Parlamentskorrespondenz Nr. 271 vom 17.03.2016

Flüchtlingskrise: Abgeordnete warnen vor Blankoscheck für die Türkei

Migration und Krisenherde in Afrika dominieren außenpolitische Debatte im Nationalrat

Wien (PK) – Europa darf der Türkei keine Zugeständnisse bezüglich Visaerleichterung und EU-Beitritt machen. Im Vorfeld des Brüsseler Flüchtlingsgipfels warnten die Abgeordneten im Nationalrat heute vor einer Aufweichung der europäischen Haltung gegenüber Ankara in Sachen Menschenrechte, waren aber uneins über das nunmehrige Vorgehen. Während die Regierungsparteien nach wie vor von einer Lösung mit der Türkei ausgingen, dabei aber von einem "schwierigen Partner" sprachen, stieß dies auf Skepsis und Ablehnung bei der Opposition. Die Freiheitlichen deponierten einmal mehr ihre Forderung nach einer Sperre der EU-Außengrenze, die Grünen hingegen drängten auf eine europäische Lösung des Flüchtlingsproblems und kritisierten nationale Alleingänge. Grundlage der Debatte war dabei der Bericht über die EU-Jahresvorschau in der Außenpolitik, der neben der Flüchtlingsfrage auch Themen wie Brexit oder die EU-Erweiterung behandelt und mit den Stimmen der Regierungsparteien und der NEOS zur Kenntnis genommen wurde.

Thema im Plenum waren heute aber auch Krisenherde in Afrika, wobei die Abgeordneten jeweils mit großer Mehrheit zu einer friedlichen Lösung des blutigen Konflikts in Burundi aufriefen und darüber hinaus ein entschlossenes Vorgehen gegen sexuelle Gewalt in bewaffneten Auseinandersetzungen – so etwa in der Demokratischen Republik Kongo – forderten.

SPÖ: Türkei ist schwieriger Partner für Verhandlungen in der Flüchtlingsfrage

Ein schwieriger Partner sei die Türkei, gab Hannes Weninger (S) zu bedenken. Wenn die Europäische Union ihre Außengrenze sichern und die Flüchtlingsströme einschränken will, dann muss sie aber mit Ankara verhandeln. Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass Europa seine politischen Standpunkte in entscheidenden Fragen wie etwa den Menschenrechten aufweicht. Bei der Erforschung des Mars funktioniere die Europäische Zusammenarbeit sehr gut, dies sollte nun Ansporn sein, auch auf anderen Gebieten wieder erfolgreich zu handeln, leitete Weningers Fraktionskollegin Christine Muttonen zum Thema Europäische Integration über. Die außenpolitische Sprecherin der SPÖ erwartet sich dabei vor allem ein stärkeres Engagement der Union, um einen neuen Rahmen für die wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland zu finden und damit zur Entspannung in der Region beizutragen. Für Josef Cap wiederum stellen der griechische Schuldenschnitt und Brexit neben der Migrationskrise existentielle Herausforderungen der EU dar. Er appellierte an die Bundesregierung, sich gestaltend einzubringen und bemerkte überdies, das nationale Element könnte in Zukunft stärker an Bedeutung gewinnen, ohne dass man dabei das Gemeinsame der EU verlassen muss.

ÖVP gegen Blankoscheck an Ankara

Vorsicht ist bei der Kooperation mit der Türkei auch nach Einschätzung von Reinhold Lopatka (V) geboten. Ankara dürfe kein Blankoscheck für Visaerleichterungen und EU-Beitritt ausgestellt werden, warnte der ÖVP-Klubobmann und fügte dabei die Mahnung an, die Menschenrechtslage nicht außer Acht zu lassen. In der Flüchtlingsfrage ist Europa noch nicht in die Gänge gekommen, befand Nikolaus Berlakowich (V). Nationale Maßnahmen seien sinnvoll und notwendig, um der Politik des Durchwinkens von Flüchtlingen ein Ende zu bereiten. Handlungsbedarf ortete der ehemalige Umweltminister aber auch beim Klimaschutz, gelte es doch, Vorsorge gegen weitere Migrationsströme zu treffen.

FPÖ für Sicherung der Außengrenzen

Namens der FPÖ sprach Reinhard Eugen Bösch dem Bundeskanzler in der Flüchtlingspolitik jegliche Glaubwürdigkeit ab und bezeichnete den Umschwung Faymanns als "Wendehalspolitik". Solange die EU ihrer Verpflichtung, die Außengrenzen zu sichern, nicht nachkommt, müssten die Nationalstaaten Maßnahmen setzen. Die Willkommenskultur bezeichnete Bösch als den falschen Weg. Vielmehr gehe es darum, den Menschen klarzumachen, dass eine illegale Einwanderung in die EU nicht mehr möglich ist. Andreas Karlsböck (F) wandte sich der Außenkomponente im Wissenschaftsbereich zu und kritisierte fehlende Inländerbevorzugung beim Studienzugang in Österreich. Es wäre an der Zeit, zumindest Ausgleichszahlungen zu verlangen, meinte er und forderte Österreich auf, sich am Vorbild Großbritanniens zu orientieren und seine Interessen in der EU mit mehr Nachdruck zu verfolgen. Jessi Lintl (F) wiederum mahnte mehr Integrationswillen bei den MigrantInnen ein und brachte die muslimischen Kindergärten zur Sprache. Das Integrationsministerium habe als Kontrollorgan total versagt, stellte sie fest.

