Parlamentskorrespondenz Nr. 203 vom 03.03.2016

Rechnungshof: Zahlreiche Mängel beim Pilotprojekt e-Medikation

Kritik an der Umsetzung, aber positives Feedback der TeilnehmerInnen

Wien (PK) – Mehr Sicherheit für die PatientInnen bei der Einnahme von Medikamenten soll durch die sogenannte e-Medikation – eines von vier zentralen Anwendungsbereichen der ELGA (Elektronische Gesundheitsakte) – gewährleistet werden. Durch die Einrichtung eines Arzneimittelkontos sollen in Hinkunft etwa Mehrfachverordnungen, Überdosierungen oder negative Wechselwirkungen vermieden werden.

Im Rahmen eines Pilotprojektes, dessen Durchführung der Rechnungshof kritisch unter die Lupe genommen hat, wurde nun die Praxistauglichkeit des Verfahrens getestet. Aus wissenschaftlicher Sicht waren die Ergebnisse durchaus erfreulich. Im Evaluierungszeitraum wurden insgesamt 16.570 Warnungen aufgezeigt; 110 davon entfielen auf schwerwiegende Wechselwirkungen, die potentiell sogar zum Tod der Patienten führen könnten, zeigte RH-Präsident Moser auf. Sowohl 70 % der teilnehmenden ÄrztInnen als auch 90 % der ApothekerInnen würden es daher begrüßen, auf vollständige und aktuelle Medikationslisten zurückgreifen zu können. 85 % der PatientInnen gaben an, sich durch den Einsatz der e-Medikation sicherer zu fühlen, heißt es im Rechnungshofbericht, der im Ausschuss zur Kenntnis genommen wurde.

Weniger zufriedenstellend war jedoch nach Auffassung der PrüferInnen die Realisierung des insgesamt 3,9 Mio. € teuren Projekts, wobei vor allem die mangelnde Aussagekraft (u.a. wegen der geringen Teilnehmerzahl), das Fehlen von messbaren und überprüfbaren Zielen, die unvollständige Angabe der Gesamtkosten, die teilweise nicht nachvollziehbaren Kalkulationsgrundlagen sowie auch Verstöße gegen das Vergaberecht bemängelt wurden. Der um vier Monate verzögerte Projektbeginn verursachte zudem Mehrkosten in der Höhe von 189.000 €. Aufgrund der Vertragsgestaltung konnte überdies ein wesentlicher Kostenblock (ca. 865.000 €) nicht überprüft werden, zeigten die PrüferInnen auf. Insgesamt lagen die Gesamtkosten um 24 % über dem ursprünglichen Budget. Als verbesserungsfähig wurden auch die Benutzerfreundlichkeit, die Softwarequalität und die Antwortzeiten für den Endanwender eingestuft. Der Prüfungszeitraum umfasste im Wesentlichen die Jahre 2011 und 2012.

e-Medikation wird an drei Standorten in Österreich erprobt

Ziel der Überprüfung des Rechnungshofs war die Beurteilung der Organisation, der Kosten, der Ergebnisse und der vergaberechtlichen Aspekte des Pilotprojekts e–Medikation, das von April bis Dezember 2011 anberaumt war und in drei definierten Versorgungsregionen in Wien, Oberösterreich und Tirol durchgeführt wurde. Teilgenommen haben insgesamt 97 ÄrztInnen, 58 Apotheken, 4 Krankenanstalten und mehr als 8.000 PatientInnen. Der Hauptverband schloss im August 2010 mit der Pharmazeutischen Gehaltkasse eine Vereinbarung zur Durchführung des Pilotprojekts ab; die technische Umsetzung erfolgte durch einen externen Dienstleister.

Der Rechnungshof stellte u.a. kritisch fest, dass sich die Projektziele nur allgemein auf den Nutzen der e–Medikation, jedoch nicht konkret auf das Pilotprojekt bezogen. Erst in der Vereinbarung zwischen dem Hauptverband und Pharmazeutischen Gehaltskasse wurde festgelegt, dass mindestens 5 % der e–card–Besitzer einer Pilotregion sowie zumindest 150 ÄrztInnen teilnehmen sollten. Negativ wurde auch beurteilt, dass die Aufwendungen für die wissenschaftliche Evaluierung (126.000 €) nicht den Gesamtkosten zugerechnet, sondern aus dem Budget der ELGA GmbH finanziert wurden.

