildungsbudget entfalle. Die Ziele des verpflichtenden Kindergartenjahres und des bereits bestehenden Bildungs-Rahmenplans seien aber ohne eine bundesweite Koordination nicht umsetzbar.

Siegmund Stemer (Amt der Vorarlberger Landesregierung) plädierte dafür, die Eltern stärker in die Frühpädagogik einzubeziehen. Man müsse in den Bildungseinrichtungen weg vom Prinzip einer Negativauslese hin zu einer Orientierung an Stärken und Potenzialen der Kinder kommen. Eine besondere Schnittstellenproblematik ortete Stemer im Bereich des Übergangs von den Kindergärten zur Volksschule.

Gerhild Hubmann (Amt der Kärntner Landesregierung) sagte, in der Frage der akademischen Ausbildung aller PädagogInnen brauche man ein schrittweises Vorgehen. Sie sei sicher erstrebenswert, aber nicht sofort für alle umsetzbar. Wichtig sei es, die Kindergärten als erste Bildungseinrichtungen zu verstehen, in denen die Sprachförderung einen Schwerpunkt bildet.

Raphaela Keller (Vorsitzender der Berufsgruppe von Kindergarten und HortpädagogInnen Wien) betonte, Bildung müsse als Bestandteil des ganzen Lebens begriffen werden. Elementare Bildungseinrichtungen solle man besser nicht als "vorschulisch" bezeichnen, da sie nicht nur auf die Schule vorbereiten. Sie seien mehr als bloße Betreuungseinrichtungen. Der gesamte Bildungsbereich – auch der so genannte "außerschulische" - müsse in ein Gesamtkonzept Bildung einbezogen werden. Dafür wäre ein eigenes Ministerium für Bildung notwendig. Investitionen in die elementaren Bildungseinrichtungen lohnen sich für die Gesellschaft später vielfach, appellierte sie.

Elfriede Wegricht (Institut für Begabungsdiagnostik und Begabtenförderung) hob die Bedeutung der Einstellung der Eltern ihren Kindern gegenüber hervor. Diese bereite den Boden für spätere Bildungserfolge. Wichtig für den Erwerb der Empathiefähigkeit und sozialer Kompetenz sei ein beständiges Gegenüber für das Kind. Im allgemeinen werde das die Mutter bieten. Daher sei eine entsprechende Ausbildung auch der Eltern grundlegend wichtig. Pädagogik müsse auf Herstellung einer angstfreie Umgebung, in der Kinder ihre Talente und Potenziale erforschen können, abzielen.

Schmied: Pädagogische Einrichtungen müssen ausgleichend wirken

Bundesministerin Claudia Schmied wies auf die Rolle der Familie hin, wobei das Elternhaus die Bildungskarriere in Österreich immer noch stark vorausbestimme. Hier müssen pädagogische Einrichtungen ausgleichend wirken. Bildung verstehe sie sowohl als Bildung im humanistischen Sinn als auch als Ausbildung. Auch die Kindergärten müssten dabei schon als Bildungseinrichtungen verstanden werden. Was könne nun Bildungspolitik dazu beitragen, damit sie diese Aufgabe auch wahrnehmen können, fragte Schmied und nannte dazu fünf Punkte: eine ausreichende Anzahl der Betreuungsplätze, die gute Ausbildung der PädagogInnen, Qualitätssicherung, die Förderung einer wertschätzenden gesellschaftlichen Haltung und die Beachtung des Übergangs vom Kindergarten zur Volksschule. Hier sei festzuhalten, dass bereits einiges geschehen sei, das Platzangebot für die Vier- bis Sechsjährigen sei weitgehend flächendeckend vorhanden.

Wichtig werde es aber sein, dass die Vielfalt der Kinder als Chance begriffen und sprachliche Frühförderung stärker betont werde. Alles in allem habe eine tiefgreifende Modernisierung des Bildungssystems begonnen. Das Bildungsvolksbegehren habe bereits viel bewirkt, das müsse sich aber fortsetzen. Sie hoffe, dass im Bildungsbereich eine Kultur der Wertschätzung und des Gelingens sich etablieren lasse.

