Parlamentskorrespondenz Nr. 681 vom 14.09.2012

Staatsfinanzen 2011: Trendumkehr zur Konsolidierung?

Bericht des Staatsschuldenausschusses liegt vor

Wien (PK) - Die Staatsschulden Österreichs (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherung) stiegen 2011 trotz geringeren Defizits um 11,7 Mrd. € oder 5,7 % auf 217,4 Mrd. €. Von dieser Summe entfielen 87 % auf den Bund, 8 % auf die Länder, 4 % auf die Gemeinden (einschließlich Wien) und 1 % auf die Sozialversicherungen. Der Staat erzielte 2011 einen beinahe ausgeglichenen Primärsaldo (2011: –0,1 Mrd. €) und konnte seine operativen Ausgaben weitgehend mit Einnahmen decken. Die Verschuldungsquote Österreichs blieb mit 72,2 % des BIP (2010: 71,9 %) im internationalen Vergleich unter dem Wert der Euro-17 (88 % des BIP) sowie der EU-27 (83 % des BIP), lag aber erheblich über dem Maastricht-Referenzwert von 60 % des BIP. Diese Daten sind dem Bericht des Staatsschuldenausschusses über die öffentlichen Finanzen 2011 zu entnehmen (III-354 d.B.).  

Ausgaben zur Euro-Stabilisierung und Griechenlandhilfe waren für die Zunahme der Staatsschulden im Vorjahr mit maßgeblich. Sie erhöhten den Schuldenstand 2011 um 1,4 Mrd. €, dazu kam die höhere Vorlauffinanzierung von 1,9 Mrd. € des Bundes für 2012. Der Anteil der Auslandsschulden an der Finanzschuld des Gesamtstaates sank 2010 von 75,2 % auf 74,8 %. Die internationale Finanzkrise hat die Attraktivität inländischer Staatspapiere für österreichische Investoren gesteigert, beobachtete der Staatsschuldenausschuss. 

Finanzschuld des Bundes 2011

Die bereinigte Finanzschuld des Bundes erreichte 2011 183,2 Mrd. € oder 60,8 % des BIP. Der Anteil der Fremdwährungsschuld sank seit Ende 2010 von 2,2 % auf 1,4 % - die Staatsschuldenmanager reduzierten Verbindlichkeiten mit Fremdwährungsrisiko. Kredite des Bundes an die Bundesländer (Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Salzburg, Wien) stiegen 2011 um 1,3 Mrd. € auf 7,6 Mrd. €. Diese Finanzierungsform deckte 2011 etwas mehr als die Hälfte der gesamten Finanzschuld der Länder von 13,1 Mrd. € ab. Der Bund nutzte als primäre Finanzierungsquelle Euro-Bundesanleihen mit einer durchschnittlichen Laufzeit von 11,5 Jahren (2010: 10,7 Jahre). Derivate wurden 2011 kaum in Anspruch genommen.

Der Zinsendienst (einschließlich "sonstiger Aufwand") für die bereinigte Finanzschuld nahm 2011 wegen der niedrigeren Einnahmen bei Über-pari-Emissionen um 1,1 Mrd. € oder 18,8 % auf 6,81 Mrd. € zu. Gegenüber dem Bundesvoranschlag 2011 verzeichnete der Zinsendienst Minderausgaben von netto 0,88 Mrd. €. Für 2012 wurden für den Zinsendienst des Bundes 7,85 Mrd. € veranschlagt, wobei damit gerechnet wird, dass sich beim sonstigen Aufwand für die Finanzschuld der Überschuss (2011: +0,40 Mrd. €) in einen Abgang (2012: –0,16 Mrd. €) drehen könnte, da keine Über-pari-Emissionen erwartet werden. Bisherige Anleiheaufstockungen lassen aber einen geringeren Zinsaufwand erwarten.

Die Finanzschuldenmanager agierten 2011 auf schwierigem Terrain. Nach dem Steigen der Risikoprämien stuften Standard&Poor’s (S&P) im Jänner 2012 die Länderratings von neun Euro-Ländern (auch Österreich) ab. Bei anderen Ratingagenturen (u.a. Fitch und Moody´s) verfügt Österreich aber weiterhin über beste Bonität. Der Zinsabstand Österreichs zu Deutschland lag 2011 im Durchschnitt bei 65 Basispunkten, stieg bei 10-jährigen Anleihen im November 2011 auf fast 150 Basispunkte, sank dann wieder, betrug im Juni 2012 aber immer noch 88 Basispunkte. Im Euroraum waren 2011 nur die Aufschläge der Niederlande und Finnlands um etwa 40 Basispunkte niedriger als jene Österreichs (Euro-12-Durchschnitt: 401 Basispunkte).

Trendumkehr zur Konsolidierung?

