Parlamentskorrespondenz Nr. 610 vom 25.06.2014

EU-Hauptausschuss für rechtlich verbindliches Klimaschutzabkommen

Großteil der Abgeordneten für Juncker als Kommissionspräsident, Diskussion um Wachstums- und Beschäftigungspolitik

Wien (PK) – Die Nominierung von Jean-Claude Juncker als Kandidat für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, war man sich heute im EU-Hauptausschuss, der im Vorfeld des Europäischen Rats am 26. und 27. Juni tagte, weitgehend einig. Was man vor der Wahl versprochen hat, müsse auch nach der Wahl gelten, sagte dazu Bundeskanzler Werner Faymann. Er hält eine Nominierung Junckers bei diesem Rat mit qualifizierter Mehrheit für möglich. Bis zur endgültigen Wahl, so Faymann, würden ohnehin noch viele inhaltliche Debatten geführt werden müssen, da die Personen auch bestimmte Inhalte repräsentierten. Es gehe um die Frage, welche Personen auf Basis welcher Inhalte die EU in den nächsten Jahren lenken, und dazu zähle nicht nur der/die KommissionspräsidentIn, sondern auch der/die PräsidentIn des Europäischen Parlaments, der/die RatspräsidentIn und der/die EU-Außenbeauftragte. Mit dieser Diskussion im Europäischen Parlament, das den Kommissionspräsidenten wählt, werde eine grundsätzliche Richtung vorgegeben, betonte Faymann. Es mache Sinne, sich zunächst über den Kommissionspräsidenten zu einigen und dann die anderen personellen Entscheidungen zu treffen, ergänzte Außenminister Sebastian Kurz.

In der Debatte, in der die meisten Abgeordneten die Position des Bundeskanzlers teilten, wurde auch heftige Kritik am britischen Premierminister David Cameron geübt. Sein Verhalten trage zur Aushöhlung der Relevanz von EU-Wahlen bei, meinte etwa Klubobmann Andreas Schieder (S), Cameron sollte daher in die Schranken gewiesen werden. Als unerträglich bezeichnete der Zweite Präsident des Nationalrats Karlheiz Kopf (V) das Vorgehen Camerons. Ihm nachzugeben würde seiner Meinung nach eine Schwächung der Glaubwürdigkeit und einen Vertrauensbruch darstellen. Christine Muttonen (S) bestand darauf, nicht allen Partikularinteressen Großbritanniens nachzugeben, auch wenn das Vereinigte Königreich ein wichtiger Partner für die EU sei. Den Menschen gehe es um mehr Transparenz und um die Abkehr von Entscheidungen in den Hinterzimmern, sagte Muttonen. In diesem Sinne plädierte auch Karlheiz Kopf dafür, auf Kurs zu bleiben, denn es sei ein attraktives Signal an die Wähler und Wählerinnen gewesen, die Frage des Spitzenkandidaten mit der Nominierung für den Kommissionspräsidenten zu verbinden. Ebenso war es nach Ansicht Werner Koglers (G) gut, der Wahlbewegung ein Gesicht zu geben und damit die EU besser in den Köpfen zu verankern, auch wenn er es grundsätzlich für falsch hält, aus den Parlamentswahlen eine Wahl für den Kommissionspräsidenten zu machen. Umso ärgerlicher empfindet Kogler daher die Rolle der Briten. Rainer Hable unterstützte seitens der NEOS ebenfalls die Haltung des Bundeskanzlers und betrachtet die Spitzenkandidaturen als einen Schritt in die richtige Richtung, auch wenn diese nur informeller Natur gewesen seien.

Distanziert zu Juncker äußerten sich in der Personalfrage die Freiheitlichen. Juncker sei nicht auf dem Stimmzettel gestanden und daher gebe es keine rechtliche Verbindlichkeit, ihn für das Amt des Kommissionspräsidenten zu nominieren, so der Tenor der Äußerungen. Walter Rosenkranz (F) sah daher in diesem Punkt ebenso wenig eine Glaubwürdigkeitsfrage wie der Dritte Präsident des Nationalrats Nobert Hofer (F). Die Verknüpfung der EU-Wahl mit dem Kommissionspräsidenten sei eine Vereinbarung zwischen zwei Fraktionen gewesen, stellte er fest und hielt es für falsch, Politiker mit anderen Vorstellungen an den Pranger zu stellen.

