Parlamentskorrespondenz Nr. 418 vom 22.05.2012

Gedenkveranstaltung für vertriebene Frauen im Palais Epstein

Martin Graf erinnert an Leiden und Leistungen der Heimatvertriebenen

Wien (PK) - "Schicksalswege vertriebener Frauen" war das Thema einer Veranstaltung, zu der der Dritte Präsident des Nationalrates, Martin Graf, heute Nachmittag in das Palais Epstein einlud und prominente Gäste aus Politik und Kultur sowie zahlreiche Vertreter von Vertriebenenorganisationen begrüßte. Das Gedenken galt den Frauen der altösterreichischen Minderheiten in Ost- und Südosteuropa, für die am Ende des Zweiten Weltkriegs nicht der Friede, sondern neue schreckliche Leiden begannen: Vertreibung und Flucht vor systematischer Liquidierung, Internierungslager, Demütigungen, Schläge, Vergewaltigungen. Martin Graf gedachte des Leidens dieser Frauen und der Hunderttausenden, die ermordet wurden oder auf Todesmärschen an Erschöpfung starben. Da viele Männer gefallen oder in Kriegsgefangenschaft waren, mussten vielfach die Frauen ihre Familien zusammenhalten und ihre Kraft einsetzten, um die rettende Grenze zu erreichen. Obwohl die Österreicher, deren Land selbst in Trümmern lag, keine große Freude mit den Neuankömmlingen hatten, packten die Heimatvertriebenen kräftig an und trugen wesentlich zum Wirtschaftsaufschwung bei, führte Martin Graf aus. Es gelte die Geschichte von Flucht und Vertreibung aus der Perspektive der Frauen zu betrachten und aufzuarbeiten. Das ist das Ziel des Buches "Frauen während der Vertreibung", das im Rahmen der Veranstaltung im Palais Epstein präsentiert wurde.

Wie schwer es für die vertriebenen Frauen war, über ihre furchtbaren Erlebnisse zu erzählen, berichtete die Vertriebenensprecherin des BZÖ, Abgeordnete Elisabeth Kaufmann-Bruckberger. Teils aus seelischem Selbstschutz, teils aus Furcht, man würde ihnen nicht glauben, was sie erfahren mussten, verzichteten viele der vertriebenen Frauen darauf, sich über ihre Erfahrungen zu äußern. Man könne die Vertreibungen und all die grausamen Geschehnisse nicht rückgängig machen, sagte die Abgeordnete, man habe aber die Verpflichtung, den heutigen Generationen über die Verbrechen an den Vertriebenen zu berichten, sagte Elisabeth Kaufmann-Bruckberger.

Abgeordnete Anneliese Kitzmüller (FPÖ) erinnerte als Vertriebenensprecherin ihrer Partei über die Leistungen der Frauen, die sich am Ende des Zweiten Weltkriegs oft alleine um die Kinder und alten oder gebrechlichen Familienmitglieder kümmern mussten, weil die Männer gefallen oder in Kriegsgefangenschaft waren. Oft waren die Frauen die ersten Opfer von Vertreibungen oder jahrelanger Zwangsarbeit und konnten auf der Flucht meist nicht mehr retten als das blanke Leben. Dennoch haben die Überlebenden dieser tapferen Frauen nicht resigniert, sondern ihre Ärmel hochgekrempelt und begonnen, ihre schwer geprüfte Heimat Österreich zu einem lebenswerten Land zu machen.

Stellvertretend für alle vertriebenen Frauen ehrte Annelise Kitzmüller Irmela Wichmann, die als zweijähriges Mädchen im Jänner 1945 mit ihrer Mutter aus Polen vertrieben wurde und nach einer gefahrvollen Flucht in Nordrhein-Westfalen Zuflucht fand. Gerhard Zeihsel, der Obmann der Sudetendeutschen Landsmannschaften Österreichs überreichte Irmela Wichmann, die heute in Wien lebt, die goldene "Vertriebenennadel".

Vertriebene Frauen schildern ihre traumatischen Erfahrungen    

Ihre dramatischen Erlebnisse auf der Flucht aus dem Osten und die schwierige Zeit ihrer Kindheit im Nachkriegsdeutschland hat Irmela Wichmann in ihrem Beitrag zu dem neu erschienen Sammelband "Frauen während der Vertreibung" geschildert, der – herausgegeben von Anneliese Kitzmüller und Martin Graf – heute im Palais Epstein präsentiert wurde. Das 219 Seiten umfassende Buch enthält 17 Beiträge zur Geschichte von Flucht und Vertreibung aus der Perspektive von Frauen.

Zu den Autorinnen zählen auch Ulrike Tumberger, die Obfrau des Vereins der Landsleute aus Brünn und Umgebung ("Bruna Wien") und Waltraud Böhm – sie wurde bei der Veranstaltung von ihrer Tochter Elisabeth vertreten -, die über den "Brünner Todesmarsch" schrieben. Unter diesem Begriff ist die brutale Vertreibung von 20.000 bis 40.000 Frauen, Kindern und alten Menschen aus Brünn in die Geschichte eingegangen. Während ihre Männer meist in Kriegsgefangenschaft oder interniert waren, wurden die deutsch sprechenden Frauen am 31. Mai 1945 aus der Stadt in Richtung österreichische Grenze vertrieben. Den Strapazen auf dem Marsch und während einer zwischenzeitlichen Internierung, der Hitze und der schlechten Versorgung waren Tausende nicht gewachsen, sie fielen Hunger, Erschöpfung und Krankheiten zum Opfer. Über das Schicksal der Vertriebene aus der Sicht der Familien sprach die Tochter von Ulrike Tumberger, Christiane Tumberger.  

Schließlich kam die 1943 in der Batschka geborene Autorin Rosa Speidel zu Wort. Sie wurde als zweijähriges Kind mit ihren beiden Großmüttern in einem jugoslawischen Lager interniert und lernte ihre jahrelang nach Russland verschleppte Mutter erst mit neun Jahren kennen. Die Verfasserin mehrerer Bücher zum Thema "Vertreibung"  schilderte die unvorstellbar grausamen Demütigungen, die sie selbst im Lager erlitt und mitansehen musste und machte die Traumata verständlich, die, wie man in ihrem Beitrag liest, ein Leben lang nicht heilen und sie dazu zwingen, sich ihr Leid immer wieder von der Seele zu schreiben.

Durch das Programm führte als Moderator Alexander Höferl, für die vom Publikum mit viel Beifall bedachte musikalische Begleitung der Gedenkstunde sorgte der "Club der jungen Donauschwaben". (Schluss)

Bilder von dieser Veranstaltung sehen sie auf der Parlamentshomepage im Fotoalbum.