Auch Eltern brauchen Unterstützung

Ausschussobmann Elmar Mayer (S) eröffnete die Runde der Abgeordnetenbeiträge und verwies auf die Probleme, denen er in vielen Jahren der Tätigkeit als Pädagoge begegnet sei. Es zeige sich, dass die Defizite der Kinder, welche wenig gefördert werden, beim Übertritt in die Volksschule immer stärker werden. Die Entwicklung, die sich hier abzeichne, sei erschreckend, denn was im frühen Alter versäumt wurde, könne die Schule kaum mehr beheben.

Abgeordnete Gabriele Binder-Maier (S) meinte, sie habe sich überzeugen lassen, dass tatsächlich eine gemeinsame Ausbildung aller PädagogInnen erstrebenswert sei. Dabei dürfe aber ihrer Meinung nach der Praxisbezug nicht verloren gehen. Auch Eltern brauchten Unterstützung, die Phase der Schwangerschaft biete hier viele Ansatzmöglichkeiten. Der Schlüssel zu Änderungen liege letztlich bei der Neuregelung der Länderkompetenzen, hier müsse man ansetzen. 

Abgeordnete Katharina Cortolezis-Schlager (V) wies auf die Bedeutung entsprechender Einrichtungen für Frühpädagogik an Hochschulen hin, hier seien erste Ansätze gegeben. Über Grundlagenforschung und angewandter Forschung dürfe man die Familien nicht vergessen. Zur Qualitätssicherung meinte sie, es sollte möglich sein, eine solche flächendeckend einzurichten. Dazu gehöre auch das entsprechende Platzangebot für die Kinder, damit sie tatsächlich lernen und entdecken können, sowie gute Rahmenbedingungen für die PädagogInnen. Die Kindergärten müssten nah an den Kommunen und bei den Eltern angesiedelt sein, forderte sie. 

Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg (V) sprach das Thema Behinderung in Bildungseinrichtungen an. Kinder gingen mit Behinderung sehr selbstverständlich um. Die Integration sei daher ein wichtiger Punkt. Ein Problem stellen die Sonderschulen dar. Es zeige sich, dass die Zahl der SonderschülerInnen bisher nie gesunken sei. Der hohe Anteil an MigrantInnenkindern in diesen Schulen sei ein Hinweis darauf, dass dort offenbar nicht nur Kinder mit sonderpädagogischem Bedarf zu finden sind. Hier seien die Interessen derer, die dieses System erhalten wollen, offenbar stärker als die der Kinder, kritisierte der Abgeordnete. Es müsse hier unbedingt etwas geschehen.

Abgeordnete Daniela Musiol (G) stellte fest, es sei sicher positiv, dass im Ausschuss eine Aufbruchsstimmung herrsche. Sie hoffe aber, diese schlage sich auch in Ergebnissen nieder. Die Probleme selbst seien ja lange bekannt. So sei klar, dass die bestehende Zersplitterung endlich durch Einführung einer Bundeskompetenz überwunden werden müsse. Auch die gemeinsame akademische Ausbildung der PädagogInnen müsse Realität werden. Dazu müsse der Bund aber die entsprechenden Geldmittel einsetzen.

Abgeordnete Ursula Haubner (B) sah die Bedeutung der frühkindlichen Pädagogik außer Streit stehen. Die Fragen, die sich für sie stellen, betreffen die Einbindung der Eltern und die Elternbildung. In die Qualitätssicherung müssten auch die verschiedenen Angebote der Betreuung, wie Tageseltern, einbezogen werden. Ihre Fraktion spreche sich auch eindeutig für eine bundeseinheitliche Kompetenz aus.

Elementare Bildung erfordert einen größeren Anteil am Budget

Eine zweite Diskussionsrunde zum Thema "elementare Bildung" leitete Hannes Androsch als einer der Initiatoren des Volksbegehrens Bildungsinitiative ein, indem er Vorschläge wie eine Bildungsstiftung und das zweite verpflichtende Vorschuljahr ausdrücklich begrüßte. Die Frage der Finanzierung sei sicherlich lösbar, zeigte er sich überzeugt, wenn man die Effizienz der Verwaltung steigere. Hier sei viel Geld zu holen, das nur richtig eingesetzt werden müsse. Es sei jedenfalls wichtig, dass die gebündelte Expertise und der Impuls des Volksbegehrens zur Umsetzung der Vorschläge führe.