Die wissenschaftliche Evaluierung ergab zwar ein positives Gesamtbild, jedoch war ihre Aussagekraft durch mehrere Faktoren erheblich eingeschränkt, urteilte der Rechnungshof. In der Versorgungsregion 93 (Wien–Floridsdorf und Wien–Donaustadt) mit rund 153.000 e–card–Besitzern nahmen etwa nur 0,6 % anstelle der geplanten 5 % am Pilotprojekt teil; dieses angepeilte Ziel wurde in keiner der drei Regionen erreicht. Durch die freiwillige Teilnahme wurde auch keine durchgängige Flächendeckung erreicht, was sich auf die Aussagekraft der Daten nachteilig auswirkte. Das Pilotprojekt wurde auch nicht dazu verwendet, auf der Grundlage von Echtdaten Berechnungen bezüglich der Kostendämpfungspotenziale der e–Medikation anzustellen, merkte Rechnungshofpräsident Josef Moser kritisch an.

Opposition beklagt mangelhafte Umsetzung des Projekts durch den Hauptverband

NEOS-Vertreter Christoph Vavrik ging in seiner Wortmeldung noch einmal detailliert auf die zahlreichen Kritikpunkte des Rechnungshofs ein und fragte u.a., ob die eingesetzte Software noch verbessert wird. Daran anschließend wollte die Abgeordnete des Team Stronach Martina Schenk wissen, wie viele Personen sich bereits von ELGA abgemeldet haben und warum die automatische Wechselwirkungsprüfung nun nicht mehr Teil der e-Medikation sein soll. Auch Abgeordnete Belakowitsch-Jenewein (F) verwies auf die vielen Mängel bei der Umsetzung des Projekts und hob vor allem hervor, dass die Gesamtkosten um 24 % überschritten wurden. Eva Mückstein (G) interessierte sich für den Vertrag mit der Pharmazeutischen Gehaltskasse und fragte, warum der Hauptverband nicht direkt einen IT-Dienstleister beauftragt habe.

Die VertreterInnen der Regierungsparteien  – Hermann Gahr (V), Ruth Becher und Marianne Gusenbauer-Jäger (beide S) – hoben vor allem die positive Bewertung des Projekts, das die Erhöhung der PatientInnensicherheit im Fokus hat, durch die TeilnehmerInnen hervor. Sie waren überzeugt davon, dass daraus wichtige Erkenntnisse gewonnen werden konnten, die bei der weiteren Umsetzung der e-Medikation Berücksichtigung finden.

Die Empfehlungen des Rechnungshofs haben Hand und Fuß und entsprechen auch den Richtlinien, die der Hauptverband bei Umsetzung von Projekten vorgibt, erklärte Generaldirektor Josef Probst. Im vorliegenden Fall, der stark von  interessenspolitischen Friktionen beeinflusst war, wollte man aber ein "window of opportunity" nutzen und musste daher rasch handeln. Vor diesem Hintergrund sei auch die Beauftragung der Pharmazeutischen Gehaltskasse, die bereits in eine Software investiert hatte, zu sehen. Da es sich um neues Geschäftsfeld handle, in dem mehrere Anbieter konkurrieren, hatte man keine Einsichtsmöglichkeiten in den konkreten Vertag, gab Probst gegenüber der G-Abgeordneten Gabriela Moser zu bedenken. Keine Firma wolle eine umfangreiche Aufbauarbeit leisten, die dann von einem anderen Unternehmen wirtschaftlich verwertet wird. Was die österreichweite automatische Wechselwirkungsprüfung betrifft, so sei diese nun nicht mehr im Projekt enthalten; dies liege nun in der Verantwortung des jeweiligen Arztes.

Auch Bundesministerin Sabine Oberhauser verteidigte die frühe Erprobung der e-Medikation, da es ihrer Meinung gerade im Gesundheitswesen Sinn mache, "möglichst rasch und kleinteilig" vorzugehen und Innovationen im Rahmen von Pilotprojekten auszutesten. Außerdem sei bei neuen Maßnahmen wohl immer mit einem gewissen Widerstand zu rechnen. Was die Abmeldungsmöglichkeit von ELGA betrifft, so wurden die Anfangsschwierigkeiten mittlerweile überwunden. Gerade bei sensiblen Daten sei es aber sehr wichtig, dass die Identität der Personen genau überprüft wird. Insgesamt haben sich 244.000 Personen von ELGA abgemeldet (Stand Februar 2016). Die Empfehlungen des Rechnungshofs wurden bereits umgesetzt und fließen auch in zukünftige Projekte ein, versicherte Oberhauser. Bereits i m Mai 2016 beginne ihr Ressort in Deutschlandsberg mit der Pilotierung der e-Medikation. (Schluss) sue