Parlamentskorrespondenz Nr. 392 vom 15.05.2012

Thema Fiskalpakt: Wie viel Sparen braucht Europa?

Aktuelle Europastunde im Nationalrat

Wien (PK) – Im Anschluss an die Debatte über Instrumente der Direkten Demokratie widmete sich der Nationalrat europapolitischen Themen, wobei die Ursachen für die aktuelle Entwicklung in Griechenland und die möglichen Konsequenzen für den Kurs zur Sanierung der Haushalte im Mittelpunkt standen. Das Thema dieser von den Grünen verlangten Aktuellen Europastunde lautete: "Nachhaltig investieren statt aus Europa einen Sparverein machen".

Van der Bellen: Mit Sparen kommt man nicht aus der Krise

Abgeordneter Alexander VAN DER BELLEN (G) stellte seine Ausführungen unter das Motto "Realismus statt Träumereien" und hielt es für einen Traum der EU, man könne mit Sparen aus der Krise kommen. Van der Bellen warnte davor, den Fiskalpakt abzusegnen, weil er dem Konzept "Schwäbische Hausfrau" folge, das zwar für einen Privathaushalt richtig sei, für Volkswirtschaften aber nicht funktioniere. Der Ökonom erklärte das Paradoxon der Sparsamkeit, den Teufelskreis des Sparens auf staatlicher Ebene, der in einer Rezession das Sozialprodukt verringere und die Schuldenquote selbst dann erhöhe, wenn es gelinge, das Haushaltsdefizit auf null zu reduzieren. Wie Sparpolitik die Schuldenquote erhöhe, zeige das Beispiel Griechenlands, sagte Van der Bellen und warnte vor dem Fiskalpakt, der dazu führen werde, dass immer mehr europäische Länder den Europäischen Stabilitätsmechanismus beanspruchen müssen, weil die Märkte angesichts steigender Schuldenquoten immer nervöser werden. "Will die SPÖ das mittragen?", fragte Van der Bellen.

Man müsse sich auch fragen, ob das Parlament mit einfacher Mehrheit einen Vertrag beschließen möchte, der vorsehe, dass nationale Budgets dem Europäischen Rat und der Kommission zur Genehmigung vorgelegt werden. Die SPÖ könne doch einem Fiskalpakt nicht zustimmen, der zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit und zur Entmachtung des Parlaments führt, bemerkte Abgeordneter Van der Bellen kritisch und schlug vor, die Entscheidung über den Fiskalpakt zumindest auf den Herbst zu verschieben.

Zum Thema Griechenland merkte Van der Bellen an, er behalte in diesem Fall ungern recht, erinnerte aber daran, dass die Grünen schon vor zwei Jahren darauf aufmerksam gemacht haben, dass dieses Land insolvent sei, nicht bloß illiquid. Auch die Gläubiger müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Situation in Griechenland mit einer Schuldenquote von bestenfalls 160 % bei einer Rezession um 7 % und einer Arbeitslosigkeit von 25 % aussichtslos sei.

Spindelegger: Aufschnüren des Fiskalpakts kommt nicht in Frage

Vizekanzler und Europaminister Michael SPINDELEGGER hielt gegenüber den Ausführungen seines Vorredners fest, auch ihm gehe es darum, nachhaltig zu investieren, zugleich müsse aber auch klug gespart werden. Man dürfe nicht ausblenden, dass die extreme Verschuldungspolitik mancher Länder die aktuelle Finanzkrise ausgelöst habe. Daher mussten Maßnahmen ergriffen werden, um eine Katastrophe in der Eurozone zu verhindern. Für ihn komme es nicht in Frage, den Fiskalpakt aufzuschnüren, sagte Spindelegger. Die Haushalte müssen auf eine solide Grundlage gestellt werden, was bedeute, dass gespart werden müsse. Österreich sei dabei auf dem richtigen Weg. Während Europa im ersten Halbjahr 2012 eine leichte Rezession von 0,3 % erwarte, könne Österreich mit einem Wachstum von 0,8 % rechnen. "Österreich ist gut, kann aber noch besser werden", sagte der Vizekanzler und zeigte sich angesichts nachlassender Spannungen auf den Finanzmärkten und ersten Erfolgen bei der Stabilisierung in der Eurozone optimistisch. "Wir sind noch nicht über den Berg, aber auf dem richtigen Weg", sagte Spindelegger.