Heidemarie Lex-Nalis konstatierte, die Behebung der Kompetenzzersplitterung im Bereich der elementaren Bildung sei vorrangig. Vorschläge für die Umsetzung der Qualitätssicherung und der tertiären Ausbildung der FrühpädagogInnen liegen vor, sie müsse nur umgesetzt werden.

Siegmund Stemler verwies darauf, dass neueste Erkenntnisse die Gruppe der Vier- bis Achtjährigen als Einheit begreifen, in die aber der Übergang zur Volksschule als schwerwiegender Einschnitt falle. Für die PädagogInnen in diesem Bereich brauche man daher eine einheitliche Ausbildung und durchlässige Karrieremodelle.

Gerhild Hubmann merkte an, auch bei Akademisierung des Berufs müsse die praktische Pädagogik kindgerecht sein. Wichtig sei die Vereinfachung der Zuständigkeiten und Kompetenzen, damit PädagogInnen praktisch arbeiten können. 

Raphaela Keller meinte, eine höhere Bewertung der Arbeitsleistung der PädagogInnen müsse sich auch in einer besseren Bezahlung und der Möglichkeit zur Arbeit mit kleineren Gruppen niederschlagen. Letztlich müsse an einem kontinuierlich Bildungssystem für Kinder im Alter von 0-12 Jahren gearbeitet werden.

Elfriede Wegricht betonte, dass die gute Ausbildung der PädagogInnen natürlich nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten im Auge haben dürfe. Wichtig sei die Fähigkeit zur Empathie. Die Kenntnisse von Neuro- und Entwicklungspsychologie müssten praktisch umgesetzt werden. Für PädagogInnen wie Eltern brauche man dabei ein Angebot an Unterstützungen durch Fachleute.

Abgeordnete für Kompetenzänderungen im Bildungsbereich

Bundesministerin Claudia Schmied sprach die Punkte an, in denen der Bund konkret Möglichkeiten zur Umsetzung habe. Das sei zum einen die Weiterentwicklung der berufsbildenden höheren Schulen. Österreich habe hier ein einzigartiges System, das weiterentwickelt werden müsse. Derzeit seien die Lehrpläne der BMHS in Bearbeitung. Vor dem Sommer stehe auch die Novellierung des Sprachförderungsgesetzes an. Statt der ständigen Befristung sollte es hier endlich eine dauerhafte Lösung geben, vor allem in Hinblick darauf, dass die Migration und die daraus resultierende Sprachenvielfalt eine Tatsache sei, der man sich stellen und die man auch als Chance begreifen müsse.

Abgeordneter Josef Auer (S) gab der Hoffnung Ausdruck, dass die Umsetzung der Forderungen des Bildungsvolksbegehren erfolgreich sein werde. Der Boden sei aufbereitet, um ans Ziel zu gelangen, werde man auch finanzielle Mittel brauchen.

Abgeordnete Anna Franz (V) meinte, es sei zu hoffen, dass Lösungen gefunden werden, wie die angesprochene Schnittstellenprobleme gelöst und die verbesserte Wertschätzung der Frühpädagogik erreicht werden könne.

Abgeordneter Walter Rosenkranz (F) meinte, es zeige sich, dass es viele Gemeinsamkeiten gebe, die Frage werde sein, was man davon umsetzen könne. Es werde dabei unumgänglich sein, Änderungen bei den Kompetenzen der Landeshauptleute durchzusetzen.

Abgeordneter Harald Walser (G) zeigte sich erfreut über die sachliche Diskussion. Die erkannten Probleme müssten nun auch angegangen werden, ob es die bessere Bezahlung oder die Vereinheitlichung der Kompetenzen gehe. Hier seien klare Vorgaben des Gesetzgebers erforderlich. 

Abgeordneter Rainer Widmann (B) unterstrich, dass die Debatte die Bedeutung der Frühpädagogik und  die Notwendigkeit einer bundeseinheitliche Kompetenz klar herausgestellt habe. Er hoffe, dass die Regierung in Zusammenarbeit mit der Opposition den Worten auch Taten folgen lasse. (Schluss/Besonderer Ausschuss)


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