Parlamentskorrespondenz Nr. 218 vom 18.03.2014

Datenlecks und bildungspolitischer Reformbedarf

Dringliche Anfrage der Grünen provoziert hitzige bildungspolitische Diskussion im Nationalrat

Wien (PK) – Harsche Kritik an Bildungsministerin Gabriele Heinisch Hoschek wegen des von ihr verhängten Stopps der Beteiligung an sämtlichen Testungen von Bildungsstandards im Zuge des Datenlecks hagelte es heute von den Grünen. Deren Bildungssprecher Harald Walser hat gemeinsam mit KlubkollegInnen die heutige Sondersitzung des Nationalrats genützt, um eine Dringliche Anfrage zu diesem Thema mit 55 Detailfragen einzubringen.

"Es gibt kein Datenleck beim BIFIE" (Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung im österreichischen Schulwesen) stellte Walser fest und unterstrich damit, dass die Grünen die von der Ministerin getroffenen Entscheidung für nicht nachvollziehbar halten. Ein Missbrauch der Daten könne erst dann erfolgen, wenn die Daten bereits vorhanden sind. Das sei im Fall der geplanten Tests nicht der Fall, weil die Digitalisierung der hierfür in Papierform vorliegenden gedruckten Testbögen aufgeschoben werden kann, argumentiert Walser. Die Grünen befürchten durch die Absage der Teilnahme an international bewährten Tests, insbesondere an PISA- und TIMMS-Erhebungen, einen nicht abzusehenden Schaden im internationalen Ansehen Österreichs wie auch für die nationale bildungsbezogene Forschung. Damit fehlten wesentliche Grundlagen für die Reformen des österreichischen Bildungssystems, begründen die Grünen ihre Kritik.

Wenig Verständnis für die Entscheidung der Ministerin zeigten auch die anderen Oppositionsparteien, und sogar die Bildungssprecherin der ÖVP Brigitte Jank wandte sich mit der Bitte an Heinisch-Hosek, die definitive Absage der Teilnahme an den Tests noch einer "vertiefenden Überprüfung" unterziehen zu wollen. Vielfach wurde seitens der Opposition der Verdacht geäußert, die Absage komme der Ministerin nicht ungelegen, da sie sich dadurch nicht mit eventuell schlechten Ergebnissen der Neuen Mittelschule auseinandersetzen müsse.

Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek verteidigte ihre Entscheidung. Sie habe verantwortungsvoll gehandelt, gehe es doch um personenbezogene Daten und um die Wiederherstellung des Vertrauens. Gleichzeitig versicherte sie, dass sich Österreich im Jahr 2018 wieder an der Testung beteiligen werde.

Vorstöße der Opposition zur Beteiligung an den Tests abgelehnt 

Im Sinne ihrer kritischen Betrachtung brachten Abgeordnete der Oppositionsparteien vier Entschließungsanträge ein, in denen sie sich grundsätzlich für die Durchführung der kommenden PISA-Tests aussprechen. Keiner dieser Anträge erhielt jedoch die erforderliche Mehrheit.

So traten die FPÖ-Abgeordneten Anneliese Kitzmüller, Wendelin Mölzer und Peter Wurm dafür ein, die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen, damit bei der PISA-Testung 2015 auch einzelne Bundesländer teilnehmen können. Harald Walser von den Grünen wiederum rief die Bildungsministerin auf, alle Maßnahmen zu treffen, um eine Teilnahme Österreichs an den OECD-Testungen PISA 2015 und TIMMS doch noch zu ermöglichen und damit eine internationale Blamage Österreichs zu verhindern.

Die beiden NEOS-Abgeordneten Matthias Strolz und Angelika Mlinar verlangten, mögliche Alternativangebote zum BIFIE zwecks Durchführung der PISA-Studie im Jahr 2015 einzuholen und in der Folge ein geeignetes Institut auszuwählen, sodass sicher gestellt werden kann, dass Österreich unter Berücksichtigung des von der OECD gewährten Aufschubs mit den Feldtestungen beginnen und 2015 an der PISA-Studie mit Schwerpunkt auf Naturwissenschaften teilnehmen kann.

