Parlamentskorrespondenz Nr. 811 vom 17.09.2014

Mitterlehner: Industrie- und Klimapolitik nicht isoliert sehen

EU-Unterausschuss des Nationalrats diskutiert EU-Strategien zur Stärkung der Industrie

Wien (PK) – Nachdem der wirtschaftliche Aufschwung innerhalb der EU nur sehr verhalten vonstattengeht, konzentriert sich die EU-Kommission derzeit auf die Industriepolitik. Durch die Krise sei deutlich geworden, dass die Realwirtschaft und eine starke Industrie enorm wichtig seien, hält die Kommission in ihrer Mitteilung unter dem Titel "Für ein Wiedererstarken der europäischen Industrie" fest, die sie am 22. Jänner 2014 vorgelegt hat. Eine starke industrielle Basis für die wirtschaftliche Erholung und die Wettbewerbsfähigkeit Europas sei von zentraler Bedeutung, heißt es darin. Das Zusammenspiel der Industrie mit der übrigen Wirtschaft in Europa gehe weit über das verarbeitende Gewerbe hinaus und erstrecke sich von der Rohstoff- und Energieversorgung bis hin zu Dienstleistungen für Unternehmen, VerbraucherInnen und den Tourismus und nehme somit eine Schlüsselrolle in vielfältigen Wertschöpfungsketten ein.

Sowohl die Mitteilung als auch die darauf basierenden Schlussfolgerungen für den Rat bestimmten die Diskussion im ersten Teil des heutigen EU-Unterausschusses des Nationalrats.

Mitterlehner kündigt österreichische Strategie für Leitbetriebe an

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner betonte in diesem Zusammenhang, man dürfe einzelne wichtige Ziele wie Klima- und Energiepolitik sowie Industriepolitik nicht isoliert sehen, vielmehr müsse der ganzheitliche Aspekt im Vordergrund stehen. Klima- und Energiepolitik brauche eine Industriekomponente, so Mitterlehner, der dabei von einem "Aufwirbeln der Denkstrukturen" sprach, will man den Wirtschaftsstandort Österreich stärken.

In Österreich selbst werde derzeit eine Strategie für Leitbetriebe unter Mitarbeit namhafter ExpertInnen ausgearbeitet, diese werde im Oktober fertiggestellt, kündigte Mitterlehner an. Themen seien dabei nicht nur Investitionen in Forschung und Entwicklung, Klima- und Energiepolitik sondern auch administrative Fragen.

Es habe sich auch gezeigt, dass jene Länder besser durch die Krise gekommen seien, die wie Österreich mehr Industrie und eine bessere Durchmischung mit anderen Wirtschaftszweigen aufweisen. Österreich liegt mit einem Industrieanteil von 18,3 % über dem EU-Durchschnitt von 15,2 %. Selbstverständlich seien in die strategischen Überlegungen auch die Klein- und Mittelbetriebe miteinbezogen, so der Vizekanzler.

EU lenkt Augenmerk auf Stärkung der Realwirtschaft

Um die Bedeutung der Industrie zu unterstreichen, weist die Mitteilung darauf hin, dass über 80 % der EU-Ausfuhren und 80 % der privaten Forschungs- und Innovationstätigkeit auf diesen Wirtschaftszweig entfallen. Fast jeder vierte Beschäftigte in der Privatwirtschaft ist in der Industrie tätig und durch jede zusätzliche Stelle im verarbeitenden Gewerbe entstehen 0,5 bis 2 Arbeitsplätze in anderen Sektoren.

Auch wenn die Industrie in der EU ihre Widerstandskraft während der Krise unter Beweis gestellt habe, sei sie nicht verschont geblieben, hält die Kommission fest. Seit 2008 seien 3,5 Millionen Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe abgebaut worden, dessen Anteil am BIP von 15,4 % auf 15,1 % im Vorjahr gesunken. Zudem gehe die Produktivitätsleistung der EU im Vergleich zu ihren Mitbewerbern weiter zurück, so der Befund. Als wachstumshemmende Schwachpunkte werden insbesondere die verhaltene Binnennachfrage, die zu geringen Investitionen in Forschung und Innovation, hohe Energiepreise, Schwierigkeiten beim Zugang zu Rohstoffen und ein allzu unflexibles ordnungspolitisches und administratives Umfeld genannt.

Um das angestrebte Ziel, den Industrieanteil bis zum Jahr 2020 auf 20 % zu steigern und eine engere politische Verknüpfung von Industrie-, Klima- und Energiezielen zu erreichen, schlägt nun die Kommission einige Maßnahmen zur besseren Koordination vor, um Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum nachhaltig abzusichern. Damit richtet sich der Blick der EU angesichts der angespannten Konjunktur auf industrie- und strukturpolitische Themen, nachdem die Aufmerksamkeit zur Bewältigung der Finanzkrise bislang insbesondere der Fiskal- und Geldpolitik gegolten hat (ESM, Fiskalpakt, Bankenpaket).

