Parlamentskorrespondenz Nr. 403 vom 23.04.2015

Straf- und Maßnahmenvollzug sollen reformiert werden

Abgrenzung von Strafvollzug und Psychiatrie, keine lange Untersuchungshaft junger StraftäterInnen

Wien (PK) – Für die Ziehung einer sachgerechten Grenze zwischen Strafvollzug und Psychiatrie sprachen sich die Abgeordneten von SPÖ, ÖVP, Grünen und NEOS in der heutigen Nationalratssitzung aus. In einer Entschließung fordern sie eine umfassende Evaluierung des Maßnahmenvollzugs. Besonderes Augenmerk soll nach Meinung der Abgeordneten dabei auf die Untersuchungshaft für jugendliche StraftäterInnen gelegt werden. Deren Untersuchungshaft solle so kurz wie möglich gehalten bzw. weitgehend vermieden werden, meinen die UnterstützerInnen des Entschließungsantrags. Als Alternative sollen betreute Wohngruppen dienen. Außerdem soll so rasch wie möglich ein Jugendhaftkompetenzzentrum eingerichtet werden.

Zudem treten die Abgeordneten dafür ein, das in Wien etablierte Modell der Jugendgerichtshilfe bundesweit zu installieren und die sozialpädagogische Betreuung für Jugendliche in ausgewählten Justizanstalten zu erweitern. Der vom Menschenrechtsausschuss ausgearbeitete Entschließungsantrag zum Straf- und Maßnahmenvollzug basiert auf einem von SPÖ und ÖVP eingebrachten Entschließungsantrag. Abgelehnt wird diese Initiative von der FPÖ und vom Team Stronach.

FPÖ bezweifelt Notwendigkeit von Jugendhaftanstalt

FPÖ-Abgeordneter Christian Lausch sprach von einem unausgegorenen Antrag, dem seine Fraktion nicht zustimmen könne. Bisher habe die Bundesregierung wenig zur Verbesserung des Maßnahmenvollzugs getan. Statt der versprochenen 100 zusätzlichen Planstellen im Maßnahmenvollzug habe Justizminister Brandstetter nur 27 geschaffen, zeigte er sich enttäuscht. Lausch bezweifelte zudem die Notwendigkeit einer eigenen Jugendhaftanstalt bzw. eines Jugendhaft-Kompetenzzentrums, da die Zahl von Jugendlichen in Haft sehr niedrig sei. Die Haftanstalt Gerasdorf sei zudem 80 Kilometer von Wien entfernt, was einen großen Personal- und Zeitaufwand für Transporte bedeuten würde.

ÖVP: Justizminister ist auf dem richtigen Weg

Maria Theresia Fekter (V) hielt fest, dass es in Österreich derzeit etwa 9000 Strafgefangene gibt. Etwa zehn Prozent davon befinden sich im Maßnahmenvollzug. Nachdem Probleme bekannt wurden, habe eine Arbeitsgruppe eine Reihe von Empfehlungen erarbeitet, die bereits weitgehend umgesetzt wurden, lobte Fekter. Offene Fragen sah sie beim Umgang mit unzurechnungsfähigen TäterInnen. Hier sei die Qualität der Gutachten und das Entlassungsmanagement zu verbessen, sagte sie. Im Jugendstrafvollzug sei der Justizminister "zumindest auf dem richtigen Weg", sagte Fekter.

Ziel der Strafhaft sei die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, sagte Friedrich Ofenauer (V). Ein wichtiges Mittel dazu sei sinnvolle Beschäftigung. Das gelte in besonderer Weise für den Jugendstrafvollzug. Hier habe ein Jugendhaft-Kompetenzzentrum eine besonders wichtige Aufgabe. Ofenauer zeigte sich überzeugt, dass der Katalog von Verbesserungsvorschlägen im Maßnahmenvollzug rasch umgesetzt wird.

Team Stronach: Betreute Wohngruppen keine Alternative zu Untersuchungshaft

Auch Christoph Hagen (T) sah zwar gute Punkte im Maßnahmenkatalog des Antrags, insgesamt lehnte er ihn aber als unausgereift ab. Allerdings seien zu viele Fragen offen. Er äußerte Zweifel an der Sinnhaftigkeit von betreuten Wohngruppen für jugendliche Untersuchungshäftlinge. Untersuchungshaft werde bei Verdunkelungs-, bei Tatbegehungs- oder bei Fluchtgefahr verhängt. Betreute Wohngruppen seien deshalb keine brauchbare Alternative, stellte er fest. Der Justizminister habe ihm bisher nicht beantworten können, wie dieses Problem gelöst werden soll.

SPÖ: Wiedereingliederung muss Priorität haben

Die Wiedereingliederung in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt nach Straf- und Maßnahmenvollzug sei eine Frage von großer Wichtigkeit, sagte Franz Kirchgatterer (S). Er lobte die Volksanwaltschaft, die viel zur Aufdeckung von Missständen in den Strafanstalten getan habe. Nun gelte es, noch weitere Verbesserungen umzusetzen. Kirchgatter ging in seiner Wortmeldung auch auf das Thema der Vorratsdatenspeicherung ein, das im Menschenrechtsausschuss ebenfalls behandelt worden war. Nachdem erwiesen sei, dass sie nichts zum Schutz vor Terrorismusgefahren beigetragen habe, sehe die SPÖ keine Notwendigkeit für ihre Wiedereinführung. "Wir wollen keinen Spitzelstaat", sagte Kirchgatterer.

