Parlamentskorrespondenz Nr. 130 vom 17.02.2016

Brexit: Bundeskanzler Faymann setzt auf politische Einigung mit London

Europäischer Rat will Cameron-Regierung Argumentarium für Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union liefern

Wien (PK) – Die Bedingungen der britischen Regierung zum Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union wird der Europäische Rat bei seinem Treffen am 18. und 19. Februar intensiv diskutieren. Ziel der Staats- und Regierungschefs der EU-28 dabei ist nach den Worten von Bundeskanzler Werner Faymann, eine politische Erklärung abzufassen, mit der unter Wahrung der Interessen aller versucht wird, Großbritannien entgegenzukommen. Vertragsänderungen oder gar ein eigener Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich stünden dagegen nicht am Programm, sagte er heute im EU-Hauptausschuss des Nationalrats.

Während die Freiheitlichen den britischen Vorstoß zur Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU und zur Renationalisierung von Kompetenzen loben, kommen von SPÖ und Grünen kritische Stimmen, besonders zu angeregten Kürzungen bei Sozialleistungen. Bei der ÖVP findet der britische Premier David Cameron mit diesem Ansinnen mehr Verständnis, solange Anpassungen der staatlichen Unterstützungen in sämtlichen Mitgliedsländern zum Tragen kommen. Die NEOS sehen gänzlich das politische Projekt EU in Frage gestellt, würden einem einzelnen Mitgliedsstaat Sonderrechte eingeräumt und das Team Stronach fordert grundsätzlich gleiche Spielregeln für alle. Spätestens nächstes Jahr, vielleicht aber schon diesen Juni, wird in Großbritannien über die Mitgliedschaft zur Union abgestimmt.

Kursentscheidung: Mehr oder weniger Europa?

Die geplante politische Willenserklärung des Rats ist für Bundeskanzler Werner Faymann von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Darin werde zum Ausdruck gebracht, dass sich die Europäische Familie mit den Wünschen ihrer Mitglieder auseinandersetzt, meinte er und sprach die Überlegungen Londons an, bei Sozialleistungen für neuangekommene EU-BürgerInnen Kürzungen vorzusehen. Ein Vorschlag sei, künftig entsprechende Ersuchen an die Europäische Kommission zu richten. Dies dürfe jedoch nicht zu einer Kettenreaktion länderspezifischer Forderungen ausarten, warnte Faymann und erhielt Rückhalt von Gisela Wurm (S): bei den Ratsgesprächen darüber sei einen hohes Maß an Fingerspitzengefühl nötig. Verständnis zeigt der Kanzler auch für das Anliegen des Nicht-Euro-Lands, von Entscheidungen der Eurogruppe nicht völlig ausgeschlossen zu sein, vor allem wenn die ganze EU von Beschlüssen der Euroländer betroffen ist. Ein automatisches Vetorecht von außerhalb der Gruppe lehne er wiederum ab, betonte er in Übereinstimmung mit Wolfgang Gerstl (V), der auf das selbstbestimmte Agieren als Grundprinzip der Eurozone pocht. Grundsätzlich erwartet Faymann vom Europäischen Rat harte Auseinandersetzungen darüber, ob es künftig mehr oder weniger Europa geben wird. Erpressen lassen wolle man sich aber nicht. Der politische Wille, eine Union zu bleiben, dürfe nicht verloren gehen.

Der Rat habe darauf zu achten, dass die EU nicht zu einem reinen Handelsbündnis degradiert wird, mahnte NEOS-Mandatar Christoph Vavrik. Besonders irritiert zeigte sich der Außenpolitiksprecher über die angestrebte Abkehr Großbritanniens von einer weitergehenden Integration der Union. Auch wenn die Mitgliedsstaaten den Integrationsprozess in verschiedenen Geschwindigkeiten durchliefen, müssten sie ein gemeinsames Ziel haben. Dem Ratsbeschluss zu den Forderungen Englands prophezeite er wenig Gutes: eine vermeintliche Neuordnung der Union würde sich ohne entsprechende Änderungen in den EU-Verträgen als Trugbild erweisen. Josef Cap (S) gewinnt der Diskussion über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs indes durchaus etwas Positives ab. Die Debatte schärfe den Blick auf einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Arbeitsmarkt, gerade im Kontext der Binnenwanderung, und auf die Finanzierung des Sozialstaats.

