Parlamentskorrespondenz Nr. 288 vom 03.04.2014

Rechnungshofausschuss durchleuchtet Kosten der Schulreform

Modellversuch Neue Mittelschule: RH-Prüfung ergab Mängel bei personeller und budgetärer Umsetzung

Wien (PK) - Die Neue Mittelschule (NMS) sorgte heute im Rechnungshofausschuss des Nationalrats für Kontroversen. Seit 2012 ist diese gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen Teil des Regelschulwesens. Vor ihrer flächendeckenden Einführung wurde sie in Schulversuchen erprobt – die Rechnungshofprüfung der Modellschulen veranlasste die Fraktionen, sich anhand der Faktenlage mit der Schulentwicklung und ihren Kosten auseinanderzusetzen.

Parteiübergreifend erachteten die MandatarInnen eine eingehende Bewertung der Neuen Mittelschule als notwendig, wobei vor allem Grüne und Team Stronach sich der Kritik des Rechnungshofs anschlossen, die bundesweite Einführung der NMS sei ohne wissenschaftliche Evaluierung erfolgt. Für die FPÖ zeigt sich das organisatorische Versagen beim Projekt Neue Mittelschule im Rechnungshofbericht; demnach habe es an Planung gemangelt und diverse Vergaben seien nicht rechtmäßig verlaufen. Die NEOS stießen sich ebenso an Unregelmäßigkeiten der Vergaben im Rahmen des Schulprojekts, Ineffizienz bei der Mittelverwaltung sei damit vorprogrammiert. Einen sparsamen Umgang mit den vorhandenen Mitteln für die NMS mahnte die ÖVP ein, rief allerdings dazu auf, der nunmehr eingerichteten neuen Schulform eine Chance zu geben. Die SPÖ pochte auf den pädagogischen Wert der neuen Lern- und Lehrpraxis an den NMS und verwies zu Fragen über Personalkosten auf das einheitliche Dienst- und Besoldungsrecht für alle Lehrkräfte, das ab 2019/20 in Kraft tritt.

Vom Rechnungshof geprüft wurden die Modellversuche zur Neuen Mittelschule in den Schuljahren 2008/2009 bis 2011/2012. Der Prüfbericht zeigt auf, dass überwiegend Hauptschulen, aber kaum AHS am Schulversuch teilnahmen. Knapp über 90% der Ausgaben seien dabei in das Lehrpersonal geflossen, heißt es weiter, wobei ein deutliches Ungleichgewicht in der Entlohnung von Bundes- und LandeslehrerInnen beanstandet wird. Immerhin werden beide Lehrergruppen vom Bund bezahlt, erinnerte Rechnungshofpräsident Josef Moser im Ausschuss. Zum zusätzlichen Mitteleinsatz für die NMS-Versuche von etwa 114 Mio. € unterstrich Moser, dieser entspreche nicht den aktuellen Schülerströmen. Denn die Zahl der HauptschülerInnen sinke beträchtlich im Vergleich zu den Schülerzahlen an AHS. Bei wichtigen Vergaben habe das Unterrichtsministerium überdies die Vergaberichtlinien nicht eingehalten. Insgesamt, so Mosers Analyse, bildeten die Modellversuche keine zentrale Entscheidungsgrundlage für die flächendeckende Einführung der Neuen Mittelschule.

Heinisch-Hosek: Schulform ermöglicht Förderung ohne Stigmatisierung

Sie wolle die Dinge nicht beschönigen und werde notwendige Veränderungen veranlassen, selbst falls bestimmte Mängel vor ihrer Amtszeit entstanden sind, betonte Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Die Neue Mittelschule verfüge über viel Potential, wobei Schulen, die nicht an den NMS-Modellversuchen beteiligt waren, teilweise noch Probleme bei der Umsetzung der neuen Unterrichtsformen wie Teamteaching hätten. Zur Evaluierung der Schulform sagte sie, diese werde so bald wie möglich durch externe ExpertInnen durchgeführt. Allerdings sei bereits zu beobachten, dass der konzeptionelle Kern der NMS, die innere Differenzierung ohne stigmatisierende Aufteilung der SchülerInnen in Leistungsgruppen, durchaus bewerkstelligt wird, meinte Heinisch-Hosek. Sie wies zudem auf den allgemeinen Nutzen gemeinsamen Lernens hin, wenn stärkere SchülerInnen ihren leistungsschwächeren KollegInnen helfen.