So will die Kommission die maximale Ausschöpfung der Potentiale des Europäischen Binnenmarkts erreichen und ein attraktives Umfeld für Unternehmen und Produktion gestalten. Zu diesem Zweck strebt man die Vereinfachung des bestehenden Rechtsrahmens an, etwa im Hinblick auf die Erleichterung von Unternehmensgründungen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Klein- und Mittelbetrieben (KMU). Diese sollen besser gefördert werden, vor allem will man ihnen vermehrt Hilfestellung beim Zugang zu Finanzierungen bieten und ihre Energie- und Ressourceneffizienz sowie ihre Kapazitäten auf dem Gebiet des Innovationsmanagements verbessern.

Des Weiteren drängt die Kommission auf eine stärkere Ausrichtung der regionalen, nationalen und EU-Förderinstrumente auf Innovation, Qualifikation und Unternehmertum. Mit regional- und industriepolitischen Instrumenten sollen Plattformen für eine intelligente Spezialisierung geschaffen werden, um auf diese Weise auch den Zugang zu innovativen Technologien und die Marktchancen zu verbessern. Mit Blick auf die energieintensive Industrie soll die Angleichung der Kosten für Energie und Rohstoffe auf internationale Niveaus angestrebt werden, insgesamt sollen sämtliche Anstrengungen unternommen werden, um Investitionen in Bereiche mit hohem Wachstums- und Zukunftspotential zu initiieren und die europäischen Unternehmen in die globalen Märkte besser einzubetten. Der Rat der EU ruft die Kommission auf, einen Fahrplan für weitere Tätigkeiten auszuarbeiten.

Geopolitische Lage beeinträchtigt Exporte

Die Intentionen der EU wurden von den Abgeordneten grundsätzlich unterstützt. Die Industrie sei eine wesentliche Basis für Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung, sagte etwa Christine Muttonen (S). Allerdings dürfe der Zweck keineswegs die Mittel heiligen, gab sie zu bedenken und warnte vor einer Aushöhlung des ArbeitnehmerInnenschutzes und des Klimaschutzes. Auch ihr Klubkollege Hannes Weninger (S) hielt fest, Klimapolitik dürfe kein Gegensatz zu offensiver Wirtschaftspolitik sein. So würde die Umsetzung klimarelevanter Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung beitragen. Der Vizekanzler reagierte darauf mit der Zusicherung, dass es keine Einschränkung von Klimaschutzzielen und sozialpolitischen Zielen gebe.

Weninger hält ferner die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Schritte teilweise für ergänzungswürdig, zumal derzeit die Nachfrage schwächelt. Für Weninger steht daher fest, dass man nicht nur beim Binnenmarkt ansetzen müsse, sondern auch Steuerreform, Arbeitsmarktpolitik und Innovationen die Wirtschaft ankurbeln könnten.

Es seien alle Sektoren gefordert, meinte Franz Leonhard Eßl (V) und lobte die Initiativen der EU. Diese könnten dazu beitragen, dass die Wirtschaft insgesamt gestärkt werde. Angelika Winzig (V) ging auf die relativ hohe Industriequote in Österreich ein und zeigte sich zuversichtlich, dass die angekündigte Strategie für Leitbetriebe weitere Impulse bringen werde. Josef Schellhorn (N) machte in diesem Zusammenhang auch auf die demographische Entwicklung aufmerksam.

Kritisch äußerte sich FPÖ-Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch, der eine große Diskrepanz zwischen EU-Strategien und der Realität der Wirtschaftstreibenden feststellte. Die Realität sei eine völlig andere als in den EU-Papieren dargestellt, weshalb die EU-Wirtschaftspolitik unglaubwürdig geworden sei, sagte er. Das sehe man an der Tatsache, dass Wirtschaftsprognosen ständig zurückgenommen werden müssen und die Arbeitslosigkeit, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit, steige. Dem hielt Mitterlehner entgegen, dass man in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklung die geopolitischen Probleme nicht außer Acht lassen dürfe, da sie großen Einfluss auf die Exporte haben. Er hoffe daher auf eine baldige Lösung der aktuell schwierigen geopolitischen Lage. Zudem sei auf EU-Ebene ein Nachholbedarf bei Infrastruktur und Innovationen festzustellen, auf der anderen Seite müssten die Budgets saniert werden. Trotz dieses Zwiespalts sei aber deutlich, dass sich jene Länder, die den Pfad der Budgetsanierung konsequent verfolgen, auch besser entwickeln. 

Im Rat der EU haben sich laut Mitterlehner Österreich und Deutschland insbesondere dafür eingesetzt, die Klimaziele nicht isoliert zu sehen. Beide Staaten brachten auch bei den Plänen für die einzelnen Industriesektoren praxisorientiere Vorschläge ein. (Fortsetzung EU-Unterausschuss) jan