Zur allgemeinen Bildungspolitik legten Robert Lugar, Kathrin Nachbaur und Martina Schenk vom Team Stronach einen Antrag vor. Dieser enthält die Forderung nach einer autonomen und schlanken Schulverwaltung ohne Politik. Sie wollen weiters Schuldirektoren als Manager, die von den Eltern gewählt werden und die auch das Lehrpersonal selbst aussuchen können. Schließlich treten sie für ein transparentes Bildungssystem mit klar differenzierten Bildungszielen und für eine Kontrolle von außen ein. 

Zweifel, ob die Ministerin dem BIFIE Weisungen erteilen kann

Die Grünen hegen auch große Zweifel daran, ob die Vorgangsweise der Ministerin rechtlich gedeckt ist, da das BIFIE eine eigenständige Einrichtung  mit drei Gremien – dem Direktorium, dem Aufsichtsrat und dem Beirat - ist. Das Arbeitsprogramm, zu dem die Durchführung der PISA-Studie zählt, werde in Dreijahresplänen fixiert. Die Bundesministerin für Bildung und Frauen habe laut Gesetz nur eine Aufsichtspflicht über das BIFIE. Sie sei nicht berechtigt, einen laufenden Dreijahresplan außer Kraft zu setzen. Das Direktorium dürfe daher eine Weisung von ihr nicht annehmen, erläuterte Walser die Auffassung der Grünen, die auch von den NEOS geteilt wurde.

Grüne kritisieren Krisenmanagement der Ministerin

In seiner Begründung für die Dringliche Anfrage kritisierte Harald Walser (G) insbesondere das Krisenmanagement der Bildungsministerin. Sie hätte Öl ins Feuer gegossen, die Hysterie tatkräftig unterstützt, die Beteiligten verunsichert und das BIFIE schlecht gemacht, obwohl beim BIFIE selbst kein Datenleck festgestellt werden konnte. Damit habe sie international und österreichweit Kopfschütteln erzeugt. Sogar der Datenschutzexperte Hans Zeger habe die Entscheidung als lächerlich qualifiziert, sagte Walser.

Walser unterstrich die Notwendigkeit der Testungen, zumal der erste PISA-Test im Jahr 2000 den BildungspolitikerInnen die Augen geöffnet habe, wie es um die Lesefähigkeit sowie um sprachliche, mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen stehe. Selbstverständlich gehe es nicht nur um Faktenwissen, räumte Walser ein, sondern um die Heranbildung eigenständiger und eigenverantwortlicher Menschen. Dass Jugendliche lesen, schreiben und rechnen können, sei selbstverständlich. Um Schwachstellen zu korrigieren und darauf Reformen aufbauen zu können, brauche man Fakten und Längsschnitte, stellte Walser fest und sprach in diesem Zusammenhang vor allem auch die Neue Mittelschule an, von deren Erfolg er sich wenig überzeugt zeigte. Da die Regierung Fakten verweigere, schiebe sie nur die Problematik hinaus und nehme jährlich rund 10.000 SchulabbrecherInnen in Kauf, die wiederum der Volkswirtschaft durch Sozialhilfe, Arbeitslosigkeit, Kriminalität etc. hohe Kosten verursachten.

Walser wiederholte seine Vorschläge für eine Neuordnung des BIFIE und sprach sich dafür aus, dessen Aufgaben zu teilen. Die Zertifizierung, wie etwa die Begleitung der Reifeprüfung, stelle eine hoheitliche Aufgabe dar, weshalb dafür ein eigenes Institut gegründete werden sollte. Beim BIFIE sollte nach Vorstellung der Grünen die Evaluierung bleiben, die Datenverwaltung sei extern zu vergeben.

Heinisch-Hosek: "Ich bin keine Verhinderin von Testungen"

Als nicht erfreulich bezeichnete Bildungsministerin Heinisch-Hosek die Tatsache, dass Österreich an internationalen Vergleichstestungen nicht teilnimmt. "Ich bin keine Verhinderin von Testungen", hielt sie dezidiert fest.