Die EU setze in ihrer Strategie 2020 auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Förderung von Forschung & Entwicklung, Investitionen in den Klimaschutz, auf die Hebung des Bildungsniveaus und auf die Unterstützung der sozialen Eingliederung, berichtete der Minister. Diese Initiativen förderten das Wachstum. Österreich investiere bis 2016 6,4 Mrd. € in Hochschulen, Forschung & Entwicklung, in thermische Gebäudesanierung und in den Ausbau des Bildungssystems. Es gehe darum, klug zu sparen und richtig zu investieren, sagte der Vizekanzler.

Dazu komme der österreichische Vorschlag in der EU, einen KMU-Wachstums- und Innovationsfonds zu schaffen, der die Produktentwicklung in kleinen und mittleren Unternehmen unterstützt. Es gehe darum, mit vorhandenen Mitteln rasch unbürokratische Hilfe für wachstumsfördernde Investitionen zu leisten. Diese Vorschläge stoßen in der EU auf immer mehr Zustimmung, berichtete Spindelegger.

Cap: Österreichs Weg hat Modellcharakter

Abgeordneter Josef CAP (S) berichtete von der Rede des neuen französischen Staatspräsidenten Francois Hollande, der in seiner Antrittsrede wiederholt auf das Modell Österreich hingewiesen hat, das Wachstum aufweise, während Europa eine Rezession durchlaufe. Bundeskanzler Faymann sei nun kein einsamer Rufer in der Europäischen Union mehr, zeigte sich Josef Cap erleichtert und sprach die Erwartung auf französische Entscheidungen und die Hoffnung auf eine Wachstumspolitik in Europa aus. Dieselben Ratingagenturen, die vor kurzem noch auf Einsparungen gedrängt hätten, führt Cap weiters aus, kritisierten neuerdings die Sparpolitik des italienischen Ministerpräsidenten Monti. Die Kritik der Grünen im Titel der heutigen Europastunde sei daher durchaus berechtigt, hielt Cap fest. Österreich sah der SPÖ-Klubobmann Cap auf dem richtigen Kurs; die Haushaltskrise in Europa sei durch die Finanzkrise ausgelöst worden und nicht umgekehrt, merkte Cap zum Schluss einmal mehr an.

Kopf: Keine Fortsetzung der Schuldenpolitik

Abgeordneter Karlheinz KOPF (V) wies auf die Leistungskraft der europäischen Wirtschaft hin, der es gelungen sei, Wohlstand für diesen Kontinent zu schaffen. Ein Teil dieses Wohlstands sei aber durch Schulden - auf Kosten der Kinder - geschaffen worden, gab Kopf zu bedenken und warnte davor, diese ökonomisch und moralisch nicht gerechtfertigte Politik fortzusetzen. Der Vergleich Europas mit einem Sparverein treffe die Sache nicht, weil ein Sparverein Geld zusammentrage, während es in Europa darum gehe, Schulden abzutragen, um die Budgetspielräume der Mitgliedsländer wieder zu vergrößern. Da Österreich vom EU-Beitritt profitiert habe, könne man auch von Österreich Solidarität verlangen. Man könne aber verlangen, dass die Sparvorgaben bei Finanzhilfen eingehalten und kontrolliert werden. Daher gebe es keine Alternative zum Fiskalpakt. "Wir denken nicht daran, den Fiskalpakt aufzuschnüren," sagte der Klubobmann der ÖVP.

Dass der Wohlstand in Europa nicht nur mit Sparen gesichert werden könne, sei selbstverständlich. Es brauche auch eine Wachstumsstrategie und Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Europas. "Wir müssen sowohl Sparen als auch gezielt investieren", schloss Karlheinz Kopf.

Hübner: Fiskalpakt ist nicht hinnehmbarer Eingriff in nationale Finanzhoheit

Aus Sicht des Abgeordneten Johannes HÜBNER (F) tätigt die EU mit dem Fiskalpakt einen "nicht hinnehmbaren" Eingriff in die nationale Finanzhoheit, obwohl auf EU-Ebene mit Finanzhilfen für Griechenland bereits eine Fehlentscheidung getroffen worden sei. Europa mit einem "Sparverein" in Verbindung zu bringen, wie die Grünen es in dem Titel der von ihnen verlangten Aktuellen Europastunde getan hatten, hielt Hübner für unrichtig, da die europäischen Sparprogramme auf ein Einbremsen des Verschuldungstempos und nicht, wie in Sparvereinen üblich, auf die Einzahlung finanzieller Überschüsse abzielen würden. Weder das Aufblähen der Staatsverschuldung noch das Stopfen finanzieller Löcher anderer EU-Staaten durch Mitgliedsländer mit Überschüssen in ihren Haushalten wertete der F-Mandatar als gangbare Alternativen zur europäischen Sparpolitik. Vielmehr forderte er die österreichische Regierung auf, unnötige Subventionen zu streichen, Kürzungen an der Bürokratie sowie am Ausmaß der Verordnungen und Gesetze vorzunehmen.