Grüne fordern Rückkehr zu europäischen Lösungen

Schwere Bedenken gegen das einseitige Handeln Österreichs in der Flüchtlingskrise meldeten die Grünen an. Die Schließung der Grenzen an der Balkan-Route sei bloß innenpolitisch motiviert gewesen, zeigte sich Tanja Windbüchler-Souschill überzeugt, die im Vorgehen der Bundesregierung eine Abkehr von der österreichischen Politik des Dialogs und des Brückenbauens sah. Heftig kritisierte sie auch Einschränkungen bei der Dotierung des World Food Programms für Hilfe vor Ort in Syrien, wobei sie bemerkte, man könne nicht die Grenzen schließen und gleichzeitig die Menschen in Syrien hungern lassen. Ihr gemeinsam mit den NEOS eingebrachter Antrag auf sofortige Erhöhung der Beiträge um mindestens 5 Mio. € blieb bei der Abstimmung allerdings in der Minderheit. Alev Korun zweifelte an der Verfassungskonformität der Asylobergrenze und sprach kritisch von einem "Grenzen-Zu-Domino", das nun dazu geführt habe, dass Flüchtlinge im Schlamm von Idomeni leben müssen. Sie forderte die Bundesregierung auf, ihre Linie zu überdenken und wieder zu einer gemeinsamen europäischen Politik zurück zu kehren.

NEOS gegen weitere Ausnahmen für Großbritannien

Christoph Vavrik von den NEOS griff das Thema Brexit auf und wandte sich gegen die weitere Gewährung von Ausnahmen für Großbritannien. Besser wäre es gewesen, die EU tiefgreifend zu reformieren und näher an ihre BürgerInnen zu bringen. Stattdessen habe man aber unter dem Druck Londons die Freizügigkeit der EU eingeschränkt und die Idee einer engeren Zusammenarbeit in der Union aufgegeben. Möglicherweise wäre einem Schrecken ohne Ende mit Großbritannien ein Ende des Schreckens ohne das Königreich vorzuziehen, fasste Vavrik seinen Unmut über die Politik David Camerons zusammen.

Team Stronach pocht auf Rücknahmeabkommen

Christoph Hagen vom Team Stronach klagte, die Abschiebung nach einem negativen Asylbescheid funktioniere derzeit nicht. Er drängte auf den Abschluss von Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen und schlug im Übrigen vor, abgeschobene MigrantInnen in eigens eingerichtete Camps in Nordafrika zu überstellen.

Konfliktherde Burundi, Kongo: Nationalrat schlägt Alarm

Die blutigen Auseinandersetzungen in Burundi und in der Demokratischen Republik Kongo sind auch für den Nationalrat Handlungsauftrag. Auf Basis eines Antrags der Regierungsparteien, der auch von FPÖ und Team Stronach unterstützt wurde, appellierten die Abgeordneten an Außenminister Kurz, sich auf internationaler Ebene für eine gewaltfreie Verhandlungslösung zwischen den burundischen Konfliktparteien einzusetzen. Eine Initiative der Grünen war wiederum Ausganspunkt für einen einstimmig angenommenen Aufruf der Regierungsparteien, in dem unter Hinweis auf Massenvergewaltigungen im Kongo ein vehementes Vorgehen gegen sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten gefordert wird.  

In den gegenwärtigen Konflikten ist es gefährlicher, eine Frau zu sein als ein Soldat, brachte Christine Muttonen (S) die Brisanz und Dramatik der Lage in den Kampfgebieten auf den Punkt und verurteilte ebenso wie Claudia Durchschlag (V), Carmen Schimanek (F), Tanja Windbüchler-Souschill (G) und Christoph Hagen (T) den Einsatz von sexueller Gewalt als Kriegsinstrument. Die außenpolitische Sprecherin der Grünen wandte sich aber dagegen, die Aussetzung von EZA-Geldern als Sanktion anzudrohen und stimmte mit ihrer Fraktion gegen den Antrag betreffend Burundi. Ihre Initiative, nur jene Entwicklungsgelder auszusetzen, die direkt an die Behörden fließen, fand keine Mehrheit. Namens der FPÖ wies Andreas Karlsböck auf österreichische Wirtschaftsinteressen im Kongo hin und gab zu bedenken, die Rebellen im Kongo seien bereits zurückgedrängt worden, der Antrag sei "schlecht recherchiert".  (Fortsetzung Nationalrat) hof