Da es um persönliche Daten gehe, habe sie sich aber veranlasst gesehen, schnell und verantwortungsvoll zu handeln. Der Stopp sei notwendig gewesen, weil bereits im kommenden April und Mai die Vortests stattfinden und es nicht gewährleistet sei, dass die Daten bis dahin sicher sind, erläuterte Heinisch-Hosek ihre Beweggründe. Das Problem dürfe nicht klein geredet werden, hielt sie mit Nachdruck fest und wies darauf hin, dass die Angelegenheit auch ideellen Schaden nach sich gezogen habe, nämlich einen Vertrauensverlust. Die Ministerin versicherte, dass man 2018 wieder teilnehmen werde, da sie sich selbstverständlich internationalen Vergleichen stellen wolle.

Testierungen seien ein gutes Instrument und eine notwendige Grundlage für weitere bildungspolitische Entscheidungen, sagte die Ministerin. Man verfüge auch im Inland über Daten und Studien, etwa durch Arbeiten an Universitäten oder durch Bundesländer, fügte sie hinzu. Sie wolle die aktuelle Debatte aber auch dafür nützen, die zahlreichen Tests zu überprüfen.

Heinisch-Hosek skizzierte kurz, dass sie auf der Grundlage bisheriger Testergebnisse Schwerpunkte beim Übergang vom Kindergarten in die Volksschule setzen wolle. Durch eine gezielte Förderung der sprachlichen und gesamthaften Entwicklung wolle sie den Übergang harmonisch gestalten und damit auch die Basis dafür legen, dass Jugendliche nach Beendigung der Schulpflicht nicht "verloren gehen".

Differenzierte Meinungen innerhalb der Koalition

Uneingeschränkt hinter die Ministerin stellte sich SPÖ-Abgeordneter Elmar Mayer. Auch er bedauerte die Absage, meinte aber  gleichzeitig, dass sich Eltern darauf verlassen können müssten, dass die Daten ihrer Kinder sicher sind. Daher sei die Vorgangsweise der Ministerin richtig gewesen. Mayer zeigte sich überzeugt davon, dass die Bildungsergebnisse weiter nach oben gehen werden. Der Bildungsdampfer bewege sich zwar langsam, aber stetig, sagte er und erinnerte an die zahlreichen Weichen, die in den letzten fünf Jahren gestellt wurden und die sich auch positiv auswirken würden. Der Vorstoß der Bildungsministerin, in der Volksschule von Ziffernnoten abgehen zu wollen, fand seine volle Unterstützung, denn man wisse seit Jahren, dass der Notendruck hoch und die Notengebung ungerecht seien. Dadurch komme es zu einer selektiven Auslese, womit die Ungerechtigkeit durch die unterschiedliche Herkunft noch verstärkt werde. Er begrüßte auch die Bemühungen um einen harmonischen Übergang vom Kindergarten zur Volksschule und bekräftigte das Ziel der Ministerin, die Schulautonomie zu stärken und Bildungsziele festzulegen.

Leise Kritik an der Entscheidung der Ministerin kam jedoch vom Koalitionspartner. Brigitte Jank (V) sprach sich dafür aus, die definitive Absage nochmals zu überdenken. Die Entscheidung sei keine angenehme gewesen und das Aussetzen der Beteiligung an den Tests hat ihrer Ansicht nach schwerwiegende Folgen. Man werde für den nationalen Bildungsbericht keine zusammenfassenden Daten haben, befürchtete sie, und man werde erst am Ende der Gesetzgebungsperiode erfahren, wo die Kinder und Jugendlichen tatsächlich in den Bereichen Lesen, Schreiben, Rechnen und Naturwissenschaften stehen. Der Wettbewerb sei auch an der Schule notwendig und wichtig, betonte Jank, und die Tests seien ein positiver Wettbewerb. Als besonders schmerzvoll empfindet Jank den Ausfall der Tests in Hinblick auf die naturwissenschaftlichen Fächer, denn genau dort lägen die beruflichen und unternehmerischen Chancen. Jank begrüßte jedoch, dass die Zentralmatura nun in der vorgesehenen Form stattfindet. Allgemein meinte sie, dass die Berufs- und Bildungswegorientierung ein wesentlicher Teil der Bildung sein müsse, gleichzeitig stellte sie fest, die Schule könne nicht alle Aufgaben bewältigen und Defizite von bildungsfernen oder ökonomisch benachteiligten Schichten ausgleichen. Dazu bedürfe es zusätzlicher Unterstützung.