Grüne: Gleich viele Männer und Frauen in der EU-Kommission

Die Grün-Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill legte in dieser Debatte den Fokus auf die Frage der paritätischen Zusammensetzung der Kommission. Sie brachte in diesem Zusammenhang seitens ihrer Fraktion einen Antrag auf Stellungnahme ein, in dem sie den Bundeskanzler auffordert, sich dafür einzusetzen, dass die einzelnen EU-Mitgliedstaaten jeweils eine Frau und einen Mann als ihre KandidatInnen für die Europäische Kommission benennen. Zur Stärkung der demokratischen Legitimität des Verfahrens sollte der Bundeskanzler den anderen Ratsmitgliedern überdies vorschlagen, jeweils zwei Frauen und zwei Männer den Parlamenten als Auswahlmöglichkeit für die Ernennung der Mitglieder der EU-Kommission zu unterbreiten. Sie forderte darüber hinaus auch ein Hearing im Zuge der Nominierung für den österreichischen Kommissar bzw. für die österreichische Kommissarin. Der Antrag erhielt jedoch nicht die Unterstützung der anderen Fraktionen und blieb damit in der Minderheit.

Die SPÖ sei zwar für eine Frauenquote, argumentierte Katharina Kucharowits (S), jeweils eine Frau und einen Mann vorzuschlagen, sichere aber keineswegs eine paritätische Zusammensetzung der Kommission. Gegen eine Quote sprachen sich dezidiert Norbert Hofer (F) und Rouven Ertlschweiger (T) aus. Verordnete Quoten führten nicht zum Erfolg, meinte Hofer.

Österreich prescht mit Antrag auf verbindliches Klimaschutzabkommen vor

Neben der Personalfrage wird beim kommenden Gipfel auch eine Grundsatzdebatte über die Ausrichtung der Europäischen Union eine zentrale Rolle spielen, kündigte Bundeskanzler Faymann an. Dabei gehe es um eine effektive Wachstums- und Beschäftigungspolitik sowie um Klimaschutz und Energiepolitik.

Zum Thema Energie brachten die Abgeordneten Hannes Weninger (S), Andreas Ottenschläger (V), Tanja Windbüchler-Souschill (G) und Rouven Ertlschweiger (T) einen Antrag auf Mitteilung an die EU-Institutionen ein, der auch von SPÖ, ÖVP, Grünen, Team Stronach und NEOS mehrheitlich unterstützt wurde. Darin wird die EU aufgefordert, sich für ambitionierte, wirtschafts- und beschäftigungspolitisch sinnvolle Klima- und Energieziele auszusprechen, mit dem Ziel, insbesondere die Unabhängigkeit Europas vom Import fossiler Energieträger zu stärken. Dabei unterstrichen die AntragstellerInnen, dass Schiefergas keine nachhaltige Alternative darstelle und auch der Kohleanteil nicht erhöht werden dürfe. Vielmehr solle sich die EU für ein rechtlich verbindliches internationales Klimaschutzabkommen einsetzen, in dem andere Wirtschafsräume vergleichbare Klimaschutzverpflichtungen übernehmen.

Die Grünen Abgeordneten Tanja Windbüchler-Souschill, Werner Kogler und Bruno Rossmann wiederum legten einen Antrag auf Stellungnahme vor, der sich nicht wie die Mitteilung an die EU-Institutionen, sondern an die Bundesregierung wendet. Darin fordern sie insbesondere den Bundeskanzler auf, sich vehement gegen die Vertagung der Entscheidungsfindung zu den Klima- und Energiezielen bis 2030 auszusprechen und eine Allianz von Mitgliedsstaaten zu bilden, die entschlossen ist, die EU wieder zu ihrer bisherigen Führungsrolle im Klimaschutz zurückzubringen. Die Grünen sprechen sich in ihrem Antrag des Weiteren dafür aus, ein verbindliches Energiesparziel bis 2030 von 40 % verglichen mit dem Energieverbrauch im Jahr 2010 festzusetzen und in diesem Zeitraum 45 % des Energieverbrauchs mit erneuerbaren Energien zu decken. Sie wollen zudem ein verbindliches CO2-Minderungsziel bis 2030 von 55 % der realen Emissionen verglichen mit dem Basisjahr 1990 realisieren.

Bruno Rossmann hält die Frage der Energiepolitik auch als ein wesentliches Kriterium für die Erholung der Wirtschaft. Der Klimaschutz könnte ein wichtiger Hebel zu nachhaltigen Investitionen und Wirtschaftswachstum sein, unterstrich er.