Von den 114 Mio. €, die das Unterrichtsministerium für die Modellversuche Neue Mittelschule ausgab, beliefen sich knapp über 90 % auf zusätzliche Personalressourcen für innovative Unterrichtsformen wie Teamteaching. Die Lehrerpersonalkosten je Schüler/in an den NMS-Versuchen hätten im Schuljahr 2011/2012 mit ca. 7.200 € jene von Hauptschulen (ca. 6.600 €) und AHS-Unterstufen (ca. 4.700 €) überstiegen, verweist der Rechnungshof auf die vergleichsweise hohen Ausgaben für die neue Schulform.

Weil eine umfassende Evaluierung vor der Aufnahme der NMS in das Regelschulwesen gefehlt habe und sich SchülerInnen nach der Volksschule immer noch zwischen verschiedenen Schultypen zu entscheiden hätten, verursache die neue Schulform höhere Kosten ohne Qualitätssteigerung, folgerte Grünen-Bildungssprecher Harald Walser. Damit sei der Modellversuch NMS ein "Paradebeispiel, wie Bildungspolitik nicht gemacht werden darf". Außerdem fand er, das neue LehrerInnendienstrecht bzw. die modernisierte PädagogInnenausbildung würden zu spät anlaufen. Zu Walsers dennoch bestehenden Zweifeln an den Rechnungshofberechnungen der unterschiedlichen Lehrerpersonalkosten je Schultyp stellte Präsident Moser klar, die PrüferInnen hätten dafür vor Ort geprüft und Daten des Unterrichtsministeriums zu Planstellen und Klassengrößen herangezogen. Er schloss sich dessen ungeachtet der Sichtweise des Grünen Abgeordneten an, das Inkrafttreten des neuen Dienstrechts ab 2019/20 erfolge zu spät. "Der Zustand wird perpetuiert, obwohl jetzt Bedarf besteht", so Mosers Kommentar. Aus dem Unterrichtsministerium merkte Sektionschef Wolfgang Stelzmüller dazu an, für LehrerInnen, die ab heuer ihren Dienst antreten, bestehe schon ab dem Schuljahr 2015/16 die Möglichkeit, das neue Dienstrecht zu wählen.

Rechnungshof bemängelt unkoordinierte Realisierung der NMS

Mangelnde Projektplanung und -koordination hebt der Rechnungshof bei seiner Kritik an den Modellversuchen zur Neuen Mittelschule (NMS) hervor. Unzureichend sei folglich die angestrebte Kooperation zwischen allgemein höherbildenden Schulen (AHS) und Hauptschulen verwirklicht worden. Nur 11 AHS nahmen im gesamten Bundesgebiet an den Schulversuchen teil und auch der gemeinsame Einsatz von BundeslehrerInnen (LehrerInnen an höheren Schulen) und LandeslehrerInnen (LehrerInnen an allgemein bildenden Pflichtschulen) habe nicht wie erwartet funktioniert. Der Rechnungshof führt dies unter anderem auf die unterschiedlichen dienst- und besoldungsrechtlichen Regelungen zurück. Diese bewirken letztlich, dass BundeslehrerInnen, die denselben Unterrichtsgegenstand wie LandeslehrerInnen unterrichten, dennoch mehr dafür bezahlt bekommen und kürzer arbeiten, skizzierte Rechnungshofpräsident Moser das Problem. Generell fehle die Bündelung der Aufgaben-, Ausgaben- und Finanzierungsverantwortung in einer Hand, so Moser, wodurch sich Planung sowie Ab- und Verrechnung des bundesweiten Lehrereinsatzes in Neuen Mittelschulen komplex gestalte.