Den Defizitabbau von 4,5 % des BIP (2010) auf 2,6 % des BIP (2011) interpretiert der Staatsschuldenausschuss als mögliche Trendumkehr in Richtung nachhaltige Konsolidierung. Das starke Wachstum von 3,1 % erleichterte den Defizitabbau und wurde von Konsolidierungsmaßnahmen kaum abgeschwächt – ÖkonomInnen beziffern den Bremseffekt mit lediglich 0,1 bis 0,3 Prozentpunkten.

Konsolidierung ist wegen der enorme Risikoaversion auf den Finanzmärkten und der Gefahr einer negativen Schuld-Zins-Spirale notwendig, schreibt der Staatsschuldenausschuss und warnt in diesem Zusammenhang vor einer Einengung des Budget-Spielraums. Den Finanzschuldenmanagern wird ein gutes Zeugnis ausgestellt. Sie haben 2011 das Refinanzierungsrisiko und die Zinssensitivität beachtet und das Schuldenportefeuille auf lange Duration mit hohen Fixzinskomponenten ausgerichtet, stellt der Staatsschuldenausschuss fest. Zusatzausgaben der Verschuldung werden derzeit durch das niedrige Marktzinsniveau gedämpft.

Die geplante Reduktion des strukturellen Budgetdefizits von 2012 bis 2016 beträgt gemäß aktuellem österreichischen Stabilitätsprogramm durchschnittlich 0,4 % des BIP. An dieser Stelle erinnert der Staatsschuldenausschuss an die Empfehlung des EU-Rates, den Haushalt 2012 plangemäß umzusetzen, darüber hinaus aber eine strukturelle Anpassung von 0,75 % des BIP pro Jahr bis 2013 zu erreichen.

Sonderthema: Gemeinden – Ausgliederungen – graue Finanzschulden

Das "Sonderthema" im diesjährigen Bericht des Staatsschuldenausschusses lautet "Ausgliederungen im Bereich der österreichischen Gemeinden: Umfang, Leistungsspektrum und Risikopotenziale". Der Bericht informiert über die Ergebnisse einer Studie zum Umfang und zur Struktur kommunaler Ausgliederungen sowie zum Risikopotenzial solcher Ausgliederungen ("graue Finanzschulden"). Die Ergebnisse bestätigen, dass die Kenngröße "Bruttoanlageinvestitionen des Staates" in Österreich zu kurz greift, weil Gemeinden aus budgetären Gründen Investitionen in Infrastruktur- und Immobiliengesellschaften ausgliedert haben. Solche Gemeindegesellschaften dürften – neben im Budget ausgewiesenen Betrieben mit marktbestimmter Tätigkeit – die Bereitstellung der kommunalen Infrastruktur großteils übernommen haben. Damit können Verbindlichkeiten für die Gemeinde durch (außerbudgetäre) Verschuldung der ausgegliederten Einheiten entstehen. Meist übernimmt die Gemeinde für das Fremdkapital der außerbudgetären Gesellschaft Haftungen, um die Finanzierungskonditionen zu verbessern. Ausgliederungen erhöhen tendenziell aber auch die operativen Risiken bei der Leistungserbringung (etwa durch komplexe Verträge sowie durch Beschränkung der Durchgriffsrechte der Gemeinde und Gemeindeaufsicht). Andererseits reagieren privatrechtlich organisierte Gesellschaften flexibler auf Marktentwicklungen und erhöhen Wettbewerb und Effizienz der Leistungserstellung, wird in der Studie festgehalten.

Ausgegliederte Infrastruktureinheiten mit dominierendem Gemeindeeinfluss stellen vorrangig öffentliche Güter bereit. Das außerbudgetäre Investitionsvolumen der Gemeindegesellschaften (ohne Wien) wird für 2010 auf 1,2 Mrd. € bis 1,6 Mrd. € geschätzt, was ungefähr dem öffentlichen Investitionsvolumen der Gemeinden (mit Wien) von 1,3 Mrd. € entspricht. Eine beachtliche Größe hat auch der außerbudgetäre Schuldenstand der Gemeinden erreicht, er wird (ohne Wien) für 2010 auf 4,6 Mrd. € geschätzt. Dazu kommen die Schulden der marktbestimmten Betriebe der Gemeinden, die (ohne Wien) Ende 2010 bereits 7,9 Mrd. € betrugen.

Mehr als die Hälfte der Gemeinden mit Ausgliederungen zählen zur Größenklasse von 500 bis 2.000 Einwohnern. Die Höhe der Verschuldung und der Investitionen wurde 2010 aber von großen Gemeinden und Städten mit über 50.000 Einwohnern geprägt, die bei der hochgerechneten Verschuldung einen Anteil von über 60% und bei den Investitionen von beinahe 50% aufwiesen. (Schluss)