Parlamentskorrespondenz Nr. 1209 vom 11.11.2015

Flüchtlingsfrage - von Solidarität bis zur Einhaltung von Gesetzen

Aktuelle Europastunde: Nationalrat diskutiert über Ursachen und Bewältigung der Flüchtlingsströme

Wien (PK) – Wie sehr die Flüchtlingsfrage nationale, europäische und internationale Politik herausfordert, zeigte auch die weitere Diskussion im Rahmen der Aktuellen Europastunde im Nationalrat. Viel war von Rechtsstaatlichkeit, Kontrolle, Menschenrechten, aber auch von einem globalen wirtschaftspolitischen Umdenken die Rede.

SPÖ: Weniger Geld für unsolidarische EU-Mitgliedsländer

"Wir reden über Menschen in Not" (Andreas Schieder), "wir haben die Fluchtursachen zu bekämpfen und nicht die Flüchtlinge", (Christine Muttonen) – das war der Tenor der Wortmeldungen seitens der SPÖ-Abgeordneten. Während sich SPÖ-Klubobmann Schieder auf die aus seiner Sicht notwendigen Maßnahmen zur Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise konzentrierte, spannten Christine Muttonen und Josef Cap einen Bogen auf die globalen Herausforderungen. Die europäische Wirtschaftspolitik in Hinblick auf Afrika gefährdet Arbeitsplätze und dortige Unternehmen, stellte Muttonen fest und forderte ein Umdenken. Ebenso ihr Klubkollege Josef Cap, der eine Weltwirtschaftskonferenz für notwendig erachtet, mit dem Ziel, die globale Verteilung und den globalen Handel so zu organisieren, sodass alle eine Lebensperspektive haben.

Was die aktuelle Problematik betrifft, so sprach sich Muttonen dezidiert gegen Zäune und Alleingänge innerhalb der EU aus, denn das würde nur das Vertrauen zwischen den Mitgliedsstaaten erschüttern und zu Instabilität, Unfrieden und Chaos führen, meinte sie. Sowohl Muttonen als auch Schieder halten es aber für überlegenswert, Netto-Empfängern in der EU Mittel zu kürzen, wenn sie keine Solidarität zeigen, und vertreten damit die Linie des Bundeskanzlers. 

Klubobmann Schieder nannte als notwendige Maßnahmen unter anderem Notunterkünfte für Menschen auf der Durchreise, Wartezonen und mehr PolizistInnen. Man müsse auch für eine geordnete Durchreise sorgen, sagte er, und die Integration fördern, indem man bereits während des Verfahrens Kompetenzchecks und Qualifizierungsmaßnahmen durchführt. An europäischen Regelungen für die Einwanderung forderte er die rasche Errichtung von Hotspots und Verteilungszentren sowie eine faire Quotenverteilung ein und hält das Dublin-System für reformbedürftig.

Der Außenpolitische Sprecher der SPÖ, Josef Cap, warnte in seiner Stellungnahme eindringlich davor, sich im Rahmen eines Abkommens total in die Hände der Türkei zu begeben. Das wäre ein Beispiel für andere Länder, für die Rücknahme von Flüchtlingen ebenfalls Geld zu verlangen. Dieser Auffassung schloss sich auch Werner Amon von der ÖVP an. Einmal mehr sprach sich Cap gegen einen EU-Beitritt der Türkei aus. Harte Attacken ritt er auch gegen Großbritannien. Das Land versuche, die EU zu erpressen, und hier müsste man eindeutig Flagge zeigen, sagte er.

ÖVP: Österreich muss auch seine Hausaufgaben machen

Es liege an den RegierungschefInnen, einen Kompromiss zu schaffen, an dessen Ende die Solidarität steht, wiederholte heute im Plenum der ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka seine Warnung vom gestrigen EU-Hauptausschuss. Wenn das nicht gelingt, werde die EU zumindest weit zurück fallen, prophezeite er. Für Lopatka hat die Sicherung der Außengrenzen Priorität, andernfalls müssten die Nationalstaaten das Heft in die Hand nehmen, sagte er. Er unterstütze in diesem Sinne den Plan, auch an den österreichischen Grenzen entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um diese zu schützen und die Einreise zu kontrollieren. Lopatka nannte dies eine Notwehrmaßnahme. Dem stimmte auch Werner Amon zu, der von einer Verantwortung gegenüber der eigenen Bevölkerung sprach. Er wolle kein Europa der Zäune, sagte Amon, es gehe aber um den Rechtsstaat. Daher müsse man kontrollieren, wer Anspruch auf Asyl hat. Österreich müsse seine Hausaufgaben selber machen, meinte er, man könne sich nicht darauf verlassen, dass Probleme woanders gelöst werden. 

Reinhold Lopatka lies in seiner Wortmeldung aber auch mit Kritik an Griechenland aufhorchen. Selbstverständlich könne man Griechenland nicht alleine lassen, bekräftigte er, Griechenland müsse aber nun auch seine Verpflichtungen wahrnehmen. Das Land habe in der Finanzkrise von den anderen Staaten Solidarität erfahren, als NATO-Mitglied mit einem hohen Militärbudget könnte Griechenland durchaus seine 120 Schiffe zur Grenzsicherung einsetzen. Diese Aussage brachte ihm scharfe Kritik von Grün-Abgeordneter Alev Korun ein, die ihm vorwarf, Kriegsschiffe gegen Flüchtlinge einsetzen zu wollen.   

