Parlamentskorrespondenz Nr. 112 vom 11.02.2016

Faymann: Grenzmanagement und europäische Lösung in der Flüchtlingsfrage

Bundesrat diskutiert über Obergrenzen, EU-Solidarität und Herausforderungen für die Kommunen

Wien (PK) – Eine intensive Debatte über mögliche Antworten auf die aktuelle Flüchtlingskrise stand heute zu Beginn der Sitzung des Bundesrats. Im Rahmen einer Aktuellen Stunde stellte Bundeskanzler Werner Faymann klar, dass sich die Regierung mit aller Kraft für eine gemeinsame europäische Lösung einsetze. Solange es diese aber nicht gebe, müsse er als politisch Verantwortlicher auf nationaler Ebene alle notwendigen Schritte einleiten, um für Notsituationen gerüstet zu sein. Während SPÖ- und ÖVP-VertreterInnen die Linie der Bundesregierung grundsätzlich unterstützten, warnten die Freiheitlichen vor den negativen Auswirkungen der Massenzuwanderung. Die Grünen wiederum plädierten für einen menschlichen und konstruktiven Zugang in der Flüchtlingskrise; Obergrenzen und Zäune seien keine Lösungen.

Faymann: Österreichs Hilfsbereitschaft ist vorbildlich in Europa

Österreich könne stolz darauf sein, dass es im letzten Jahr vielen Menschen, die an der Grenze gestanden sind und dringend Nahrung und medizinische Versorgung gebraucht haben geholfen hat, betonte einleitend Bundeskanzler Werner Faymann. Er habe jedoch frühzeitig darauf hingewiesen, dass europäische Solidarität gefordert ist und nicht drei Länder alleine sich um alle Kriegsflüchtlinge kümmern können. Im Vorjahr konnten ca. 90.000 Menschen in Österreich einen Asylantrag einbringen, was etwas mehr als einem Prozent der heimischen Bevölkerung entspricht. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, in den nächsten vier Jahren insgesamt weitere 1,5 % an Flüchtlingen aufzunehmen. Damit verbunden sind faire Verfahren sowie umfassende Integrationsbemühungen, die vom Kindergarten bis zum Wohnungsangebot reichen. Würde das die EU in allen Staaten auch nur annähernd umsetzen, dann könnten in den nächsten fünf Jahren 12,5 Millionen Menschen aufgenommen werden. Dies sei realisierbar, unterstrich Faymann, aber Österreich alleine könne das nicht schaffen.

Was seinen Vorschlag betrifft, im Mittelmeer aufgegriffene Asylwerber wieder in die Türkei zurückzuführen, so gehe es primär darum, den illegalen Fluchtweg zu unterbinden, erläuterte Faymann. In der Folge könnte dann eine geordnete Einreise in die EU für ein gewisses Kontingent an Kriegsflüchtlingen in Aussicht gestellt werden. Allerdings könne er nicht versprechen, dass die Türkei dies auch umsetzen will, räumte der Kanzler ein. In der Zwischenzeit habe die Politik jedoch die Verantwortung, in enger Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten auf der Balkanroute alle etwaigen technischen, organisatorischen und personellen Vorkehrungen zu treffen, um für schwierige Situationen gewappnet zu sein. Er präferiere natürlich eine gemeinsame europäische Lösung, für die sich die ganze Regierung intensiv einsetze, unterstrich Faymann, aber diese müsse erst auf demokratische Weise mit allen Mitgliedstaaten ausverhandelt werden.