Bundeskanzler Faymann machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass Österreich mit seiner Anti-Atompolitik innerhalb der EU zwar vermehrt Bündnispartner findet, aber eine Mehrheit für einen Atomausstieg nicht in Sicht sei, auch nicht im Europäischen Parlament. Norbert Hofer (F) meldete aus seiner Sicht grundsätzlich Bedenken gegen Klimaschutzziele an, weil man dadurch jene Staaten entlaste, die auf Kernenergie setzen und dadurch ihre Ziele auch leichter erreichen. Für ihn wäre der richtige Ansatz, auf die Verwendung der Träger erneuerbarer Energien zu setzen, denn in diesem Falle müsse man sich nicht mit Emissionszertifikaten behelfen.

Was die Errichtung von South Stream betrifft, so hielt Außenminister Kurz fest, Österreich gehe es um eine stärkere Diversifizierung nicht nur in Bezug auf Energiequellen, sondern auch in Bezug auf die Energierouten. Selbstverständlich müsse alles im Einklang mit den Europäischen Regelungen stehen, merkte er an. Positiv zum Projekt stünden nicht nur die beteiligten Länder, sondern auch andere EU-Staaten. Er reagierte damit auf eine Wortmeldung von Rouven Ertlschweiger (T).

Stabilitätskriterien und Beschäftigungspolitik – ein Widerspruch?

Für größere Diskussionen wird beim kommenden Rat die Frage sorgen, wie man Wachstum und Stabilität fördert, für entsprechende Investitionen Spielraum schafft und dabei trotzdem die Stabilitätskriterien einhält. Die großen Probleme am Arbeitsmarkt hängen keineswegs ursächlich mit der EU oder dem Euro zusammen, unterstrich Bundeskanzler Faymann. Was die EU jedoch nicht geschafft habe, das sei, die Erwartungshaltungen zu erfüllen und Instrumente zu schaffen, die Wachstum und Beschäftigung ankurbeln und vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit drosseln. Daher stelle dieses Problem eine Kernfrage dar, die nun anzupacken sei. Schließlich sei es auch gelungen, durch großzügige Schutzschirme die Wirtschaft abzusichern. Er werde sich daher für eine Schwerpunktsetzung im Bereich Beschäftigungspolitik einsetzen, erklärte Faymann, zumal Österreich darin über viel Expertise verfüge, beispielsweise mit seiner Ausbildungsgarantie, wodurch 16-Jährige nicht auf der Straße stehengelassen werden.

Die EU sei aufgefordert, nun von der Überschrift zur Umsetzung zu kommen und dabei sei auch die Frage der Finanzierung zu klären. Es müsse möglich sein, so Faymann, nachhaltige Investitionen zu bevorzugen. Investitionen in Kaufkraft und Ausbildung stellen seiner Meinung nach richtige Parameter dar, die in keinem Widerspruch zu den Stabilitätskriterien stehen. Es sei daher notwendig, darüber zu diskutieren, wie weit die Bandbreite der Interpretationsmöglichkeiten der entsprechenden Kriterien sein können. Er wurde in dieser Haltung von den SPÖ-Abgeordneten Andreas Schieder, Christine Muttonen und Katharina Kucharowits unterstützt.

Auch Bruno Rossmann (G) sprach sich für eine Änderung des bisherigen Stabilitäts- und Austeritätskurses aus und plädierte für Investitionen in ein nachhaltiges Wachstum, um aus der Arbeitslosenfalle herauszukommen. In Anlehnung an den Vorschlag des IWF hielt er es für sinnvoll, bestimmte Investitionen aus dem Maastricht-Defizit herauszurechnen und machte sich einmal mehr für die Entlastung des Faktors Arbeit und für die Einführung von Steuern auf Immobilien stark. In diesem Zusammenhang kritisierte er Finanzminister Michael Spindelegger, der den diesbezüglichen Empfehlungen der EU-Kommission nicht nachkommen wolle.