Caps Ansicht nach sollte man das Sozialsystem aber nur innerhalb der EU weiterentwickeln, zumal – wie ÖVP-Abgeordneter Gerstl anmerkte – die Europäische Union über kein gemeinsames Sozialwesen verfüge. Gerstl begrüßt in diesem Zusammenhang Camerons Vorschlag, die Familienbeihilfe für EU-AusländerInnen an das Niveau der Herkunftsländer anzupassen. Diese Sichtweise teilt Judith Schwentner (G) nicht. Ein Soziallstaat wie Österreich lebe von Zuzug, das zeige beispielsweise der Pflegebereich. An den Bundeskanzler appellierte die Grünen-Sozialsprecherin, sich beim Rat für den Erhalt des sozialen Friedens in der EU einzusetzen und fand darin Zustimmung bei Christine Muttonen (S). Die SPÖ-Außenpolitiksprecherin vermutete überhaupt, Cameron gehe es bei seinen angeregten Restriktionen im Sozialbereich eigentlich um den Abbau des Sozialstaats an sich, auf Kosten der Armen. Im gleichen Atemzug kritisierte sie das fehlende Engagement der EU-Länder gegen Steuervermeidung von Großkonzernen.

Britische Forderungen kein Tabu in der heimischen Politik

Konkret zielt der britische Forderungskatalog auf Stärkung der Rechte von Nicht-Euro-Ländern in der EU-Wirtschaftspolitik ab und will die Wettbewerbsfähigkeit durch rechtliche Erleichterungen für Unternehmen forcieren, wie Gerstl ausführte. Weiters geht es London darum, die Souveränität der Staaten innerhalb der Union auszubauen, speziell hinsichtlich des Einflusses nationaler Parlamente auf Legislativvorschläge aus Brüssel. Außerdem ist nach dem Reformkonzept der britischen Regierung die Zuwanderung von UnionsbürgerInnen anderer Mitgliedsstaaten zu begrenzen – eben mittels Kürzungen bei den Sozialleistungen. Der ÖVP-Mandatar wollte keine der Forderungen vollständig ablehnen, einen Bürokratieabbau im Sinne der Wirtschaft befürwortete er sogar ausdrücklich. Er stellte aber klar, trotz Änderungen bei der wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU dürften Nicht-Euro-Länder keinesfalls das gleiche Mitspracherecht in Belangen der Eurozone erhalten.

Aus Sicht der Freiheitlichen täten die EU-Mitgliedsstaaten schon in ihrem eigenen Interesse gut daran, Großbritannien entgegenzukommen. Abgeordneter Johannes Hübner beantragte dementsprechend, der Bundeskanzler solle beim Ratstreffen auf die Umsetzung einer eingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit drängen. Immerhin gestehe das geltende EU-Recht bereits zu, dass aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses derartige Reglementierungen schlagend werden können. Derzeit bewirke der offene heimische Arbeitsmarkt lediglich den Import von Arbeitslosen, sieht Hübner die Bedingungen erfüllt.

Ebenso wichtig ist der FPÖ, die Souveränität der Mitgliedsstaaten wieder herbeizuführen, weswegen ihr Außenpolitiksprecher eine Rückübertragung der an Brüssel abgegebenen nationalen Zuständigkeiten einfordert. Beide Anträge auf Stellungnahme fanden aber keine Mehrheit im Ausschuss – nur das Team Stronach schloss sich dem Freiheitlichen Aufruf an. Für Abgeordnete Waltraud Dietrich (T) ist die EU-Skepsis Großbritanniens verständlich, obwohl sie sich gegen Vorteile für einzelne Mitgliedsstaaten aussprach. Reformen seien im Sinne aller anzudenken. (Fortsetzung EU-Hauptausschuss) rei