Zum Vorwurf des unausgewogenen Lehrereinsatzes replizierte die Ministerin, mit Fortbildungsprogrammen, Dialogtagen und Konferenzen werde ihr Ressort die bessere Zusammenarbeit von LehrerInnen unterschiedlicher Schultypen fördern. Sie gab allerdings zu bedenken, die Entscheidung darüber, wo LehrerInnen eingesetzt werden, liege bei den Bundesländern. Im Sinne eines zielgerichteten Lehrereinsatzes empfehle sie, auch den soziökonomischen Hintergrund der Kinder und Jugendlichen an den jeweiligen Schulstandorten zu beachten. Die differenzierende Entlohnung fachgleicher Bundes- und LandeslehrerInnen behebe das bereits beschlossene neue Dienst- und Besoldungsrecht, so Heinisch-Hosek auf Fragen Hermann Gahrs (V), der für eine Angleichung der Besoldung unter Bedachtnahme auf die Sparsamkeit bei der Mittelverwendung plädierte. Erwin Preiner (S) ergänzte, mit dem neuen Dienstrecht für Lehrkräfte sei endlich gleicher Lohn für gleiche Arbeit vorgesehen, immerhin leisteten die PädagogInnen an den NMS "ausgezeichnete Arbeit zum Wohle der Schülerinnen und Schüler".

FPÖ-Bildungssprecher Walter Rosenkranz konstatierte, "der Erfolg des Bildungsbereichs hängt in erster Linie von guten Pädagogen ab", ergebe sich also nicht automatisch aus neuen Unterrichtsformen oder geringeren Klassenschülerzahlen. Konkret empörte ihn, dass Neue Mittelschulen die teuersten Schulen seien, wie aus dem Rechnungshofbericht hervorgehe, obwohl NMS-SchülerInnen bei den letzten Bildungsstandardtests großteils die schlechtesten Ergebnisse erzielt hätten. Den Vorwurf des Rechnungshofs, das Unterrichtsministerium habe beim Schulversuch zur NMS in wichtigen Vergaben das Bundesvergabegesetz umgangen, wertete Rosenkranz neben der fehlenden Projektplanung als Beleg für ein Organisationsversagen beim Start des neuen Schultyps. Falls ein Ministerium nicht die Vorgaben des Bundesvergabegesetzes einhält, agiere es eindeutig gegen eine effiziente Verwaltung, äußerte NEOS-Wissenschaftssprecher Nikolaus Scherak sein Unbehagen. Dabei habe beispielsweise das eLerning als wichtiger Teil der NMS nicht wie geplant Fuß gefasst.

Im Detail offenbart der Rechnungshof, Aufträge zur Durchführung des Projekts eLearning, zur Entwicklungsbegleitung und für die Öffentlichkeitsarbeit der NMS habe das Unterrichtsministerium ohne Wettbewerb bzw. teilweise ohne Ausschreibung erteilt, womit kein angemessener Preis zu erzielen war. Ob das Absolvieren einer NMS tatsächlich mehr SchülerInnen dazu bringt, eine höhere Schule zu besuchen, wird im Rechnungshofbericht auch bezweifelt. Das Ministerium habe 2012 eine gesteigerte Übertrittsrate auf Grundlage unpassender Vergleichsdaten berechnet. "Eine Umstellung im Blindflug" sei bei der Überführung von Hauptschulen in Neue Mittelschulen vollzogen worden, monierte Team Stronach-Bildungssprecher Robert Lugar. Die Einführung der NMS ohne wissenschaftliche Bewertung, die überschießenden Kosten und vergaberechtliche Versäumnisse brächten ihn zu dieser Annahme. Hauptproblem des Unterrichts im neuen Schultyp ist seiner Meinung nach das Fehlen von Leistungsgruppen zur internen Differenzierung. Die SchülerInnen würden somit nicht adäquat gefördert, was Frust erzeuge.