SPÖ: Große Herausforderungen, aber Menschenrechte sind unteilbar

Er unterstütze die Linie des Bundeskanzlers in der Asylkrise voll und ganz, erklärte der steirische SPÖ-Vertreter Mario Lindner, allerdings mit einer Ausnahme. Lindner bezweifelte nämlich, dass die Einführung von Obergrenzen eine sinnvolle Lösung darstelle. Absolut richtig seien jedoch die Forderungen nach der Einrichtung von Hotspots an den Grenzen sowie nach der Realisierung einer europaweiten Quote, da es nicht sein könne, dass Österreich, Deutschland und Schweden die Hauptlast tragen. Jene Länder, die ihre Verantwortung nicht übernehmen wollen, sollten auch mit Sanktionen rechnen müssen. Inge Posch-Gruska (S/B) sprach vor allem die Herausforderungen für die Gemeinden an, die einen Großteil der Integrationsarbeit leisten müssen. Statt politischer Hetze und Diskussionen über Kürzungen bei der Mindestsicherung sollte man sich darauf konzentrieren, wie den Menschen, die nach Österreich kommen, am besten geholfen werden kann.

Äußerst besorgt zeigte sich Lindner (S/St) darüber, dass man in den sozialen Medien immer öfters Nazi-Diktion finde und  Menschen wieder unverblümt dafür eintreten, Mauthausen zu öffnen. Manche schlagen auch vor, dass Adolf Hitler für drei Monate wiederkommen soll, um die aktuellen Probleme zu lösen. Minister Wolfgang Brandstetter habe zwar eine gute Reform des Verhetzungsparagraphen eingeleitet, diese müsse nun aber auch konsequent umgesetzt werden. Der Bundesrat forderte daher, dass die Staatsanwaltschaften dem Ministerium über sämtliche Verbotsfälle laufend berichten müssen und auch die Öffentlichkeit ausreichend informiert wird. Abschließend erinnerte Lindner an ein Brecht-Zitat: "Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht".

ÖVP unterstützt Anstrengungen der Regierung und fordert mehr Solidarität in der EU

Bundesrat Edgar Mayer (V/V) zollte der Bundesregierung Anerkennung dafür, dass sie auf den verschiedensten Ebenen ernsthaft bemüht sei, die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen. Ebenso wie seine Vorredner war er überzeugt davon, dass es mehr Solidarität innerhalb der EU-Staaten geben müsse und man diese auch immer wieder einfordern soll. Ein gutes Signal diesbezüglich sei der Brief von Finanzminister Schelling an die Kommission, wo deutlich ausgeführt wurde, dass den "willigen Ländern" mehr Geld zur Verfügung gestellt werden muss. Bundeskanzler Faymann wiederum habe sich auf der Londoner Syrien-Konferenz dafür eingesetzt, dass die im Mittelmeer aufgegriffenen Flüchtlinge direkt in die Türkei zurückgeschickt werden sollen und Frontex somit zu einem echten Grenzschutzprogramm ausgebaut wird. Einen wichtigen Beitrag leiste auch Außenminister Kurz, der derzeit gerade die Westbalkan-Staaten besucht und gemeinsame Lösungen vor allem mit Serbien und Mazedonien herbeiführen will. Sehr positiv beurteilte Ferdinand Tiefnig (V/O) das neue Grenzmanagement, das auf einer intensiven und guten Zusammenarbeit zwischen Innen- und Verteidigungsressort basiere.

FPÖ: Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen und Heimat Österreich schützen

