Parlamentskorrespondenz Nr. 104 vom 12.02.2015

Sozialbericht: Handlungsbedarf bei Einkommensentwicklung

Hundstorfer: Sozialstaat hat positiven Beitrag zur Abfederung der Wirtschaftskrise geleistet

Wien (PK) – Österreich sei im Vergleich zu den anderen EU-Staaten relativ gut durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen, erklärt Bundesminister Rudolf Hundstorfer in dem von seinem Ressort vorgelegten Sozialbericht für die Jahre 2013 bis 2014 (III-138 d.B.). Er führt dies u.a. auf die wohlfahrtsstaatlichen Strukturen und die Sozialausgaben zurück, die trotz einer schwierigen budgetären Situation teilweise sogar ausgebaut werden konnten. Dennoch stehe man vor einer Reihe von Herausforderungen, räumt der Minister ein, wie etwa die steigende Arbeitslosenrate, die hohe Abgabenbelastung der Arbeitseinkommen, die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen sowie vor allem die zunehmenden Einkommensungleichheiten.

Der fast 400 Seiten starke Bericht bietet nicht nur einen Überblick über alle Aktivitäten in den einzelnen Arbeitsbereichen des Ministeriums (Arbeit und Beschäftigung, Soziales, Konsumentenpolitik sowie internationale Zusammenarbeit und sozialpolitische Grundsatzangelegenheiten), sondern er enthält auch zahlreiche aufschlussreiche Analysen und Studien, die vom Wirtschaftsforschungsinstitut, der Statistik Austria und dem Sozialministerium erstellt wurden. Die untersuchten Themenfelder reichen von der allgemeinen Betrachtung der Sozialausgaben, der Entwicklung der Einkommen bis hin zu den Auswirkungen der Krise auf die Lebensbedingungen der ÖsterreicherInnen. Aufgrund des großen Umfangs des Berichts werden im folgenden nur einzelne Kapitel exemplarisch dargestellt; der gesamte Inhalt ist auf der Homepage des Ressorts www.sozialministerium.at abrufbar.

Die Schwerpunktmaßnahmen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit

Obwohl sich die Beschäftigungssituation in Österreich seit 2010 deutlich verbessert hat, kam es gleichzeitig zu einem Anstieg der Arbeitslosenrate, die derzeit höher als vor der Krise ist. Dennoch schneidet Österreich im europäischen Vergleich noch sehr gut ab und liegt mit 5,1% an zweiter Stelle hinter Deutschland (5%). Die Anstrengungen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik wurden weiter intensiviert, insgesamt standen dafür Mittel in der Höhe von über 1 Mrd. € zur Verfügung. Schwerpunkte wurden dabei im Hinblick auf ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Arbeitssuchende (Beschäftigungsinitiative 50+, fit2work) sowie auf Jugendliche (Ausbildungsgarantie, Jugend- und Jobcoaching, Berufsausbildungsassistenz) gesetzt. Im Bericht wird darauf hingewiesen, dass sich etwa die Ausbildungsgarantie für Jugendliche in Österreich bewährt habe und nun europaweit als Vorzeige-Projekt und Grundlage der neuen EU-Initiative "Jugendgarantie" gelte.

Mit dem Umschulungsgeld wurde zudem eine neue Leistung aus der Arbeitslosenversicherung geschaffen. Es stellt auch einen wesentlichen Eckpfeiler der Neugestaltung der Regelungen zur Invaliditätspension dar. Damit erhalten gesundheitlich beeinträchtigte Personen, die zur Teilnahme an beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation bereit sind, eine adäquate und zeitlich nicht befristete Existenzsicherung. Seit 1. Juli 2013 gibt es mit dem Bildungsteilzeitgeld eine weitere neue Form der Ausbildungsförderung: Die Zielgruppe sind Personen, die bei aufrechter Beschäftigung ihre Arbeitszeit reduzieren, um eine Weiterbildungsmaßnahme zu besuchen. Das Fachkräfte-Stipendium wurde mit Juli 2013 eingeführt und unterstützt mehrjährige Ausbildungen in konkreten Mangelberufen.

