Parlamentskorrespondenz Nr. 689 vom 19.06.2015

Neu im Sozialausschuss

Regierung will Kampf gegen Sozialbetrug weiter forcieren und KonsumentInnen bei außergerichtlicher Streitschlichtung unterstützen

Verschärfter Kampf gegen Sozialbetrug soll 250 Mio. € pro Jahr bringen

Wien (PK) – Die Regierung will den Kampf gegen Sozialbetrug weiter forcieren und hat dem Nationalrat vor diesem Hintergrund ein eigenes Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz und begleitende Gesetzesänderungen vorgelegt (692 d.B.). Mit den neuen Bestimmungen sollen unter anderem Scheinfirmen leichter identifiziert und entsprechende Konsequenzen gezogen werden können. Zudem ist vorgesehen, die Zusammenarbeit der Behörden zu verbessern, die Haftung für Auftraggeber von Scheinfirmen auszuweiten und die missbräuchliche Verwendung der E-Card weiter zurückzudrängen. Durch den Maßnahmenmix erwartet sich das Sozialministerium eine Reduktion der Einnahmenausfälle durch Sozialbetrug von zumindest 250 Mio. € pro Jahr. Für 2016 geht das Ressort konkret von einem Plus im Bundeshaushalt von 107,6 Mio. € und einem Plus bei den Sozialversicherungsträgern von 156,9 Mio. € aus.

Wie in den Erläuterungen festgehalten wird, mangelt es den bisherigen Instrumenten zur Verfolgung von Sozialbetrug, insbesondere von Scheinfirmen, einer kohärenten und umfassenden Strategie. Nun soll ein eigenes Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz Abhilfe schaffen. Erstmals wird genau definiert, wann ein Unternehmen als Scheinunternehmen zu klassifizieren ist, und welche behördlichen Schritte bei einer entsprechenden Verdachtslage zu setzen sind. Als konkrete Anhaltspunkte für einen Scheinunternehmens-Verdacht werden dabei etwa die Unauffindbarkeit einschlägig qualifizierter Personen, die Verwendung falscher Urkunden, das Fehlen angemessener Betriebsmittel und das Vorliegen erheblicher Rückstände bei den Sozialversicherungsträgern genannt. Grundsätzlich wird dabei von zwei Arten von Scheinfirmen ausgegangen: jene, die vorrangig darauf ausgerichtet sind, Löhne, Lohnabgaben und Sozialversicherungsbeiträge durch die Verschleierung des wahren Dienstgebers zu verkürzen, und jene, die Personen zur Sozialversicherung anmelden, um Leistungen zu lukrieren, ohne dass diese tatsächlich eine unselbständige Beschäftigung aufnehmen.

Betroffene Unternehmen sind gemäß den Gesetzesbestimmungen vom Verdacht zu informieren, dass es sich bei ihnen um eine Scheinfirma handelt. Erheben sie binnen einer Woche keinen Widerspruch, sind sie von den Steuerbehörden mittels Bescheid als Scheinunternehmen zu klassifizieren. Über alle rechtskräftig festgestellten Scheinunternehmen hat das Finanzministerium eine über das Internet einsehbare Liste zu führen. Ab der rechtskräftigen Feststellung eines Scheinunternehmens haften Auftraggeber für die Löhne der beim Scheinunternehmen beschäftigten ArbeitnehmerInnen, wenn sie zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe wussten oder wissen mussten, dass es sich beim Auftragnehmer um eine Scheinfirma handelt.

Auch für die Beschäftigten hat die Klassifizierung ihres Arbeitgebers als Scheinunternehmen Konsequenzen. Ihre Pflichtversicherung erlischt rückwirkend, wenn sie der Aufforderung zum persönlichen Erscheinen beim Versicherungsträger nicht innerhalb von sechs Wochen nachkommen bzw. wenn sie nicht glaubhaft machen können, dass sie tatsächlich Arbeitsleistungen verrichtet haben. Gegebenenfalls hat die Krankenkasse den wahren Dienstgeber zu eruieren. ArbeitnehmerInnen sind überdies verpflichtet, bei Betriebsstätten-Kontrollen der Behörden wegen eines begründeten Verdachts auf Sozialbetrug Auskünfte zu erteilen.

Korrespondierende Änderungen sind auch im Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (BUAG) vorgesehen. Außerdem wird die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse ermächtigt, alle nach dem Bundesvergabegesetz in der Baustellendatenbank zu erfassenden Daten zu verarbeiten, das betrifft etwa die gesamte Auftragnehmerkette.

Zur effizienteren Bekämpfung von Sozialbetrug ist außerdem eine intensivere Zusammenarbeit der Behörden, etwa im Bereich des Datenaustausch, sowie die Einrichtung eines Beirats vorgesehen. Dieser soll mögliche Maßnahmen zur Verbesserung der Sozialbetrugsbekämpfung erarbeiten sowie gemeinsame Prioritäten der betroffenen Stellen festlegen. Die Krankenkassen werden überdies verpflichtet, Risiko- und Auffälligkeitsanalysen nach dem Vorbild der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse durchzuführen, um Schwarzarbeit und Scheinanmeldungen leichter auf die Schliche zu kommen.