Grüne, NEOS und FPÖ überzeugt, dass Alternativen zum Aussetzen der Tests möglich wären

Die Kritik von Abgeordnetem Harald Walser wurde von dessen Klubkollegen Dieter Brosz (G) vollinhaltlich geteilt. Die Entscheidung sei überzogen und verfrüht erfolgt, so der Abgeordnete. PISA habe wesentliche Erkenntnisse geliefert, sagte er, und eine Reformdebatte ausgelöst. Es sei unverständlich, dass man von Dezember 2013 bis Mai 2014 keine Lösung für die mangelnde Datensicherheit findet. Für die tatsächlichen Tests im Jahr 2015 habe man eineinhalb Jahre Zeit, und er könne nicht glauben, dass es keine Alternative gegeben habe. Brosz folgerte daraus, dass die Absage der Beteiligung an den Tests der Bildungsministerin nicht ganz ungelegen komme, nachdem die Daten der Neuen Mittelschule explizit schlecht seien. Brosz gab jedoch der Ministerin recht, dass es derzeit zu viele Tests gibt, aber das habe nichts mit PISA zu tun, konstatierte er.

Ähnlich argumentierte Matthias Strolz von den NEOS. Es könne nicht sein, dass es nicht gelingt, innerhalb von vier Monaten ein EDV-Problem zu lösen und dass dadurch ein Bereich völlig lahm gelegt werde. Strolz konzedierte der Ministerin, im guten Willen gehandelt zu haben. Die Entscheidung sei aber letztendlich falsch gewesen und überstürzt und unprofessionell erfolgt, so seine Beurteilung. Man hätte über Alternativen nachdenken müssen, hielt er fest. Die internationalen Vergleichstests gäben wichtige Hinweise und man brauche diese Krücke, um eine Bildungsreformdiskussion in Gang zu setzen. Selbstverständlich seien die Tests nicht sakrosankt, räumte Strolz ein. Angesichts der Tatsache, dass man mit der Neuen Mittelschule keinen evidenzbasierten Weg gegangen sei, halte er es für doppelt unverständlich, auf den PISA-Test für eine ganze Gesetzgebungsperiode zu verzichten.

Allgemein forderte Strolz von der Bildungspolitik, die Vielfalt, die Differenzierung und die Autonomie der Schulen zu stärken. Leider denke die Ministerin beim Ausbau der Autonomie nur strukturell, bedauerte er, zumal es auch um finanzielle und pädagogische Autonomie gehe. Wettbewerb und Kooperation seien keine Gegensätze.     

Auch für Wendelin Mölzer (F) gibt die aktuelle Situation Anlass, über Alternativen nachzudenken. Er kritisierte vor allem die langsame Reaktionszeit der Ministerin und verlieh seiner Sorge um die Datensicherheit Ausdruck. Ihm zufolge müsse man gegen die überbordende Wut, Daten zu sammeln, ankämpfen und den Testdschungel überdenken, auch wenn die Evaluierung der bildungspolitischen Ergebnisse notwendig sei. Scharf griff Mölzer auch das BIFIE an, dessen Errichtung er für unnötig betrachtet. Er wies in diesem Zusammenhang auf die Rechnungshofkritik hin. Das Institut verursache hohe Kosten, dessen Aufgaben könnten auch universitäre Einrichtungen und das Ministerium übernehmen, meinte er.    

Team Stronach: Politik und Ideologie raus aus der Schule

Seitens des Team Stronach wurde die Diskussion um das Datenleck dazu genützt, eine allgemeine bildungspolitische Betrachtung anzustellen. Das österreichische Schulsystem gehöre zum schlechtesten, aber teuersten der Welt, so sein Befund. Den Grund dafür ortete er in einem zu großen Einfluss der Politik und stellte Vergleiche mit anderen ehemals staatlichen Unternehmen an. Überall wo Politik drinnen ist, gibt es Geldverschwendung und Ineffizienz, sagte Lugar. Er kritisierte daher auch scharf die Neue Mittelschule, da es dort keine Differenzierung aber zu viel Ideologie gebe. Das Hauptproblem bestehe heute darin, dass eine hohe Zahl an Jugendlichen ohne Abschluss das Schulsystem verlässt und dass DirektorInnen sich kaum von ProblemlehrerInnen trennen können. Seine Schlussfolgerung lautet daher, "Politik raus aus der Schule!" Für ihn braucht die Schule mehr Differenzierung, die extern erfolgen, aber durchaus auch intern gelingen könne; ferner forderte er mehr Autonomie über die Anstellung von LehrerInnen und über finanzielle Mittel sowie feste Bildungsziele.