Immer mehr Versicherte gehen in reguläre Pension

Auf eine positive Entwicklung verweisen die AutorInnen des Berichts im Bereich der Alterspensionen, wo eine Steigerung feststellbar war; die Zahl der Invaliditäts- und Hinterbliebenenpensionen habe hingegen abgenommen. Insgesamt wurden per Dezember 2013 2.298.693 Pensionen ausbezahlt; 10 % davon erhielten eine Ausgleichszulage. Die durchschnittliche Alterspension betrug in diesem Jahr 1.162 €. Das durchschnittliche Antrittsalter bei den Direktpensionen wird mit 58,5 Jahren angegeben.

Im Berichtszeitraum gab es eine Reihe von Neuregelungen und Reformmaßnahmen in diesem Bereich wie etwa die Einführung der Pensionskonto-Erstgutschrift, die Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen für vorzeitige Alterspensionen wegen langer Versicherungsdauer und Korridorpensionen oder die Abschaffung der befristeten Invaliditätspensionen für Geburtsjahrgänge ab 1964 bei gleichzeitiger Einführung eines Rehabilitations- und eines Umschulungsgeldes.

Rückläufige Lohnquote und zunehmende Belastung der Einkommen aus Arbeit

Der zweite Teil des Berichts enthält eine Reihe von sozialpolitischen Analysen, die einen detaillierteren Einblick in die aktuellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die Lebenssituation der österreichischen Bevölkerung gewähren. Einer der Aspekte, der genauer untersucht wurde, war die Entwicklung und Verteilung der Einkommen. So wurde etwa festgestellt, dass seit drei Jahrzehnten die Unternehmens- und Vermögenseinkommen fast durchgehend jedes Jahr stärker angestiegen sind als die Einkommen aus Arbeit. Auch die Abgabenbelastung auf Arbeitseinkommen ist wesentlich höher als jene auf Unternehmens- und Vermögenseinkommen; und diese Differenz hat sich seit 1995 noch verstärkt.

Obwohl die Zahl der unselbstständig Erwerbstätigen kontinuierlich gestiegen ist, haben die Arbeitnehmerlnnen-Entgelte in den letzten Jahrzehnten schwächer zugenommen als die Nicht-Lohn-Einkommen bzw. Unternehmens- und Vermögenserträge. Dies führte langfristig zu einem Rückgang der Lohnquote, also dem Anteil der Löhne am Volkseinkommen. Der Rückgang war in Österreich stärker als in den meisten europäischen Ländern. Die (bereinigte) Lohnquote verringerte sich zwischen 1990 und 2007 um 7,6 Prozentpunkte auf 66,2%; derzeit beträgt sie wieder 70,1% (2013). Aufgrund der steigenden Abgabenbelastung (Lohnsteuer, Sozialbeiträge) der Lohneinkommen sinkt die Nettolohnquote aber in einem noch deutlich höheren Ausmaß als die Bruttolohnquote; sie betrug 2012 nur mehr 61%.

Strukturelle Verschiebungen am Arbeitsmarkt haben bewirkt, dass der durchschnittliche Bruttorealbezug in den unteren Einkommensklassen von 1995 bis 2012 deutlich gesunken ist; Steigerungen gab es fast ausschließlich für die bestverdienenden 40 %. Auch die Einkommensverteilung innerhalb der Gruppe der unselbständig Beschäftigten stellt sich somit sehr ungleich dar: Die obersten 20 % der LohneinkommensbezieherInnen bekommen fast die Hälfte des "Kuchens", die untersten 20 % lediglich zwei Prozent. Das hängt u.a. auch mit der Verbreitung von geringfügiger Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung und Saisonbeschäftigung zusammen. Die Teilzeitquote unselbstständig beschäftigter Frauen beträgt bereits 47 %. Weiters wird darauf hingewiesen, dass die Einkommensunterschiede (auf Basis Stundenlöhne) zwischen Männern und Frauen zu den höchsten der EU zählen; dies zeige sich auch entlang von Branchen (Stichwort: frauentypische Berufe).