Kogler: EU hat ein Demokratieproblem

Abgeordneter Werner KOGLER (G)stellte die Frage zur Haltung der sozialdemokratischen Fraktion bezüglich des Fiskalpakts in den Raum und erinnerte die MandatarInnen im Plenum an ihre europapolitische Verantwortung bei politischen Entscheidungen. Immerhin müsse der Fiskalpakt erst im Parlament ratifiziert werden. Die EU habe ein Demokratieproblem, konstatierte Kogler und spezifisierte dies mit der eingeschränkten Budgethoheit der nationalen Parlamente in Zusammenhang mit der europäischen Finanzpolitik. Bei Treffen der RegierungschefInnen würden Beschlüsse gefasst, die ohne Mitsprache der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments in den Nationalstaaten umgesetzt werden sollten, kritisierte Kogler scharf und zitierte den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble, der gemeint hatte, nationale Wahlen könnten die Gültigkeit des Finanzpaktes nicht beeinträchtigen.

Bucher: Haushaltssituation ist auf Hilfspakete für Banken zurückzuführen

Sparvereine in Österreich hätten strengere Regeln als die EU, zeigte sich Abgeordneter Josef BUCHER (B) überzeugt. Die in solchen Vereinen üblichen Mitbestimmungsregeln, den wirtschaftlichen Umgang mit Geld und die Einhaltung von Vereinbarungen könne er auf europäischer Ebene nicht ausmachen. Vizekanzler Spindeleggers Vorschlag, Wachstumsfonds einzurichten, hielt Bucher besonders für Klein- und Mittelbetriebe für sinnvoll und appellierte an den Außenminister, dieses Ansinnen auch bei den Verhandlungen in Brüssel durchzusetzen. Angesichts der stockenden Gespräche zur Finanztransaktionssteuer habe er jedoch seine Zweifel, so der B-Abgeordnete, ob die Äußerungen österreichischer Regierungsmitglieder im Parlament auch tatsächlich umgesetzt würden. Bucher führte die derzeitige angespannte Haushaltssituation vorrangig auf die Hilfspakete für Banken wie die Kommunalkredit zurück, für die Milliarden an Steuergeldern aufgebracht wurden.

Sparpolitik ein Widerspruch zu Wachstumspolitik?

Abgeordneter Wolfgang KATZIAN (S) beschrieb die Deregulierung der Finanzmärkte als Ursache für die Finanz- und Schuldenkrise in Europa. Er bekannte sich dazu, dass für Investitionen getätigte Schulden auch wieder zurückgezahlt werden müssen, verlangte jedoch eine Diskussion in Bezug auf das Tempo des Schuldenabbaus. Die "Austeritätspolitik" in der EU schaffe nur neue Probleme wie Wachstumseinbruch und steigende Arbeitslosigkeit. Die letzten Wahlergebnisse in Griechenland, Frankreich und in deutschen Bundesländern hätten aufgezeigt, dass zusätzliche Wachstumsinitiativen notwendig sind, vermerkte Katzian und plädierte für verbindliche Programme zur Stärkung des Wirtschaftswachstums anstatt weiterer Lohnkürzungen und Deregulierungen. Als "Skandal" beschrieb der S-Mandatar das Ansteigen der Arbeitslosigkeit im EU-Schnitt auf 20 %. Im Sinne der sozialen Gerechtigkeit und für die Zukunft der Jugendlichen müsse in Zusammenhang mit dem Fiskalpakt genügend Spielraum für Wachstums- und Beschäftigungspolitik geschaffen werden.

Europa befinde sich in einem globalen Wettbewerb, erinnerte Abgeordneter Reinhold LOPATKA (V), und nur mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft könnten die österreichischen Leistungen im Gesundheits- und Bildungsbereich beibehalten werden. Viele Mitgliedsstaaten der EU haben Lopatka zufolge auf Grund ihres "Schuldenrucksacks" drastische Probleme, die Sollzinsen am Markt zu bezahlen. Die österreichische Sparpolitik biete ein gutes Beispiel für andere Länder zur Bekämpfung der Staatsschulden, da das heimische Wirtschaftswachstum durch die Sparmaßnahmen nicht zum Erliegen gekommen, die Kaufkraft erhalten und die Inflation verhindert worden sei. Allerdings, gab der V-Mandatar zu bedenken, dürfe man die Augen nicht davor verschließen, dass die Schuldenproblematik heute vor allem in westeuropäischen Ländern zu finden ist, wie er anhand einer Studie der Weltbank dokumentierte. Die BRIC-Staaten, China oder die Türkei hätten dagegen zweistelliges Wirtschaftswachstum zu verzeichnen. Eine zukunftsorientierte Politik müsse darauf achten, nicht für den Zinsendienst am meisten auszugeben sondern Investitionen etwa in die Bildung zu forcieren; für Lopatka stellte daher das Festhalten an der Sparpolitik keinen Widerspruch zum Generieren von Wachstum dar.

