Parlamentskorrespondenz Nr. 712 vom 24.06.2015

Rechnungshofkritik am Auslandsengagement des Verbund-Konzerns

Moser bemängelt Fehlen von tiefergehenden Analysen und zu spätes Reagieren auf negative Entwicklungen

Wien (PK) – Mit einem sehr kritischen Bericht begann die heutige Sitzung des Rechnungshofausschusses. Im Fokus standen die Auslandsbeteiligungen des Verbundkonzerns in den drei Kernmärkten Frankreich, Italien und Türkei. Im Prüfzeitraum 2008 bis 2012 entstanden Verluste von insgesamt 579,93 Mio. €, die laut Rechnungshof u.a. darauf zurückzuführen waren, dass vor dem Markteintritt keine tiefergehenden Analysen durchgeführt wurden und trotz der festgestellten Risiken die Expansionsstrategie  fortgesetzt wurde. Außerdem hätte im Sinne der Wahrnehmung der kaufmännischen Sorgfaltspflicht die Tätigkeit der für die Abwicklung zuständigen Verbund International GmbH (VIN) regelmäßig evaluiert und entsprechende Anpassungen vorgenommen werden sollen, konstatierte RH-Präsident Moser.

Eine andere Sicht der Dinge vertrat erwartungsgemäß der Aufsichtsratsvorsitzende des Verbunds, Gilbert Frizberg. Man habe sehr wohl fundierte Analysen durchgeführt, die schwierigen Entwicklungen am Markt (Gas- und Strompreise, Finanzkrise, Fracking etc.) konnten jedoch nicht vorhergesehen werden. Er glaube, dass ein anderes Management unter den gegebenen Rahmenbedingungen kaum ein anderes Ergebnis erzielen hätte können. Überdies wurden nach Abschluss der Prüfung durch den Rechnungshof weitere Schritte gesetzt. Alle drei Investments sind nun abgeschlossen, betonte Frizberg, es blieben keinerlei Restrisiken oder Rückhaftungen übrig.

Ausschussvorsitzende Gabriele Moser (G) hielt es für unbedingt notwendig, dass endlich Konsequenzen aus derartigen Fällen gezogen und etwa über die Einführung eines Beteiligungs-Controllings quer durch alle Ressorts nachgedacht werden sollte. Staatssekretär Harald Mahrer konnte dem Vorschlag von Moser einiges abgewinnen und wies darauf hin, dass Finanzminister Hans Jörg Schelling im Zuge der Neuaufstellung der ÖBIB eine derartige Maßnahme plane. - Der Bericht wurde schließlich einstimmig zur Kenntnis genommen.

Das angestrebte Ziel des profitablen Wachstums wurde vollständig verfehlt

Dem Rechnungshofbericht ist zu entnehmen, dass der Verbundkonzern bereits 1999 eine Internationalisierungsstrategie einleitete, ab 2008 sollten - unter der Ägide der Verbund International GmbH (VIN)  – durch eine Ausweitung der Kapazitäten und durch Umsatzwachstum eine Wertsteigerung der Engagements in Frankreich, Italien und der Türkei erreicht werden. Den Beteiligungen wurden bis Ende 2012 Eigenmittel in der Höhe von 2,345 Mrd. € zugeführt. Davon entfielen 503 Mio. € auf Frankreich (seit dem Jahr 2006), 654,7 Mio. € auf Italien (seit dem Jahr 1999) und 1,19 Mrd. € auf die Türkei (seit dem Jahr 2007).

Nur aus Italien kam bis Ende 2012 Geld zurück, und zwar 24,6 Mio. € in Form von Dividenden. Der Marktwert der Beteiligungen Ende 2012 lag aber lediglich um 1,1 % bzw. 7,5 Mio. € über dem vom Verbundkonzern seit 1999 investierten Kapital lag. Zum 31. Dezember 2013 musste die Beteiligung an der Sorgenia aufgrund mangelnder Werthaltigkeit um 396,0 Mio. € auf Null abgeschrieben werden, erläuterte Präsident Josef Moser. Im Fall von Frankreich gab es zwar Rückflüsse (100,9 Mio. € aus Verkäufen und Bardividenden), die Verluste in den französischen Beteiligungen bewirkten jedoch eine Eigenkapitalminderung im Konzernabschluss von insgesamt minus 476,8 Mio. €. Neben den Verlusten erhöhten zudem noch Haftungen für die französischen Produktionsgesellschaften das finanzielle Risiko des Engagements (insgesamt über 397,1 Mio. €). Die strategischen Ziele eines profitablen Wachstums sowie einer Wertsteigerung der Beteiligungen in Frankreich wurden somit vollständig verfehlt, brachten es die RH-PrüferInnen in ihrer Analyse auf den Punkt.