Etwas geringere Unterschiede gibt es, wenn man die Haushaltseinkommen als Vergleichsgrundlage heranzieht. Auf die 20 % Haushalte mit den niedrigsten Einkommen entfallen 8 % des gesamten verfügbaren Einkommens, auf das oberste Fünftel 37 %. Generell sind die Haushaltseinkommen seit 2008 um 13 % und damit um 3 % Prozent stärker als die Inflation gestiegen. Die meisten Haushalte hatten reale Einkommenssteigerungen. Der Grund dafür liegt in der steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen. Das verfügbare mittlere Haushaltseinkommen (Median) betrug 2013 1.840 € pro Monat.

Armut gesunken, aber noch immer 1.572.000 Personen armuts- oder ausgrenzungsgefährdet

Die soziale Situation hat sich seit Beginn der Finanzkrise 2009 nicht nur in Europa, sondern auch in Österreich verschärft, heißt es weiter im Bericht. Im Jahr 2013 waren 24,5 % bzw. 122,6 Mio. Menschen in der EU von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht (2008: 23,7 Prozent). Österreich konnte aber die Zahl der armuts- oder ausgrenzungsgefährdeten Menschen um 127.000 verringern. Die Quote ist in Österreich damit von 20,6 % auf 18,8 % gesunken. Ein besonders hohes Risiko der Armutsgefährdung haben Alleinerzieherinnen, Migrantlnnen, Personen mit Behinderungen und Personen mit niedriger Bildung.

Fast 600.000 Menschen müssen mehr als 40 % ihres Einkommens für Wohnen inklusive Heizung und Strom ausgeben. Seit 2008 sind die Wohnkosten für Menschen mit geringen Einkommen am stärksten gestiegen. 50 % der Personen in Haushalten mit niedrigem Einkommen geben an, dass sie bei unerwarteten Ausgaben von über 1.050 € größere finanzielle Probleme haben. Schwierigkeiten mit derartigen unerwarteten Ausgaben haben hingegen nur 20 % der Haushalte mit mittlerem Einkommen und nur drei Prozent der Haushalte mit hohem Einkommen. 44 % der Haushalte mit niedrigem Einkommen können sich keinen Urlaub leisten. Personen in Haushalten mit weniger Einkommen haben zudem viermal so häufig gesundheitliche Einschränkungen, sie haben weniger soziale Kontakte und ihre gesamte Lebenszufriedenheit ist niedriger als beim Durchschnitt der Bevölkerung.

Sozialstaat bleibt auch in Zukunft finanzierbar

Die Sozialquote (Anteil der Sozialausgaben am BIP) bewegte sich im Zeitraum 1995 bis 2013 zwischen 27% und 29,8%. Tendenziell ist sie in Phasen höheren Wirtschaftswachstums niedriger und erreichte ihren bisherigen Höchststand im Jahr 2010 mit 29,8%. Der Großteil der Aufwendungen entfiel dabei auf die Bereiche Alter und Gesundheit. Als bemerkenswert wird angesehen, dass der Anstieg der Ausgaben für die Frühpensionen und Invaliditätspensionen seit 1995 deutlich reduziert werden konnte. Wenn man davon ausgeht, dass die BIP-Entwicklung auf längere Sicht – trotz der aktuell geringeren Wachstumsraten – deutlich über den demografisch bedingten jährlichen Zusatzkosten für die Sozialsysteme liegt, dann stellt die Alterung der Gesellschaft hinsichtlich der Finanzierung des Staates aber eine lösbare Aufgabe dar, schließen die StudienautorInnen. (Schluss) sue