E-Card: Erweiterte Ausweispflicht und "Mystery-Shopping" in Arztpraxen

Um die missbräuchliche Verwendung der E-Card weiter einzudämmen, sieht das Gesetzespaket darüber hinaus verpflichtende Ausweiskontrollen in Spitalsambulanzen vor. Auch die niedergelassenen ÄrztInnen sind künftig angehalten, die Identität der PatientInnen zu überprüfen, wenn sie ihnen nicht persönlich bekannt sind. Zur Überprüfung ärztlicher Leistungsverrechnungen können die Krankenkassen künftig "Mystery-Shopper" einsetzen und dafür eigene E-Cards ausstellen, wobei Kontroll-Checks nur bei begründetem Verdacht bzw. im Rahmen eines jährlich im Voraus zu erstellenden Stichprobenplans erlaubt sind. Schließlich wird die grundsätzlich schon jetzt bestehende Berechtigung der Krankenkassen, den Gesundheitszustand von Versicherten zu überprüfen, gesetzlich festgeschrieben.

In Kraft treten sollen die neuen Bestimmungen mit 1. Jänner 2016. Abseits der Bekämpfung von Sozialbetrug, sind im BUAG auch geringfügige Änderungen in Bezug auf die Anspruchsberechtigung auf Überbrückungsgeld für ältere BauarbeiterInnen vorgesehen.

Konsumentenschutz: Regierung setzt auf alternative Streitbeilegung

Ein weiterer von der Regierung vorgelegter Gesetzentwurf dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie und einer EU-Verordnung, die auf die Einrichtung eines flächendeckenden Netzes alternativer Streitschlichtungsstellen (AS) für Verbraucherangelegenheiten in der Europäischen Union abzielen (697 d.B.). Damit sollen Verbraucherrechte gestärkt und Gerichte entlastet werden. Vorgegeben werden unter anderem einheitliche Qualitätskriterien für Schlichtungsstellen, zudem muss grundsätzlich für alle Beschwerden, die aus Kauf- und Dienstleistungsverträgen resultieren, eine Anlaufstelle vorhanden sein.

Umgesetzt werden die EU-Vorgaben durch ein eigenes "Bundesgesetz über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten" sowie geringfügige Adaptierungen des Konsumentenschutzgesetzes, des Gebührengesetzes und des Verbraucherbehörden-Kooperationsgesetzes. Demnach werden in Österreich die Schlichtungsstelle der Energie-Control, die Telekom- und die Post-Schlichtungsstelle der RTR, die Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte, die gemeinsame Schlichtungsstelle der österreichischen Kreditwirtschaft, der Internet-Ombudsmann, die Ombudsstelle Fertighaus sowie die Schlichtungsstelle für Verbrauchergeschäfte, für die vom Sozialministerium ein Pilotprojekt durchgeführt wurde, als AS-Schlichtungsstellen klassifiziert. Die Schlichtungsstelle für Verbrauchergeschäfte wird dabei als so genannte "Auffangschlichtungsstelle" auch für sämtliche Beschwerden zuständig sein, die nicht in die Zuständigkeit der anderen Schlichtungsstellen fallen.

Als zentrales Ziel der Schlichtungsstellen wird das Bemühen genannt, Streitigkeiten zwischen KonsumentInnen und Unternehmen rasch und effizient aus der Welt zu schaffen. Allerdings sind Unternehmen, mit einigen wenigen Ausnahmen, nicht verpflichtet, an Schlichtungsverfahren teilzunehmen. Der Zugang zu den Schlichtungsstellen soll in der Regel kostenlos sein, allerdings kann von VerbraucherInnen gegebenenfalls ein geringfügiger Beitrag zu den Verfahrenskosten verlangt werden. VerbraucherInnen sind zudem verpflichtet, sich zunächst selbst um eine Einigung mit dem Unternehmen zu bemühen, bevor sie sich an eine Schlichtungsstelle wenden. Die Verfahrensregeln können auch vorsehen, den Parteien während eines anhängigen Verfahrens und danach zu untersagen, die Streitsache an die Öffentlichkeit zu bringen.

Die AS-Stellen sind unter anderem zur Einhaltung von Datenschutzbestimmungen angehalten und müssen eine laufend aktualisierte Website mit umfangreichen Informationen anbieten sowie jährlich einen Tätigkeitsbericht erstellen. Dieser hat unter anderem über die Anzahl und Art der Beschwerden, systematische und signifikante Problemstellungen und den durchschnittlichen Zeitaufwand für die Lösung von Streitigkeiten zu informieren. Grundsätzlich sollen Verfahren binnen 90 Tagen abgeschlossen werden. Ob die Streitparteien einem Lösungsvorschlag der zuständigen Schlichtungsstelle zustimmen, bleibt ihnen überlassen.

Für grenzüberschreitende Streitigkeiten, etwa im Falle von Online-Bestellungen, hat die EU eine eigene Plattform eingerichtet, wobei jedes Land eine Kontaktstelle zu benennen hat, die VerbraucherInnen dabei unterstützen soll, die zuständige AS-Stelle ausfindig zu machen. In Österreich ist das das Europäische Verbraucherzentrum.

Unternehmen, die gesetzlich oder anderweitig verpflichtet sind, an Schlichtungsverfahren teilzunehmen, müssen künftig auf ihrer Website die für sie zuständige Schlichtungsstelle bekannt geben. Alle Unternehmen trifft außerdem die Pflicht, die KonsumentInnen nach nicht anerkannten Beschwerden darüber zu informieren, an welche AS-Stelle sie sich wenden können und ob sie gegebenenfalls bereit wären, an einem Streitschlichtungsverfahren teilzunehmen.

In Kraft treten sollen die neuen Bestimmungen mit 9. Jänner 2016. Die Kosten werden vom Sozialministerium auf etwas mehr als 400.000 € jährlich geschätzt. (Schluss) gs