Unterstützung für die Bildungsministerin

In der weiteren Debatte warnte Andrea Gessl-Ranftl (S) davor, das österreichische Bildungssystem und die Leistungen der LehrerInnen schlecht zu reden, und wies diesbezügliche Ausführungen Robert Lugars entschieden zurück. Gessl-Ranftl erinnerte an die Fortschritte in der österreichischen Bildungspolitik vom Ausbau der Frühkindpädagogik über die Einführung der Neuen Mittelschule bis hin zur Einführung des Lehrerdienstrechts und nannte es die Pflicht der Ministerin, das Vertrauen in die Datensicherheit bei den Bildungstests wieder herzustellen. Dem schloss sich Fraktionskollegin Marianne Gusenbauer-Jäger (S) an und sah die internationale Vergleichbarkeit des österreichischen Bildungssystems durch das Aussetzen eines PISA-Tests keineswegs in Gefahr. Auch die Abgeordneten Daniela Holzinger (S) und Elisabeth Grossmann (S) unterstützten die professionelle Vorgangsweise der Bundesministerin bei der Aufklärung der Ursachen des Datenlecks und verteidigten die Neue Mittelschule gegen Kritik und falsche Kostenrechnungen: Diese Schule setzt auf kleinere Klassen und eine bessere Lehrer/Schüler-Quote und gehe auf die Bedürfnisse der SchülerInnen besser ein. "Diese Schule gleicht Unterschiede aus und dient der sozialen Gerechtigkeit", sagte Daniela Holzinger.

Argumente für die Durchführung der PISA-Tests

Abgeordnete Helene Jarmer (G) problematisierte ihrerseits den Ausschluss behinderter Kinder von PISA-Tests sowohl auf internationaler Ebene als auch in Österreich, was im Widerspruch zur UN-Konvention und zum Grundsatz der Inklusion stehe. Ohne Testdaten sei es nicht möglich, Verbesserungen für den Unterricht behinderter Kinder zu erreichen, klagte Jarmer und kritisierte auch die Nichtaufnahme gehörloser Kinder in den Regelunterricht sowie Mängel beim gebärdensprachlichen Unterricht. Grün-Abgeordnete Sigrid Maurer konnte den technischen Argumentationen der Ministerin nicht folgen und hielt es für falsch, von einem Datenleck beim BIFIE zu sprechen. Sie sah keinen Anlass, die PISA-Tests auszusetzen, weil die Daten sicher seien. Datensicherheit werde nur vorgeschoben, um sich unangenehme Ergebnisse des PISA-Tests zu ersparen. In diesem Sinne forderte Anfragesteller Harald Walser (G) in seiner zweiten Wortmeldung Ministerin Heinisch-Hosek auf, ihre Entscheidung zu revidieren und dabei zu beachten, dass sie laut Gesetz nicht berechtigt gewesen sei, diese Tests auszusetzen. "Wir brauchen die Daten und validen Aussagen über unser Bildungssystem", schloss der Bildungssprecher der Grünen.

  

Karlheinz Töchterle (V) brach gemeinsam mit seinem Koalitionskollegen Johannes Schmuckenschlager eine Lanze für Tests und Schulnoten. Auch wenn man einräumen müsse, dass Schulnoten und Tests nur eine bedingte Aussagekraft haben, bedeute dies nicht, dass Noten völlig aussagelos seien. Tatsächlich korrellierten gute Schulnoten und Berufserfolg stark, gab der Redner zu bedenken. Für Schulnoten als Beurteilungssystem spreche deren Klarheit. Außerdem brauche die Bildungspolitik Informationen über den Leistungsstand der SchülerInnen. Schmuckenschlager hielt es für notwendig aufzuklären, wie es zu dem Datenleck beim BIFIE gekommen ist, hielt es aber für falsch, die PISA-Tests auszusetzen. Die Daten aus der Neuen Mittelschule würden dringend benötigt, sagte der Redner und kritisierte den Alleingang der Ministerin, den er auch in Hinblick auf die internationale Reputation Österreichs als problematisch beurteilte. ÖVP-Abgeordneter Asdin El Habbassi registrierte positiv, dass das Bildungsthema im Nationalrat konstruktiv behandelt wird, grenzte sich aber entschieden von der negativen Form ab, in der Abgeordneter Lugar über die LehrerInnen gesprochen habe. Auch er habe "Bauchweh" wegen des Aussetzen von Bildungstests, obwohl es ausreichend Angebote für eine datensichere Durchführung der Tests gebe, hielt er fest.