Trotz Sparmaßnahmen und Belastungspakete würden Österreichs Schulden weiterhin steigen, vermutete Abgeordneter Martin STRUTZ (F), solange nämlich heimisches Geld zur Rettung defizitärer EU-Staaten zugeschossen würde. Strutz monierte zudem, dass die Regierung vor einem Jahr versprochen hatte, das an Griechenland geliehene Geld sei ein gutes Geschäft für Österreich. Diese Aussage habe sich als falsch erwiesen, vielmehr sehe er nun das Friedensprojekt Europa in Gefahr, da sich zahlende Staaten und Empfängerländer im Streit über die Kreditzahlungen befinden würden. Der Fiskalpakt sei ebenfalls nicht im Interesse der ÖsterreicherInnen, so Strutz, der bekrittelte, dass durch den Gouverneursrat der FinanzministerInnen unbeschränkte Geschäfte über den EURO-Rettungsschirm ohne parlamentarischer Kontrolle abgeschlossen werden können. Strutz ortete dabei einen Eingriff in die österreichische Verfassung, der gemäß dem Versprechen des Bundeskanzlers eine Volksbefragung nach sich ziehen müsste.

Sparen schaffe kein Wachstum, keine Beschäftigung und führe nicht aus der Krise, unterstrich Abgeordnete Birgit SCHATZ (G) und bemängelte, dass die Regierung dennoch am Fiskalpakt festhalte. Bezugnehmend auf den US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Joseph E. Stiglitz und andere ExpertInnen bekräftigte Schatz, dass ein harter Sparkurs den Abschwung verstärke und eine Ursache für hohe Jugendarbeitslosigkeit sei. Oftmals geforderte "Strukturreformen" dürften nicht zur Problemlösung herangezogen werden, käme damit doch eine Deregulierung der sozialen Strukturen daher. Investitionen seien beispielsweise für eine Energiewende, für Bildungs- und Weiterbildungsausgaben sowie als Maßnahme gegen sozialen Unfrieden notwendig. Die G-Abgeordnete machte sich einmal mehr für die Finanztransaktionssteuer stark und sah auch in der stärkeren Besteuerung von Höchsteinkommen eine Möglichkeit zusätzlicher Einnahmen.

Abgeordneter Herbert SCHEIBNER (B) befand, zu Unrecht habe die Regierung die Mahnungen des BZÖ bezüglich der Hilfszahlungen an Griechenland kritisiert. Tatsächlich würden die geliehenen Mittel nie wieder zurückkommen, da ein Land, das sein strukturelles Defizit nicht abbauen kann, kaum seine Schulden zahlen könne. In Griechenland würden Einkommen gekürzt, Förderungen und die kostenlose Schule gestrichen und Abstriche im Gesundheitssektor gemacht – angesichts dieser Einschnitte sei eine Kreditgewährung nicht angeraten gewesen. Scheibner machte den ursprünglichen Fehler bei der Einrichtung der Eurozone im Jahr 1999 aus, als ohne große Überprüfungskriterien möglichst viele Länder motiviert worden waren, dieses "Prestigeprojekt" mitzutragen. Hinsichtlich der Finanzlage Österreichs schlug der Redner vor, bei der Bürokratie einzusparen und die Kompetenzverteilung zu bereinigen, um nachhaltiges Wachstum und Schuldenabbau zu gewährleisten.

Die permanenten Erhöhung von Schulden in ganz Europa definierte Abgeordneter Robert LUGAR (o.F.)als die Grundproblematik der derzeitigen Krise. Er plädierte daher dafür, in Zukunft weniger Schulden zu machen, es gebe keine Alternative dazu. Immerhin drehe es sich bei den Gläubigern der Staatsschulden um einfache SparerInnen und Pensionsfonds, also um Menschen, die erwarteten, ihr Geld zurückzuerhalten. Mit Griechenland habe er nur bedingt Mitleid, meinte Lugar, sei dieses Land doch in der Vergangenheit auf Basis des geborgten Geldes zu großem Wohlstand gekommen. Österreich müsse angesichts dieses Beispiels von der Strategie, mehr Schulden zu machen, als Wirtschaftsleistung generiert wird, abgehen.

(Schluss Aktuelle Europastunde/Fortsetzung Nationalrat)