Einzig aus der Türkei gab es positivere Nachrichten, die allerdings auf einen Tausch von Vermögenswerten mit einem deutschen Energieversorgungsunternehmen in der Höhe von 1,54 Mrd. € zuzüglich einer Differenzzahlung von 400 Mio. € zugunsten der Verbundgesellschaft zurückzuführen waren. Dieser Gegenwert überstieg das eingesetzte Kapital von 1,188 Mrd. € deutlich; die Transaktion entsprach jedoch nicht dem ursprünglichen Ziel des Konzerns. Die Verbund International GmbH wurde am 24. April 2014  mit der Verbund AG als übernehmende Gesellschaft verschmolzen.

Der Rechnungshof empfiehlt schließlich der Verbundgesellschaft, eingehende Untersuchungen zur Klärung einer Organhaftung und allfälliger Schadenersatzpflichten durch den Aufsichtsrat einzuleiten. Außerdem sollten aufgrund des bereits eingetretenen Verlusts bzw. den bereits zwingend vorgenommenen Abschreibungen in der Gesamthöhe von 476,8 Mio. € sowie den drohenden Haftungen im Zusammenhang mit dem Frankreichgeschäft gegebenenfalls Haftungsklagen gegen die verantwortlichen Organmitglieder eingebracht werden.

Welche Konsequenzen sollen aus den Auslandsbeteiligungen gezogen werden und wer haftet dafür?

Der Bericht zeige seiner Meinung nach ein finanzielles Fiasko auf, dem eine Vielzahl von Fehleinschätzungen und Versäumnissen zugrunde liege, urteilte FPÖ-Mandatar Wolfgang Zanger. Angesichts der hohen Verluste zeigte er sich besorgt darüber, ob es dadurch zu Investitionskürzungen in Österreich kommen werde. Ebenso wie einige andere Abgeordnete interessierte er sich dafür, ob es zu Organhaftungsklagen kommen wird.

Zahlreiche Detailfragen stellte Karin Greiner von der SPÖ, wobei sie u.a. das Joint-Venture-Geschäft in der Türkei, die Problematik von Minderheitsbeteiligungen (Italien und Frankreich), die zu geringen Mitspracherechte beim Geschäftsmodell in Frankreich sowie die Qualität der durchgeführten Marktanalysen ansprach.

Angesichts des kritischen Rechnungshofberichts könne man nicht von einer Erfolgsgeschichte reden, erklärte ÖVP-Vertreter Hermann Gahr. Er wollte wissen, warum die Auslandsengagements teilweise gescheitert sind und welche Entwicklungen am Markt dies begünstigt haben.

Martina Schenk vom Team Stronach befasste sich mit dem Gutachten der Rechtsexpertin Susanne Kalss, das die Organe entlastet, während sich Niko Alm von den NEOS für die Risikoeinschätzungen interessierte.

G-Abgeordnete Gabriela Moser sprach von sehr hohen Verlusten und fragte sich zudem, warum der Verbund überhaupt in so schwierigen Märkten wie Frankreich investieren wollte.  Generell schlug sie vor, dass sich der Bund eine Gesamtstrategie für Beteiligungen von Unternehmen, die im Besitz der öffentlichen Hand sind, überlegen müsse, zumal bei Kapitalaufstockungen Steuergelder betroffen sind. Um solche Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden, müsse man gewährleisten, dass die OECD-Richtlinien betreffend Beteiligungen umgesetzt werden und die Steuerung beim Rechtsträger belassen wird. 

Aufsichtsratschef Frizberg verweist auf  nicht vorhersehbare Entwicklungen am Markt und sieht keine Verfehlungen der zuständigen Organe

Aufsichtsratsvorsitzender Gilbert Frizberg stellte einleitend klar, dass der Verbundkonzern in keinem einzigen Jahr ein negatives Bilanzergebnis erzielt hat. Im Bericht gehe auch völlig unter, dass zum Zeitpunkt der Investitionen im Ausland das Gasgeschäft als das profitabelste angesehen wurde, worauf sich auch die Prognosen stützten. Die Tatsache, dass sich die Märkte und die Preise anders entwickelt haben, seien seiner Meinung nach der Hauptgrund dafür, dass es zu Verlusten gekommen ist. Weiters gab er zu bedenken, dass es im Rahmen der Liberalisierung der Strommärkte teilweise notwendig war, Minderheitsbeteiligungen, die natürlich auch Nachteile mit sich bringen, einzugehen; heute verfolge der Verbundkonzern eine andere Strategie. Die aktuellen Schwerpunkte des Konzerns liegen auf erneuerbarer Energie sowie auf den Hauptmärkten Österreich und Deutschland.