Über die jetzige Vergabepraxis des Unterrichtsministeriums informierte Sektionschef Kurt Nekula, der versicherte, die Ausschreibung zur Entwicklungsbegleitung von Schulen sei nunmehr EU-weit erfolgt, also rechtskonform gestaltet worden. Die professionelle Begleitung der NMS-Standorte bei der qualitätsvollen Entwicklung einer neuen Unterrichts- und Lernkultur sei damit vorhanden.

Zersplitterung der Verantwortlichkeiten kitten

In seinen Schlussfolgerungen hält der Rechnungshof fest, um die Neue Mittelschule als Zukunftsmodell des heimischen Schulwesens weiterzuführen, müsse eine zentrale Stelle die Verantwortung über Aufgaben- und Ausgabenverteilung sowie Finanzierung tragen. Weiters sei im Sinne der Zielsetzung der gemeinsamen Schulform die schulartenübergreifende Zusammenarbeit von AHS/BMHS und NMS zu forcieren und der Anteil an BundeslehrerInnen in NMS zu erhöhen. Das Ministerium solle dabei sicherstellen, dass seine zugeschossenen Mittel für verschränkten Lehrereinsatz auch tatsächlich dafür verwendet werden. Teilweise seien nämlich für NMS bereitgestellte Ressourcen auch in anderer Weise eingesetzt worden. Die Einhaltung vorgegebener Kriterien, etwa bei Projektvergaben, und die budgetäre Bedeckung von Projekten seien genauso zu gewährleisten. Der Abklärung, ob die neue Schulform den in sie gesetzten Erwartungen gerecht wird, sollten objektiv ermittelte Statistiken dienen, empfehlen die PrüferInnen.

ÖVP-Unterrichtssprecherin Brigitte Jank wollte besonderes Augenmerk auf die Lehrplanentwicklung gerichtet wissen. Der tägliche Turnunterricht und die verstärkte Vermittlung von Wirtschaftswissen seien hier Notwendigkeiten, auch die bessere technische Ausstattung an Schulen und die Attraktivierung ganztägiger Schulformen sprach die Mandatarin an. "Die Lehrpläne gehören entrümpelt", brachte Gerhard Hauser (F) seine Meinung auf den Punkt. Speziell missfiel ihm der Anstieg an Schulprojekten, die auf Kosten der Lehre von Grundfertigkeiten durchgeführt würden. Schließlich wertete er schulischen Nachhilfeunterricht, beispielsweise in den Ferienmonaten, in ganz Österreich als wünschenswert.

Bundesministerin Heinisch-Hosek begrüßte die Wiener Initiative, im Sommer Gratis-Nachhilfe an Schulen anzubieten, Zuschüsse des Bundes seien aus budgetären Gründen jedoch nicht möglich. Eine Ausweitung der Lehrpläne erweise sich nur bei ganztägigen Schulen als sinnvoll, deswegen würden auch 400 Mio. € in den Ausbau von Ganztagsschulen investiert. Das sollte nicht zuletzt die Nachhilfekosten reduzieren. Allgemein könnten die LehrerInnen Österreichs derzeit anhand des Lehrplans ihren Unterricht sehr frei mit eigenen Schwerpunktsetzungen gestalten, erläuterte die Ministerin weiter. Sie bekannte sich in diesem Zusammenhang zu vermehrter Schulautonomie und kündigte an, bis zum Sommer weitere Vorbereitungsschritte dafür zu setzen. Bis auf das Team Stronach nahmen alle Fraktionen die Vertagung des Sammelberichts an, um die noch nicht diskutierten Themenbereiche darin ebenfalls zu behandeln. (Fortsetzung Rechnungshofausschuss) rei