FPÖ: Es gibt ein realpolitisches Versagen der EU

"Es gibt ein realpolitisches Versagen der EU", fasste FPÖ-Klubobmann Heinz Christian Strache seine Kritik zusammen. Auch innerstaatlich sieht Strache Chaos, das den Namen Faymann trage. Der Bundeskanzler und die Bundesregierung hätten die Verantwortung, österreichische Gesetze einzuhalten, sagte er, anstatt dessen wisse man heute nicht, wen man hereinlässt. Der FPÖ-Klubobmann wiederholte seinen Vorwurf der Schlepperei durch die Bundesregierung und hält die Errichtung von Zäunen für möglich und notwendig, um eine illegale Einreise zu verhindern. Man zeige zwar mit Fingern auf die EU, schaffe es selbst aber nicht, Sicherheit, Ruhe und Ordnung der österreichischen Bevölkerung zu gewährleisten, so der Vorwurf Straches.

Ähnlich argumentiert Johannes Hübner (F), der verlangte, die illegale Masseneinwanderung zu stoppen. Diese passiere nur dort, wo man sie zulässt. Wer aus der Türkei zu uns komme, sei ein Einwanderer, denn die Türkei sei ein sicheres Drittland, merkte er an. Hübner forderte mehr Realismus ein und den Menschen keinen Sand in die Augen zu streuen.           

Grüne: Europa soll ein Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts bleiben

Alev Korun wandte sich seitens der Grünen vehement dagegen, mit Zäunen und anderen Maßnahmen gegen Flüchtlinge vorzugehen. Auch ihr Klubkollege Werner Kogler ist dezidiert gegen eine Union, wo wieder Schlagbäume aufgestellt werden. Menschenrechte seien nicht verhandelbar, sagte er. In diesem Zusammenhang erinnerte Korun daran, dass Europa als ein Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts konzipiert worden sei, nun müsse man sich mit Ideen beschäftigen, wie man mit Kriegsschiffen gegen Flüchtlinge vorgeht. Ihre Kritik galt auch der Bundesregierung, die - wie die Regierungen anderer Mitgliedsstaaten - jahrelang Solidarität gegenüber Italien vermissen ließ. Jetzt, wo man selbst mit Flüchtlingsströmen konfrontiert sei, sei einem die Problematik bewusst geworden und nun appelliere man an die Solidarität der anderen.

Ebenso vermisste Werner Kogler solidarisches Verhalten in der EU und sprach von einer Krise der "individuellen, unsolidarischen Verhaltensweisen der Mitgliedsstaaten". Wir müssen die Zukunft gestalten wollen - und wir können es, hielt Kogler fest. Korun forderte überdies, wie viel andere RednerInnen auch, eine andere Wirtschaftspolitik, insbesondere auch eine faire Handelspolitik gegenüber Afrika ein, um den Menschen dort die Lebensgrundlagen zu bewahren. 

NEOS: Chancen der Zuwanderung maximieren, Risiken minimieren

Die Zuwanderung werde auch weiterhin stattfinden, stellte NEOS-Klubobmann Matthias Strolz fest. Es gehe daher darum, sich auf die Chancen zu konzentrieren und diese zu maximieren, gleichzeitig aber alles zu unternehmen, um die Risiken zu minimieren. Strolz zeigte aus seiner Sicht kein Verständnis dafür, dass die Flüchtlingsströme ungesteuert und ungeordnet nach Österreich gelangen und Österreich versuche, "sich am Nachbarland abzuputzen". In diesem Sinne sprach sich Nikolaus Scherak (N) für legale Einreisemöglichkeiten aus, er hielt es für zynisch, wenn Österreich durch eine Asylgesetznovelle den Familiennachzug verschärfen will.

Auch Scherak geht die Umsetzung der EU-Beschlüsse zu langsam. Er drängte daher auf die baldige Einrichtung von Hotspots in Griechenland und auf den Abschluss von Rückführungsabkommen. Bei der Zusammenarbeit mit der Türkei dürfe man die Wahrung der Grundrechte nicht außer Acht lassen. Er sprach sich allgemein für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und eine gemeinsame Asylpolitik aus. Strolz unterstützte seinerseits das Bemühen um multinationale Infrastrukturprojekte in den Krisenregionen.

Team Stronach gegen Einladungspolitik

Ähnlich wie die Freiheitlichen zeigten die Redner vom Team Stronach kein Verständnis dafür, dass man sich mit Ländern wie Pakistan, Somalia oder Ägypten solidarisch zeige, denn die Flüchtlinge aus diesen Regionen kämen aus sicheren Drittstaaten, wie Robert Lugar (T) ausführte. Lugar übte scharfe Kritik an der "Einladungspolitik" von Bundeskanzlerin Angela Merkel und sah dahinter das Kalkül, für die Industrie neue Arbeitskräfte zu bekommen. Geht es nach Lugar braucht man keine neuen Zäune, es genüge, diejenigen, die aufgegriffen werden, wieder zurück zu schicken. Christoph Hagen (T) bekräftigte die Aussagen seines Klubobmanns und sprach sich für strenge Kontrollen an den nationalen Grenzen und an den EU-Außengrenzen aus. 

Ein Versagen der EU in der Flüchtlingsfrage orteten auch die beiden fraktionslosen Abgeordneten Jessi Lintl und Rupert Doppler. Das europäische Friedensprojekt könne die Sicherheit nicht mehr gewährleisen, beklagte Lintl und forderte ein Mehr an Europa. Sie warnte auch vor einer Anbiederung an die Türkei, von wo aus die Schlepperorganisationen ungehindert agieren könnten.

Nur von einem Verteilungsproblem zu sprechen, geht für Doppler weit an der Realität vorbei. Auch er forderte eindringlich die Sicherung der nationalen und EU-Außengrenzen ein und machte darauf aufmerksam, dass die Polizei in Österreich an ihrer Leistungsgrenze angelangt ist. Asyl ist nur ein Schutz auf Zeit, so Doppler. (Schluss Aktuelle Europastunde/Fortsetzung Nationalrat)