Im Gegensatz dazu äußerte Zweiter Nationalratspräsident Karlheiz Kopf (V) die Sorge, dass durch eine derartige Diskussion die Stabilitätskriterien infrage gestellt werden. Man dürfe nicht vergessen, dass man mit einem solchen Kurs in die Schuldenkrise geschlittert ist, warnte er und zeigte mehr Präferenz für strukturelle Wachstumsimpulse, etwa durch Freihandelsabkommen und den Abbau von Handelshemmnissen. Bei monetären Maßnahmen müsse man sich auf bestimmte Bereiche konzentrieren, etwa auf die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, so Kopf. Strukturelle Maßnahmen seien wichtig, aber sie wirkten zu langsam, entgegneten dazu Christine Muttonen (S) und Werner Kogler (G), man brauche kurzfristige Impulse.

Was die Handelsabkommen betrifft, wie zum Bespiel TTIP, rechnet der Bundeskanzler mit keiner Konkretisierung beim Gipfel. In der jetzigen Situation liege der Fokus auf der Qualität der Standards, die nicht gesenkt werden dürften. Man befinde sich erst am Beginn eines langen Weges, auf dem zu klären sei, wie man Handelsbeziehungen verbessern kann, ohne dabei für die Menschen entscheidende Standards, etwa bei der Lebensmittelsicherheit, bei der Umwelt oder im sozialen Bereich, zu senken.

Diskussion zur aktuellen Lage in der Ukraine

Auf der Agenda des heutigen EU-Hauptausschusses standen auch außenpolitische Themen, allen voran die Ukraine. Außenminister Sebastian Kurz begrüßte den Friedensplan des neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Es habe beim letzten Außenministerrat keinen Beschluss zur Ausweitung der Sanktionen gegen Russland gegeben, berichtete Kurz.

Der Außenminister nahm in diesem Zusammenhang auch Stellung zum Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Österreich und betonte, dass dieser unter seinen EU-Kollegen beim jüngsten Treffen kein Thema gewesen sei. Man habe die Positionen dem Gast gegenüber klar vertreten, betonte Bundeskanzler Faymann, Österreich setze in jedem Fall auf eine Verhandlungslösung unter Einbeziehung Russlands, bemerkte er gegenüber Klubobmann Reinhold Lopatka (V). Man müsse alles vermeiden, was zu Eskalation führt, Sanktionen seien jedenfalls die Ultima Ratio. Österreich habe sich als Brückenbauer zur Verfügung gestellt, was nicht im Widerspruch zum Kurs der EU stehe, assistierte Christine Muttonen (S). Im Gegensatz dazu hielt Andreas Karlsböck (F) fest, die EU und Österreich betrachteten die Vorgänge in der Ukraine und die Haltung Russlands zu undifferenziert.

FPÖ gegen Kandidatenstatus von Albanien

Unterschiedliche Auffassungen gab es zum EU-Kandidatenstatus für Albanien. Österreich habe dies unterstützt, betonte Außenminister Kurz, ein Kandidatenstatus bedeute aber noch lange nicht den Beginn von Beitrittsverhandlungen. In Reaktion auf kritische Äußerungen zeigte sich Kurz überzeugt davon, dass sich Albanien bei seinen Reformbestrebungen auf gutem Weg befindet. Man habe auch bei Serbien gesehen, welchen Reformschwung die Unterstützung durch die EU bewirken kann, gab der Zweite Nationalratspräsident Karlheiz Kopf (V) zu bedenken und wertete den Kandidatenstatus als richtiges Signal zur richtigen Zeit.

Ganz anders sahen dies die Abgeordneten der FPÖ Nobert Hofer, Dagmar Belakowitsch-Jenewein, Walter Rosenkranz, Andreas Karlsböck und Peter Wurm. In einem Antrag auf Stellungnahme sprechen sie sich dezidiert gegen den EU-Kandidatenstatus für Albanien aus. Sie führen dabei vor allem die weitverbreitete Korruption im Land an und befürchten, dass aufgrund der mehrheitlich islamischen Bevölkerung der "imperialistische Islamismus Erdogan'scher Prägung" einen Brückenkopf in der Europäischen Union hätte. Der Antrag wurde von den anderen Fraktionen mehrheitlich abgelehnt.

Rosenkranz setzte sich auch mit der Migrations- und Asylpolitik der EU auseinander und kritisierte vor allem die zuständige Kommissarin Cecilia Malmström. In der Asylpolitik sei eine hohe Rechtsstaatlichkeit wichtig, eine hohe Anerkennungsquote habe aber nichts mit hohen Standards zu tun. Rosenkranz lehnte auch eine gegenseitige Anerkennung ab und wandte sich gegen eine Abschaffung von Dublin II. (Schluss) jan