Frizberg gab zu bedenken, dass der Verbund vor der Liberalisierung nur 14 Kunden gehabt hat, von denen man quasi abhängig war. Da es weiters klar war, dass in Hinkunft ausländische Investoren auf den österreichischen Markt streben werden (was dann auch passiert ist), wollte der Konzern seine Auslandaktivitäten verstärken. Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Rechnungshof aber nur die Verbund International GmbH, die für drei Auslandsinvestments zuständig war, geprüft habe; alle anderen Auslandsbeteiligungen waren davon nicht erfasst. Sehr erfolgreich sei man etwa in Deutschland, wo der Verbund zum zweitgrößten Wasserkrafterzeuger aufgestiegen sei.  Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Verluste in Italien und Frankreich durch die erfolgreiche Beteiligung in der Türkei - das beste Geschäft des Verbunds im Ausland -  ausgeglichen wurden. Dort habe man durch einen Tausch von Vermögenswerten mit einem deutschen Unternehmen Wasserkraftwerke an der Inn und an der Donau erhalten, die man sonst nie bekommen hätte. 

Der Aufsichtsratschef war jedenfalls nicht der Auffassung, dass die kaufmännische Sorgfaltspflicht verletzt wurde. Zu diesem Urteil kam auch die mit einem Gutachten beauftragte Universitätsprofessorin Susanne Kalss, die keine Organverfehlungen feststellen konnte. Weitere Schritte werden daher nicht unternommen. Das Eingehen von unternehmerischen Risken gehöre zum normalen Geschäft eines börsenorientierten Unternehmens. Die einzige offene Frage könne nur sein, ob man in einzelnen Bereichen etwas früher die Notbremse hätte ziehen können bzw. sollen, räumt Frizberg ein. In der Praxis sei ein vorzeitiger Ausstieg aus Beteiligungen aber oft sehr schwierig und könnte zu einer Verschleuderung der Vermögenswerte führen, gab er zu bedenken.

Moser kritisiert das Festhalten an der Expansionsstrategie trotz schlagend gewordener Risiken

Rechnungshofpräsident Josef Moser appellierte eindringlich, bei künftigen Auslandsengagements eingehende Marktanalysen und Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen vor Eingehen der Investition durchzuführen. So hätten etwa den zu erwartenden Chancen durch künftige Liberalisierungsschritte in jedem Fall auch die Risiken einer Verzögerung oder einer ineffizienten Umsetzung gegenübergestellt und bewertet werden sollen. Vor dem Eingehen einer Beteiligung muss auch der Zweck eindeutig definiert und Auswirkungen der zu wählenden Rechtsform und der Beteiligungshöhe mit höchster Sorgfalt überprüft werden, mahnte Moser ein. Wichtig seien auch die Festlegung eines finanziellen Rahmens sowie ein mögliches Ausstiegsszenario.

Im vorliegenden Fall zeigte sich zum Beispiel bereits acht Monate nach Konkretisierung der Strategie der VIN, dass die politischen, rechtlichen, regulatorischen und energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den Zielländern einen Markteintritt erschwerten und ein verhältnismäßig großes Risiko daraus erwuchs. Es wurde dann im Jahr 2009 zwar eine Redimensionierung eingeleitet, erläuterte der RH-Präsident, allerdings kam es erst ab 2011 aufgrund der negativen Entwicklungen bei einzelnen Engagements zu einer wesentlichen Änderung der ursprünglich angestrebten Wachstumsstrategie. Damit konnte das seit 2008 verfolgte Mengenwachstum über Expansion durch Auslandsaktivitäten nicht umgesetzt werden. Außerdem war im Rahmen des Beteiligungsmanagements eine vollständige aktive Steuerung des Portfolios und ein darauf aufbauender fundierter Entscheidungsprozess aufgrund der Minderheitsbeteiligungen und eingeschränkten Informationsrechte nicht gewährleistet, hob Moser weiters hervor. Besonders kritikwürdig sei eben, dass trotz der festgestellten Risiken die Expansionsstrategie weiter verfolgt keine entsprechenden Anpassungen vorgenommen wurden. (Fortsetzung Rechnungshofausschuss) sue