SPÖ-Abgeordnete Nurten Yilmaz (S) und ihr Fraktionskollege Konrad Antoni erinnerten an die Schließung des Jugendgerichtshofs. Damit sei eine wichtige Institution zerstört worden. Beide Abgeordnete hoben die Bedeutung der Einführung der Jugendgerichtshilfe hervor. Ihre Ausweitung auf ganz Österreich müsse forciert werden, forderte Antoni. Er betonte, wie auch Harry Buchmayr (S), die Wichtigkeit der Resozialisierung und der Wahrung der Menschenrechte im Straf- und Maßnahmenvollzug.

Auf bedenkliche Entwicklungen im Maßnahmenvollzug wies Ulrike Königsberger-Ludwig (S) hin. Viele Personen, die bereits als geheilt gelten, würden derzeit nicht entlassen, weil es keine ausreichende Nachbetreuung gebe, kritisierte sie. Es gelte hier, eine menschenrechtlich bedenkliche Situation zu verbessern. Sie hoffe, das werde nicht an der Finanzierungsfrage scheitern. Maximilian Unterrainer (S) begrüßte, dass der Justizminister auf Missstände im Strafvollzug reagiere.

Grüne: Maßnahmenvollzug leidet unter Ressourcenmangel

Nach Jahren des Leugnens werde anerkannt, dass es vor allem im Maßnahmenvollzug Reformbedarf gebe, sagte Albert Steinhauser (G). Die Zahl der Personen im Maßnahmenvollzug steige an, da sie oft nach Haftverbüßung nicht entlassen werden. Damit stiegen die Kosten und die Ressourcen für den Vollzug werden knapp. Probleme gebe es auch mit langen Wartezeiten für Therapien, der mangelnden Qualität von Gutachten und zu wenig Nachbetreuung. Der Entschließungsantrag enthalte gute Vorschläge, diese müssten aber umgesetzt werden, was nicht zuletzt eine Kostenfrage sei. Er gehe aber vom guten Willen des Justizminister aus, die angekündigten Reformen auch umsetzen zu wollen, sagte Steinhauser.

NEOS drängen auf rasche Reform des Maßnahmenvollzugs

Nikolaus Scherak (N) meinte, der Antrag sei nicht optimal formuliert, aber es werde ein massives Menschenrechtsproblem Österreichs angesprochen. In Deutschland wurde die Sicherheitsverwahrung unterdessen als verfassungswidrig bezeichnet, da sie massiv in die menschliche Freiheit eingreife, stellte er fest. Dort gelte auch das "Abstandsgebot", eine klare Trennung von Straf- und Maßnahmenvollzug. In Österreich sei diese jedoch oft nicht gegeben. Unter anderem fehle auch eine ausreichende Kontrolle der Zulässigkeit einer Unterbringung in der Maßnahme und fehlender Rechtsschutz der Betroffenen.

Es gehe um eine Frage der Menschenrechte und damit der gesellschaftlichen Verantwortung, betonte Beate Meinl-Reisinger (N). Die Umsetzung der an sich positiven Reformvorschläge der Expertenkommission zum Maßnahmenvollzug passiere leider zu langsam, sagte die Abgeordnete und drängte in einem Entschließungsantrag auf rasche Schritte. Vor allem wollen die NEOS die Schaffung eines eigenen Gesetzes für den Maßnahmenvollzug. Es gelte, auf geänderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu reagieren und das Gesundheitsressort einzubinden, fordern sie. Der Antrag blieb jedoch in der Minderheit.

Brandstetter: Österreich soll im Straf- und Maßnahmenvollzug wieder an die Spitze kommen

Justizminister Brandstetter konzedierte, dass die Reform von Straf- und Maßnahmenvollzug eine gewaltige Aufgabe sei, die sein Ressort nicht allein lösen könne. Österreich habe ein Menschenrechtsproblem, das gelöst werden müsse. Das Thema Straf- und Maßnahmenvollzug sei ein unangenehmes und deshalb politisch zu lange vernachlässigt worden. Aus diesem Grund habe Österreich seinen früheren Spitzenplatz in diesem Bereich verloren. Zur Kritik von FPÖ-Abgeordnetem Lausch hielt der Minister fest, das Jugendhaft-Kompetenzzentrum sei nicht nur für Untersuchungshäftlinge da, sondern habe weit größere Aufgaben. Dort sollen jugendliche Straftäter im Hinblick auf eine Resozialisierung Betreuung und sinnvolle Beschäftigung erhalten. Die Besetzung von 100 neuen Planstellen dauere, da die Ausbildung bestqualifizierter Beamter eben eine gewisse Zeit brauche.

Sein Ressort stehe vor einer riesigen, aber sehr notwendigen Aufgabe, sagte der Minister. Es gelte, Menschen gut zu betreuen und möglichst wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Was psychisch kranke StraftäterInnen betrifft, so müssten diese als PatientInnen angesehen und behandelt werden. Sie sollten daher dem Gesundheitsressort unterstellt werden. Dazu bedürfe es noch schwieriger Verhandlungen mit den Ländern. Da es aber um eine Verpflichtung der öffentlichen Hand gehe, sei es letztlich eher nebensächlich, auf welcher Ebene dafür das Budget zur Verfügung gestellt wird, meinte Brandstetter. Ein Thema von immer größerer Wichtigkeit sei die Frage, wie Radikalisierung im Strafvollzug verhindert bzw. Deradikalisierung stattfinden könne. Hier, wie in anderen Bereichen, habe Österreich die Chance, sich an den besten internationalen Beispielen zu orientieren. (Fortsetzung Nationalrat) sox