Die mit der Aussage "Wir schaffen es" verbundene Einladung der deutschen Bundeskanzlerin Merkel, die auch von Faymann mitgetragen wurde, war sicherlich gut gemeint, habe aber enorme Probleme verursacht, zeigte der freiheitliche Bundesrat Gerhard Dörfler (F/K) auf. Österreich weise schon jetzt eine Rekordarbeitslosigkeit auf, was durch den Zustrom von Flüchtlingen noch verschärft werde. Wer den Menschen aber keine Arbeit geben kann, der schafft auch keine Integration, warnte Dörfler. Die Tatsache, dass hunderttausende Menschen ohne Kontrollen die Grenzen passieren, hat natürlich auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Europa, wie zahlreiche furchtbare Vorfälle belegen. Die Politik müsse endlich verhindern, dass Straftäter ungehindert durch Europa reisen und dann – wie leider in Wien passiert – Kinder vergewaltigen. Es sei daher kein Wunder, dass sich sehr viele Menschen berechtigte Sorgen machen; dies habe auch gar nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun, betonte Dörfler. Solange es keine Solidarität innerhalb der EU gibt, müsse man alles dafür tun, dass die Sicherheit, das Sozialsystem und der Arbeitsmarkt in Österreich geschützt werden, appellierte er an die Bundesregierung. Dass dies derzeit nicht gewährleistet sei, belegen tägliche Negativberichte in den Medien, wo von Sexualübergriffen, Gewaltexzessen, Kriminalität oder Asylbetrug die Rede sei, beklagte sein Fraktionskollege Hans-Jörg Jenewein (F/W.) Da Bundeskanzler Faymann dafür hauptverantwortlich sei, sollte er endlich zurücktreten.

Grüne für konstruktive und menschliche Lösungen in der Flüchtlingskrise

David Stögmüller (G/O) plädierte für konstruktive und menschliche Lösungen in der Flüchtlingskrise. Nicht nachvollziehen könne er den Meinungsschwenk von Bundeskanzler Faymann, der die Politik von Premierminister Orban noch vor einigen Monaten kritisiert habe, jetzt aber selbst die Grenzen dicht machen wolle. Absolut unmenschlich sei auch der Vorschlag, wonach die von Frontex aufgegriffenen Flüchtlinge in der Ägäis sofort wieder in die Türkei zurückgeschickt werden sollen. An den Beifallsbekundungen von Seiten der Freiheitlichen könne man erkennen man, dass es nicht mehr viele Unterschiede zwischen den Positionen der Regierung und der FPÖ gibt, beklagte Stögmüller. Auch wenn Europa mit großen Herausforderungen konfrontiert ist, müsse sichergestellt sein, dass Schutz vor Verfolgung ein Menschenrecht ist und für alle zu gelten hat.

Längst überfällig sei seiner Meinung nach die Einrichtung von Hotspots an den EU-Außengrenzen, damit nicht mehr so viele Menschen ihr Leben auf der Flucht riskieren und Schleppern viel Geld zahlen müssen. Auch Außenminister Kurz sei gefordert, endlich Rückabnahmekommen mit jenen Ländern auszuverhandeln, die sich weigern, abgelehnte AsylwerberInnen wieder zurückzunehmen. Ewa Dziedzic (G/W) setzte sich vor allem für schutzsuchende Frauen ein, deren Bedürfnisse (Zugang zu medizinischer und psychologischer Betreuung, Unterbringungssituation, Familienzusammenführung etc.) ausreichend berücksichtigt werden sollten. Nicht vergessen sollte man in diesem Zusammenhang, dass jede dritte Frau in Europa von Gewalt betroffen ist und die Frauenhäuser bereits jetzt überfüllt sind.  

Es gehört zu den elementarsten Rechten eines Staates, darüber zu bestimmen, wer in das Land hineingelassen wird und wer nicht, unterstrich der fraktionslose Bundesrat Gerald Zelina (A/N). EU-Asylquoten wären seiner Meinung nach nur dann legitim, wenn die Union ein eigener Staat wäre; dies sei aber nicht der Fall. Zwangszuteilungen von Flüchtlingen ohne Volksbefragung und gegen den Willen der Bevölkerung sind diktatorisch und finden deswegen keine Akzeptanz in Europa, war Zelina überzeugt. Er verlange daher von der Bundesregierung eine Politik im Interesse Österreichs und nicht des Auslands. Für Kriegsflüchtlinge sollten ausschließlich die unmittelbaren Nachbarländer zuständig sein. Dies sei auch aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll, da um 90 Prozent weniger kostet, die Flüchtlinge vor Ort zu versorgen als in Europa aufzunehmen. (Fortsetzung Bundesrat) sue


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