Die FPÖ-Abgeordneten Peter Wurm und Anneliese Kitzmüller kritisierten die Bildungsministerin, das Datenleck als billige Ausrede zu verwenden, um die PISA-Tests ausfallen zu lassen. Die SPÖ habe das gute Bildungssystem, über das Österreich noch Ende der 60er Jahre verfügte, beschädigt. PflichtschulabgängerInnen erfüllten immer seltener die Voraussetzungen, die sie bräuchten, um eine Lehre beginnen zu können, sagte Wurm. Kitzmüller setzte sich dafür ein, PISA-Tests in einzelnen Bundesländern möglich zu machen.

Auch Barbara Rosenkranz hielt es für eine Blamage, dass Österreich nicht an den PISA-Tests teilnimmt und listete auf, was ihrer Meinung nach im Bildungssystem falsch laufe: Die Neue Mittelschule erreiche den behaupteten sozialen Ausgleich nicht, weil Familien, die es sich leisten können, in Privatschulen ausweichen, wodurch die öffentliche Schule sozial stigmatisiert werde. Es sei falsch, die Unterschiede der Menschen hinsichtlich ihrer Talente nicht zu beachten – nur ein gegliedertes Schulwesen trage dem Rechnung. Auch sollte man Schulen nicht als lebensfremde Biotope führen. "Es ist richtig, Noten zu vergeben und in der Schule zu lernen, mit Misserfolgen umzugehen". Das Schulsystem sei verbesserungsbedürftig, es brauche ein Umdenken. Rosenkranz forderte in diesem Sinne ein "Zurück an den Start" und eine wirkliche Bildungsreform.

Für Kathrin Nachbaur (T) darf es eigentlich nur Stunden dauern, ein Datenleck zu reparieren. Alles andere sei eine Ausrede. Österreich rangiere bei den Bildungsstandards nur im schlechten Mittelfeld, klagte die Rednerin, die eine Verbesserung von autonom organisierten Schulen erwartet, die miteinander im Wettbewerb stehen. Martina Schenk (T) appellierte an die Ministerin, für mehr männliche Pädagogen in Kindergärten und Volksschulen zu sorgen. Als Fundament der Volkwirtschaft betrachtete Waltraud Dietrich (T) die Bildung und erinnerte an die vielen Nobelpreisträger, die Österreich als intellektuelle Großmacht vor 1938 hervorgebracht hat. Aktuell sacke Österreich bei den Bildungsstandards ab – und das sei eine Katastrophe. Auch das Projekt Neue Mittelschule sei gescheitert, konstatierte Dietrich und forderte dazu auf, wieder mehr auf individuelle Leistung zu setzen.

Abgeordnete Angelika Rosa Mlinar (N) sah in der Absage internationaler Bildungstests keine Option, weil man die Daten aus diesen Tests brauche. PISA-Tests seien ein Gradmesser dafür, ob die SchülerInnen internationalen Bildungsvergleichen standhalten. Die NEOS hätten vor der Wahl versprochen, sich für die Behebung der Defizite im Schulsystem einzusetzen. "Daher sind wir gegen die Aussetzung der PISA-Tests", schloss Mlinar. Ihr Fraktionskollege Gerald Loacker (N) mahnte einen sorgfältigen Umgang mit Daten ein, die von Schülerinnen und LehrerInnen in den Schulen erhoben werden. Der Staat habe an dieser Stelle eine Schutzpflicht gegenüber den BürgerInnen, sagte Loacker, erinnerte an Probleme mit der Datensicherheit im Bildungsbereich und problematisierte die Vorratsdatenspeicherung. (Schluss Dringliche Anfrage/ Fortsetzung Nationalrat) jan/fru  


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